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Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887.

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und unerwartet das völlig Verschiedene. Statt der allgemeinen pba_128.002
Begriffe des Aehnlichen und Unähnlichen können ebenso die engeren des pba_128.003
Zusammenstimmenden und Widersprechenden, des Passenden und Unpassenden pba_128.004
oder gleichartige, verwandte Gegensätze eintreten. Was für pba_128.005
ein weites Feld demzufolge in dieser Dichtungsart, gerade wie in der pba_128.006
gnomischen und satirischen, die Anwendung jeder Art von Bildern, pba_128.007
Symbolen
und allegorischen Einkleidungen haben muß, liegt auf pba_128.008
der Hand. Daß dies Verhältnis nicht immer gleich deutlich hervortritt, pba_128.009
liegt nur daran, daß die Sprache des täglichen Lebens selbst mit unzähligen pba_128.010
derartigen Elementen angefüllt ist, welche fast ohne alles Bewußtsein pba_128.011
von ihrer ursprünglich bildlich-allegorischen Natur fortwährend pba_128.012
gleich abstrakten Wendungen gebraucht werden. Durch geistreich-nachdrückliche pba_128.013
Anwendung restituiert ihnen der Dichter ihr ursprüngliches pba_128.014
Recht. Als Beleg mögen einige Beispiele dienen, die den Beweis überflüssig pba_128.015
machen. So die Schillerschen:

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Jnneres und Aeußeres. pba_128.017

"Gott nur siehet das Herz." -- Drum eben, weil Gott nur das Herz sieht, pba_128.018
Sorge, daß wir doch auch etwas Erträgliches sehn.
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Die Uebereinstimmung. pba_128.020
Wahrheit suchen wir beide: du außen im Leben, ich innen pba_128.021
Jn dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß. pba_128.022
Jst das Auge gesund, so begegnet es außen dem Schöpfer, pba_128.023
Jst es das Herz, dann gewiß spiegelt es innen die Welt.

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Mitteilung. pba_128.025

Aus der schlechtesten Hand kann Wahrheit mächtig noch wirken; pba_128.026
Bei dem Schönen allein macht das Gefäß den Gehalt.

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Das Belebende. pba_128.028

Nur an des Lebens Gipfel, der Blume, zündet sich Neues pba_128.029
Jn der organischen Welt, in der empfindenden an.

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oder das Schiller-Goethesche:

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Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen pba_128.032
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.
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und das folgende Goethesche, welches ganz auf den bedeutungsvollen pba_128.034
Unterschied zwischen dem im gewöhnlichen Leben ganz identisch gebrauchten, pba_128.035
rein abstrakten Ausdruck und dem entsprechenden Verbalbegriff pba_128.036
gebaut ist:

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und unerwartet das völlig Verschiedene. Statt der allgemeinen pba_128.002
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Die Uebereinstimmung. pba_128.020
Wahrheit suchen wir beide: du außen im Leben, ich innen pba_128.021
Jn dem Herzen, und so findet sie jeder gewiß. pba_128.022
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Aus der schlechtesten Hand kann Wahrheit mächtig noch wirken; pba_128.026
Bei dem Schönen allein macht das Gefäß den Gehalt.

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Das Belebende. pba_128.028

Nur an des Lebens Gipfel, der Blume, zündet sich Neues pba_128.029
Jn der organischen Welt, in der empfindenden an.

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pba_128.031
Wie verfährt die Natur, um Hohes und Niedres im Menschen pba_128.032
Zu verbinden? Sie stellt Eitelkeit zwischen hinein.
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Zitationshilfe: Baumgart, Hermann: Handbuch der Poetik. Eine kritisch-theoretische Darstellung der Theorie der Dichtkunst. Stuttgart, 1887, S. 128. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baumgart_poetik_1887/146>, abgerufen am 20.04.2024.