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Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912].

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schauungen und Behauptungen ihrer ersten Führer als unhaltbar aufgeben
müssen! Wer glaubt heute noch an die Marx-Bebel'sche Verelendungs-
theorie? Gewinnt nicht im Gegenteil die sozialdemokratische Partei im
Reichstag in dem Maße an Bedeutung, in dem sie von ihren Prinzipien
und Schlagworten abgeht und gewillt ist, praktische Politik zu treiben?

Wäre es darum nicht auch von dem Deutschen Verbande viel
richtiger, viel zweckmäßiger und viel großzügiger gehandelt, diesen Para-
graphen zu streichen, als sich so an ihn zu klammern und damit die
unheilvollsten Spaltungen in der wirklich noch so jungen und doch noch
recht schwachen deutschen Frauenstimmrechtsbewegung hervorzurufen?

Seit 1907 lautet § 2 der Verbandes-Satzungen wie folgt:* Zweck.
"Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht verfolgt den Zweck: 1. für
die deutschen Frauen die politische Gleichberechtigung** zu erkämpfen
und den Frauen die Ausübung der politischen Rechte zu sichern; 2. die
Frauen derjenigen deutschen Länder, Gemeinden und Berufsklassen,
welche im Besitz politischer oder sonstiger Stimmrechte sind, zur Aus-
übung derselben zu veranlassen".

Es ist hier absichtlich der § 2 mit herangezogen worden, da wir
uns schon bei diesem Paragraphen klar darüber werden müssen, daß hier
ganz deutlich ausgesprochen ist, daß unsere Frauenstimmrechts-Vereine
und -Verbände die Aufgabe haben, den Frauen die politische Gleich-
berechtigung
zu erkämpfen, d. h., daß sie in politischer Hinsicht die-
selben Rechte wie die Männer
erhalten. Denn unter dem Worte
"Gleichberechtigung" ist nicht zu verstehen, daß die Frauen untereinander
gleichberechtigt sein sollen, sondern man hat stets nur die Gleichberechtigung
der Geschlechter darunter verstanden, also daß die Frauen den Männern
gleich berechtigt sein sollen. Dann ist es aber nicht angängig, im nächsten
Paragraphen ein Recht, nämlich das allgemeine, gleiche, geheime und
direkte Wahlrecht für die Frauen zu fordern, das die Männer vielfach
noch nicht haben. Dadurch fordert man nicht das "Gleiche" für Frau
und Mann, sondern man fordert für die Frau ein "Mehr" an Rechten.
Denn es geht ferner aus § 2 klar hervor, daß das Frauenstimmrecht
nicht nur für das sozusagen rein politische, nämlich das Reichstags-
wahlrecht und sagen wir mal für das Wahlrecht der größeren deutschen

* Da die Bremer Ortsgruppe sich in ihren Satzungen im Schlußsatz des
zweiten Absatzes von § 4 ausdrücklich zu den in § 2 und § 3 der Verbandes-Satzungen
niedergelegten Grundsätzen bekennt, so ist der Wortlaut der Verbandes-Satzungen
natürlich von größter Wichtigkeit für sie, sowie für ihre eigenen Satzungen.
** Der gesperrte Druck einzelner Worte und Sätze in den Satzungen und Zitaten
rührt fast ausnahmslos von der Verfasserin her.

schauungen und Behauptungen ihrer ersten Führer als unhaltbar aufgeben
müssen! Wer glaubt heute noch an die Marx-Bebel'sche Verelendungs-
theorie? Gewinnt nicht im Gegenteil die sozialdemokratische Partei im
Reichstag in dem Maße an Bedeutung, in dem sie von ihren Prinzipien
und Schlagworten abgeht und gewillt ist, praktische Politik zu treiben?

Wäre es darum nicht auch von dem Deutschen Verbande viel
richtiger, viel zweckmäßiger und viel großzügiger gehandelt, diesen Para-
graphen zu streichen, als sich so an ihn zu klammern und damit die
unheilvollsten Spaltungen in der wirklich noch so jungen und doch noch
recht schwachen deutschen Frauenstimmrechtsbewegung hervorzurufen?

Seit 1907 lautet § 2 der Verbandes-Satzungen wie folgt:* Zweck.
„Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht verfolgt den Zweck: 1. für
die deutschen Frauen die politische Gleichberechtigung** zu erkämpfen
und den Frauen die Ausübung der politischen Rechte zu sichern; 2. die
Frauen derjenigen deutschen Länder, Gemeinden und Berufsklassen,
welche im Besitz politischer oder sonstiger Stimmrechte sind, zur Aus-
übung derselben zu veranlassen“.

