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Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 26. Juni 1840.

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beschränken, zu beschuldigen, da England sie hindert dem Reiche den so nöthigen Frieden zu geben, ohne andrerseits das Mindeste zu dessen Rettung oder Fristung zu thun. Es ist so weit gekommen, daß die Pforte England bittet, zu erlauben, dieses oder jenes Opfer bringen zu dürfen, um dem zweifelhaften Stand der ägyptischen Frage ein Ende zu machen, und den Beweis zu liefern sich Mühe gibt, daß jeder Frieden, wie theuer er auch erkauft werden müßte, dem Reiche förderlicher sey, als eine Fortdauer des status quo. In diesem Sinne lauten, wie schon angedeutet, die neuesten nach London abgegangenen Instructionen, und es ist nur zu hoffen, daß das englische Cabinet dadurch endlich aus seiner Lethargie geweckt werden, und unter zwei Uebeln sich endlich für das eine definitiv entscheiden möge. - An der montenegrinischen Gränze wird es täglich ernster. Die projectirte Zusammenkunft des Wessiers von Herzegowina mit dem Abgeordneten des Vladika von Montenegro ist vereitelt worden. Die Türken, welche, wider die Verabredung, in großer Zahl und wohlbewaffnet erschienen, bestimmten Coriemitsch zum Orte der Friedensverhandlungen, während die Montenegriner verlangten, daß diese in Grahowo gehalten werden, und überdieß im voraus Genugthuung für die von den Türken im vorigen Jahre verübten Gräuelthaten forderten. Ueber diese Vorbedingungen schon zerschlugen sich die Unterhandlungen, und man trennte sich mit gegenseitiger Erbitterung. Nur Hassan-Beg von Trebigne besprach sich mit Prorocovitsch, Onkel des Vladika, jedoch ebenfalls erfolglos. So stehen nun also auch auf dieser Seite Montenegro's neue blutige Kämpfe bevor. Die Türken sandten auch gleich 150 Panduren nach Klobuk, da die Abgesandten des Vladika erklärt hatten, daß es unmöglich sey, alle Raubzüge der Montenegriner zu verhindern.

Vorgestern hat der Großherr seinen Großwessier, den alten Chosrew Pascha, nun definitiv in Ruhestand versetzt, und an dessen Stelle Raghub Pascha, den Präsidenten seines Conseils zum Großwessier ernannt. - Schon seit einiger Zeit, besonders seit der Absetzung des Seraskiers Halil Pascha, welche vor vier Wochen stattfand, vermuthete man, daß noch mehrere wichtige Veränderungen bevorständen, und wenn bisher die Meinung, daß Chosrew Pascha mit einer Quiescirung bedroht sey, vielfältig bezweifelt wurde, so hatte dieser Zweifel wohl nur darin seinen Grund, daß man die intrigante Geschicklichkeit dieses Greises für allmächtig hielt: denn wahr ist es, daß Chosrew Pascha es verstanden hat, sich seit beinahe 50 Jahren in dieser beweglichen Staatsverwaltung immer obenauf zu erhalten. Ja selbst in Ungnade gefallen, wußte er stets und bald wieder über seine Gegner den Sieg davon zu tragen. Doch im gegenwärtigen Fall dürfte er von der Zukunft nichts mehr zu hoffen haben. Es ist nämlich offenbar, daß ihn nicht eine vorübergehende Laune seines Kaisers und Herrn fallen ließ, sondern daß er von einer mächtigen, zwar langsam, aber wie es scheint sehr sicher vorschreitenden Partei ächter alter Türken verdrängt wurde. Der Beweis dafür, daß diese Partei sehr mächtig ist, und sicher vorschreitet, scheint darin zu liegen, daß sie zwischen der Quiescirung Halil Pascha's und Chosrew Pascha's vier Wochen vergehen ließ. Wäre sie weniger mächtig, so würde sie in dieser Zeit von dem Haupt der Gegner, Chosrew Pascha, zu Grunde gerichtet worden seyn. Daß man zur Quiescirung des alten Großwessiers die Ankunft des neuen Seraskiers, Mustapha Pascha aus Janina, der erst vor zehn Tagen hier eintraf, und dessen Hülfe nothwendig gehabt hätte, ist unwahrscheinlich.

