Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

Bild:
<< vorherige Seite

ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchsal
einige Vorstellungen gegeben, nachahmen zu können, so
auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner
Knirps mit angesehen. Wenn Trübsinn im Hause
herrschte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: "Ko¬
mödiantin, spiele uns etwas vor!" -- und die kleine
Komödiantin gab sich alle Mühe, die Traurigen zu er¬
heitern. Wenn bei Kaffeevisiten die Unterhaltung stockte,
hieß es: "Linchen, tanze!" und freudestrahlend that ich
mein Bestes. Einen Stock als Balancirstange nach Art
der Seiltänzer haltend, stellte ich mich auf eine Ritze
des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem
Pseudo-Seil mit den zierlichsten Pas. Eine alte Dame,
die einst diese Seiltänzersprünge sah, hielt mich für --
behext -- und schlug das Kreuz vor mir. Erst meine
der Kammerjungfer abgelauschten Lieder: "In einem
Thal bei armen Hirten", und "Willst Dich, Hektor,
ewig von mir wenden", welche ich rein und wohlklingend
gesungen haben soll, vermochten sie etwas zu beruhigen.
-- Einst mußten viele Knaben Bruchsals in's Gefäng¬
niß wandern, so auch meine Brüder als Hauptschuldige
-- als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen
wollen -- und verbrannten sich dabei nebst einigen
Scheunen. Die Brüder saßen im Nord- und Südthurm.
Da war es wenigstens hell und luftig. Eine ganze Woche
lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme.
Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufsprechen
und Obst und Brod für sie abliefern. Da stand ich

1 *

ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchſal
einige Vorſtellungen gegeben, nachahmen zu können, ſo
auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner
Knirps mit angeſehen. Wenn Trübſinn im Hauſe
herrſchte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Ko¬
mödiantin, ſpiele uns etwas vor!« — und die kleine
Komödiantin gab ſich alle Mühe, die Traurigen zu er¬
heitern. Wenn bei Kaffeeviſiten die Unterhaltung ſtockte,
hieß es: »Linchen, tanze!« und freudeſtrahlend that ich
mein Beſtes. Einen Stock als Balancirſtange nach Art
der Seiltänzer haltend, ſtellte ich mich auf eine Ritze
des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem
Pſeudo-Seil mit den zierlichſten Pas. Eine alte Dame,
die einſt dieſe Seiltänzerſprünge ſah, hielt mich für —
behext — und ſchlug das Kreuz vor mir. Erſt meine
der Kammerjungfer abgelauſchten Lieder: »In einem
Thal bei armen Hirten«, und »Willſt Dich, Hektor,
ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend
geſungen haben ſoll, vermochten ſie etwas zu beruhigen.
— Einſt mußten viele Knaben Bruchſals in's Gefäng¬
niß wandern, ſo auch meine Brüder als Hauptſchuldige
— als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen
wollen — und verbrannten ſich dabei nebſt einigen
Scheunen. Die Brüder ſaßen im Nord- und Südthurm.
Da war es wenigſtens hell und luftig. Eine ganze Woche
lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme.
Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufſprechen
und Obſt und Brod für ſie abliefern. Da ſtand ich

1 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0031" n="3"/>
ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruch&#x017F;al<lb/>
einige Vor&#x017F;tellungen gegeben, nachahmen zu können, &#x017F;o<lb/>
auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner<lb/>
Knirps mit ange&#x017F;ehen. Wenn Trüb&#x017F;inn im Hau&#x017F;e<lb/>
herr&#x017F;chte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Ko¬<lb/>
mödiantin, &#x017F;piele uns etwas vor!« &#x2014; und die kleine<lb/>
Komödiantin gab &#x017F;ich alle Mühe, die Traurigen zu er¬<lb/>
heitern. Wenn bei Kaffeevi&#x017F;iten die Unterhaltung &#x017F;tockte,<lb/>
hieß es: »Linchen, tanze!« und freude&#x017F;trahlend that ich<lb/>
mein Be&#x017F;tes. Einen Stock als Balancir&#x017F;tange nach Art<lb/>
der Seiltänzer haltend, &#x017F;tellte ich mich auf eine Ritze<lb/>
des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem<lb/>
P&#x017F;eudo-Seil mit den zierlich&#x017F;ten Pas. Eine alte Dame,<lb/>
die ein&#x017F;t die&#x017F;e Seiltänzer&#x017F;prünge &#x017F;ah, hielt mich für &#x2014;<lb/>
behext &#x2014; und &#x017F;chlug das Kreuz vor mir. Er&#x017F;t meine<lb/>
der Kammerjungfer abgelau&#x017F;chten Lieder: »In einem<lb/>
Thal bei armen Hirten«, und »Will&#x017F;t Dich, Hektor,<lb/>
ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend<lb/>
ge&#x017F;ungen haben &#x017F;oll, vermochten &#x017F;ie etwas zu beruhigen.<lb/>
&#x2014; Ein&#x017F;t mußten viele Knaben Bruch&#x017F;als in's Gefäng¬<lb/>
niß wandern, &#x017F;o auch meine Brüder als Haupt&#x017F;chuldige<lb/>
&#x2014; als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen<lb/>
wollen &#x2014; und verbrannten &#x017F;ich dabei neb&#x017F;t einigen<lb/>
Scheunen. Die Brüder &#x017F;aßen im Nord- und Südthurm.<lb/>
Da war es wenig&#x017F;tens hell und luftig. Eine ganze Woche<lb/>
lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme.<lb/>
Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinauf&#x017F;prechen<lb/>
und Ob&#x017F;t und Brod für &#x017F;ie abliefern. Da &#x017F;tand ich<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">1 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[3/0031] ein, das Spiel einer Wandertruppe, die in Bruchſal einige Vorſtellungen gegeben, nachahmen zu können, ſo auch den Tanz eines Seiltänzers, den ich als kleiner Knirps mit angeſehen. Wenn Trübſinn im Hauſe herrſchte, hieß es von den Brüdern gewöhnlich: »Ko¬ mödiantin, ſpiele uns etwas vor!« — und die kleine Komödiantin gab ſich alle Mühe, die Traurigen zu er¬ heitern. Wenn bei Kaffeeviſiten die Unterhaltung ſtockte, hieß es: »Linchen, tanze!« und freudeſtrahlend that ich mein Beſtes. Einen Stock als Balancirſtange nach Art der Seiltänzer haltend, ſtellte ich mich auf eine Ritze des Fußbodens, und hin und her ging es auf dem Pſeudo-Seil mit den zierlichſten Pas. Eine alte Dame, die einſt dieſe Seiltänzerſprünge ſah, hielt mich für — behext — und ſchlug das Kreuz vor mir. Erſt meine der Kammerjungfer abgelauſchten Lieder: »In einem Thal bei armen Hirten«, und »Willſt Dich, Hektor, ewig von mir wenden«, welche ich rein und wohlklingend geſungen haben ſoll, vermochten ſie etwas zu beruhigen. — Einſt mußten viele Knaben Bruchſals in's Gefäng¬ niß wandern, ſo auch meine Brüder als Hauptſchuldige — als Anführer. Sie hatten ein Feuerwerk abbrennen wollen — und verbrannten ſich dabei nebſt einigen Scheunen. Die Brüder ſaßen im Nord- und Südthurm. Da war es wenigſtens hell und luftig. Eine ganze Woche lang wanderte ich nun nach dem Nord- und Südthurme. Hinein durfte ich nicht, aber von außen hinaufſprechen und Obſt und Brod für ſie abliefern. Da ſtand ich 1 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/31
Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. 3. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/31>, abgerufen am 24.04.2024.