Es ist hier absichtlich der § 2 mit herangezogen worden, da wir
uns schon bei diesem Paragraphen klar darüber werden müssen, daß hier
ganz deutlich ausgesprochen ist, daß unsere Frauenstimmrechts-Vereine
und -Verbände die Aufgabe haben, den Frauen die politische Gleich-
berechtigung
zu erkämpfen, d. h., daß sie in politischer Hinsicht die-
selben Rechte wie die Männer
erhalten. Denn unter dem Worte
„Gleichberechtigung“ ist nicht zu verstehen, daß die Frauen untereinander
gleichberechtigt sein sollen, sondern man hat stets nur die Gleichberechtigung
der Geschlechter darunter verstanden, also daß die Frauen den Männern
gleich berechtigt sein sollen. Dann ist es aber nicht angängig, im nächsten
Paragraphen ein Recht, nämlich das allgemeine, gleiche, geheime und
direkte Wahlrecht für die Frauen zu fordern, das die Männer vielfach
noch nicht haben. Dadurch fordert man nicht das “Gleiche“ für Frau
und Mann, sondern man fordert für die Frau ein „Mehr“ an Rechten.
Denn es geht ferner aus § 2 klar hervor, daß das Frauenstimmrecht
nicht nur für das sozusagen rein politische, nämlich das Reichstags-
wahlrecht und sagen wir mal für das Wahlrecht der größeren deutschen

* Da die Bremer Ortsgruppe sich in ihren Satzungen im Schlußsatz des
zweiten Absatzes von § 4 ausdrücklich zu den in § 2 und § 3 der Verbandes-Satzungen
niedergelegten Grundsätzen bekennt, so ist der Wortlaut der Verbandes-Satzungen
natürlich von größter Wichtigkeit für sie, sowie für ihre eigenen Satzungen.
** Der gesperrte Druck einzelner Worte und Sätze in den Satzungen und Zitaten
rührt fast ausnahmslos von der Verfasserin her.
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[5/0004] schauungen und Behauptungen ihrer ersten Führer als unhaltbar aufgeben müssen! Wer glaubt heute noch an die Marx-Bebel'sche Verelendungs- theorie? Gewinnt nicht im Gegenteil die sozialdemokratische Partei im Reichstag in dem Maße an Bedeutung, in dem sie von ihren Prinzipien und Schlagworten abgeht und gewillt ist, praktische Politik zu treiben? Wäre es darum nicht auch von dem Deutschen Verbande viel richtiger, viel zweckmäßiger und viel großzügiger gehandelt, diesen Para- graphen zu streichen, als sich so an ihn zu klammern und damit die unheilvollsten Spaltungen in der wirklich noch so jungen und doch noch recht schwachen deutschen Frauenstimmrechtsbewegung hervorzurufen? Seit 1907 lautet § 2 der Verbandes-Satzungen wie folgt: * Zweck. „Der Deutsche Verband für Frauenstimmrecht verfolgt den Zweck: 1. für die deutschen Frauen die politische Gleichberechtigung ** zu erkämpfen und den Frauen die Ausübung der politischen Rechte zu sichern; 2. die Frauen derjenigen deutschen Länder, Gemeinden und Berufsklassen, welche im Besitz politischer oder sonstiger Stimmrechte sind, zur Aus- übung derselben zu veranlassen“. Es ist hier absichtlich der § 2 mit herangezogen worden, da wir uns schon bei diesem Paragraphen klar darüber werden müssen, daß hier ganz deutlich ausgesprochen ist, daß unsere Frauenstimmrechts-Vereine und -Verbände die Aufgabe haben, den Frauen die politische Gleich- berechtigung zu erkämpfen, d. h., daß sie in politischer Hinsicht die- selben Rechte wie die Männer erhalten. Denn unter dem Worte „Gleichberechtigung“ ist nicht zu verstehen, daß die Frauen untereinander gleichberechtigt sein sollen, sondern man hat stets nur die Gleichberechtigung der Geschlechter darunter verstanden, also daß die Frauen den Männern gleich berechtigt sein sollen. Dann ist es aber nicht angängig, im nächsten Paragraphen ein Recht, nämlich das allgemeine, gleiche, geheime und direkte Wahlrecht für die Frauen zu fordern, das die Männer vielfach noch nicht haben. Dadurch fordert man nicht das “Gleiche“ für Frau und Mann, sondern man fordert für die Frau ein „Mehr“ an Rechten. Denn es geht ferner aus § 2 klar hervor, daß das Frauenstimmrecht nicht nur für das sozusagen rein politische, nämlich das Reichstags- wahlrecht und sagen wir mal für das Wahlrecht der größeren deutschen * Da die Bremer Ortsgruppe sich in ihren Satzungen im Schlußsatz des zweiten Absatzes von § 4 ausdrücklich zu den in § 2 und § 3 der Verbandes-Satzungen niedergelegten Grundsätzen bekennt, so ist der Wortlaut der Verbandes-Satzungen natürlich von größter Wichtigkeit für sie, sowie für ihre eigenen Satzungen. ** Der gesperrte Druck einzelner Worte und Sätze in den Satzungen und Zitaten rührt fast ausnahmslos von der Verfasserin her.

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Texte der ersten Frauenbewegung, betreut von Anna Pfundt und Thomas Gloning, JLU Gießen: Bereitstellung der Texttranskription. (2018-12-05T18:44:52Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Anna Pfundt: Bearbeitung der digitalen Edition. (2018-12-05T18:44:52Z)

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Zitationshilfe: Bahnson, Minna: Ist es wünschenswert, daß der § 3 aus den Satzungen des Deutschen Verbandes für Frauenstimmrecht gestrichen wird? Bremen, [1912], S. 5. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bahnson_satzungen_1912/4>, abgerufen am 18.04.2024.