Endlich ist der Nachfolger Chosrew Pascha's ernannt. Der neugewählte Großwessier ist nun Rauf Pascha, bisher Präsident des höchsten Gerechtigkeitsconseils. Rauf Pascha hatte vor ungefähr zwei Jahren bereits diese erste Würde des Reichs bekleidet, und verlor sie bloß deßhalb, weil Mahmud damals für gut fand, das Großwessierat überhaupt aufzuheben, und eine mehr europäische Ministerialregierung einzuführen. Sie sehen bei dieser Gelegenheit wieder, wie Sie es bei der Absetzung Halil Pascha's gesehen hatten, daß bei der Pforte Beschluß und Ausführung sich nicht so rasch folgen, wenn es sich um bedeutende Personen handelt. Erst am 7 begab sich der Obersthofmeister des Sultans, Riza Bey Effendi, zu Chosrew Pascha, um ihm seine Amtsinsignien abzunehmen, und zwei Tage später ward das überaus wichtige Factum dem großen Publicum durch die Staatszeitung kund gegeben.

Ich mache Sie aufmerksam auf die ungeheure Wendung, welche die großen, weltgeschichtlichen Verhältnisse genommen haben, auf den Umschwung, der sich plötzlich in der Lage der Dinge kund gibt. Rußland und England können nicht mehr mit einander gehen; es hat sich in Asien Alles so gestaltet, daß die Komödie in London, deren Hauptacteurs Brunnow und Palmerston waren, nicht einmal zum Schluß des ersten Acts gelangen konnte. Nach den letzten Berichten, welche Lord Ponsonby aus Persien über Trapezunt erhielt, scheint der russische Einfluß auf Mittelasien völlig vernichtet, es scheint dem Druck des nordischen Kolosses auf den Süden dieses Welttheils ein Widerstand, eine Reaction bereitet worden zu seyn, welche die Russen vorerst nicht bemeistern werden und die sie zu unversöhnlichen Feinden der Engländer machen muß. In einer ungeheuern Ausdehnung stehen sich die beiden Nebenbuhler entgegen, und was man noch vor wenig Jahren für Träumereien müßiger Köpfe erklärte, hat sich dadurch verwirklicht. Am Jaxartes und Oxus, am caspischen und am Aralsee gibt sich eine entschiedne antirussische Stimmung zu erkennen; die zahlreichen unabhängigen Chanate in der Bucharei, und hinter dieser in den Afghanenländern haben sich vereinigt unter englischem Patronat zum Widerstande gegen die Projecte Rußlands, die in nichts Geringerem bestanden zu haben scheinen, als alle diese Länder zu einem mittelasiatischen Reich zu verschmelzen, das durch seine Schwäche, durch seinen Ursprung auf das Patronat Rußlands angewiesen worden wäre. Die große Linie, auf der sich die zwei Rivalen begegnen, ist nun völlig ausgebildet; sie geht von der mongolischen Gränze bis an das caspische Meer und von der östlichen Küste des letztern bis an den euxinischen Pontus; denn durch äußerst geschickte Maaßnahmen ward das kaukasische Land mit in die Linie gezogen, und somit wäre die Prophezeiung, die ich fast vor zwei Jahren wagte, daß bald das Schicksal Asiens am caspischen See entschieden werden dürfte, ihrer Erfüllung um ein Gutes näher gerückt. Die Erbitterung Rußlands gegen England wird vor der Hand schwerlich zu starken Ausbrüchen kommen, aber sie besteht nichtsdestoweniger, und wird nur durch den Respect gemäßigt, den die außerordentlichen Resultate der englischen Politik einflößen. Die Ereignisse in Kaukasien sind nicht geeignet, Rußland freundlicher zu stimmen, denn Jedermann bringt die Successe der Tscherkessen auf Rechnung eines heimlichen brittischen Beistandes. Minder glücklich war England in Europa, denn augenscheinlich nimmt der russische Einfluß in den Ländern der untern Donau so wie überhaupt in allen Provinzen der europäischen Türkei merkbar zu, was indessen nicht verfehlt, die Stimmung der Pforte gegen ihren mächtigen Nachbar in einen sehr gereizten Zustand zu bringen. Rußland besitzt einen vorgeschobenen Posten in Persien, dessen Schah Mehemed Ali die Hand mit freundlichen Versicherungen bietet. Graf Medems

