Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 169. Augsburg, 17. Juni 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

haben sich bis jetzt in Unterhandlung mit der Regierung einlassen wollen.

Frankreich.

Lemerciers Leichenbegängniß.

Die Beerdigung Lemerciers hat in einfacher aber würdiger Weise stattgehabt. Die Rede, welche Hr. v. Salvandy, als Director der französischen Akademie, an seinem Grabe hielt, ist rührend, und trägt den Charakter eines innigen, aufrichtigen Gefühls, eines freundschaftlichen, liebevollen Zurufs. Was uns darin besonders wohlgefallen, ist die unbefangene und gerechte Würdigung, welche der Redner den persönlichen Eigenschaften des Verstorbenen als Mensch im Allgemeinen, und seinen politischen Grundsätzen insbesondere angedeihen ließ. Nichts gleicht sich weniger als die politischen Gesinnungen des Verstorbenen und seines Grabredners, und es wäre Hrn. v. Salvandy leicht gewesen, diese Seite Lemerciers mindestens mit Stillschweigen zu übergehen. Statt dessen hat er vielmehr mit einer Offenheit, die ihm zur Ehre gereicht, und mit vielem Nachdruck die Beharrlichkeit hervorgehoben, mit welcher Lemercier während seines ganzen Lebens dem einmal ergriffenen politischen Glaubensbekenntniß treu geblieben ist. Den gelehrten Theil einer gewöhnlichen Leichenrede, die Hervorhebung der akademischen Eigenschaften des Todten dagegen überließ er dem gelehrten Körper selbst und dem Nachfolger des Betrauerten. - Bekanntlich war Lemercier stets ein eifriger Republicaner, und hatte dieser Gesinnung selbst die schmeichelhafte und ihm theuer gewesene Freundschaft Napoleons geopfert. So lange Bonaparte erster Consul war, lebte Lemercier in seinem vertrautesten Umgange, als aber der Vorschlag gemacht wurde, dem ersten Consul die Kaiserkrone aufzusetzen, und als Napoleon, von Lemercier gedrängt, nicht nur nicht widersprach, sondern ihm mit etwas anticipirter Hoheit antwortete, verließ der republicanische Freund die Tuilerien, um sie nie wieder zu betreten; während der ganzen Dauer des Kaiserreichs gehörte Lemercier zu den politischen Gegnern Napoleons, und diesem Umstande wollen selbst Viele zuschreiben, daß er erst im Jahr 1810 den akademischen Sessel erhielt, wiewohl sein Agamemnon bereits im Jahr 1797 erschienen war. Während dreißig Jahre hat er seinen Platz in der Akademie bewahrt, von allen Mitgliedern derselben geehrt und geschätzt, seiner unerschütterlichen Rechtlichkeit und Ueberzeugungstreue wegen, mit welcher er jedwedes Erbieten von politischen Aemtern und Vortheilen ablehnte, um seiner aufgeklärten Anhänglichkeit und Liebe willen, mit welchen er der Litteratur und der Sprache pflegte. Diese doppelte Eigenschaft wird sein Grabstein in bündiger Kürze aussprechen in der von ihm selbst zwei Stunden vor seinem Tode gemachten Inschrift: "Il fut homme de bien, et cultiva les lettres."

Italien.

Zu den bedeutenden Arbeiten, welche sich im Fache der ernsten Kunst hier vorbereiten, gehören die Compositionen des Malers Deger aus Düsseldorf, welcher mit andern Freunden und Kunstgenossen seit längerer Zeit den Auftrag erhalten hat, die Capelle auf dem Apollinarisberg mit religiösen Bildern auszuschmücken. Tief durchdrungen von der Größe der Aufgabe, und nach einem vorgängigen gründlichen Studium der ältesten und ältern christlichen Kunstwerke, namentlich der Florentiner Meister, hat der Künstler bereits etwas vor die Augen gestellt, was überall gerechte Anerkennung, häufig auch enthusiastische Bewunderung gefunden hat. Zu den vollendeten Compositionen gehört die Anbetung der Hirten, die Auferstehung aus der Kreuzigung. Sie sind sämmtlich in farbigen, mit unvergleichlicher Liebe gemachten Zeichnungen ausgeführt.

