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Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858.

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gen Behörden kargen noch immer nicht mit dieser Bezeichnung.
Als die Justiz zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Jauner
zu verfolgen anfing und zahlreiche Jaunerlisten verbreitete, waren
die Verfolgten eben dieselben Verbrecher, welche in den Augen
des Volks für Zigeuner galten, aber nicht die eigentlichen Je-
dioner (Juner, Joner, Jauner), deren Wissenschaft theilweise,
wie die Chiromantie, Metoposkopie, Oniromantie u. s. w. noch
immer in Ansehn und Achtung blieb und sogar noch bis gegen
die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf deutschen Universitäten
gelehrt wurde. Bei jener Verwechselung ging auch die wesent-
liche Unterscheidung zwischen Jauner und Gauner verloren,
und wo der Unterschied gefühlt wurde, da machte sich wieder die
Verwechselung des G mit dem J in der provinziellen Aussprache
geltend, und die Schreibung Jauner blieb die herrschende.

Erst seit Grellmann 1) die Zigeuner als ethnographische Er-
scheinung auffaßte und als solche specifisch aus dem Vaganten-
haufen abschied und darstellte, findet man die Bezeichnung Gau-
ner
mit Bestimmtheit hervortreten, obschon Grellmann durchaus
nichts zur etymologischen Aufklärung des Wortes Zigeuner ge-
than hat. Jndessen brachte er doch die vortreffliche Dissertation
des Christian Thomastus (1622 -- 1684) in Erinnerung 2),
welche in §. 4 und 5 alle deutschen und lateinischen Benennungen
der Zigeuner aufführt, nämlich: Zeugeuner, Ziegeiner, Zie-
geuner, Ziegeyner, Zigauner, Zigeiner, Zigeuner, Zü-
geuner, Zygäner, Zygeinner, Zyginer
, und: Attingani 3)

1) "Die Zigeuner. Ein historischer Versuch" (Dessau und Leipzig
1783).
2) "Dissertatio de Cingaris etc." Sie ist auch in Mieth's "Deliciarum
manipulus
" (Dresden und Leipzig 1703) recht gut in das Deutsche übersetzt.
3) Wie die Zigeuner dazu gekommen sind, einerlei Namen mit den häre-
tischen Attinganern zu führen, erläutert Thomasius selbst aus dem gleichen
Klange des griechischen athigganoi und Cingani. Bekanntlich sprechen die Neu-
griechen das th dem englischen th ähnlich aus. Daraus ist überhaupt die
leichtfertige Verwechselung des athigganos mit Cinganus entstanden. Aehnlich
wird auch von den heutigen Juden das [fremdsprachliches Material - fehlt] in der Mitte und am Ende eines
Wortes wie s (s) ausgesprochen.

gen Behörden kargen noch immer nicht mit dieſer Bezeichnung.
Als die Juſtiz zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Jauner
zu verfolgen anfing und zahlreiche Jaunerliſten verbreitete, waren
die Verfolgten eben dieſelben Verbrecher, welche in den Augen
des Volks für Zigeuner galten, aber nicht die eigentlichen Je-
dioner (Juner, Joner, Jauner), deren Wiſſenſchaft theilweiſe,
wie die Chiromantie, Metopoſkopie, Oniromantie u. ſ. w. noch
immer in Anſehn und Achtung blieb und ſogar noch bis gegen
die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf deutſchen Univerſitäten
gelehrt wurde. Bei jener Verwechſelung ging auch die weſent-
liche Unterſcheidung zwiſchen Jauner und Gauner verloren,
und wo der Unterſchied gefühlt wurde, da machte ſich wieder die
Verwechſelung des G mit dem J in der provinziellen Ausſprache
geltend, und die Schreibung Jauner blieb die herrſchende.

Erſt ſeit Grellmann 1) die Zigeuner als ethnographiſche Er-
ſcheinung auffaßte und als ſolche ſpecifiſch aus dem Vaganten-
haufen abſchied und darſtellte, findet man die Bezeichnung Gau-
ner
mit Beſtimmtheit hervortreten, obſchon Grellmann durchaus
nichts zur etymologiſchen Aufklärung des Wortes Zigeuner ge-
than hat. Jndeſſen brachte er doch die vortreffliche Diſſertation
des Chriſtian Thomaſtus (1622 — 1684) in Erinnerung 2),
welche in §. 4 und 5 alle deutſchen und lateiniſchen Benennungen
der Zigeuner aufführt, nämlich: Zeugeuner, Ziegeiner, Zie-
geuner, Ziegeyner, Zigauner, Zigeiner, Zigeuner, Zü-
geuner, Zygäner, Zygeinner, Zyginer
, und: Attingani 3)

