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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862.

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besonders auffällig entgegentrat. Er mußte zwiefachen Fleiß auf
die Wiedererlernung alles Vergessenen verwenden, und wenn die
amtliche Tagesarbeit seine Kräfte vollauf in Anspruch genommen
hatte, in vielen langen Nächten Studien machen, von deren Ernst
und Umfang der Jnhalt dieses Werks Zeugniß ablegen mag.
Einen hohen Lohn fand er aber in den Resultaten seiner Arbeit
selbst. Ueberall in den geheimnißvollsten Tiefen des deutschen
Volksbodens, selbst im trübsten Pfuhl der Sünde und Schande,
wohin sich das Verbrechen verkrochen und er demselben nachge-
forscht hatte, fand er doch tönendes Leben und in diesem Leben
das Volk, wenn auch vom ekeln Schlamm der Sünde beschmuzt
und vom entsetzlichen sittlichen Elend inficirt, aber doch immer
noch mit lebensfähiger und heilbarer Constitution, nur verlockt
und verführt und vom Verführer umstrickt gehalten!

Auch hier war der historische Faden das Knäuel, welches
den Verfasser durch das unheimliche, wüste, unbetretene Labyrinth
der Sprache leitete. War der Faden in grauer Vergangenheit erst
festgeschürzt, so ließ sich an ihn alles anknüpfen, was in der wüsten
Masse wirr durcheinander gezerrt und verschlungen dalag. So
konnte er an diesen Faden alle die seltenen Schätze anreihen, die
er seit Jahren mit unsaglicher Mühe und Geduld gesammelt
hatte. So konnte er aus dem Geist und Leben des Volks die
Klänge frei tönen lassen, welche neben allen schrillen Tönen des
Verbrechens doch auch wie die ganze mächtige geheimnißvolle
Tonfülle auf alten Ruinen erklingen und die Erinnerung an die
Vergangenheit wie die Ahnung der Zukunft in gleich geheimniß-
voller Mächtigkeit wecken. So konnte die ganze historische Gram-
matik ein lebendiger ganzer Klang und wieder auch ein Zeugniß
von der schlichten ehrlichen Treue werden, mit welchem bis in
dieses Jahrhundert hinein hellblickende Regierungen und einzelne
Gelehrte mindestens auf den tönenden Volksmund gelauscht und
die Töne fixirt hatten. So konnte eine Encyklopädie der mannich-

beſonders auffällig entgegentrat. Er mußte zwiefachen Fleiß auf
die Wiedererlernung alles Vergeſſenen verwenden, und wenn die
amtliche Tagesarbeit ſeine Kräfte vollauf in Anſpruch genommen
hatte, in vielen langen Nächten Studien machen, von deren Ernſt
und Umfang der Jnhalt dieſes Werks Zeugniß ablegen mag.
Einen hohen Lohn fand er aber in den Reſultaten ſeiner Arbeit
ſelbſt. Ueberall in den geheimnißvollſten Tiefen des deutſchen
Volksbodens, ſelbſt im trübſten Pfuhl der Sünde und Schande,
wohin ſich das Verbrechen verkrochen und er demſelben nachge-
forſcht hatte, fand er doch tönendes Leben und in dieſem Leben
das Volk, wenn auch vom ekeln Schlamm der Sünde beſchmuzt
und vom entſetzlichen ſittlichen Elend inficirt, aber doch immer
noch mit lebensfähiger und heilbarer Conſtitution, nur verlockt
und verführt und vom Verführer umſtrickt gehalten!

Auch hier war der hiſtoriſche Faden das Knäuel, welches
den Verfaſſer durch das unheimliche, wüſte, unbetretene Labyrinth
der Sprache leitete. War der Faden in grauer Vergangenheit erſt
feſtgeſchürzt, ſo ließ ſich an ihn alles anknüpfen, was in der wüſten
Maſſe wirr durcheinander gezerrt und verſchlungen dalag. So
konnte er an dieſen Faden alle die ſeltenen Schätze anreihen, die
er ſeit Jahren mit unſaglicher Mühe und Geduld geſammelt
hatte. So konnte er aus dem Geiſt und Leben des Volks die
Klänge frei tönen laſſen, welche neben allen ſchrillen Tönen des
Verbrechens doch auch wie die ganze mächtige geheimnißvolle
Tonfülle auf alten Ruinen erklingen und die Erinnerung an die
Vergangenheit wie die Ahnung der Zukunft in gleich geheimniß-
voller Mächtigkeit wecken. So konnte die ganze hiſtoriſche Gram-
matik ein lebendiger ganzer Klang und wieder auch ein Zeugniß
von der ſchlichten ehrlichen Treue werden, mit welchem bis in
dieſes Jahrhundert hinein hellblickende Regierungen und einzelne
Gelehrte mindeſtens auf den tönenden Volksmund gelauſcht und
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[XII/0016] beſonders auffällig entgegentrat. Er mußte zwiefachen Fleiß auf die Wiedererlernung alles Vergeſſenen verwenden, und wenn die amtliche Tagesarbeit ſeine Kräfte vollauf in Anſpruch genommen hatte, in vielen langen Nächten Studien machen, von deren Ernſt und Umfang der Jnhalt dieſes Werks Zeugniß ablegen mag. Einen hohen Lohn fand er aber in den Reſultaten ſeiner Arbeit ſelbſt. Ueberall in den geheimnißvollſten Tiefen des deutſchen Volksbodens, ſelbſt im trübſten Pfuhl der Sünde und Schande, wohin ſich das Verbrechen verkrochen und er demſelben nachge- forſcht hatte, fand er doch tönendes Leben und in dieſem Leben das Volk, wenn auch vom ekeln Schlamm der Sünde beſchmuzt und vom entſetzlichen ſittlichen Elend inficirt, aber doch immer noch mit lebensfähiger und heilbarer Conſtitution, nur verlockt und verführt und vom Verführer umſtrickt gehalten! Auch hier war der hiſtoriſche Faden das Knäuel, welches den Verfaſſer durch das unheimliche, wüſte, unbetretene Labyrinth der Sprache leitete. War der Faden in grauer Vergangenheit erſt feſtgeſchürzt, ſo ließ ſich an ihn alles anknüpfen, was in der wüſten Maſſe wirr durcheinander gezerrt und verſchlungen dalag. So konnte er an dieſen Faden alle die ſeltenen Schätze anreihen, die er ſeit Jahren mit unſaglicher Mühe und Geduld geſammelt hatte. So konnte er aus dem Geiſt und Leben des Volks die Klänge frei tönen laſſen, welche neben allen ſchrillen Tönen des Verbrechens doch auch wie die ganze mächtige geheimnißvolle Tonfülle auf alten Ruinen erklingen und die Erinnerung an die Vergangenheit wie die Ahnung der Zukunft in gleich geheimniß- voller Mächtigkeit wecken. So konnte die ganze hiſtoriſche Gram- matik ein lebendiger ganzer Klang und wieder auch ein Zeugniß von der ſchlichten ehrlichen Treue werden, mit welchem bis in dieſes Jahrhundert hinein hellblickende Regierungen und einzelne Gelehrte mindeſtens auf den tönenden Volksmund gelauſcht und die Töne fixirt hatten. So konnte eine Encyklopädie der mannich-

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 3. Leipzig, 1862, S. XII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum03_1862/16>, abgerufen am 28.03.2024.