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Allgemeine Zeitung. Nr. 169. Augsburg, 17. Juni 1840.

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sich über keinen einzelnen Punkt derselben äußern dürfe, daß er aber jedenfalls das Abschließen eines Weinvertrags wie den einmal mit Portugal abgeschlossenen sogenannten Methuen-Tractat für sehr schlechte Politik halte, und daß es auch die Absicht der Regierung nicht seyn könne, einen solchen Vertrag anders als auf Bedingungen der Gegenseitigkeit zu gründen. Hr. W. Miles brachte hierauf seine Verführungsbill (Seductionsbill) zum zweiten Verlesen (bezweckend eine neue den verführten Mädchen größere Leichtigkeit zur Erlangung von Schadenersatz darbietende Gerichtseinrichtung, namentlich Uebertragung der Civiljurisdiction von den Gerichtshöfen zu einem summarischen Tribunal, bestehend nicht aus Geschwornen, sondern aus Magistratspersonen; jeder Mann, der vor diesem Tribunal durch zwei Zeugen überwiesen wäre, das Mädchen unter Eheversprechung verführt zu haben, sollte gehalten seyn, ihr eine Buße von 30 Pfd. zu entrichten. Uebrigens hat Hr. W. Miles - country gentleman - dabei insbesondere den Zustand der Taglöhnerclasse berücksichtigt). Der Attorney-General (Sir John Campbell) widersetzt sich dieser Bill wegen ihrer Mißlichkeit in der Anwendung, wiewohl er den Beweggründen des Verfassers Gerechtigkeit widerfahren läßt. Doch wird bei der Abstimmung das zweite Verlesen der Bill mit 57 gegen 56 Stimmen angenommen.

Frankreich.

Hr. Bouchotte, vormaliger Kriegsminister unter dem Convent ist am 8 Jun. in Metz in einem Alter von 83 Jahren gestorben. Er trat als Obrist in das Ministerium und als Obrist wieder aus, nachdem er mehr als 80 Generale ernannt hatte.

Hr. Lepoitevin, Pair von Frankreich, Ehrenpräsident des Pariser Gerichtshofs, ist am 10 Jun. in Paris in seinem 95sten Jahre gestorben.

In der Deputirtenkammersitzung vom 10 Jun., in welcher die Berathung über die Eisenbahnen begonnen wurde, sagte Hr. Galos: "Ich bin erstaunt, daß diese Discussion, die sich alljährlich erneuert, bis jetzt kein neues Resultat, kein neues Licht gewährt hat. Nicht einmal die Erfahrung kommt uns zu Hülfe. Immer steht die Debatte da, wo sie war, als sie zum erstenmal der Kammer vorgelegt wurde. Dieselbe Ungewißheit, dieselben Meinungsschwankungen herrschen in der Darstellung der Beweggründe und in dem Berichte der Commission. Man fragt sich noch, ob Frankreich hinreichende Capitalien habe, um die Unternehmungen von Eisenbahnen Compagnien zu überlassen. Man ist über die Beziehungen zwischen der Verwaltung und der Privatindustrie noch nicht im Reinen, und doch sollten, so wie man einmal einige große Linien unternehmen will, alle präjudiciellen Fragen untersucht und gelöst seyn. Der Grundübelstand großer Arbeiten in Frankreich liegt in der Unzulänglichkeit der Capitalien; die Privatindustrie wird nie im Stande seyn, beträchtliche Linien zu unternehmen und auszuführen. Bei uns sind die Capitalien immobilisirt, an den Boden gebunden. Die Personen, die besitzen, besitzen wenig, und können nicht einen Theil ihrer Einkünfte in Unternehmungen wagen. In England gibt es große Besitzer, und diese können vereinigt große Summen schießen. Auch ist das in England herrschende Banksystem großen öffentlichen Arbeiten sehr günstig. Ebenso verhält es sich in Amerika. In Frankreich dagegen sind wir schon seit Jahrhunderten gewöhnt, alle Arbeiten von der Verwaltung gemacht zu sehen. Wenn die Regierung Compagnien zur Ausführung großer öffentlicher Arbeiten auffordert, so thut sie unter den geschilderten Umständen etwas Schlimmes und von der gewöhnlichen Norm Abweichendes. Wir sind noch nicht über das Princip selbst einig. Einige wollen die Eisenbahnen von dem Staate gebaut, andere glauben, nur Compagnien können sie mit Nutzen unternehmen. Die Wahrheit ist, daß uns die Capitalien fehlen und daß sich der Associationsgeist noch nicht hinreichend entwickelt hat, damit Compagnien für Arbeiten von solcher Wichtigkeit hinreichen könnten. Andrerseits hat die Regierung von den Compagnien nicht hinreichende Garantie gefordert, und ihnen allzu leichtsinnig einen Theil der Ausübung ihrer eigenen Macht überlassen. In England wird dabei weit mehr Vorsicht beobachtet. Die Compagnien müssen dort gleich anfangs ernstliche Bürgschaften vorlegen. Bei uns sind die Compagnien schlecht organisirt, haben unzureichende Statuten, und die Actionnäre sind nicht fest genug an die wirkliche Zahlung der von ihnen unterschriebenen Capitalien gebunden. Die Compagnie der Eisenbahn von Orleans hat z. B. nicht die Hälfte ihres Capitals zusammengebracht." Der Redner ist der Ansicht, daß man gefehlt habe, das Maximum des Tarifs mit 10 Cent. für den Kilometre und auf einen Reisenden zu erhöhen; man müsse den Compagnien freiere Hand in Fixirung ihrer Tarife lassen, die kleinlichen Förmlichkeiten, denen die Compagnien bisher unterworfen gewesen, und die unsäglichen Aufenthalt machten, vereinfachen. Uebrigens behalte er sich vor, bei der Discussion der Artikel sich über die verschiedenen Arten, wie man den Compagnien aufhelfen könne, zu erklären. Die Sitzung ward hierauf geschlossen.