beschränken, zu beschuldigen, da England sie hindert dem Reiche den so nöthigen Frieden zu geben, ohne andrerseits das Mindeste zu dessen Rettung oder Fristung zu thun. Es ist so weit gekommen, daß die Pforte England bittet, zu erlauben, dieses oder jenes Opfer bringen zu dürfen, um dem zweifelhaften Stand der ägyptischen Frage ein Ende zu machen, und den Beweis zu liefern sich Mühe gibt, daß jeder Frieden, wie theuer er auch erkauft werden müßte, dem Reiche förderlicher sey, als eine Fortdauer des status quo. In diesem Sinne lauten, wie schon angedeutet, die neuesten nach London abgegangenen Instructionen, und es ist nur zu hoffen, daß das englische Cabinet dadurch endlich aus seiner Lethargie geweckt werden, und unter zwei Uebeln sich endlich für das eine definitiv entscheiden möge. – An der montenegrinischen Gränze wird es täglich ernster. Die projectirte Zusammenkunft des Wessiers von Herzegowina mit dem Abgeordneten des Vladika von Montenegro ist vereitelt worden. Die Türken, welche, wider die Verabredung, in großer Zahl und wohlbewaffnet erschienen, bestimmten Coriemitsch zum Orte der Friedensverhandlungen, während die Montenegriner verlangten, daß diese in Grahowo gehalten werden, und überdieß im voraus Genugthuung für die von den Türken im vorigen Jahre verübten Gräuelthaten forderten. Ueber diese Vorbedingungen schon zerschlugen sich die Unterhandlungen, und man trennte sich mit gegenseitiger Erbitterung. Nur Hassan-Beg von Trebigne besprach sich mit Prorocovitsch, Onkel des Vladika, jedoch ebenfalls erfolglos. So stehen nun also auch auf dieser Seite Montenegro's neue blutige Kämpfe bevor. Die Türken sandten auch gleich 150 Panduren nach Klobuk, da die Abgesandten des Vladika erklärt hatten, daß es unmöglich sey, alle Raubzüge der Montenegriner zu verhindern.

Vorgestern hat der Großherr seinen Großwessier, den alten Chosrew Pascha, nun definitiv in Ruhestand versetzt, und an dessen Stelle Raghub Pascha, den Präsidenten seines Conseils zum Großwessier ernannt. – Schon seit einiger Zeit, besonders seit der Absetzung des Seraskiers Halil Pascha, welche vor vier Wochen stattfand, vermuthete man, daß noch mehrere wichtige Veränderungen bevorständen, und wenn bisher die Meinung, daß Chosrew Pascha mit einer Quiescirung bedroht sey, vielfältig bezweifelt wurde, so hatte dieser Zweifel wohl nur darin seinen Grund, daß man die intrigante Geschicklichkeit dieses Greises für allmächtig hielt: denn wahr ist es, daß Chosrew Pascha es verstanden hat, sich seit beinahe 50 Jahren in dieser beweglichen Staatsverwaltung immer obenauf zu erhalten. Ja selbst in Ungnade gefallen, wußte er stets und bald wieder über seine Gegner den Sieg davon zu tragen. Doch im gegenwärtigen Fall dürfte er von der Zukunft nichts mehr zu hoffen haben. Es ist nämlich offenbar, daß ihn nicht eine vorübergehende Laune seines Kaisers und Herrn fallen ließ, sondern daß er von einer mächtigen, zwar langsam, aber wie es scheint sehr sicher vorschreitenden Partei ächter alter Türken verdrängt wurde. Der Beweis dafür, daß diese Partei sehr mächtig ist, und sicher vorschreitet, scheint darin zu liegen, daß sie zwischen der Quiescirung Halil Pascha's und Chosrew Pascha's vier Wochen vergehen ließ. Wäre sie weniger mächtig, so würde sie in dieser Zeit von dem Haupt der Gegner, Chosrew Pascha, zu Grunde gerichtet worden seyn. Daß man zur Quiescirung des alten Großwessiers die Ankunft des neuen Seraskiers, Mustapha Pascha aus Janina, der erst vor zehn Tagen hier eintraf, und dessen Hülfe nothwendig gehabt hätte, ist unwahrscheinlich.