Der rühmlichst bekannte Bildhauer Emil Wolff aus Berlin hat seine Amazonengruppe in Marmor vollendet: ein Werk bedachten und erfolgreichen Fleißes. Die mitleidsvoll herbeigeeilte Kriegerin stützt ihre tödtlich verwundete Gefährtin. Der Künstler hat die Natur mit scharfen Blicken belauscht, und die Resultate seiner Forschungen auf eine geschmackvolle Weise wiedergegeben; der Ausdruck des verscheidenden Schmerzes und des liebreichen Mitleidens begegnen sich mit weiser Mäßigung. Der Marmorblock ist glücklich gewählt, und das treffliche Material vollendet die schöne Wirkung des Ganzen.

Man spricht von einer Herausgabe des etruskischen Museums des Vaticans, des sogenannten Gregorianum. Die Arbeit scheint Künstlern ausschließlich überlassen zu bleiben; Auswahl und Anordnung mag daher Vieles zu wünschen übrig lassen. Malerische Ansichten sollen genügen. Bei Sr. Heiligkeit hat das Interesse für die vaterländischen Alterthümer gänzlich nachgelassen; das für ägyptische Denkmäler absorbirt Alles. Man klagt sogar über die Unmasse etruskischer Alterthümer. Die Aussicht auf Ausgrabungen auf dem Forum in der Gegend der Basilica Julia verschwindet sonach für die nächste Zeit gänzlich.

Dr. Böhmer, Bibliothekar der Stadt Frankfurt, verweilt seit einigen Wochen bei uns, und benützt die vaticanischen Handschriftenschätze mit rastlosem Fleiß. Leider sieht er sich bei diesem seinem Unternehmen nichts weniger als gefördert. Die Strenge, mit der der Zugang zu der Vaticana bewacht wird, nimmt eher zu als ab. In den Sommermonaten ist einem jeden, selbst den einheimischen Gelehrten der Zutritt streng versagt. Die jährliche Benützung der Vaticana ist sonach auf ungefähr 300 Stunden beschränkt, indem im Ganzen nur hundert Arbeitstage gesetzlich angesetzt sind.

Schweiz.

(Zerwürfnisse zwischen dem reformirten Convent des Kantons Schaffhausen und seinem Dekan Th. Dr. Friedrich Hurter.) Ursprung und nächste Veranlassung derselben war folgendes, nach gerichtlicher Untersuchung als unstatthaft erwiesenes Gerücht: Dr. Hurter habe am Feste des heil. Josephs in der Kirche des Nonnenklosters St. Katharinen-Thal (wohin er mit seiner Frau und dem Hrn. Grafen v. Enzenberg einen kleinen Ausflug gemacht hatte - das Kloster liegt auf dem linken Rheinufer, zwei Stunden oberhalb Schaffhausen im Kanton Thurgau, an der Landstraße nach Constanz) beim Eintritt sich mit Weihwasser besprengt, sich bekreuzigt und sey bei der Elevation anbetend auf die Kniee gefallen. Dieses Gerücht wurde benutzt, um in einem Zeitungsartikel hämische und den Charakter Dr. Hurters verdächtigende Fragen aufzuwerfen. Die Regierung ließ den Urheber des Gerüchts vernehmen, und da kam das Ganze darauf hinaus, was - wenn man dem eben so biedern als geistvollen Mann auch nur die Befolgung der gewöhnlichsten Klugheitsmaaßregeln zutraut, nicht anders zu erwarten war - daß jener gestand: "er könne sich geirrt haben." Hiemit wäre die Sache völlig abgethan und beseitigt gewesen, wenn sich dieselbe nicht durch ein, freilich nicht ganz zufälliges Incidens anders gestaltet und einen bösartigen Charakter angenommen hätte.

Friedrich Hurter gehört im eigentlichsten Sinne zu den außerordentlichern Capacitäten, und muß sich deßhalb in jedem beschränkten Raume beengt fühlen, zudem besitzt er den wahren historischen Sinn; daher er, was die Wissenschaft betrifft, unmöglich

haben sich bis jetzt in Unterhandlung mit der Regierung einlassen wollen.

Frankreich.

Lemerciers Leichenbegängniß.