In der Sitzung der Deputirtenkammer am 11 Jun. wurde die Debatte fortgesetzt. Die Hauptredner dieses Tags waren die HH. Duvergier de Hauranne, der Minister Jaubert und der Berichterstatter Gustav v. Beaumont. Wir müssen das Nähere darüber auf morgen verschieben, um für die am folgenden Tage abgegebene wichtige Erklärung des Hrn. Thiers Raum zu gewinnen.

[irrelevantes Material] Die Deputirtenkammer kam am 12 Jun., nachdem sie den Tag zuvor die allgemeine Erörterung über den Eisenbahnentwurf geschlossen hatte, an Erörterung des Art. 1, lautend: "Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist ermächtigt, der Eisenbahncompagnie von Paris nach Orleans ein Zinsminimum von 3 Proc. und 1 Proc. Tilgung während 16 Jahren und 324 Tagen von dem Tag an, wo die Eisenbahn geendigt seyn, und in ihrer ganzen Ausdehnung befahren werden wird, zu garantiren." Es wurden drei Amendements dazu vorgelegt. Eines von Hrn. Luneau, lautend: "Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist ermächtigt, der Compagnie der Eisenbahn von Paris nach Orleans im Namen des Staats eine Summe zu leihen, im Betrag von zwei Fünftheilen des durch die Statuten bestimmten Gesellschaftsfonds, nämlich 16 Millionen." Hr. Luneau hält die Zinsgarantie nur für eine Prämie zur Speculation und Agiotage. Hr. Duchatel spricht für den Commissionsantrag, und behauptet, daß der Beistand, wie ihn Hr. Luneau der Compagnie von Orleans geleistet wünsche, von ihr nicht angenommen werden würde. Dieß komme einer Verwerfung der Ausführung der Eisenbahn, oder wenigstens einer Vertagung auf das nächste Jahr gleich. Alle umgebenden Nationen errichten jetzt Eisenbahnen, nur Frankreich beschäftige sich nicht damit. Das fragliche Amendement stelle nicht die Existenz der Compagnie, sondern die Eisenbahnen selbst in Frage. (Bewegung.) In früherer Zeit habe zwar auch er (der Redner) Gefahr bei der Zinsgarantie gesehen, jetzt habe er sich aber vom Gegentheil überzeugt. Das von Hrn. Luneau aufgestellte Princip, daß man einer Unternehmung das, was man einer andern gewährt hätte, nicht versagen könnte, sey allzu absolut. Der Staat gewähre seinen Schutz mit Unterscheidung

