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Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871.

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den. Fräulein von Hagn sieht dem Romeo dabei
listig in's Auge, sowie denn diese Schauspielerin
überhaupt dem Charakter einen Beigeschmack von
moderner Schalkhaftigkeit giebt, von der das Shake¬
speare'sche Mädchen nichts weiß. Beide Darstelle¬
rinnen effektuiren aber mit dieser Auffassung der
Stelle. Fräulein Bauer spricht die Worte gewisser¬
maßen ganz harmlos in's Blaue, wie ein junges
Ding einmal Gehörtes gedankenlos nachplaudert.
Mich dünkt, Shakespeare habe so und nicht anders
seiner Julia dergleichen in den Mund gelegt.

An Fräulein Bauer als Donna Diana ist
vielerlei als Mißgriff zu bezeichnen. Der ganze
Charakter war mädchenhaft, deutsch, nicht spanisch,
nach ihrer Auffassung. In der Eifersucht war sie
mehr die empfindlich Gereizte, als die Leidenschaft¬
liche, vor deren Liebesschmerz die Säulen des Stol¬
zes zusammenbrechen. Ihre Leidenschaft drohte
nicht, sie zu verzehren, sie wurde nur gepeinigt von
dem Gefühl der erwachten Liebe. Der ganze Cha¬
rakter wird von der Darstellerin durchaus deutsch
gefühlt und gegeben, mit allen Nüancen weiblicher
Empfindsamkeit, weiblicher List und mädchenhafter
Lust zu triumphiren.

den. Fräulein von Hagn ſieht dem Romeo dabei
liſtig in's Auge, ſowie denn dieſe Schauſpielerin
überhaupt dem Charakter einen Beigeſchmack von
moderner Schalkhaftigkeit giebt, von der das Shake¬
ſpeare'ſche Mädchen nichts weiß. Beide Darſtelle¬
rinnen effektuiren aber mit dieſer Auffaſſung der
Stelle. Fräulein Bauer ſpricht die Worte gewiſſer¬
maßen ganz harmlos in's Blaue, wie ein junges
Ding einmal Gehörtes gedankenlos nachplaudert.
Mich dünkt, Shakeſpeare habe ſo und nicht anders
ſeiner Julia dergleichen in den Mund gelegt.

An Fräulein Bauer als Donna Diana iſt
vielerlei als Mißgriff zu bezeichnen. Der ganze
Charakter war mädchenhaft, deutſch, nicht ſpaniſch,
nach ihrer Auffaſſung. In der Eiferſucht war ſie
mehr die empfindlich Gereizte, als die Leidenſchaft¬
liche, vor deren Liebesſchmerz die Säulen des Stol¬
zes zuſammenbrechen. Ihre Leidenſchaft drohte
nicht, ſie zu verzehren, ſie wurde nur gepeinigt von
dem Gefühl der erwachten Liebe. Der ganze Cha¬
rakter wird von der Darſtellerin durchaus deutſch
gefühlt und gegeben, mit allen Nüancen weiblicher
Empfindſamkeit, weiblicher Liſt und mädchenhafter
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[—XII—/0024] den. Fräulein von Hagn ſieht dem Romeo dabei liſtig in's Auge, ſowie denn dieſe Schauſpielerin überhaupt dem Charakter einen Beigeſchmack von moderner Schalkhaftigkeit giebt, von der das Shake¬ ſpeare'ſche Mädchen nichts weiß. Beide Darſtelle¬ rinnen effektuiren aber mit dieſer Auffaſſung der Stelle. Fräulein Bauer ſpricht die Worte gewiſſer¬ maßen ganz harmlos in's Blaue, wie ein junges Ding einmal Gehörtes gedankenlos nachplaudert. Mich dünkt, Shakeſpeare habe ſo und nicht anders ſeiner Julia dergleichen in den Mund gelegt. An Fräulein Bauer als Donna Diana iſt vielerlei als Mißgriff zu bezeichnen. Der ganze Charakter war mädchenhaft, deutſch, nicht ſpaniſch, nach ihrer Auffaſſung. In der Eiferſucht war ſie mehr die empfindlich Gereizte, als die Leidenſchaft¬ liche, vor deren Liebesſchmerz die Säulen des Stol¬ zes zuſammenbrechen. Ihre Leidenſchaft drohte nicht, ſie zu verzehren, ſie wurde nur gepeinigt von dem Gefühl der erwachten Liebe. Der ganze Cha¬ rakter wird von der Darſtellerin durchaus deutſch gefühlt und gegeben, mit allen Nüancen weiblicher Empfindſamkeit, weiblicher Liſt und mädchenhafter Luſt zu triumphiren.

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Zitationshilfe: Bauer, Karoline: Aus meinem Bühnenleben. Berlin, 1871, S. —XII—. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bauer_buehnenleben_1871/24>, abgerufen am 29.03.2024.