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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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Jude gelebt und gereist hatte, seinen freilich mit einer jüdischen
Beischläferin erzeugten Sohn beschneiden ließ. Nicht minder
merkwürdig ist die Mittheilung bei Thiele, daß in der großen
berliner Gauneruntersuchung die christlichen Gauner während ihrer
Haft um Erlaubniß nachsuchten, die Religionsübungen der Juden
mitmachen zu dürfen 1). Die historisch nachgewiesene Existenz von
Gaunerbanden, welche der Zahl nach überwiegend oder sogar ganz
aus Juden zusammengesetzt waren, beweist nur, daß auch ver-
brecherische Juden sich zusammengefunden und gruppirt hatten, und
das um so eher und leichter, je zahlreicher und gedrängter die
Juden in einem Orte zusammenlebten, je leichter mithin die ver-
wandten Elemente sich finden und zusammenthun konnten. Denkt
man an die ungeheuere Unterdrückung und Verfolgung der Juden,
namentlich im Mittelalter, wo der Priester Gottschalck und der
Graf von Leiningen zur Zeit des Eremiten Peter wahre Kreuz-
züge wider die Juden auf deutschem Grund und Boden unter-
nahmen, so begreift man, daß das materielle und sittliche Elend
der Juden gleichgroß werden und in den scheu zusammengedräng-
ten muthlosen Gruppen den bittersten heimlichen Haß gegen die
Unterdrücker erwecken mußte. Als im Jahre 1795 von Mersen
her die meistens aus Juden bestehende Bande des Franz Bos-
beck hervorbrach und sich am Rhein einen so furchtbaren Namen
erwarb, hatte diese Bande schon eine Geschichte von mehr als
hundert Jahren, die so mystisch ist, daß nur hier und da ein
Lichtstrahl darauffällt, und daß der frühe Volksglaube jenes ge-

1) Wiewol selten ein christlicher Gauner einen Begriff von der christ-
lichen Lehre oder eine ausreichende Kenntniß der Gebote und der Bedeutung
der Sakramente hat, so darf man doch auch nicht außer Acht lassen, daß die
christliche Jntoleranz leider häufig eine wesentliche Rolle bei Gaunerunter-
suchungen spielt. Gewiß wird bei der Beurtheilung jüdischer Gauner die jü-
dische Qualität weit eher hervorgehoben, als daß man einem christlichen Gauner
sein Christenthum in Anrechnung bringen möchte. Leider ist man sogar wol
geneigt, einen zweifelhaften Gauner ohne Umstände zum Juden zu stempeln,
ehe man lange Nachforschungen nach seinem Tauf- und Confirmationsschein
anstellt. Auch hat schon mancher Jnquirent einen großen Ruhm darin gesetzt,
über das vermeint feinere jüdische Gaunergenie als Meister zu triumphiren.
Ave-Lallemant, Gaunerthum. I. 2

Jude gelebt und gereiſt hatte, ſeinen freilich mit einer jüdiſchen
Beiſchläferin erzeugten Sohn beſchneiden ließ. Nicht minder
merkwürdig iſt die Mittheilung bei Thiele, daß in der großen
berliner Gaunerunterſuchung die chriſtlichen Gauner während ihrer
Haft um Erlaubniß nachſuchten, die Religionsübungen der Juden
mitmachen zu dürfen 1). Die hiſtoriſch nachgewieſene Exiſtenz von
Gaunerbanden, welche der Zahl nach überwiegend oder ſogar ganz
aus Juden zuſammengeſetzt waren, beweiſt nur, daß auch ver-
brecheriſche Juden ſich zuſammengefunden und gruppirt hatten, und
das um ſo eher und leichter, je zahlreicher und gedrängter die
Juden in einem Orte zuſammenlebten, je leichter mithin die ver-
wandten Elemente ſich finden und zuſammenthun konnten. Denkt
man an die ungeheuere Unterdrückung und Verfolgung der Juden,
namentlich im Mittelalter, wo der Prieſter Gottſchalck und der
Graf von Leiningen zur Zeit des Eremiten Peter wahre Kreuz-
züge wider die Juden auf deutſchem Grund und Boden unter-
nahmen, ſo begreift man, daß das materielle und ſittliche Elend
der Juden gleichgroß werden und in den ſcheu zuſammengedräng-
ten muthloſen Gruppen den bitterſten heimlichen Haß gegen die
Unterdrücker erwecken mußte. Als im Jahre 1795 von Merſen
her die meiſtens aus Juden beſtehende Bande des Franz Bos-
beck hervorbrach und ſich am Rhein einen ſo furchtbaren Namen
erwarb, hatte dieſe Bande ſchon eine Geſchichte von mehr als
hundert Jahren, die ſo myſtiſch iſt, daß nur hier und da ein
Lichtſtrahl darauffällt, und daß der frühe Volksglaube jenes ge-