sich über keinen einzelnen Punkt derselben äußern dürfe, daß er aber jedenfalls das Abschließen eines Weinvertrags wie den einmal mit Portugal abgeschlossenen sogenannten Methuen-Tractat für sehr schlechte Politik halte, und daß es auch die Absicht der Regierung nicht seyn könne, einen solchen Vertrag anders als auf Bedingungen der Gegenseitigkeit zu gründen. Hr. W. Miles brachte hierauf seine Verführungsbill (Seductionsbill) zum zweiten Verlesen (bezweckend eine neue den verführten Mädchen größere Leichtigkeit zur Erlangung von Schadenersatz darbietende Gerichtseinrichtung, namentlich Uebertragung der Civiljurisdiction von den Gerichtshöfen zu einem summarischen Tribunal, bestehend nicht aus Geschwornen, sondern aus Magistratspersonen; jeder Mann, der vor diesem Tribunal durch zwei Zeugen überwiesen wäre, das Mädchen unter Eheversprechung verführt zu haben, sollte gehalten seyn, ihr eine Buße von 30 Pfd. zu entrichten. Uebrigens hat Hr. W. Miles – country gentleman – dabei insbesondere den Zustand der Taglöhnerclasse berücksichtigt). Der Attorney-General (Sir John Campbell) widersetzt sich dieser Bill wegen ihrer Mißlichkeit in der Anwendung, wiewohl er den Beweggründen des Verfassers Gerechtigkeit widerfahren läßt. Doch wird bei der Abstimmung das zweite Verlesen der Bill mit 57 gegen 56 Stimmen angenommen.

Frankreich.

Hr. Bouchotte, vormaliger Kriegsminister unter dem Convent ist am 8 Jun. in Metz in einem Alter von 83 Jahren gestorben. Er trat als Obrist in das Ministerium und als Obrist wieder aus, nachdem er mehr als 80 Generale ernannt hatte.

Hr. Lepoitevin, Pair von Frankreich, Ehrenpräsident des Pariser Gerichtshofs, ist am 10 Jun. in Paris in seinem 95sten Jahre gestorben.

In der Deputirtenkammersitzung vom 10 Jun., in welcher die Berathung über die Eisenbahnen begonnen wurde, sagte Hr. Galos: „Ich bin erstaunt, daß diese Discussion, die sich alljährlich erneuert, bis jetzt kein neues Resultat, kein neues Licht gewährt hat. Nicht einmal die Erfahrung kommt uns zu Hülfe. Immer steht die Debatte da, wo sie war, als sie zum erstenmal der Kammer vorgelegt wurde. Dieselbe Ungewißheit, dieselben Meinungsschwankungen herrschen in der Darstellung der Beweggründe und in dem Berichte der Commission. Man fragt sich noch, ob Frankreich hinreichende Capitalien habe, um die Unternehmungen von Eisenbahnen Compagnien zu überlassen. Man ist über die Beziehungen zwischen der Verwaltung und der Privatindustrie noch nicht im Reinen, und doch sollten, so wie man einmal einige große Linien unternehmen will, alle präjudiciellen Fragen untersucht und gelöst seyn. Der Grundübelstand großer Arbeiten in Frankreich liegt in der Unzulänglichkeit der Capitalien; die Privatindustrie wird nie im Stande seyn, beträchtliche Linien zu unternehmen und auszuführen. Bei uns sind die Capitalien immobilisirt, an den Boden gebunden. Die Personen, die besitzen, besitzen wenig, und können nicht einen Theil ihrer Einkünfte in Unternehmungen wagen. In England gibt es große Besitzer, und diese können vereinigt große Summen schießen. Auch ist das in England herrschende Banksystem großen öffentlichen Arbeiten sehr günstig. Ebenso verhält es sich in Amerika. In Frankreich dagegen sind wir schon seit Jahrhunderten gewöhnt, alle Arbeiten von der Verwaltung gemacht zu sehen. Wenn die Regierung Compagnien zur Ausführung großer öffentlicher Arbeiten auffordert, so thut sie unter den geschilderten Umständen etwas Schlimmes und von der gewöhnlichen Norm Abweichendes. Wir sind noch nicht über das Princip selbst einig. Einige wollen die Eisenbahnen von dem Staate gebaut, andere glauben, nur Compagnien können sie mit Nutzen unternehmen. Die Wahrheit ist, daß uns die Capitalien fehlen und daß sich der Associationsgeist noch nicht hinreichend entwickelt hat, damit Compagnien für Arbeiten von solcher Wichtigkeit hinreichen könnten. Andrerseits hat die Regierung von den Compagnien nicht hinreichende Garantie gefordert, und ihnen allzu leichtsinnig einen Theil der Ausübung ihrer eigenen Macht überlassen. In England wird dabei weit mehr Vorsicht beobachtet. Die Compagnien müssen dort gleich anfangs ernstliche Bürgschaften vorlegen. Bei uns sind die Compagnien schlecht organisirt, haben unzureichende Statuten, und die Actionnäre sind nicht fest genug an die wirkliche Zahlung der von ihnen unterschriebenen Capitalien gebunden. Die Compagnie der Eisenbahn von Orleans hat z. B. nicht die Hälfte ihres Capitals zusammengebracht.“ Der Redner ist der Ansicht, daß man gefehlt habe, das Maximum des Tarifs mit 10 Cent. für den Kilometre und auf einen Reisenden zu erhöhen; man müsse den Compagnien freiere Hand in Fixirung ihrer Tarife lassen, die kleinlichen Förmlichkeiten, denen die Compagnien bisher unterworfen gewesen, und die unsäglichen Aufenthalt machten, vereinfachen. Uebrigens behalte er sich vor, bei der Discussion der Artikel sich über die verschiedenen Arten, wie man den Compagnien aufhelfen könne, zu erklären. Die Sitzung ward hierauf geschlossen.