Endlich ist der Nachfolger Chosrew Pascha's ernannt. Der neugewählte Großwessier ist nun Rauf Pascha, bisher Präsident des höchsten Gerechtigkeitsconseils. Rauf Pascha hatte vor ungefähr zwei Jahren bereits diese erste Würde des Reichs bekleidet, und verlor sie bloß deßhalb, weil Mahmud damals für gut fand, das Großwessierat überhaupt aufzuheben, und eine mehr europäische Ministerialregierung einzuführen. Sie sehen bei dieser Gelegenheit wieder, wie Sie es bei der Absetzung Halil Pascha's gesehen hatten, daß bei der Pforte Beschluß und Ausführung sich nicht so rasch folgen, wenn es sich um bedeutende Personen handelt. Erst am 7 begab sich der Obersthofmeister des Sultans, Riza Bey Effendi, zu Chosrew Pascha, um ihm seine Amtsinsignien abzunehmen, und zwei Tage später ward das überaus wichtige Factum dem großen Publicum durch die Staatszeitung kund gegeben.

Ich mache Sie aufmerksam auf die ungeheure Wendung, welche die großen, weltgeschichtlichen Verhältnisse genommen haben, auf den Umschwung, der sich plötzlich in der Lage der Dinge kund gibt. Rußland und England können nicht mehr mit einander gehen; es hat sich in Asien Alles so gestaltet, daß die Komödie in London, deren Hauptacteurs Brunnow und Palmerston waren, nicht einmal zum Schluß des ersten Acts gelangen konnte. Nach den letzten Berichten, welche Lord Ponsonby aus Persien über Trapezunt erhielt, scheint der russische Einfluß auf Mittelasien völlig vernichtet, es scheint dem Druck des nordischen Kolosses auf den Süden dieses Welttheils ein Widerstand, eine Reaction bereitet worden zu seyn, welche die Russen vorerst nicht bemeistern werden und die sie zu unversöhnlichen Feinden der Engländer machen muß. In einer ungeheuern Ausdehnung stehen sich die beiden Nebenbuhler entgegen, und was man noch vor wenig Jahren für Träumereien müßiger Köpfe erklärte, hat sich dadurch verwirklicht. Am Jaxartes und Oxus, am caspischen und am Aralsee gibt sich eine entschiedne antirussische Stimmung zu erkennen; die zahlreichen unabhängigen Chanate in der Bucharei, und hinter dieser in den Afghanenländern haben sich vereinigt unter englischem Patronat zum Widerstande gegen die Projecte Rußlands, die in nichts Geringerem bestanden zu haben scheinen, als alle diese Länder zu einem mittelasiatischen Reich zu verschmelzen, das durch seine Schwäche, durch seinen Ursprung auf das Patronat Rußlands angewiesen worden wäre. Die große Linie, auf der sich die zwei Rivalen begegnen, ist nun völlig ausgebildet; sie geht von der mongolischen Gränze bis an das caspische Meer und von der östlichen Küste des letztern bis an den euxinischen Pontus; denn durch äußerst geschickte Maaßnahmen ward das kaukasische Land mit in die Linie gezogen, und somit wäre die Prophezeiung, die ich fast vor zwei Jahren wagte, daß bald das Schicksal Asiens am caspischen See entschieden werden dürfte, ihrer Erfüllung um ein Gutes näher gerückt. Die Erbitterung Rußlands gegen England wird vor der Hand schwerlich zu starken Ausbrüchen kommen, aber sie besteht nichtsdestoweniger, und wird nur durch den Respect gemäßigt, den die außerordentlichen Resultate der englischen Politik einflößen. Die Ereignisse in Kaukasien sind nicht geeignet, Rußland freundlicher zu stimmen, denn Jedermann bringt die Successe der Tscherkessen auf Rechnung eines heimlichen brittischen Beistandes. Minder glücklich war England in Europa, denn augenscheinlich nimmt der russische Einfluß in den Ländern der untern Donau so wie überhaupt in allen Provinzen der europäischen Türkei merkbar zu, was indessen nicht verfehlt, die Stimmung der Pforte gegen ihren mächtigen Nachbar in einen sehr gereizten Zustand zu bringen. Rußland besitzt einen vorgeschobenen Posten in Persien, dessen Schah Mehemed Ali die Hand mit freundlichen Versicherungen bietet. Graf Medems

