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Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837.

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näher. Wenn man durch die Befestigungsstellen der Hagelschnüre eine Ebene
legte, so würde diese die Dotterkugel in zwei ungleiche Hälften theilen, von de-
nen die kleinere zu der grössern sich verhalten würde wie 4 zu 5. Der vorher
beschriebene Gürtel soll diese Grenze bezeichnen und die Dotterkugel zugleich
durch sein Umfassen so halten, dass die grössere Abtheilung stets nach unten zu
sinken strebt. Da nun die Dotterkugel auf den Hagelschnüren mit dem umgeben-
den dritten Eiweisse wie auf zwei schwebenden Zapfen ruht, so wird sich die
kleinere Hälfte mit dem Hahnentritte stets nach oben kehren. In der Mitte der
kleinern Hälfte aber befindet sich der Hahnentritt. -- Ich halte auch diese An-
sicht nicht für ganz richtig in allen Theilen. Unleugbar ist es zwar, dass die
Hagelschnüre die Längenaxe der Dotterkugel in der Axe des Eies halten, allein
die Lage des Hahnentrittes nach oben kann von ihnen allein nicht bedingt, höch-
stens in den meisten Fällen durch sie befördert werden. Es sind nämlich die
Hagelschnüre allerdings häufig dem Hahnentritte näher angefügt, als dem entge-
gengesetzten Punkte. Doch ist es auch keinesweges selten, dass der Abschnitt, in
welchem der Hahnentritt sich befindet, der grössere ist, und ich habe Hühner er-
nährt, die nur solche Eier legten. Dennoch lag der Hahnentritt auch in diesen
Eiern oben. Ueberhaupt ist nichts im Ei so wechselnd, als die Hagelschnüre *).
Es kommen einzelne Fälle vor, wo an dem einen Ende auch nicht eine Spur von
einer Hagelschnur sich zeigt. Einmal fand ich die eine Hagelschnur nur zwei
Linien vom Hahnentritte und um wenig mehr als einen Quadranten von der an-
dern Hagelschnur entfernt. Der Hahnentritt lag dennoch fast ganz oben und nur
so viel von der Mitte ab, als ihn die benachbarte Hagelschnur hinderte, die mit
ihrem freien Ende sich an die Schaale drückte. Sind dieses auch nur sehr seltene
Fälle, so sind geringere Unregelmässigkeiten in den Befestigungspunkten eben so
wenig selten, als im Bau der Hagelschnüre. Sehr selten kommt es dagegen vor,
dass der Hahnentritt nicht nach oben liegt. In der Regel wird man, wenn in
einem aufgebrochenen Ei der Hahnentritt nicht oben erscheint, bemerken, dass
das dickere Eiweiss an dem Bruchrande der Schaale sich reibt und also nicht un-
gehindert sich drehen kann. Eben so liegt auch zuweilen der Hahnentritt an dem
in eine mit Wasser gefüllte Schaale gegossenen Ei nicht nach oben, weil wegen
zu wenigen Wassers, oder aus andern Gründen, das Eiweiss am Boden der Schaale
eine Friction erleidet. Bringt man ein solches Ei zum Schweben, so kehrt sich

*) Schon in diesem Umstande liegt ein Beweis, dass die Hagelschnüre nicht sowohl eine
wichtige und nothwendige Bestimmung haben, als vielmehr die unvermeidlichen Folgen
eines Bildungsherganges sind, von dem wir später hören werden. (Vergl. §. 4.)

näher. Wenn man durch die Befestigungsstellen der Hagelschnüre eine Ebene
legte, so würde diese die Dotterkugel in zwei ungleiche Hälften theilen, von de-
nen die kleinere zu der gröſsern sich verhalten würde wie 4 zu 5. Der vorher
beschriebene Gürtel soll diese Grenze bezeichnen und die Dotterkugel zugleich
durch sein Umfassen so halten, daſs die gröſsere Abtheilung stets nach unten zu
sinken strebt. Da nun die Dotterkugel auf den Hagelschnüren mit dem umgeben-
den dritten Eiweiſse wie auf zwei schwebenden Zapfen ruht, so wird sich die
kleinere Hälfte mit dem Hahnentritte stets nach oben kehren. In der Mitte der
kleinern Hälfte aber befindet sich der Hahnentritt. — Ich halte auch diese An-
sicht nicht für ganz richtig in allen Theilen. Unleugbar ist es zwar, daſs die
Hagelschnüre die Längenaxe der Dotterkugel in der Axe des Eies halten, allein
die Lage des Hahnentrittes nach oben kann von ihnen allein nicht bedingt, höch-
stens in den meisten Fällen durch sie befördert werden. Es sind nämlich die
Hagelschnüre allerdings häufig dem Hahnentritte näher angefügt, als dem entge-
gengesetzten Punkte. Doch ist es auch keinesweges selten, daſs der Abschnitt, in
welchem der Hahnentritt sich befindet, der gröſsere ist, und ich habe Hühner er-
nährt, die nur solche Eier legten. Dennoch lag der Hahnentritt auch in diesen
Eiern oben. Ueberhaupt ist nichts im Ei so wechselnd, als die Hagelschnüre *).
Es kommen einzelne Fälle vor, wo an dem einen Ende auch nicht eine Spur von
einer Hagelschnur sich zeigt. Einmal fand ich die eine Hagelschnur nur zwei
Linien vom Hahnentritte und um wenig mehr als einen Quadranten von der an-
dern Hagelschnur entfernt. Der Hahnentritt lag dennoch fast ganz oben und nur
so viel von der Mitte ab, als ihn die benachbarte Hagelschnur hinderte, die mit
ihrem freien Ende sich an die Schaale drückte. Sind dieses auch nur sehr seltene
Fälle, so sind geringere Unregelmäſsigkeiten in den Befestigungspunkten eben so
wenig selten, als im Bau der Hagelschnüre. Sehr selten kommt es dagegen vor,
daſs der Hahnentritt nicht nach oben liegt. In der Regel wird man, wenn in
einem aufgebrochenen Ei der Hahnentritt nicht oben erscheint, bemerken, daſs
das dickere Eiweiſs an dem Bruchrande der Schaale sich reibt und also nicht un-
gehindert sich drehen kann. Eben so liegt auch zuweilen der Hahnentritt an dem
in eine mit Wasser gefüllte Schaale gegossenen Ei nicht nach oben, weil wegen
zu wenigen Wassers, oder aus andern Gründen, das Eiweiſs am Boden der Schaale
eine Friction erleidet. Bringt man ein solches Ei zum Schweben, so kehrt sich

