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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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zu Palästina an die deutschen Juden über die kurz vor Abfassung
des Briefes geschehene Kreuzigung Christi, dessen Echtheit na-
türlich sehr stark zu bezweifeln ist. Gleichschwach ist die conjec-
turirende Exegese des eterais glossais, Apostelgesch. 2, 4, daß die
Apostel am Pfingsttage auch europäische Sprachen (Deutsch) ge-
redet hätten u. s. w. Wichtig für die Einbürgerung der Juden
im Occident ist die Stelle aus des portugiesischen Rabbi
Jsaak Abarbanel (1437 -- 1508) "Comment." ad II. Reg.,
fol. 308, col.
2, wo von den Juden geredet wird, die nach Zer-
störung des ersten Tempels durch die Assyrier nach Spanien gekom-
men sein sollen. Es heißt weiter: "Hi templo secundo condito no-
luerunt redire Hierosolymam. Dixerunt enim, quod ista libe-
ratio nondum esset plena. Neque enim in templo esse arcana
foederis domini, non prophetas, non alias res sanctas. Nec
dubium est, sic de Judaeis post desolationem primi templi
multos venisse in Galliam, Angliam et Germaniam, quamvis
etiam post secundi templi excidium multi venerint in regiones
occidentis. Quos Romani e Palaestina eduxerunt distribue-
runtque in provincias imperii Romani plagae occidentis.
" 1)
So einseitig und unsicher diese Nachweise sind, so bestimmt ist

Römischen Landvogt verklagt, der, als er unser Klag verhöret, hat er ein
Mitleyden mit uns gehabt, und den fast wol gesteupt, heissen creutzigen, wie
er verdient hat, und seine Jünger ins Elend verweisen, und zerstreuen lassen."
Vgl. Wagenseil, a. a. O.
1) Diese Zeit des zweiten Tempels gilt auch für den Anfang der karaiti-
schen Sektirung, zu der, nach den meisten Annahmen, politische Conflicte Anlaß
gegeben haben sollen. Die wichtige Trennung ist aber ein rein dogmatischer
Dissens, der seine beste und natürlichste Erläuterung durch die Erklärung des
Rabbenu Obadjah aus Bartenora zu Mischnah VI Jadajim, Kap. 7, §. 6,
findet. Die Sadducäer leugnen die Tradition, sie nennen sich nach Zaduk und
Baitus so, welche Schüler des Antigonus aus Socho waren, und aus seinem
Lehrsatz: "Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn des Lohnes wegen dienen",
folgerten, daß ein Lohn auf den Gottesdienst nicht zu erwarten sei. Damit
rissen sie sich von der traditionellen Deutung der Rabbiner los, bildeten sich
einen Anhang, und existiren auch noch heute in Aegypten, Damascus und
Konstantine fort. Sie werden K'rajim, Karaiten genannt, von K'ra, Lesen,
Bibel, weil sie sich nur an das Wort halten.

zu Paläſtina an die deutſchen Juden über die kurz vor Abfaſſung
des Briefes geſchehene Kreuzigung Chriſti, deſſen Echtheit na-
türlich ſehr ſtark zu bezweifeln iſt. Gleichſchwach iſt die conjec-
turirende Exegeſe des ἑτέραις γλώσσαις, Apoſtelgeſch. 2, 4, daß die
Apoſtel am Pfingſttage auch europäiſche Sprachen (Deutſch) ge-
redet hätten u. ſ. w. Wichtig für die Einbürgerung der Juden
im Occident iſt die Stelle aus des portugieſiſchen Rabbi
Jſaak Abarbanel (1437 — 1508) „Comment.“ ad II. Reg.,
fol. 308, col.
2, wo von den Juden geredet wird, die nach Zer-
ſtörung des erſten Tempels durch die Aſſyrier nach Spanien gekom-
men ſein ſollen. Es heißt weiter: „Hi templo secundo condito no-
luerunt redire Hierosolymam. Dixerunt enim, quod ista libe-
ratio nondum esset plena. Neque enim in templo esse arcana
foederis domini, non prophetas, non alias res sanctas. Nec
dubium est, sic de Judaeis post desolationem primi templi
multos venisse in Galliam, Angliam et Germaniam, quamvis
etiam post secundi templi excidium multi venerint in regiones
occidentis. Quos Romani e Palaestina eduxerunt distribue-
runtque in provincias imperii Romani plagae occidentis.
1)
So einſeitig und unſicher dieſe Nachweiſe ſind, ſo beſtimmt iſt