Die Beerdigung Lemerciers hat in einfacher aber würdiger Weise stattgehabt. Die Rede, welche Hr. v. Salvandy, als Director der französischen Akademie, an seinem Grabe hielt, ist rührend, und trägt den Charakter eines innigen, aufrichtigen Gefühls, eines freundschaftlichen, liebevollen Zurufs. Was uns darin besonders wohlgefallen, ist die unbefangene und gerechte Würdigung, welche der Redner den persönlichen Eigenschaften des Verstorbenen als Mensch im Allgemeinen, und seinen politischen Grundsätzen insbesondere angedeihen ließ. Nichts gleicht sich weniger als die politischen Gesinnungen des Verstorbenen und seines Grabredners, und es wäre Hrn. v. Salvandy leicht gewesen, diese Seite Lemerciers mindestens mit Stillschweigen zu übergehen. Statt dessen hat er vielmehr mit einer Offenheit, die ihm zur Ehre gereicht, und mit vielem Nachdruck die Beharrlichkeit hervorgehoben, mit welcher Lemercier während seines ganzen Lebens dem einmal ergriffenen politischen Glaubensbekenntniß treu geblieben ist. Den gelehrten Theil einer gewöhnlichen Leichenrede, die Hervorhebung der akademischen Eigenschaften des Todten dagegen überließ er dem gelehrten Körper selbst und dem Nachfolger des Betrauerten. – Bekanntlich war Lemercier stets ein eifriger Republicaner, und hatte dieser Gesinnung selbst die schmeichelhafte und ihm theuer gewesene Freundschaft Napoleons geopfert. So lange Bonaparte erster Consul war, lebte Lemercier in seinem vertrautesten Umgange, als aber der Vorschlag gemacht wurde, dem ersten Consul die Kaiserkrone aufzusetzen, und als Napoleon, von Lemercier gedrängt, nicht nur nicht widersprach, sondern ihm mit etwas anticipirter Hoheit antwortete, verließ der republicanische Freund die Tuilerien, um sie nie wieder zu betreten; während der ganzen Dauer des Kaiserreichs gehörte Lemercier zu den politischen Gegnern Napoleons, und diesem Umstande wollen selbst Viele zuschreiben, daß er erst im Jahr 1810 den akademischen Sessel erhielt, wiewohl sein Agamemnon bereits im Jahr 1797 erschienen war. Während dreißig Jahre hat er seinen Platz in der Akademie bewahrt, von allen Mitgliedern derselben geehrt und geschätzt, seiner unerschütterlichen Rechtlichkeit und Ueberzeugungstreue wegen, mit welcher er jedwedes Erbieten von politischen Aemtern und Vortheilen ablehnte, um seiner aufgeklärten Anhänglichkeit und Liebe willen, mit welchen er der Litteratur und der Sprache pflegte. Diese doppelte Eigenschaft wird sein Grabstein in bündiger Kürze aussprechen in der von ihm selbst zwei Stunden vor seinem Tode gemachten Inschrift: „Il fut homme de bien, et cultiva les lettres.“

Italien.

Zu den bedeutenden Arbeiten, welche sich im Fache der ernsten Kunst hier vorbereiten, gehören die Compositionen des Malers Deger aus Düsseldorf, welcher mit andern Freunden und Kunstgenossen seit längerer Zeit den Auftrag erhalten hat, die Capelle auf dem Apollinarisberg mit religiösen Bildern auszuschmücken. Tief durchdrungen von der Größe der Aufgabe, und nach einem vorgängigen gründlichen Studium der ältesten und ältern christlichen Kunstwerke, namentlich der Florentiner Meister, hat der Künstler bereits etwas vor die Augen gestellt, was überall gerechte Anerkennung, häufig auch enthusiastische Bewunderung gefunden hat. Zu den vollendeten Compositionen gehört die Anbetung der Hirten, die Auferstehung aus der Kreuzigung. Sie sind sämmtlich in farbigen, mit unvergleichlicher Liebe gemachten Zeichnungen ausgeführt.