1) Wiewol ſelten ein chriſtlicher Gauner einen Begriff von der chriſt-
lichen Lehre oder eine ausreichende Kenntniß der Gebote und der Bedeutung
der Sakramente hat, ſo darf man doch auch nicht außer Acht laſſen, daß die
chriſtliche Jntoleranz leider häufig eine weſentliche Rolle bei Gaunerunter-
ſuchungen ſpielt. Gewiß wird bei der Beurtheilung jüdiſcher Gauner die jü-
diſche Qualität weit eher hervorgehoben, als daß man einem chriſtlichen Gauner
ſein Chriſtenthum in Anrechnung bringen möchte. Leider iſt man ſogar wol
geneigt, einen zweifelhaften Gauner ohne Umſtände zum Juden zu ſtempeln,
ehe man lange Nachforſchungen nach ſeinem Tauf- und Confirmationsſchein
anſtellt. Auch hat ſchon mancher Jnquirent einen großen Ruhm darin geſetzt,
über das vermeint feinere jüdiſche Gaunergenie als Meiſter zu triumphiren.
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[17/0033] Jude gelebt und gereiſt hatte, ſeinen freilich mit einer jüdiſchen Beiſchläferin erzeugten Sohn beſchneiden ließ. Nicht minder merkwürdig iſt die Mittheilung bei Thiele, daß in der großen berliner Gaunerunterſuchung die chriſtlichen Gauner während ihrer Haft um Erlaubniß nachſuchten, die Religionsübungen der Juden mitmachen zu dürfen 1). Die hiſtoriſch nachgewieſene Exiſtenz von Gaunerbanden, welche der Zahl nach überwiegend oder ſogar ganz aus Juden zuſammengeſetzt waren, beweiſt nur, daß auch ver- brecheriſche Juden ſich zuſammengefunden und gruppirt hatten, und das um ſo eher und leichter, je zahlreicher und gedrängter die Juden in einem Orte zuſammenlebten, je leichter mithin die ver- wandten Elemente ſich finden und zuſammenthun konnten. Denkt man an die ungeheuere Unterdrückung und Verfolgung der Juden, namentlich im Mittelalter, wo der Prieſter Gottſchalck und der Graf von Leiningen zur Zeit des Eremiten Peter wahre Kreuz- züge wider die Juden auf deutſchem Grund und Boden unter- nahmen, ſo begreift man, daß das materielle und ſittliche Elend der Juden gleichgroß werden und in den ſcheu zuſammengedräng- ten muthloſen Gruppen den bitterſten heimlichen Haß gegen die Unterdrücker erwecken mußte. Als im Jahre 1795 von Merſen her die meiſtens aus Juden beſtehende Bande des Franz Bos- beck hervorbrach und ſich am Rhein einen ſo furchtbaren Namen erwarb, hatte dieſe Bande ſchon eine Geſchichte von mehr als hundert Jahren, die ſo myſtiſch iſt, daß nur hier und da ein Lichtſtrahl darauffällt, und daß der frühe Volksglaube jenes ge- 1) Wiewol ſelten ein chriſtlicher Gauner einen Begriff von der chriſt- lichen Lehre oder eine ausreichende Kenntniß der Gebote und der Bedeutung der Sakramente hat, ſo darf man doch auch nicht außer Acht laſſen, daß die chriſtliche Jntoleranz leider häufig eine weſentliche Rolle bei Gaunerunter- ſuchungen ſpielt. Gewiß wird bei der Beurtheilung jüdiſcher Gauner die jü- diſche Qualität weit eher hervorgehoben, als daß man einem chriſtlichen Gauner ſein Chriſtenthum in Anrechnung bringen möchte. Leider iſt man ſogar wol geneigt, einen zweifelhaften Gauner ohne Umſtände zum Juden zu ſtempeln, ehe man lange Nachforſchungen nach ſeinem Tauf- und Confirmationsſchein anſtellt. Auch hat ſchon mancher Jnquirent einen großen Ruhm darin geſetzt, über das vermeint feinere jüdiſche Gaunergenie als Meiſter zu triumphiren. Avé-Lallemant, Gaunerthum. I. 2

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/33>, abgerufen am 29.03.2024.