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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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die Juden zum tödlichen Haß und zur unerhörtesten Verfolgung an 1)
und selbst bei späterer Duldsamkeit wurde das ganze Judenthum
doch immer mit der tiefsten Verachtung behandelt. 2) Wenn die
Reform guter Polizei zu Augsburg von 1530 (Tit. 22, §. 1)
hinter liederlichen Weibsbildern, dem Büttel, Nachrichter und
Schinder auch noch den Juden ihre Kleidung bestimmt und ihnen
befiehlt, ihren gelben Ring an Kragen oder Kappe "öffentlich und
unverborgen" zu tragen, so weiß man, daß jene Zeit sich noch
nicht von der mittelalterlichen Barbarei frei gemacht hatte, deren
plumpen Jntriguen selbst hervorragende Juden zum Opfer fallen
mußten, wie der Arzt Zedekias 3), der 877 Karl den Kahlen, und
Frydank 4), der 1349 Günther von Schwarzburg vergiftet haben
sollte. 5) Wenn aber über hundert Jahre später jene wüthenden
dogmatischen Angriffe, namentlich von Seiten lutherischer Ge-
lehrter, wie z. B. Müller, Wagenseil, Eisenmenger, welche weit mehr
Haß als Kenntniß des jüdischen Wesens verrathen 6), gegen das
auf diesem Gebiete nur mit dem zähesten passiven Widerstand ge-

1) Ueber die Verfolgungen der Juden zur Zeit der Pest in der Mitte des
14. Jahrhunderts vgl. Christoph Lehmann, "Chronica der freien Reichsstadt
Speyer" (Frankfurt a. M. 1652), Bd. 7, Kap. 42; sowie Seb. Franck,
"Chronica des ganzen deutschen Landes" (Augsburg 1538); besonders
aber Dr. Theod. Meyer-Merian's vortreffliche Abhandlung: "Der große
Sterbent mit seinen Judenverfolgungen", S. 149--211 des Festbuches:
"Basel im vierzehnten Jahrhundert" (Basel 1856).
2) Ueber den Judenzins und das Judengeleite handelt weitläufig Ludewig
in seiner "Erläuterung der güldenen Bulle", II, 821 fg. Schon 1434 gebot
Kaiser Sigismund in einem Mandat an den Rath zu Augsburg: "daß ihr von
unseren wegen die vorgenante Juden by uch darzu wisent und handelnt, daß
sie ein kuntlich offenbar Zeichen, wie uch das gefallet und bequemblich be-
dunckhet, an sich nemmen, und furter mer uf Marck und Gassen bei einer
Pene -- öffentlichen tragen, damit dießelben Juden von Christennen sichticlichen
gesundert und für Juden erkannt werden."
3) Vgl. Rocoles, "Geschichte merkwürdiger Betrüger", II, 335.
4) Ebendaselbst, und Fugger, "Oesterr. Ehrenspiegel", S. 322.
5) Ueber die Betheiligung des reichen berliner Juden Lippold an dem
Tode des Kurfürsten Joachim II. von Brandenburg 1571, vgl. Rocoles, a. a. O.,
S. 335, und den von ihm citirten Gundling.
6) Vgl. darüber die folgende Literatur.

die Juden zum tödlichen Haß und zur unerhörteſten Verfolgung an 1)
und ſelbſt bei ſpäterer Duldſamkeit wurde das ganze Judenthum
doch immer mit der tiefſten Verachtung behandelt. 2) Wenn die
Reform guter Polizei zu Augsburg von 1530 (Tit. 22, §. 1)
hinter liederlichen Weibsbildern, dem Büttel, Nachrichter und
Schinder auch noch den Juden ihre Kleidung beſtimmt und ihnen
befiehlt, ihren gelben Ring an Kragen oder Kappe „öffentlich und
unverborgen“ zu tragen, ſo weiß man, daß jene Zeit ſich noch
nicht von der mittelalterlichen Barbarei frei gemacht hatte, deren
plumpen Jntriguen ſelbſt hervorragende Juden zum Opfer fallen
mußten, wie der Arzt Zedekias 3), der 877 Karl den Kahlen, und
Frydank 4), der 1349 Günther von Schwarzburg vergiftet haben
ſollte. 5) Wenn aber über hundert Jahre ſpäter jene wüthenden
dogmatiſchen Angriffe, namentlich von Seiten lutheriſcher Ge-
lehrter, wie z. B. Müller, Wagenſeil, Eiſenmenger, welche weit mehr
Haß als Kenntniß des jüdiſchen Weſens verrathen 6), gegen das
auf dieſem Gebiete nur mit dem zäheſten paſſiven Widerſtand ge-

