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Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895.

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allgemeinen Wahlrechts, das deutete er in einer der letzten Sessionen des Reichs-
tags sehr deutlich an. 1867 stimmte auch, ungeachtet der Erklärung Bismarck's,
ein Theil der Parteigenossen v. Bennigsen's, darunter v. Forkenbeck, Fries-
Weimar, Dr. Gneist, Grumbrecht, Lasker, Wölfel für die Diäten, wohingegen
mit v. Bennigsen Dr. Braun-Wiesbaden, Miquel u. a., dem Wunsche Bismarck's
folgend, gegen dieselben stimmten. Damals waren die Nationalliberalen im Ver-
gleich zu heute noch Männer zu nennen, gegenwärtig sind sie die traurigsten,
unmännlichsten Politiker unseres Zeitalters.

Welch seltsame Blüthen die Begeisterung der damaligen Zeit trieb, dafür spricht
ein Antrag v. Kardorff's im preußischen Landtag im Jahre 1869. Die Regierung
hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, betreffend eine anderweite Feststellung der
Wahlbezirke. Kardorff beantragte, denselben abzulehnen und dagegen zu beschließen:

"Der Königlichen Staatsregierung zur Erwägung zu geben, ob es sich nicht
im allgemeinen politischen Jnteresse empfehlen dürfte, die Zusammensetzung des
preußischen Abgeordnetenhauses in Bezug auf Abgrenzung der Wahlbezirke,
Wahlmodus und Zahl der Abgeordneten mit der des Reichstags in
Einklang zu bringen und damit eine nähere organische Verbindung
der beiden Körperschaften anzubahnen."

Der Antrag bezweckte also im Grunde genommen, daß die preußischen
Reichstags-Abgeordneten in der Hauptsache auch die Mitglieder der zweiten
Kammer des Landtages seien. Herr v. Kardorff gehört heute ebenfalls zu jenen,
die über ihre damaligen Jugendsünden Buße in Sack und Asche thun.

Betrachtet man heute die Parteien des Reichstags in Bezug auf ihre
Stellung zum allgemeinen gleichen Wahlrecht, so müssen die konservativen Parteien
(Deutschkonservative und Reichspartei) mit den Nationalliberalen als ent-
schiedene Gegner
desselben angesehen werden; sie würden es lieber heute als
morgen aus der Welt schaffen, sie haben nur noch nicht den Muth, dies offen
auszusprechen und ihm die Axt an die Wurzel zu legen. Das Zentrum ist zum
Theil ein stiller Gegner, zum Theil ein sehr lauer Freund desselben - siehe die
Haltung der Anhänger des Zentrums im preußischen und bayerischen Landtag.
Nur vereinzelte Mitglieder des Zentrums sind ehrliche Anhänger des allgemeinen
gleichen und direkten Wahlrechts.

Aehnlich wie im Zentrum steht es in der freisinnigen Partei. Eifer und
Wärme für das allgemeine gleiche Wahlrecht fehlen. Würde es abzuschaffen ver-
sucht, man würde dagegen kämpfen, gelänge aber der Versuch, man würde sich
nicht darüber grämen.

Daß bei dieser eigenthümlichen Situation dennoch die Gegnerschaft bisher
sich nur selten offen gegen das allgemeine Wahlrecht aussprach, liegt in der
Scheu vor den Massen des Volkes, denen dasselbe ans Herz gewachsen ist, und
in der Furcht vor der Aufregung dieser Massen, falls der Versuch gemacht werden
sollte, es zu beseitigen. Etwas zu verweigern, was man noch nicht besitzt, ist
weit leichter, als etwas zu nehmen, was man bereits in Händen hat.

Das Blatt, das seit Jahren rücksichtslos und schamlos für die Beseitigung
des allgemeinen Wahlrechts eintritt, ist das Organ der rheinischen Bourgeoisie,
die "Kölnische Zeitung". Wie einst für die Junker der Mensch erst mit dem
Baron begann, so beginnt für jene Klasse, die Bourgeoisie, der Mensch erst, wenn
er das Reservelieutenantspatent oder den Titel "Rath" in der Tasche hat oder
mindestens hunderttausend Mark im Vermögen besitzt. Alle anderen Menschen
sind Lumpen, höchstens nütze als Stimmvieh, das keine eigene Meinung haben
darf, sondern verpflichtet ist, die Leute mit der satten Tugend und der zahlungs-
fähigen Moral, die Leute von "Besitz und Bildung" als seine Vertreter zu wählen.

