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Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753.

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Das erste Hauptstück.
in verbundenen Gedancken von allerley Art mehr Nutzen zu stif-
ten, und mehr Lust zu dem schweren Studio der Applicatur zu
erregen geglaubt habe, als wenn ich durch Ueberhäuffung vieler,
aus ihrem Zusammenhang gerissenen Exempel unerträglich und zu
weitläuftig worden wäre.

§. 25.

Die Abwechselung der Finger ist der hauptsächlichste
Vorwurf der Applicatur. Wir können mit unsern fünf Fingern
nur fünf Töne nach einander anschlagen; folglich mercke man vor-
nehmlich zwey Mittel, wodurch wir bequem so viel Finger gleich-
sam kriegen als wir brauchen. Diese zwey Mittel bestehen in
dem Untersetzen und Ueberschlagen.

§. 26.

Da die Natur keinen von allen Fingern so geschickt
gemacht hat, sich unter die übrigen andern so zu biegen, als den
Daumen, so beschäftiget sich dessen Biegsamkeit sammt seiner vor-
theilhaften Kürtze gantz allein mit dem Untersetzen an den Oer-
tern und zu der Zeit, wenn die Finger nicht hinreichen wollen.

§. 27.

Das Ueberschlagen geschiehet von den andern Fin-
gern und wird dadurch erleichtert, indem ein grösserer Finger
über einen kleinern oder den Daumen geschlagen wird, wenn es
gleichfals an Fingern fehlen will. Dieses Ueberschlagen muß durch
die Uebung auf eine geschickte Art ohne Verschränckung geschehen.

§. 28.

Das Untersetzen des Daumens nach dem kleinen
Finger, das Ueberschagen des zweytens Fingers über den drit-
ten, des dritten über den zweyten, des vierten über den kleinen,
ingleichen des kleinen Fingers über den Daumen ist verwerflich.

§. 29.

Den rechten Gebrauch dieser zwey Hülfs-Mittel
werden wir aus der Ordnung der Ton-Leitern aufs deutlichste
ersehen. Dieses ist der Haupt-Nutzen dieser Vorschrift. Bey
gehenden Passagien durch die Ton-Leitern, welche sich nicht eben
so anfangen und endigen, wie sie hier abgebildet sind, verstehet

es

Das erſte Hauptſtuͤck.
in verbundenen Gedancken von allerley Art mehr Nutzen zu ſtif-
ten, und mehr Luſt zu dem ſchweren Studio der Applicatur zu
erregen geglaubt habe, als wenn ich durch Ueberhaͤuffung vieler,
aus ihrem Zuſammenhang geriſſenen Exempel unertraͤglich und zu
weitlaͤuftig worden waͤre.

§. 25.

Die Abwechſelung der Finger iſt der hauptſaͤchlichſte
Vorwurf der Applicatur. Wir koͤnnen mit unſern fuͤnf Fingern
nur fuͤnf Toͤne nach einander anſchlagen; folglich mercke man vor-
nehmlich zwey Mittel, wodurch wir bequem ſo viel Finger gleich-
ſam kriegen als wir brauchen. Dieſe zwey Mittel beſtehen in
dem Unterſetzen und Ueberſchlagen.

§. 26.

Da die Natur keinen von allen Fingern ſo geſchickt
gemacht hat, ſich unter die uͤbrigen andern ſo zu biegen, als den
Daumen, ſo beſchaͤftiget ſich deſſen Biegſamkeit ſammt ſeiner vor-
theilhaften Kuͤrtze gantz allein mit dem Unterſetzen an den Oer-
tern und zu der Zeit, wenn die Finger nicht hinreichen wollen.

§. 27.

Das Ueberſchlagen geſchiehet von den andern Fin-
gern und wird dadurch erleichtert, indem ein groͤſſerer Finger
uͤber einen kleinern oder den Daumen geſchlagen wird, wenn es
gleichfals an Fingern fehlen will. Dieſes Ueberſchlagen muß durch
die Uebung auf eine geſchickte Art ohne Verſchraͤnckung geſchehen.

§. 28.

Das Unterſetzen des Daumens nach dem kleinen
Finger, das Ueberſchagen des zweytens Fingers uͤber den drit-
ten, des dritten uͤber den zweyten, des vierten uͤber den kleinen,
ingleichen des kleinen Fingers uͤber den Daumen iſt verwerflich.

§. 29.

Den rechten Gebrauch dieſer zwey Huͤlfs-Mittel
werden wir aus der Ordnung der Ton-Leitern aufs deutlichſte
erſehen. Dieſes iſt der Haupt-Nutzen dieſer Vorſchrift. Bey
gehenden Paſſagien durch die Ton-Leitern, welche ſich nicht eben
ſo anfangen und endigen, wie ſie hier abgebildet ſind, verſtehet

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[20/0028] Das erſte Hauptſtuͤck. in verbundenen Gedancken von allerley Art mehr Nutzen zu ſtif- ten, und mehr Luſt zu dem ſchweren Studio der Applicatur zu erregen geglaubt habe, als wenn ich durch Ueberhaͤuffung vieler, aus ihrem Zuſammenhang geriſſenen Exempel unertraͤglich und zu weitlaͤuftig worden waͤre. §. 25. Die Abwechſelung der Finger iſt der hauptſaͤchlichſte Vorwurf der Applicatur. Wir koͤnnen mit unſern fuͤnf Fingern nur fuͤnf Toͤne nach einander anſchlagen; folglich mercke man vor- nehmlich zwey Mittel, wodurch wir bequem ſo viel Finger gleich- ſam kriegen als wir brauchen. Dieſe zwey Mittel beſtehen in dem Unterſetzen und Ueberſchlagen. §. 26. Da die Natur keinen von allen Fingern ſo geſchickt gemacht hat, ſich unter die uͤbrigen andern ſo zu biegen, als den Daumen, ſo beſchaͤftiget ſich deſſen Biegſamkeit ſammt ſeiner vor- theilhaften Kuͤrtze gantz allein mit dem Unterſetzen an den Oer- tern und zu der Zeit, wenn die Finger nicht hinreichen wollen. §. 27. Das Ueberſchlagen geſchiehet von den andern Fin- gern und wird dadurch erleichtert, indem ein groͤſſerer Finger uͤber einen kleinern oder den Daumen geſchlagen wird, wenn es gleichfals an Fingern fehlen will. Dieſes Ueberſchlagen muß durch die Uebung auf eine geſchickte Art ohne Verſchraͤnckung geſchehen. §. 28. Das Unterſetzen des Daumens nach dem kleinen Finger, das Ueberſchagen des zweytens Fingers uͤber den drit- ten, des dritten uͤber den zweyten, des vierten uͤber den kleinen, ingleichen des kleinen Fingers uͤber den Daumen iſt verwerflich. §. 29. Den rechten Gebrauch dieſer zwey Huͤlfs-Mittel werden wir aus der Ordnung der Ton-Leitern aufs deutlichſte erſehen. Dieſes iſt der Haupt-Nutzen dieſer Vorſchrift. Bey gehenden Paſſagien durch die Ton-Leitern, welche ſich nicht eben ſo anfangen und endigen, wie ſie hier abgebildet ſind, verſtehet es

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Zitationshilfe: Bach, Carl Philipp Emanuel: Versuch über die wahre Art das Clavier zu spielen. Bd. 1. 2. Aufl. Berlin, 1753, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/bach_versuch01_1759/28>, abgerufen am 23.04.2024.