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[1423/0007] beschränken, zu beschuldigen, da England sie hindert dem Reiche den so nöthigen Frieden zu geben, ohne andrerseits das Mindeste zu dessen Rettung oder Fristung zu thun. Es ist so weit gekommen, daß die Pforte England bittet, zu erlauben, dieses oder jenes Opfer bringen zu dürfen, um dem zweifelhaften Stand der ägyptischen Frage ein Ende zu machen, und den Beweis zu liefern sich Mühe gibt, daß jeder Frieden, wie theuer er auch erkauft werden müßte, dem Reiche förderlicher sey, als eine Fortdauer des status quo. In diesem Sinne lauten, wie schon angedeutet, die neuesten nach London abgegangenen Instructionen, und es ist nur zu hoffen, daß das englische Cabinet dadurch endlich aus seiner Lethargie geweckt werden, und unter zwei Uebeln sich endlich für das eine definitiv entscheiden möge. – An der montenegrinischen Gränze wird es täglich ernster. Die projectirte Zusammenkunft des Wessiers von Herzegowina mit dem Abgeordneten des Vladika von Montenegro ist vereitelt worden. Die Türken, welche, wider die Verabredung, in großer Zahl und wohlbewaffnet erschienen, bestimmten Coriemitsch zum Orte der Friedensverhandlungen, während die Montenegriner verlangten, daß diese in Grahowo gehalten werden, und überdieß im voraus Genugthuung für die von den Türken im vorigen Jahre verübten Gräuelthaten forderten. Ueber diese Vorbedingungen schon zerschlugen sich die Unterhandlungen, und man trennte sich mit gegenseitiger Erbitterung. Nur Hassan-Beg von Trebigne besprach sich mit Prorocovitsch, Onkel des Vladika, jedoch ebenfalls erfolglos. So stehen nun also auch auf dieser Seite Montenegro's neue blutige Kämpfe bevor. Die Türken sandten auch gleich 150 Panduren nach Klobuk, da die Abgesandten des Vladika erklärt hatten, daß es unmöglich sey, alle Raubzüge der Montenegriner zu verhindern. _ Konstantinopel, 10 Jun. Vorgestern hat der Großherr seinen Großwessier, den alten Chosrew Pascha, nun definitiv in Ruhestand versetzt, und an dessen Stelle Raghub Pascha, den Präsidenten seines Conseils zum Großwessier ernannt. – Schon seit einiger Zeit, besonders seit der Absetzung des Seraskiers Halil Pascha, welche vor vier Wochen stattfand, vermuthete man, daß noch mehrere wichtige Veränderungen bevorständen, und wenn bisher die Meinung, daß Chosrew Pascha mit einer Quiescirung bedroht sey, vielfältig bezweifelt wurde, so hatte dieser Zweifel wohl nur darin seinen Grund, daß man die intrigante Geschicklichkeit dieses Greises für allmächtig hielt: denn wahr ist es, daß Chosrew Pascha es verstanden hat, sich seit beinahe 50 Jahren in dieser beweglichen Staatsverwaltung immer obenauf zu erhalten. Ja selbst in Ungnade gefallen, wußte er stets und bald wieder über seine Gegner den Sieg davon zu tragen. Doch im gegenwärtigen Fall dürfte er von der Zukunft nichts mehr zu hoffen haben. Es ist nämlich offenbar, daß ihn nicht eine vorübergehende Laune seines Kaisers und Herrn fallen ließ, sondern daß er von einer mächtigen, zwar langsam, aber wie es scheint sehr sicher vorschreitenden Partei ächter alter Türken verdrängt wurde. Der Beweis dafür, daß diese Partei sehr mächtig ist, und sicher vorschreitet, scheint darin zu liegen, daß sie zwischen der Quiescirung Halil Pascha's und Chosrew Pascha's vier Wochen vergehen ließ. Wäre sie weniger mächtig, so würde sie in dieser Zeit von dem Haupt der Gegner, Chosrew Pascha, zu Grunde gerichtet worden seyn. Daß man zur Quiescirung des alten Großwessiers die Ankunft des neuen Seraskiers, Mustapha Pascha aus Janina, der erst vor zehn Tagen hier eintraf, und dessen Hülfe nothwendig gehabt hätte, ist unwahrscheinlich. _ Konstantinopel, 10 Jun. Endlich ist der Nachfolger Chosrew Pascha's ernannt. Der neugewählte Großwessier ist nun Rauf Pascha, bisher Präsident des höchsten Gerechtigkeitsconseils. Rauf Pascha hatte vor ungefähr zwei Jahren bereits diese