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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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welche der Liber Vagatorum Auskunft gibt und welche in dieser
oder jener Weise nach Luther's treffendem Ausdruck, "falsche
Bettelbüberey
" treiben.

Der Gauner selbst legt sich jedoch, im Vollgefühl seiner
sichern Menschenkenntniß, seiner behenden Kunstfertigkeit und sei-
nes verwegenen Muthes, den stolzen Namen des Chochem,
Kochemer
(vom hebräischen [fremdsprachliches Material - fehlt], Chochom, sophos, kundig, ge-
schickt, verständig, weise, listig, schlau, kenntnißvoll, tugendhaft)
bei, und begnügt sich sogar auch, im noch stolzern Bewußtsein
seiner Competenz für diese übermüthige Bezeichnung, mit der
bloßen Andeutung des Anfangsbuchstabens von [fremdsprachliches Material - fehlt], mit dem
einfachen [fremdsprachliches Material - fehlt] (chess) und nennt sich einen Chessen. Eine bloße
deutsche Uebersetzung von Chochem ist Kunde (kennen, kundig).
Eine analoge Bezeichnung von Chochem ist das mehr adjectivisch
gebrauchte Jenisch, von Jonen ([fremdsprachliches Material - fehlt] Jedione, s. O. [fremdsprachliches Material - fehlt]) und
[fremdsprachliches Material - fehlt], Isch, Mann, also: Mann des Wissens, der Weisheit.
Seinen ihm verbundenen Kameraden nennt der Kochemer seinen
Chawer, Chäwer ([fremdsprachliches Material - fehlt], fem. [fremdsprachliches Material - fehlt], chaweress), im Deut-
schen: Gleicher, nach neuerm Ausdrucke Junge; die Gemein-
samkeit und Gesellschaft mit ihm Chawrusse. Die vertrauten
Personen, bei denen er Zuflucht, Schutz und Anhalt hat, nennt
er Platte Leute, von [fremdsprachliches Material - fehlt], polat, glatt, schlüpfrig sein, fliehen,
entkommen, in Sicherheit bringen, wovon Pleto, Pleite, Flucht,
plättern (blättern), fliehen u. s. w. Eine Menge anderer speci-
fischer Ausdrücke bezeichnen die vielen einzelnen Beziehungen und
Thätigkeiten des Gauners, welche an ihrem Orte erläutert wer-
den sollen.

Unter den zahreichen Spott- und Spitznamen, mit welchen
der übermüthige Gauner alle Nichtgauner, ganz besonders aber
die verhaßten Polizei- und Gerichtsbehörden, meistens mit beißen-
der Satire und treffendem Witze zu bezeichnen weiß, verdient
hier nur der allgemeinste Ausdruck Erwähnung, mit welchem der
Gauner jeden Nichtgauner bezeichnet. Unter Wittscher, adjecti-
visch wittisch, wird zunächst allgemein der Gegensatz von Ko-
chemer, der Nichtgauner bezeichnet, entsprechend dem burschikosen

welche der Liber Vagatorum Auskunft gibt und welche in dieſer
oder jener Weiſe nach Luther’s treffendem Ausdruck, „falſche
Bettelbüberey
“ treiben.

Der Gauner ſelbſt legt ſich jedoch, im Vollgefühl ſeiner
ſichern Menſchenkenntniß, ſeiner behenden Kunſtfertigkeit und ſei-
nes verwegenen Muthes, den ſtolzen Namen des Chochem,
Kochemer
(vom hebräiſchen [fremdsprachliches Material – fehlt], Chochom, σοφὸς, kundig, ge-
ſchickt, verſtändig, weiſe, liſtig, ſchlau, kenntnißvoll, tugendhaft)
bei, und begnügt ſich ſogar auch, im noch ſtolzern Bewußtſein
ſeiner Competenz für dieſe übermüthige Bezeichnung, mit der
bloßen Andeutung des Anfangsbuchſtabens von [fremdsprachliches Material – fehlt], mit dem
einfachen [fremdsprachliches Material – fehlt] (chess) und nennt ſich einen Cheſſen. Eine bloße
deutſche Ueberſetzung von Chochem iſt Kunde (kennen, kundig).
Eine analoge Bezeichnung von Chochem iſt das mehr adjectiviſch
gebrauchte Jeniſch, von Jonen ([fremdsprachliches Material – fehlt] Jedione, ſ. O. [fremdsprachliches Material – fehlt]) und
[fremdsprachliches Material – fehlt], Isch, Mann, alſo: Mann des Wiſſens, der Weisheit.
Seinen ihm verbundenen Kameraden nennt der Kochemer ſeinen
Chawer, Chäwer ([fremdsprachliches Material – fehlt], fem. [fremdsprachliches Material – fehlt], chaweress), im Deut-
ſchen: Gleicher, nach neuerm Ausdrucke Junge; die Gemein-
ſamkeit und Geſellſchaft mit ihm Chawruſſe. Die vertrauten
Perſonen, bei denen er Zuflucht, Schutz und Anhalt hat, nennt
er Platte Leute, von [fremdsprachliches Material – fehlt], polat, glatt, ſchlüpfrig ſein, fliehen,
entkommen, in Sicherheit bringen, wovon Pleto, Pleite, Flucht,
plättern (blättern), fliehen u. ſ. w. Eine Menge anderer ſpeci-
fiſcher Ausdrücke bezeichnen die vielen einzelnen Beziehungen und
Thätigkeiten des Gauners, welche an ihrem Orte erläutert wer-
den ſollen.