In der Sitzung der Deputirtenkammer am 11 Jun. wurde die Debatte fortgesetzt. Die Hauptredner dieses Tags waren die HH. Duvergier de Hauranne, der Minister Jaubert und der Berichterstatter Gustav v. Beaumont. Wir müssen das Nähere darüber auf morgen verschieben, um für die am folgenden Tage abgegebene wichtige Erklärung des Hrn. Thiers Raum zu gewinnen.

[irrelevantes Material] Die Deputirtenkammer kam am 12 Jun., nachdem sie den Tag zuvor die allgemeine Erörterung über den Eisenbahnentwurf geschlossen hatte, an Erörterung des Art. 1, lautend: „Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist ermächtigt, der Eisenbahncompagnie von Paris nach Orleans ein Zinsminimum von 3 Proc. und 1 Proc. Tilgung während 16 Jahren und 324 Tagen von dem Tag an, wo die Eisenbahn geendigt seyn, und in ihrer ganzen Ausdehnung befahren werden wird, zu garantiren.“ Es wurden drei Amendements dazu vorgelegt. Eines von Hrn. Luneau, lautend: „Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist ermächtigt, der Compagnie der Eisenbahn von Paris nach Orleans im Namen des Staats eine Summe zu leihen, im Betrag von zwei Fünftheilen des durch die Statuten bestimmten Gesellschaftsfonds, nämlich 16 Millionen.“ Hr. Luneau hält die Zinsgarantie nur für eine Prämie zur Speculation und Agiotage. Hr. Duchatel spricht für den Commissionsantrag, und behauptet, daß der Beistand, wie ihn Hr. Luneau der Compagnie von Orleans geleistet wünsche, von ihr nicht angenommen werden würde. Dieß komme einer Verwerfung der Ausführung der Eisenbahn, oder wenigstens einer Vertagung auf das nächste Jahr gleich. Alle umgebenden Nationen errichten jetzt Eisenbahnen, nur Frankreich beschäftige sich nicht damit. Das fragliche Amendement stelle nicht die Existenz der Compagnie, sondern die Eisenbahnen selbst in Frage. (Bewegung.) In früherer Zeit habe zwar auch er (der Redner) Gefahr bei der Zinsgarantie gesehen, jetzt habe er sich aber vom Gegentheil überzeugt. Das von Hrn. Luneau aufgestellte Princip, daß man einer Unternehmung das, was man einer andern gewährt hätte, nicht versagen könnte, sey allzu absolut. Der Staat gewähre seinen Schutz mit Unterscheidung