1) Ueber die Verfolgungen der Juden zur Zeit der Peſt in der Mitte des
14. Jahrhunderts vgl. Chriſtoph Lehmann, „Chronica der freien Reichsſtadt
Speyer“ (Frankfurt a. M. 1652), Bd. 7, Kap. 42; ſowie Seb. Franck,
„Chronica des ganzen deutſchen Landes“ (Augsburg 1538); beſonders
aber Dr. Theod. Meyer-Merian’s vortreffliche Abhandlung: „Der große
Sterbent mit ſeinen Judenverfolgungen“, S. 149—211 des Feſtbuches:
„Baſel im vierzehnten Jahrhundert“ (Baſel 1856).
2) Ueber den Judenzins und das Judengeleite handelt weitläufig Ludewig
in ſeiner „Erläuterung der güldenen Bulle“, II, 821 fg. Schon 1434 gebot
Kaiſer Sigismund in einem Mandat an den Rath zu Augsburg: „daß ihr von
unſeren wegen die vorgenante Juden by uch darzu wiſent und handelnt, daß
ſie ein kuntlich offenbar Zeichen, wie uch das gefallet und bequemblich be-
dunckhet, an ſich nemmen, und furter mer uf Marck und Gaſſen bei einer
Pene — öffentlichen tragen, damit dießelben Juden von Chriſtennen ſichticlichen
geſundert und für Juden erkannt werden.“
3) Vgl. Rocoles, „Geſchichte merkwürdiger Betrüger“, II, 335.
4) Ebendaſelbſt, und Fugger, „Oeſterr. Ehrenſpiegel“, S. 322.
5) Ueber die Betheiligung des reichen berliner Juden Lippold an dem
Tode des Kurfürſten Joachim II. von Brandenburg 1571, vgl. Rocoles, a. a. O.,
S. 335, und den von ihm citirten Gundling.
6) Vgl. darüber die folgende Literatur.
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[23/0039] die Juden zum tödlichen Haß und zur unerhörteſten Verfolgung an 1) und ſelbſt bei ſpäterer Duldſamkeit wurde das ganze Judenthum doch immer mit der tiefſten Verachtung behandelt. 2) Wenn die Reform guter Polizei zu Augsburg von 1530 (Tit. 22, §. 1) hinter liederlichen Weibsbildern, dem Büttel, Nachrichter und Schinder auch noch den Juden ihre Kleidung beſtimmt und ihnen befiehlt, ihren gelben Ring an Kragen oder Kappe „öffentlich und unverborgen“ zu tragen, ſo weiß man, daß jene Zeit ſich noch nicht von der mittelalterlichen Barbarei frei gemacht hatte, deren plumpen Jntriguen ſelbſt hervorragende Juden zum Opfer fallen mußten, wie der Arzt Zedekias 3), der 877 Karl den Kahlen, und Frydank 4), der 1349 Günther von Schwarzburg vergiftet haben ſollte. 5) Wenn aber über hundert Jahre ſpäter jene wüthenden dogmatiſchen Angriffe, namentlich von Seiten lutheriſcher Ge- lehrter, wie z. B. Müller, Wagenſeil, Eiſenmenger, welche weit mehr Haß als Kenntniß des jüdiſchen Weſens verrathen 6), gegen das auf dieſem Gebiete nur mit dem zäheſten paſſiven Widerſtand ge- 1) Ueber die Verfolgungen der Juden zur Zeit der Peſt in der Mitte des 14. Jahrhunderts vgl. Chriſtoph Lehmann, „Chronica der freien Reichsſtadt Speyer“ (Frankfurt a. M. 1652), Bd. 7, Kap. 42; ſowie Seb. Franck, „Chronica des ganzen deutſchen Landes“ (Augsburg 1538); beſonders aber Dr. Theod. Meyer-Merian’s vortreffliche Abhandlung: „Der große Sterbent mit ſeinen Judenverfolgungen“, S. 149—211 des Feſtbuches: „Baſel im vierzehnten Jahrhundert“ (Baſel 1856). 2) Ueber den Judenzins und das Judengeleite handelt weitläufig Ludewig in ſeiner „Erläuterung der güldenen Bulle“, II, 821 fg. Schon 1434 gebot Kaiſer Sigismund in einem Mandat an den Rath zu Augsburg: „daß ihr von unſeren wegen die vorgenante Juden by uch darzu wiſent und handelnt, daß ſie ein kuntlich offenbar Zeichen, wie uch das gefallet und bequemblich be- dunckhet, an ſich nemmen, und furter mer uf Marck und Gaſſen bei einer Pene — öffentlichen tragen, damit dießelben Juden von Chriſtennen ſichticlichen geſundert und für Juden erkannt werden.“ 3) Vgl. Rocoles, „Geſchichte merkwürdiger Betrüger“, II, 335. 4) Ebendaſelbſt, und Fugger, „Oeſterr. Ehrenſpiegel“, S. 322. 5) Ueber die Betheiligung des reichen berliner Juden Lippold an dem Tode des Kurfürſten Joachim II. von Brandenburg 1571, vgl. Rocoles, a. a. O., S. 335, und den von ihm citirten Gundling. 6) Vgl. darüber die folgende Literatur.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/39>, abgerufen am 18.04.2024.