Der rühmlichst bekannte Bildhauer Emil Wolff aus Berlin hat seine Amazonengruppe in Marmor vollendet: ein Werk bedachten und erfolgreichen Fleißes. Die mitleidsvoll herbeigeeilte Kriegerin stützt ihre tödtlich verwundete Gefährtin. Der Künstler hat die Natur mit scharfen Blicken belauscht, und die Resultate seiner Forschungen auf eine geschmackvolle Weise wiedergegeben; der Ausdruck des verscheidenden Schmerzes und des liebreichen Mitleidens begegnen sich mit weiser Mäßigung. Der Marmorblock ist glücklich gewählt, und das treffliche Material vollendet die schöne Wirkung des Ganzen.

Man spricht von einer Herausgabe des etruskischen Museums des Vaticans, des sogenannten Gregorianum. Die Arbeit scheint Künstlern ausschließlich überlassen zu bleiben; Auswahl und Anordnung mag daher Vieles zu wünschen übrig lassen. Malerische Ansichten sollen genügen. Bei Sr. Heiligkeit hat das Interesse für die vaterländischen Alterthümer gänzlich nachgelassen; das für ägyptische Denkmäler absorbirt Alles. Man klagt sogar über die Unmasse etruskischer Alterthümer. Die Aussicht auf Ausgrabungen auf dem Forum in der Gegend der Basilica Julia verschwindet sonach für die nächste Zeit gänzlich.

Dr. Böhmer, Bibliothekar der Stadt Frankfurt, verweilt seit einigen Wochen bei uns, und benützt die vaticanischen Handschriftenschätze mit rastlosem Fleiß. Leider sieht er sich bei diesem seinem Unternehmen nichts weniger als gefördert. Die Strenge, mit der der Zugang zu der Vaticana bewacht wird, nimmt eher zu als ab. In den Sommermonaten ist einem jeden, selbst den einheimischen Gelehrten der Zutritt streng versagt. Die jährliche Benützung der Vaticana ist sonach auf ungefähr 300 Stunden beschränkt, indem im Ganzen nur hundert Arbeitstage gesetzlich angesetzt sind.

Schweiz.

(Zerwürfnisse zwischen dem reformirten Convent des Kantons Schaffhausen und seinem Dekan Th. Dr. Friedrich Hurter.) Ursprung und nächste Veranlassung derselben war folgendes, nach gerichtlicher Untersuchung als unstatthaft erwiesenes Gerücht: Dr. Hurter habe am Feste des heil. Josephs in der Kirche des Nonnenklosters St. Katharinen-Thal (wohin er mit seiner Frau und dem Hrn. Grafen v. Enzenberg einen kleinen Ausflug gemacht hatte – das Kloster liegt auf dem linken Rheinufer, zwei Stunden oberhalb Schaffhausen im Kanton Thurgau, an der Landstraße nach Constanz) beim Eintritt sich mit Weihwasser besprengt, sich bekreuzigt und sey bei der Elevation anbetend auf die Kniee gefallen. Dieses Gerücht wurde benutzt, um in einem Zeitungsartikel hämische und den Charakter Dr. Hurters verdächtigende Fragen aufzuwerfen. Die Regierung ließ den Urheber des Gerüchts vernehmen, und da kam das Ganze darauf hinaus, was – wenn man dem eben so biedern als geistvollen Mann auch nur die Befolgung der gewöhnlichsten Klugheitsmaaßregeln zutraut, nicht anders zu erwarten war – daß jener gestand: „er könne sich geirrt haben.“ Hiemit wäre die Sache völlig abgethan und beseitigt gewesen, wenn sich dieselbe nicht durch ein, freilich nicht ganz zufälliges Incidens anders gestaltet und einen bösartigen Charakter angenommen hätte.