1) „Die Zigeuner. Ein hiſtoriſcher Verſuch“ (Deſſau und Leipzig
1783).
2) „Dissertatio de Cingaris etc.“ Sie iſt auch in Mieth’s „Deliciarum
manipulus
“ (Dresden und Leipzig 1703) recht gut in das Deutſche überſetzt.
3) Wie die Zigeuner dazu gekommen ſind, einerlei Namen mit den häre-
tiſchen Attinganern zu führen, erläutert Thomaſius ſelbſt aus dem gleichen
Klange des griechiſchen ἀϑιγγανοι und Cingani. Bekanntlich ſprechen die Neu-
griechen das ϑ dem engliſchen th ähnlich aus. Daraus iſt überhaupt die
leichtfertige Verwechſelung des ἀϑιγγανος mit Cinganus entſtanden. Aehnlich
wird auch von den heutigen Juden das [fremdsprachliches Material – fehlt] in der Mitte und am Ende eines
Wortes wie ſ (s) ausgeſprochen.
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[9/0025] gen Behörden kargen noch immer nicht mit dieſer Bezeichnung. Als die Juſtiz zu Anfang des vorigen Jahrhunderts die Jauner zu verfolgen anfing und zahlreiche Jaunerliſten verbreitete, waren die Verfolgten eben dieſelben Verbrecher, welche in den Augen des Volks für Zigeuner galten, aber nicht die eigentlichen Je- dioner (Juner, Joner, Jauner), deren Wiſſenſchaft theilweiſe, wie die Chiromantie, Metopoſkopie, Oniromantie u. ſ. w. noch immer in Anſehn und Achtung blieb und ſogar noch bis gegen die Mitte des vorigen Jahrhunderts auf deutſchen Univerſitäten gelehrt wurde. Bei jener Verwechſelung ging auch die weſent- liche Unterſcheidung zwiſchen Jauner und Gauner verloren, und wo der Unterſchied gefühlt wurde, da machte ſich wieder die Verwechſelung des G mit dem J in der provinziellen Ausſprache geltend, und die Schreibung Jauner blieb die herrſchende. Erſt ſeit Grellmann 1) die Zigeuner als ethnographiſche Er- ſcheinung auffaßte und als ſolche ſpecifiſch aus dem Vaganten- haufen abſchied und darſtellte, findet man die Bezeichnung Gau- ner mit Beſtimmtheit hervortreten, obſchon Grellmann durchaus nichts zur etymologiſchen Aufklärung des Wortes Zigeuner ge- than hat. Jndeſſen brachte er doch die vortreffliche Diſſertation des Chriſtian Thomaſtus (1622 — 1684) in Erinnerung 2), welche in §. 4 und 5 alle deutſchen und lateiniſchen Benennungen der Zigeuner aufführt, nämlich: Zeugeuner, Ziegeiner, Zie- geuner, Ziegeyner, Zigauner, Zigeiner, Zigeuner, Zü- geuner, Zygäner, Zygeinner, Zyginer, und: Attingani 3) 1) „Die Zigeuner. Ein hiſtoriſcher Verſuch“ (Deſſau und Leipzig 1783). 2) „Dissertatio de Cingaris etc.“ Sie iſt auch in Mieth’s „Deliciarum manipulus“ (Dresden und Leipzig 1703) recht gut in das Deutſche überſetzt. 3) Wie die Zigeuner dazu gekommen ſind, einerlei Namen mit den häre- tiſchen Attinganern zu führen, erläutert Thomaſius ſelbſt aus dem gleichen Klange des griechiſchen ἀϑιγγανοι und Cingani. Bekanntlich ſprechen die Neu- griechen das ϑ dem engliſchen th ähnlich aus. Daraus iſt überhaupt die leichtfertige Verwechſelung des ἀϑιγγανος mit Cinganus entſtanden. Aehnlich wird auch von den heutigen Juden das _ in der Mitte und am Ende eines Wortes wie ſ (s) ausgeſprochen.

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Zitationshilfe: Avé-Lallemant, Friedrich Christian Benedikt: Das Deutsche Gaunerthum. Bd. 1. Leipzig, 1858, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/avelallemant_gaunerthum01_1858/25>, abgerufen am 28.03.2024.