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[1346/0002] sich über keinen einzelnen Punkt derselben äußern dürfe, daß er aber jedenfalls das Abschließen eines Weinvertrags wie den einmal mit Portugal abgeschlossenen sogenannten Methuen-Tractat für sehr schlechte Politik halte, und daß es auch die Absicht der Regierung nicht seyn könne, einen solchen Vertrag anders als auf Bedingungen der Gegenseitigkeit zu gründen. Hr. W. Miles brachte hierauf seine Verführungsbill (Seductionsbill) zum zweiten Verlesen (bezweckend eine neue den verführten Mädchen größere Leichtigkeit zur Erlangung von Schadenersatz darbietende Gerichtseinrichtung, namentlich Uebertragung der Civiljurisdiction von den Gerichtshöfen zu einem summarischen Tribunal, bestehend nicht aus Geschwornen, sondern aus Magistratspersonen; jeder Mann, der vor diesem Tribunal durch zwei Zeugen überwiesen wäre, das Mädchen unter Eheversprechung verführt zu haben, sollte gehalten seyn, ihr eine Buße von 30 Pfd. zu entrichten. Uebrigens hat Hr. W. Miles – country gentleman – dabei insbesondere den Zustand der Taglöhnerclasse berücksichtigt). Der Attorney-General (Sir John Campbell) widersetzt sich dieser Bill wegen ihrer Mißlichkeit in der Anwendung, wiewohl er den Beweggründen des Verfassers Gerechtigkeit widerfahren läßt. Doch wird bei der Abstimmung das zweite Verlesen der Bill mit 57 gegen 56 Stimmen angenommen. Frankreich. _ Paris, 12 Jun. Hr. Bouchotte, vormaliger Kriegsminister unter dem Convent ist am 8 Jun. in Metz in einem Alter von 83 Jahren gestorben. Er trat als Obrist in das Ministerium und als Obrist wieder aus, nachdem er mehr als 80 Generale ernannt hatte. Hr. Lepoitevin, Pair von Frankreich, Ehrenpräsident des Pariser Gerichtshofs, ist am 10 Jun. in Paris in seinem 95sten Jahre gestorben. In der Deputirtenkammersitzung vom 10 Jun., in welcher die Berathung über die Eisenbahnen begonnen wurde, sagte Hr. Galos: „Ich bin erstaunt, daß diese Discussion, die sich alljährlich erneuert, bis jetzt kein neues Resultat, kein neues Licht gewährt hat. Nicht einmal die Erfahrung kommt uns zu Hülfe. Immer steht die Debatte da, wo sie war, als sie zum erstenmal der Kammer vorgelegt wurde. Dieselbe Ungewißheit, dieselben Meinungsschwankungen herrschen in der Darstellung der Beweggründe und in dem Berichte der Commission. Man fragt sich noch, ob Frankreich hinreichende Capitalien habe, um die Unternehmungen von Eisenbahnen Compagnien zu überlassen. Man ist über die Beziehungen zwischen der Verwaltung und der Privatindustrie noch nicht im Reinen, und doch sollten, so wie man einmal einige große Linien unternehmen will, alle präjudiciellen Fragen untersucht und gelöst seyn. Der Grundübelstand großer Arbeiten in Frankreich liegt in der Unzulänglichkeit der Capitalien; die Privatindustrie wird nie im Stande seyn, beträchtliche Linien zu unternehmen und auszuführen. Bei uns sind die Capitalien immobilisirt, an den Boden gebunden. Die Personen, die besitzen, besitzen wenig, und können nicht einen Theil ihrer Einkünfte in Unternehmungen wagen. In England gibt es große Besitzer, und diese können vereinigt große Summen schießen. Auch ist das in England herrschende Banksystem großen öffentlichen Arbeiten sehr günstig. Ebenso verhält es sich in Amerika. In Frankreich dagegen sind wir schon seit Jahrhunderten gewöhnt, alle Arbeiten von der Verwaltung gemacht zu sehen. Wenn die Regierung Compagnien zur Ausführung großer öffentlicher Arbeiten auffordert, so thut sie unter den geschilderten Umständen etwas Schlimmes und von der gewöhnlichen Norm Abweichendes. Wir sind noch nicht über das Princip selbst einig. Einige wollen die Eisenbahnen von dem Staate gebaut, andere