Unter den zahreichen Spott- und Spitznamen, mit welchen
der übermüthige Gauner alle Nichtgauner, ganz beſonders aber
die verhaßten Polizei- und Gerichtsbehörden, meiſtens mit beißen-
der Satire und treffendem Witze zu bezeichnen weiß, verdient
hier nur der allgemeinſte Ausdruck Erwähnung, mit welchem der
Gauner jeden Nichtgauner bezeichnet. Unter Wittſcher, adjecti-
viſch wittiſch, wird zunächſt allgemein der Gegenſatz von Ko-
chemer, der Nichtgauner bezeichnet, entſprechend dem burſchikoſen

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[12/0028] welche der Liber Vagatorum Auskunft gibt und welche in dieſer oder jener Weiſe nach Luther’s treffendem Ausdruck, „falſche Bettelbüberey“ treiben. Der Gauner ſelbſt legt ſich jedoch, im Vollgefühl ſeiner ſichern Menſchenkenntniß, ſeiner behenden Kunſtfertigkeit und ſei- nes verwegenen Muthes, den ſtolzen Namen des Chochem, Kochemer (vom hebräiſchen _ , Chochom, σοφὸς, kundig, ge- ſchickt, verſtändig, weiſe, liſtig, ſchlau, kenntnißvoll, tugendhaft) bei, und begnügt ſich ſogar auch, im noch ſtolzern Bewußtſein ſeiner Competenz für dieſe übermüthige Bezeichnung, mit der bloßen Andeutung des Anfangsbuchſtabens von _ , mit dem einfachen _ (chess) und nennt ſich einen Cheſſen. Eine bloße deutſche Ueberſetzung von Chochem iſt Kunde (kennen, kundig). Eine analoge Bezeichnung von Chochem iſt das mehr adjectiviſch gebrauchte Jeniſch, von Jonen (_ Jedione, ſ. O. _ ) und _ , Isch, Mann, alſo: Mann des Wiſſens, der Weisheit. Seinen ihm verbundenen Kameraden nennt der Kochemer ſeinen Chawer, Chäwer (_ , fem. _ , chaweress), im Deut- ſchen: Gleicher, nach neuerm Ausdrucke Junge; die Gemein- ſamkeit und Geſellſchaft mit ihm Chawruſſe. Die vertrauten Perſonen, bei denen er Zuflucht, Schutz und Anhalt hat, nennt er Platte Leute, von _ , polat, glatt, ſchlüpfrig ſein, fliehen, entkommen, in Sicherheit bringen, wovon Pleto, Pleite, Flucht, plättern (blättern), fliehen u. ſ. w. Eine Menge anderer ſpeci- fiſcher Ausdrücke bezeichnen die vielen einzelnen Beziehungen und Thätigkeiten des Gauners, welche an ihrem Orte erläutert wer- den ſollen. Unter den zahreichen Spott- und Spitznamen, mit welchen der übermüthige Gauner alle Nichtgauner, ganz beſonders aber die verhaßten Polizei- und Gerichtsbehörden, meiſtens mit beißen- der Satire und treffendem Witze zu bezeichnen weiß, verdient hier nur der allgemeinſte Ausdruck Erwähnung, mit welchem der Gauner jeden Nichtgauner bezeichnet. Unter Wittſcher, adjecti- viſch wittiſch, wird zunächſt allgemein der Gegenſatz von Ko- chemer, der Nichtgauner bezeichnet, entſprechend dem burſchikoſen

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 12. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/28>, abgerufen am 23.04.2024.