Diese Bourgeoisie voller Anmaßung, ebenso intolerant wie verfolgungssüchtig
gegen Andersdenkende, dabei voll Verachtung vor dem Arbeiter, der ihr den Reichthum
erwirbt, der ihr das Wohlleben und die Vorrechte ermöglicht, ist heute die
mächtigste Klasse in der Gesellschaft. Sie möchte auch die Alles beherrschende sein.

allgemeinen Wahlrechts, das deutete er in einer der letzten Sessionen des Reichs-
tags sehr deutlich an. 1867 stimmte auch, ungeachtet der Erklärung Bismarck's,
ein Theil der Parteigenossen v. Bennigsen's, darunter v. Forkenbeck, Fries-
Weimar, Dr. Gneist, Grumbrecht, Lasker, Wölfel für die Diäten, wohingegen
mit v. Bennigsen Dr. Braun-Wiesbaden, Miquel u. a., dem Wunsche Bismarck's
folgend, gegen dieselben stimmten. Damals waren die Nationalliberalen im Ver-
gleich zu heute noch Männer zu nennen, gegenwärtig sind sie die traurigsten,
unmännlichsten Politiker unseres Zeitalters.

Welch seltsame Blüthen die Begeisterung der damaligen Zeit trieb, dafür spricht
ein Antrag v. Kardorff's im preußischen Landtag im Jahre 1869. Die Regierung
hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, betreffend eine anderweite Feststellung der
Wahlbezirke. Kardorff beantragte, denselben abzulehnen und dagegen zu beschließen:

„Der Königlichen Staatsregierung zur Erwägung zu geben, ob es sich nicht
im allgemeinen politischen Jnteresse empfehlen dürfte, die Zusammensetzung des
preußischen Abgeordnetenhauses in Bezug auf Abgrenzung der Wahlbezirke,
Wahlmodus und Zahl der Abgeordneten mit der des Reichstags in
Einklang zu bringen und damit eine nähere organische Verbindung
der beiden Körperschaften anzubahnen.“

Der Antrag bezweckte also im Grunde genommen, daß die preußischen
Reichstags-Abgeordneten in der Hauptsache auch die Mitglieder der zweiten
Kammer des Landtages seien. Herr v. Kardorff gehört heute ebenfalls zu jenen,
die über ihre damaligen Jugendsünden Buße in Sack und Asche thun.

Betrachtet man heute die Parteien des Reichstags in Bezug auf ihre
Stellung zum allgemeinen gleichen Wahlrecht, so müssen die konservativen Parteien
(Deutschkonservative und Reichspartei) mit den Nationalliberalen als ent-
schiedene Gegner
desselben angesehen werden; sie würden es lieber heute als
morgen aus der Welt schaffen, sie haben nur noch nicht den Muth, dies offen
auszusprechen und ihm die Axt an die Wurzel zu legen. Das Zentrum ist zum
Theil ein stiller Gegner, zum Theil ein sehr lauer Freund desselben – siehe die
Haltung der Anhänger des Zentrums im preußischen und bayerischen Landtag.
Nur vereinzelte Mitglieder des Zentrums sind ehrliche Anhänger des allgemeinen
gleichen und direkten Wahlrechts.

Aehnlich wie im Zentrum steht es in der freisinnigen Partei. Eifer und
Wärme für das allgemeine gleiche Wahlrecht fehlen. Würde es abzuschaffen ver-
sucht, man würde dagegen kämpfen, gelänge aber der Versuch, man würde sich
nicht darüber grämen.

Daß bei dieser eigenthümlichen Situation dennoch die Gegnerschaft bisher
sich nur selten offen gegen das allgemeine Wahlrecht aussprach, liegt in der
Scheu vor den Massen des Volkes, denen dasselbe ans Herz gewachsen ist, und
in der Furcht vor der Aufregung dieser Massen, falls der Versuch gemacht werden
sollte, es zu beseitigen. Etwas zu verweigern, was man noch nicht besitzt, ist
weit leichter, als etwas zu nehmen, was man bereits in Händen hat.

Das Blatt, das seit Jahren rücksichtslos und schamlos für die Beseitigung
des allgemeinen Wahlrechts eintritt, ist das Organ der rheinischen Bourgeoisie,
die „Kölnische Zeitung“. Wie einst für die Junker der Mensch erst mit dem
Baron begann, so beginnt für jene Klasse, die Bourgeoisie, der Mensch erst, wenn
er das Reservelieutenantspatent oder den Titel „Rath“ in der Tasche hat oder
mindestens hunderttausend Mark im Vermögen besitzt. Alle anderen Menschen
sind Lumpen, höchstens nütze als Stimmvieh, das keine eigene Meinung haben
darf, sondern verpflichtet ist, die Leute mit der satten Tugend und der zahlungs-
fähigen Moral, die Leute von „Besitz und Bildung“ als seine Vertreter zu wählen.

Diese Bourgeoisie voller Anmaßung, ebenso intolerant wie verfolgungssüchtig
gegen Andersdenkende, dabei voll Verachtung vor dem Arbeiter, der ihr den Reichthum
erwirbt, der ihr das Wohlleben und die Vorrechte ermöglicht, ist heute die
mächtigste Klasse in der Gesellschaft. Sie möchte auch die Alles beherrschende sein.