glauben, nur Compagnien können sie mit Nutzen unternehmen. Die Wahrheit ist, daß uns die Capitalien fehlen und daß sich der Associationsgeist noch nicht hinreichend entwickelt hat, damit Compagnien für Arbeiten von solcher Wichtigkeit hinreichen könnten. Andrerseits hat die Regierung von den Compagnien nicht hinreichende Garantie gefordert, und ihnen allzu leichtsinnig einen Theil der Ausübung ihrer eigenen Macht überlassen. In England wird dabei weit mehr Vorsicht beobachtet. Die Compagnien müssen dort gleich anfangs ernstliche Bürgschaften vorlegen. Bei uns sind die Compagnien schlecht organisirt, haben unzureichende Statuten, und die Actionnäre sind nicht fest genug an die wirkliche Zahlung der von ihnen unterschriebenen Capitalien gebunden. Die Compagnie der Eisenbahn von Orleans hat z. B. nicht die Hälfte ihres Capitals zusammengebracht.“ Der Redner ist der Ansicht, daß man gefehlt habe, das Maximum des Tarifs mit 10 Cent. für den Kilometre und auf einen Reisenden zu erhöhen; man müsse den Compagnien freiere Hand in Fixirung ihrer Tarife lassen, die kleinlichen Förmlichkeiten, denen die Compagnien bisher unterworfen gewesen, und die unsäglichen Aufenthalt machten, vereinfachen. Uebrigens behalte er sich vor, bei der Discussion der Artikel sich über die verschiedenen Arten, wie man den Compagnien aufhelfen könne, zu erklären. Die Sitzung ward hierauf geschlossen. In der Sitzung der Deputirtenkammer am 11 Jun. wurde die Debatte fortgesetzt. Die Hauptredner dieses Tags waren die HH. Duvergier de Hauranne, der Minister Jaubert und der Berichterstatter Gustav v. Beaumont. Wir müssen das Nähere darüber auf morgen verschieben, um für die am folgenden Tage abgegebene wichtige Erklärung des Hrn. Thiers Raum zu gewinnen. _ Die Deputirtenkammer kam am 12 Jun., nachdem sie den Tag zuvor die allgemeine Erörterung über den Eisenbahnentwurf geschlossen hatte, an Erörterung des Art. 1, lautend: „Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist ermächtigt, der Eisenbahncompagnie von Paris nach Orleans ein Zinsminimum von 3 Proc. und 1 Proc. Tilgung während 16 Jahren und 324 Tagen von dem Tag an, wo die Eisenbahn geendigt seyn, und in ihrer ganzen Ausdehnung befahren werden wird, zu garantiren.“ Es wurden drei Amendements dazu vorgelegt. Eines von Hrn. Luneau, lautend: „Der Minister der öffentlichen Arbeiten ist ermächtigt, der Compagnie der Eisenbahn von Paris nach Orleans im Namen des Staats eine Summe zu leihen, im Betrag von zwei Fünftheilen des durch die Statuten bestimmten Gesellschaftsfonds, nämlich 16 Millionen.“ Hr. Luneau hält die Zinsgarantie nur für eine Prämie zur Speculation und Agiotage. Hr. Duchatel spricht für den Commissionsantrag, und behauptet, daß der Beistand, wie ihn Hr. Luneau der Compagnie von Orleans geleistet wünsche, von ihr nicht angenommen werden würde. Dieß komme einer Verwerfung der Ausführung der Eisenbahn, oder wenigstens einer Vertagung auf das nächste Jahr gleich. Alle umgebenden Nationen errichten jetzt Eisenbahnen, nur Frankreich beschäftige sich nicht damit. Das fragliche Amendement stelle nicht die Existenz der Compagnie, sondern die Eisenbahnen selbst in Frage. (Bewegung.) In früherer Zeit habe zwar auch er (der Redner) Gefahr bei der Zinsgarantie gesehen, jetzt habe er sich aber vom Gegentheil überzeugt. Das von Hrn. Luneau aufgestellte Princip, daß man einer Unternehmung das, was man einer andern gewährt hätte, nicht versagen könnte, sey allzu absolut. Der Staat gewähre seinen Schutz mit Unterscheidung

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 169. Augsburg, 17. Juni 1840, S. 1346. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_169_18400617/2>, abgerufen am 20.04.2024.