Friedrich Hurter gehört im eigentlichsten Sinne zu den außerordentlichern Capacitäten, und muß sich deßhalb in jedem beschränkten Raume beengt fühlen, zudem besitzt er den wahren historischen Sinn; daher er, was die Wissenschaft betrifft, unmöglich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0011" n="1347"/>
haben sich bis jetzt in Unterhandlung mit der Regierung einlassen wollen.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <p><hi rendition="#g">Lemerciers Leichenbegängniß</hi>.</p><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 11 Jun.</dateline>
          <p> Die Beerdigung Lemerciers hat in einfacher aber würdiger Weise stattgehabt. Die Rede, welche Hr. v. Salvandy, als Director der französischen Akademie, an seinem Grabe hielt, ist rührend, und trägt den Charakter eines innigen, aufrichtigen Gefühls, eines freundschaftlichen, liebevollen Zurufs. Was uns darin besonders wohlgefallen, ist die unbefangene und gerechte Würdigung, welche der Redner den persönlichen Eigenschaften des Verstorbenen als Mensch im Allgemeinen, und seinen politischen Grundsätzen insbesondere angedeihen ließ. Nichts gleicht sich weniger als die politischen Gesinnungen des Verstorbenen und seines Grabredners, und es wäre Hrn. v. Salvandy leicht gewesen, diese Seite Lemerciers mindestens mit Stillschweigen zu übergehen. Statt dessen hat er vielmehr mit einer Offenheit, die ihm zur Ehre gereicht, und mit vielem Nachdruck die Beharrlichkeit hervorgehoben, mit welcher Lemercier während seines ganzen Lebens dem einmal ergriffenen politischen Glaubensbekenntniß treu geblieben ist. Den gelehrten Theil einer gewöhnlichen Leichenrede, die Hervorhebung der akademischen Eigenschaften des Todten dagegen überließ er dem gelehrten Körper selbst und dem Nachfolger des Betrauerten. &#x2013; Bekanntlich war Lemercier stets ein eifriger Republicaner, und hatte dieser Gesinnung selbst die schmeichelhafte und ihm theuer gewesene Freundschaft Napoleons geopfert. So lange Bonaparte erster Consul war, lebte Lemercier in seinem vertrautesten Umgange, als aber der Vorschlag gemacht wurde, dem ersten Consul die Kaiserkrone aufzusetzen, und als Napoleon, von Lemercier gedrängt, nicht nur nicht widersprach, sondern ihm mit etwas anticipirter Hoheit antwortete, verließ der republicanische Freund die Tuilerien, um sie nie wieder zu betreten; während der ganzen Dauer des Kaiserreichs gehörte Lemercier zu den politischen Gegnern Napoleons, und diesem Umstande wollen selbst Viele zuschreiben, daß er erst im Jahr 1810 den akademischen Sessel erhielt, wiewohl sein Agamemnon bereits im Jahr 1797 erschienen war. Während dreißig Jahre hat er seinen Platz in der Akademie bewahrt, von allen Mitgliedern derselben geehrt und geschätzt, seiner unerschütterlichen Rechtlichkeit und Ueberzeugungstreue wegen, mit welcher er jedwedes Erbieten von politischen Aemtern und Vortheilen ablehnte, um seiner aufgeklärten Anhänglichkeit und Liebe willen, mit welchen er der Litteratur und der Sprache pflegte. Diese doppelte Eigenschaft wird sein Grabstein in bündiger Kürze aussprechen in der von ihm selbst zwei Stunden vor seinem Tode gemachten Inschrift: &#x201E;Il fut homme de bien, et cultiva les lettres.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Italien.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Rom,</hi> 6 Jun.</dateline>
          <p> Zu den bedeutenden Arbeiten, welche sich im Fache der ernsten Kunst hier vorbereiten, gehören die Compositionen des Malers <hi rendition="#g">Deger</hi> aus Düsseldorf, welcher mit andern Freunden und Kunstgenossen seit längerer Zeit den Auftrag erhalten hat, die Capelle auf dem Apollinarisberg mit religiösen Bildern auszuschmücken. Tief durchdrungen von der Größe der Aufgabe, und nach einem vorgängigen gründlichen Studium der ältesten und ältern christlichen Kunstwerke, namentlich der Florentiner Meister, hat der Künstler bereits etwas vor die Augen gestellt, was überall gerechte Anerkennung, häufig auch enthusiastische Bewunderung gefunden hat. Zu den vollendeten Compositionen gehört die Anbetung der Hirten, die Auferstehung aus der Kreuzigung. Sie sind sämmtlich in farbigen, mit unvergleichlicher Liebe gemachten Zeichnungen ausgeführt.</p><lb/>