Römiſchen Landvogt verklagt, der, als er unſer Klag verhöret, hat er ein
Mitleyden mit uns gehabt, und den faſt wol geſteupt, heiſſen creutzigen, wie
er verdient hat, und ſeine Jünger ins Elend verweiſen, und zerſtreuen laſſen.“
Vgl. Wagenſeil, a. a. O.
1) Dieſe Zeit des zweiten Tempels gilt auch für den Anfang der karaiti-
ſchen Sektirung, zu der, nach den meiſten Annahmen, politiſche Conflicte Anlaß
gegeben haben ſollen. Die wichtige Trennung iſt aber ein rein dogmatiſcher
Diſſens, der ſeine beſte und natürlichſte Erläuterung durch die Erklärung des
Rabbenu Obadjah aus Bartenora zu Miſchnah VI Jadajim, Kap. 7, §. 6,
findet. Die Sadducäer leugnen die Tradition, ſie nennen ſich nach Zaduk und
Baitus ſo, welche Schüler des Antigonus aus Socho waren, und aus ſeinem
Lehrſatz: „Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn des Lohnes wegen dienen“,
folgerten, daß ein Lohn auf den Gottesdienſt nicht zu erwarten ſei. Damit
riſſen ſie ſich von der traditionellen Deutung der Rabbiner los, bildeten ſich
einen Anhang, und exiſtiren auch noch heute in Aegypten, Damascus und
Konſtantine fort. Sie werden K’rajim, Karaiten genannt, von K’ra, Leſen,
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[20/0036] zu Paläſtina an die deutſchen Juden über die kurz vor Abfaſſung des Briefes geſchehene Kreuzigung Chriſti, deſſen Echtheit na- türlich ſehr ſtark zu bezweifeln iſt. Gleichſchwach iſt die conjec- turirende Exegeſe des ἑτέραις γλώσσαις, Apoſtelgeſch. 2, 4, daß die Apoſtel am Pfingſttage auch europäiſche Sprachen (Deutſch) ge- redet hätten u. ſ. w. Wichtig für die Einbürgerung der Juden im Occident iſt die Stelle aus des portugieſiſchen Rabbi Jſaak Abarbanel (1437 — 1508) „Comment.“ ad II. Reg., fol. 308, col. 2, wo von den Juden geredet wird, die nach Zer- ſtörung des erſten Tempels durch die Aſſyrier nach Spanien gekom- men ſein ſollen. Es heißt weiter: „Hi templo secundo condito no- luerunt redire Hierosolymam. Dixerunt enim, quod ista libe- ratio nondum esset plena. Neque enim in templo esse arcana foederis domini, non prophetas, non alias res sanctas. Nec dubium est, sic de Judaeis post desolationem primi templi multos venisse in Galliam, Angliam et Germaniam, quamvis etiam post secundi templi excidium multi venerint in regiones occidentis. Quos Romani e Palaestina eduxerunt distribue- runtque in provincias imperii Romani plagae occidentis.“ 1) So einſeitig und unſicher dieſe Nachweiſe ſind, ſo beſtimmt iſt 1) 1) Dieſe Zeit des zweiten Tempels gilt auch für den Anfang der karaiti- ſchen Sektirung, zu der, nach den meiſten Annahmen, politiſche Conflicte Anlaß gegeben haben ſollen. Die wichtige Trennung iſt aber ein rein dogmatiſcher Diſſens, der ſeine beſte und natürlichſte Erläuterung durch die Erklärung des Rabbenu Obadjah aus Bartenora zu Miſchnah VI Jadajim, Kap. 7, §. 6, findet. Die Sadducäer leugnen die Tradition, ſie nennen ſich nach Zaduk und Baitus ſo, welche Schüler des Antigonus aus Socho waren, und aus ſeinem Lehrſatz: „Seid nicht wie Knechte, die dem Herrn des Lohnes wegen dienen“, folgerten, daß ein Lohn auf den Gottesdienſt nicht zu erwarten ſei. Damit riſſen ſie ſich von der traditionellen Deutung der Rabbiner los, bildeten ſich einen Anhang, und exiſtiren auch noch heute in Aegypten, Damascus und Konſtantine fort. Sie werden K’rajim, Karaiten genannt, von K’ra, Leſen, Bibel, weil ſie ſich nur an das Wort halten. 1) Römiſchen Landvogt verklagt, der, als er unſer Klag verhöret, hat er ein Mitleyden mit uns gehabt, und den faſt wol geſteupt, heiſſen creutzigen, wie er verdient hat, und ſeine Jünger ins Elend verweiſen, und zerſtreuen laſſen.“ Vgl. Wagenſeil, a. a. O.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 20. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/36>, abgerufen am 29.03.2024.