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Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912].

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Grund der seit Jahrzehnten erfüllten Berufspflichten der Frauen, und
auf Grund der von ihnen erfüllten sozialen Pflichten, sowie auf Grund
der von ihnen geleisteten Steuerzahlungen - wir fordern das Stimm-
recht aus erhöhtem Pflichtgefühl, aus unserem größeren Verantwortlich-
keitsgefühl heraus!

Aber - auf Grund welcher erfüllter Pflichten dürfen wir ein
Recht fordern, das selbst die Männer vielfach noch nicht besitzen? Gewiß,
für die Reichstagswahlen besitzen wir für die Männer das allgemeine,
gleiche, geheime und direkte Wahlrecht - aber ebenso gewiß ist doch,
daß die Frauen nicht zuerst das Reichstagswahlrecht erhalten werden,
sondern daß wir schon sehr froh sein können, wenn wir es noch mit
erleben, daß sie das kommunale Wahlrecht erhalten, daß sie die Stadt-
verordneten, die Bürgerschaftsmitglieder mitwählen dürfen, oder gar Sitz
und Stimme in diesen Stadt-Parlamenten erhalten; wenigstens hat
die historische Entwicklung in den meisten anderen Ländern unseres
Erdteiles bisher diesen Verlauf gezeigt.

Ob nun für diese "gesetzgebenden Körperschaften und Organe der
Selbstverwaltung", wie es z. B. die Bürgerschaft in den Hansestädten
ist, die zurzeit herrschenden Wahlgesetze und Wahlverfahren die besten
sind, oder ob sie vielleicht verbesserungsbedürftig sind, ob das allgemeine,
geheime, direkte und gleiche Wahlrecht für diese Stadt-Parlamente über-
haupt wünschenswert und möglich wäre - darum handelt es sich
augenblicklich nicht, sondern nur um die Frage: sind wir berechtigt,
für die Frauen ein Wahlrecht zu fordern und satzungsgemäß fest-
zulegen
, das die Männer nicht haben? Und da meine ich, kann die
Antwort nur klipp und klar lauten: Nein, dazu sind wir nicht be-
rechtigt! Es wäre doch im höchsten Grade töricht, anzunehmen, daß,
wenn wir das kommunale Wahlrecht erhalten, wir es dann auf
Grund eines anderen Wahlgesetzes als die Männer erhalten sollten,
oder daß etwa das Wahlgesetz für die Männer unsertwegen geändert
würde! Nein! Wenn wir das kommunale Wahlrecht erhalten, so
werden wir es selbstverständlich nur unter denselben Bedingungen wie
die Männer erhalten. Da aber meines Wissens, ausgenommen vielleicht
in einigen süddeutschen Staaten, noch nirgends für die Stadt-Parlamente
das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht eingeführt ist, so
erschweren sich die Frauen den Kampf um das kommunale Wahl-
recht
gerade durch diese Forderung ganz ungemein! Jeder Mann und
jede Frau muß sagen: es ist eine Utopie, ein bestimmtes Wahlrecht
für die Frauen zu verlangen und satzungsgemäß festzulegen, das die
Männer noch nicht einmal für sich erlangt haben!

Grund der seit Jahrzehnten erfüllten Berufspflichten der Frauen, und
auf Grund der von ihnen erfüllten sozialen Pflichten, sowie auf Grund
der von ihnen geleisteten Steuerzahlungen – wir fordern das Stimm-
recht aus erhöhtem Pflichtgefühl, aus unserem größeren Verantwortlich-
keitsgefühl heraus!

Aber – auf Grund welcher erfüllter Pflichten dürfen wir ein
Recht fordern, das selbst die Männer vielfach noch nicht besitzen? Gewiß,
für die Reichstagswahlen besitzen wir für die Männer das allgemeine,
gleiche, geheime und direkte Wahlrecht – aber ebenso gewiß ist doch,
daß die Frauen nicht zuerst das Reichstagswahlrecht erhalten werden,
sondern daß wir schon sehr froh sein können, wenn wir es noch mit
erleben, daß sie das kommunale Wahlrecht erhalten, daß sie die Stadt-
verordneten, die Bürgerschaftsmitglieder mitwählen dürfen, oder gar Sitz
und Stimme in diesen Stadt-Parlamenten erhalten; wenigstens hat
die historische Entwicklung in den meisten anderen Ländern unseres
Erdteiles bisher diesen Verlauf gezeigt.

Ob nun für diese „gesetzgebenden Körperschaften und Organe der
Selbstverwaltung“, wie es z. B. die Bürgerschaft in den Hansestädten
ist, die zurzeit herrschenden Wahlgesetze und Wahlverfahren die besten
sind, oder ob sie vielleicht verbesserungsbedürftig sind, ob das allgemeine,
geheime, direkte und gleiche Wahlrecht für diese Stadt-Parlamente über-
haupt wünschenswert und möglich wäre – darum handelt es sich
augenblicklich nicht, sondern nur um die Frage: sind wir berechtigt,
für die Frauen ein Wahlrecht zu fordern und satzungsgemäß fest-
zulegen
, das die Männer nicht haben? Und da meine ich, kann die
Antwort nur klipp und klar lauten: Nein, dazu sind wir nicht be-
rechtigt! Es wäre doch im höchsten Grade töricht, anzunehmen, daß,
wenn wir das kommunale Wahlrecht erhalten, wir es dann auf
Grund eines anderen Wahlgesetzes als die Männer erhalten sollten,
oder daß etwa das Wahlgesetz für die Männer unsertwegen geändert
würde! Nein! Wenn wir das kommunale Wahlrecht erhalten, so
werden wir es selbstverständlich nur unter denselben Bedingungen wie
die Männer erhalten. Da aber meines Wissens, ausgenommen vielleicht
in einigen süddeutschen Staaten, noch nirgends für die Stadt-Parlamente
das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht eingeführt ist, so
erschweren sich die Frauen den Kampf um das kommunale Wahl-
recht
gerade durch diese Forderung ganz ungemein! Jeder Mann und
jede Frau muß sagen: es ist eine Utopie, ein bestimmtes Wahlrecht
für die Frauen zu verlangen und satzungsgemäß festzulegen, das die
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Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-05T18:44:52Z)

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Zitationshilfe: Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912], S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahnson_satzungen_1912/8>, abgerufen am 18.04.2024.