*) Schon in diesem Umstande liegt ein Beweis, daſs die Hagelschnüre nicht sowohl eine
wichtige und nothwendige Bestimmung haben, als vielmehr die unvermeidlichen Folgen
eines Bildungsherganges sind, von dem wir später hören werden. (Vergl. §. 4.)
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[18/0028] näher. Wenn man durch die Befestigungsstellen der Hagelschnüre eine Ebene legte, so würde diese die Dotterkugel in zwei ungleiche Hälften theilen, von de- nen die kleinere zu der gröſsern sich verhalten würde wie 4 zu 5. Der vorher beschriebene Gürtel soll diese Grenze bezeichnen und die Dotterkugel zugleich durch sein Umfassen so halten, daſs die gröſsere Abtheilung stets nach unten zu sinken strebt. Da nun die Dotterkugel auf den Hagelschnüren mit dem umgeben- den dritten Eiweiſse wie auf zwei schwebenden Zapfen ruht, so wird sich die kleinere Hälfte mit dem Hahnentritte stets nach oben kehren. In der Mitte der kleinern Hälfte aber befindet sich der Hahnentritt. — Ich halte auch diese An- sicht nicht für ganz richtig in allen Theilen. Unleugbar ist es zwar, daſs die Hagelschnüre die Längenaxe der Dotterkugel in der Axe des Eies halten, allein die Lage des Hahnentrittes nach oben kann von ihnen allein nicht bedingt, höch- stens in den meisten Fällen durch sie befördert werden. Es sind nämlich die Hagelschnüre allerdings häufig dem Hahnentritte näher angefügt, als dem entge- gengesetzten Punkte. Doch ist es auch keinesweges selten, daſs der Abschnitt, in welchem der Hahnentritt sich befindet, der gröſsere ist, und ich habe Hühner er- nährt, die nur solche Eier legten. Dennoch lag der Hahnentritt auch in diesen Eiern oben. Ueberhaupt ist nichts im Ei so wechselnd, als die Hagelschnüre *). Es kommen einzelne Fälle vor, wo an dem einen Ende auch nicht eine Spur von einer Hagelschnur sich zeigt. Einmal fand ich die eine Hagelschnur nur zwei Linien vom Hahnentritte und um wenig mehr als einen Quadranten von der an- dern Hagelschnur entfernt. Der Hahnentritt lag dennoch fast ganz oben und nur so viel von der Mitte ab, als ihn die benachbarte Hagelschnur hinderte, die mit ihrem freien Ende sich an die Schaale drückte. Sind dieses auch nur sehr seltene Fälle, so sind geringere Unregelmäſsigkeiten in den Befestigungspunkten eben so wenig selten, als im Bau der Hagelschnüre. Sehr selten kommt es dagegen vor, daſs der Hahnentritt nicht nach oben liegt. In der Regel wird man, wenn in einem aufgebrochenen Ei der Hahnentritt nicht oben erscheint, bemerken, daſs das dickere Eiweiſs an dem Bruchrande der Schaale sich reibt und also nicht un- gehindert sich drehen kann. Eben so liegt auch zuweilen der Hahnentritt an dem in eine mit Wasser gefüllte Schaale gegossenen Ei nicht nach oben, weil wegen zu wenigen Wassers, oder aus andern Gründen, das Eiweiſs am Boden der Schaale eine Friction erleidet. Bringt man ein solches Ei zum Schweben, so kehrt sich *) Schon in diesem Umstande liegt ein Beweis, daſs die Hagelschnüre nicht sowohl eine wichtige und nothwendige Bestimmung haben, als vielmehr die unvermeidlichen Folgen eines Bildungsherganges sind, von dem wir später hören werden. (Vergl. §. 4.)

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Zitationshilfe: Baer, Karl Ernst von: Über Entwicklungsgeschichte der Thiere. Bd. 2. Königsberg, 1837, S. 18. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/baer_thiere_1837/28>, abgerufen am 29.03.2024.