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[46/0050] allgemeinen Wahlrechts, das deutete er in einer der letzten Sessionen des Reichs- tags sehr deutlich an. 1867 stimmte auch, ungeachtet der Erklärung Bismarck's, ein Theil der Parteigenossen v. Bennigsen's, darunter v. Forkenbeck, Fries- Weimar, Dr. Gneist, Grumbrecht, Lasker, Wölfel für die Diäten, wohingegen mit v. Bennigsen Dr. Braun-Wiesbaden, Miquel u. a., dem Wunsche Bismarck's folgend, gegen dieselben stimmten. Damals waren die Nationalliberalen im Ver- gleich zu heute noch Männer zu nennen, gegenwärtig sind sie die traurigsten, unmännlichsten Politiker unseres Zeitalters. Welch seltsame Blüthen die Begeisterung der damaligen Zeit trieb, dafür spricht ein Antrag v. Kardorff's im preußischen Landtag im Jahre 1869. Die Regierung hatte einen Gesetzentwurf eingebracht, betreffend eine anderweite Feststellung der Wahlbezirke. Kardorff beantragte, denselben abzulehnen und dagegen zu beschließen: „Der Königlichen Staatsregierung zur Erwägung zu geben, ob es sich nicht im allgemeinen politischen Jnteresse empfehlen dürfte, die Zusammensetzung des preußischen Abgeordnetenhauses in Bezug auf Abgrenzung der Wahlbezirke, Wahlmodus und Zahl der Abgeordneten mit der des Reichstags in Einklang zu bringen und damit eine nähere organische Verbindung der beiden Körperschaften anzubahnen.“ Der Antrag bezweckte also im Grunde genommen, daß die preußischen Reichstags-Abgeordneten in der Hauptsache auch die Mitglieder der zweiten Kammer des Landtages seien. Herr v. Kardorff gehört heute ebenfalls zu jenen, die über ihre damaligen Jugendsünden Buße in Sack und Asche thun. Betrachtet man heute die Parteien des Reichstags in Bezug auf ihre Stellung zum allgemeinen gleichen Wahlrecht, so müssen die konservativen Parteien (Deutschkonservative und Reichspartei) mit den Nationalliberalen als ent- schiedene Gegner desselben angesehen werden; sie würden es lieber heute als morgen aus der Welt schaffen, sie haben nur noch nicht den Muth, dies offen auszusprechen und ihm die Axt an die Wurzel zu legen. Das Zentrum ist zum Theil ein stiller Gegner, zum Theil ein sehr lauer Freund desselben – siehe die Haltung der Anhänger des Zentrums im preußischen und bayerischen Landtag. Nur vereinzelte Mitglieder des Zentrums sind ehrliche Anhänger des allgemeinen gleichen und direkten Wahlrechts. Aehnlich wie im Zentrum steht es in der freisinnigen Partei. Eifer und Wärme für das allgemeine gleiche Wahlrecht fehlen. Würde es abzuschaffen ver- sucht, man würde dagegen kämpfen, gelänge aber der Versuch, man würde sich nicht darüber grämen. Daß bei dieser eigenthümlichen Situation dennoch die Gegnerschaft bisher sich nur selten offen gegen das allgemeine Wahlrecht aussprach, liegt in der Scheu vor den Massen des Volkes, denen dasselbe ans Herz gewachsen ist, und in der Furcht vor der Aufregung dieser Massen, falls der Versuch gemacht werden sollte, es zu beseitigen. Etwas zu verweigern, was man noch nicht besitzt, ist weit leichter, als etwas zu nehmen, was man bereits in Händen hat. Das Blatt, das seit Jahren rücksichtslos und schamlos für die Beseitigung des allgemeinen Wahlrechts eintritt, ist das Organ der rheinischen Bourgeoisie, die „Kölnische Zeitung“. Wie einst für die Junker der Mensch erst mit dem Baron begann, so beginnt für jene Klasse, die Bourgeoisie, der Mensch erst, wenn er das Reservelieutenantspatent oder den Titel „Rath“ in der Tasche hat oder mindestens hunderttausend Mark im Vermögen besitzt. Alle anderen Menschen sind Lumpen, höchstens nütze als Stimmvieh, das keine eigene Meinung haben darf, sondern verpflichtet ist, die Leute mit der satten Tugend und der zahlungs- fähigen Moral, die Leute von „Besitz und Bildung“ als seine Vertreter zu wählen. Diese Bourgeoisie voller Anmaßung, ebenso intolerant wie verfolgungssüchtig gegen Andersdenkende, dabei voll Verachtung vor dem Arbeiter, der ihr den Reichthum erwirbt, der ihr das Wohlleben und die Vorrechte ermöglicht, ist heute die mächtigste Klasse in der Gesellschaft. Sie möchte auch die Alles beherrschende sein.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-10-30T15:09:45Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-10-30T15:09:45Z)

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Zitationshilfe: Bebel, August: Die Sozialdemokratie und das Allgemeine Stimmrecht. Berlin, 1895, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bebel_sozialdemokratie_1895/50>, abgerufen am 25.04.2024.