erste Würde des Reichs bekleidet, und verlor sie bloß deßhalb, weil Mahmud damals für gut fand, das Großwessierat überhaupt aufzuheben, und eine mehr europäische Ministerialregierung einzuführen. Sie sehen bei dieser Gelegenheit wieder, wie Sie es bei der Absetzung Halil Pascha's gesehen hatten, daß bei der Pforte Beschluß und Ausführung sich nicht so rasch folgen, wenn es sich um bedeutende Personen handelt. Erst am 7 begab sich der Obersthofmeister des Sultans, Riza Bey Effendi, zu Chosrew Pascha, um ihm seine Amtsinsignien abzunehmen, und zwei Tage später ward das überaus wichtige Factum dem großen Publicum durch die Staatszeitung kund gegeben. _ Konstantinopel, 3 Jun. Ich mache Sie aufmerksam auf die ungeheure Wendung, welche die großen, weltgeschichtlichen Verhältnisse genommen haben, auf den Umschwung, der sich plötzlich in der Lage der Dinge kund gibt. Rußland und England können nicht mehr mit einander gehen; es hat sich in Asien Alles so gestaltet, daß die Komödie in London, deren Hauptacteurs Brunnow und Palmerston waren, nicht einmal zum Schluß des ersten Acts gelangen konnte. Nach den letzten Berichten, welche Lord Ponsonby aus Persien über Trapezunt erhielt, scheint der russische Einfluß auf Mittelasien völlig vernichtet, es scheint dem Druck des nordischen Kolosses auf den Süden dieses Welttheils ein Widerstand, eine Reaction bereitet worden zu seyn, welche die Russen vorerst nicht bemeistern werden und die sie zu unversöhnlichen Feinden der Engländer machen muß. In einer ungeheuern Ausdehnung stehen sich die beiden Nebenbuhler entgegen, und was man noch vor wenig Jahren für Träumereien müßiger Köpfe erklärte, hat sich dadurch verwirklicht. Am Jaxartes und Oxus, am caspischen und am Aralsee gibt sich eine entschiedne antirussische Stimmung zu erkennen; die zahlreichen unabhängigen Chanate in der Bucharei, und hinter dieser in den Afghanenländern haben sich vereinigt unter englischem Patronat zum Widerstande gegen die Projecte Rußlands, die in nichts Geringerem bestanden zu haben scheinen, als alle diese Länder zu einem mittelasiatischen Reich zu verschmelzen, das durch seine Schwäche, durch seinen Ursprung auf das Patronat Rußlands angewiesen worden wäre. Die große Linie, auf der sich die zwei Rivalen begegnen, ist nun völlig ausgebildet; sie geht von der mongolischen Gränze bis an das caspische Meer und von der östlichen Küste des letztern bis an den euxinischen Pontus; denn durch äußerst geschickte Maaßnahmen ward das kaukasische Land mit in die Linie gezogen, und somit wäre die Prophezeiung, die ich fast vor zwei Jahren wagte, daß bald das Schicksal Asiens am caspischen See entschieden werden dürfte, ihrer Erfüllung um ein Gutes näher gerückt. Die Erbitterung Rußlands gegen England wird vor der Hand schwerlich zu starken Ausbrüchen kommen, aber sie besteht nichtsdestoweniger, und wird nur durch den Respect gemäßigt, den die außerordentlichen Resultate der englischen Politik einflößen. Die Ereignisse in Kaukasien sind nicht geeignet, Rußland freundlicher zu stimmen, denn Jedermann bringt die Successe der Tscherkessen auf Rechnung eines heimlichen brittischen Beistandes. Minder glücklich war England in Europa, denn augenscheinlich nimmt der russische Einfluß in den Ländern der untern Donau so wie überhaupt in allen Provinzen der europäischen Türkei merkbar zu, was indessen nicht verfehlt, die Stimmung der Pforte gegen ihren mächtigen Nachbar in einen sehr gereizten Zustand zu bringen. Rußland besitzt einen vorgeschobenen Posten in Persien, dessen Schah Mehemed Ali die Hand mit freundlichen Versicherungen bietet. Graf Medems

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Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 179. Augsburg, 26. Juni 1840, S. 1423. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_178_18400626/7>, abgerufen am 19.04.2024.