          <p>Der rühmlichst bekannte Bildhauer Emil <hi rendition="#g">Wolff</hi> aus Berlin hat seine Amazonengruppe in Marmor vollendet: ein Werk bedachten und erfolgreichen Fleißes. Die mitleidsvoll herbeigeeilte Kriegerin stützt ihre tödtlich verwundete Gefährtin. Der Künstler hat die Natur mit scharfen Blicken belauscht, und die Resultate seiner Forschungen auf eine geschmackvolle Weise wiedergegeben; der Ausdruck des verscheidenden Schmerzes und des liebreichen Mitleidens begegnen sich mit weiser Mäßigung. Der Marmorblock ist glücklich gewählt, und das treffliche Material vollendet die schöne Wirkung des Ganzen.</p><lb/>
          <p>Man spricht von einer Herausgabe des etruskischen Museums des Vaticans, des sogenannten Gregorianum. Die Arbeit scheint Künstlern ausschließlich überlassen zu bleiben; Auswahl und Anordnung mag daher Vieles zu wünschen übrig lassen. Malerische Ansichten sollen genügen. Bei Sr. Heiligkeit hat das Interesse für die vaterländischen Alterthümer gänzlich nachgelassen; das für ägyptische Denkmäler absorbirt Alles. Man klagt sogar über die Unmasse etruskischer Alterthümer. Die Aussicht auf Ausgrabungen auf dem Forum in der Gegend der Basilica Julia verschwindet sonach für die nächste Zeit gänzlich.</p><lb/>
          <p>Dr. <hi rendition="#g">Böhmer</hi>, Bibliothekar der Stadt Frankfurt, verweilt seit einigen Wochen bei uns, und benützt die vaticanischen Handschriftenschätze mit rastlosem Fleiß. Leider sieht er sich bei diesem seinem Unternehmen nichts weniger als gefördert. Die Strenge, mit der der Zugang zu der Vaticana bewacht wird, nimmt eher zu als ab. In den Sommermonaten ist einem jeden, selbst den einheimischen Gelehrten der Zutritt streng versagt. Die jährliche Benützung der Vaticana ist sonach auf ungefähr 300 Stunden beschränkt, indem im Ganzen nur hundert Arbeitstage gesetzlich angesetzt sind.</p><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jArticle" n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Schweiz.</hi> </head><lb/>
        <p>(<hi rendition="#g">Zerwürfnisse zwischen dem reformirten Convent des Kantons Schaffhausen und seinem Dekan</hi> Th. Dr. <hi rendition="#g">Friedrich Hurter</hi>.) Ursprung und nächste Veranlassung derselben war folgendes, nach gerichtlicher Untersuchung als unstatthaft erwiesenes Gerücht: Dr. <hi rendition="#g">Hurter</hi> habe am Feste des heil. Josephs in der Kirche des Nonnenklosters St. Katharinen-Thal (wohin er mit seiner Frau und dem Hrn. Grafen v. <hi rendition="#g">Enzenberg</hi> einen kleinen Ausflug gemacht hatte &#x2013; das Kloster liegt auf dem linken Rheinufer, zwei Stunden oberhalb Schaffhausen im Kanton Thurgau, an der Landstraße nach Constanz) beim Eintritt sich mit Weihwasser besprengt, sich bekreuzigt und sey bei der Elevation anbetend auf die Kniee gefallen. Dieses Gerücht wurde benutzt, um in einem Zeitungsartikel hämische und den Charakter Dr. Hurters verdächtigende Fragen aufzuwerfen. Die Regierung ließ den Urheber des Gerüchts vernehmen, und da kam das Ganze darauf hinaus, was &#x2013; wenn man dem eben so biedern als geistvollen Mann auch nur die Befolgung der gewöhnlichsten Klugheitsmaaßregeln zutraut, nicht anders zu erwarten war &#x2013; daß jener gestand: &#x201E;<hi rendition="#g">er könne sich geirrt haben</hi>.&#x201C; Hiemit wäre die Sache völlig abgethan und beseitigt gewesen, wenn sich dieselbe nicht durch ein, freilich nicht ganz zufälliges Incidens anders gestaltet und einen bösartigen Charakter angenommen hätte.</p><lb/>
        <p>Friedrich Hurter gehört im eigentlichsten Sinne zu den außerordentlichern Capacitäten, und muß sich deßhalb in jedem beschränkten Raume beengt fühlen, zudem besitzt er den wahren historischen Sinn; daher er, was die Wissenschaft betrifft, unmöglich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[1347/0011] haben sich bis jetzt in Unterhandlung mit der Regierung einlassen wollen. Frankreich. Lemerciers Leichenbegängniß. _ Paris, 11 Jun. Die Beerdigung Lemerciers hat in einfacher aber würdiger Weise stattgehabt. Die Rede, welche Hr. v. Salvandy, als Director der französischen Akademie, an seinem Grabe hielt, ist rührend, und trägt den Charakter eines innigen, aufrichtigen Gefühls, eines freundschaftlichen, liebevollen Zurufs. Was uns darin besonders wohlgefallen, ist die unbefangene und gerechte Würdigung, welche der Redner den persönlichen Eigenschaften des Verstorbenen als Mensch im Allgemeinen, und seinen politischen Grundsätzen insbesondere angedeihen ließ. Nichts gleicht sich weniger als die politischen Gesinnungen des Verstorbenen und seines Grabredners, und es wäre Hrn. v. Salvandy leicht gewesen, diese Seite Lemerciers mindestens mit Stillschweigen zu übergehen. Statt dessen hat er vielmehr mit einer Offenheit, die ihm zur Ehre gereicht, und mit vielem Nachdruck die Beharrlichkeit hervorgehoben, mit welcher Lemercier während seines ganzen Lebens dem einmal ergriffenen politischen Glaubensbekenntniß treu geblieben ist. Den gelehrten Theil einer gewöhnlichen Leichenrede, die Hervorhebung der akademischen Eigenschaften des Todten dagegen überließ er dem gelehrten Körper selbst und dem Nachfolger des Betrauerten. – Bekanntlich war Lemercier stets ein eifriger Republicaner, und hatte dieser Gesinnung selbst die schmeichelhafte und ihm theuer gewesene Freundschaft Napoleons geopfert. So lange Bonaparte erster Consul war, lebte Lemercier in seinem vertrautesten Umgange, als aber der Vorschlag gemacht wurde, dem ersten Consul die Kaiserkrone aufzusetzen, und als Napoleon, von Lemercier gedrängt, nicht nur nicht widersprach, sondern ihm mit etwas anticipirter Hoheit antwortete, verließ der republicanische Freund die Tuilerien, um sie nie wieder zu betreten; während der ganzen Dauer des Kaiserreichs gehörte Lemercier zu den politischen Gegnern Napoleons, und diesem Umstande wollen selbst Viele zuschreiben, daß er erst im Jahr 1810 den akademischen Sessel erhielt, wiewohl sein Agamemnon bereits im Jahr 1797 erschienen war. Während dreißig Jahre hat er seinen Platz in der Akademie bewahrt, von allen Mitgliedern derselben geehrt und geschätzt, seiner unerschütterlichen Rechtlichkeit und Ueberzeugungstreue wegen, mit welcher er jedwedes Erbieten von politischen Aemtern und Vortheilen ablehnte, um seiner aufgeklärten Anhänglichkeit und Liebe willen, mit welchen er der Litteratur und der Sprache pflegte. Diese doppelte Eigenschaft wird sein Grabstein in bündiger Kürze aussprechen in der von ihm selbst zwei Stunden vor seinem Tode gemachten Inschrift: „Il fut homme de bien, et cultiva les lettres.“ Italien. _ Rom, 6 Jun. Zu den bedeutenden Arbeiten, welche sich im Fache der ernsten Kunst hier vorbereiten, gehören die Compositionen des Malers Deger aus Düsseldorf, welcher mit andern Freunden und Kunstgenossen seit längerer Zeit den Auftrag erhalten hat, die Capelle auf dem Apollinarisberg mit religiösen Bildern auszuschmücken. Tief durchdrungen von der Größe der Aufgabe, und nach einem vorgängigen gründlichen Studium der ältesten und ältern christlichen Kunstwerke, namentlich der Florentiner Meister, hat der Künstler bereits etwas vor die Augen gestellt, was überall gerechte Anerkennung, häufig auch enthusiastische Bewunderung gefunden hat. Zu den vollendeten Compositionen gehört die Anbetung der Hirten, die Auferstehung aus der Kreuzigung. Sie sind sämmtlich in farbigen, mit unvergleichlicher Liebe gemachten Zeichnungen ausgeführt. Der rühmlichst bekannte Bildhauer Emil Wolff aus Berlin hat seine Amazonengruppe in Marmor vollendet: ein Werk bedachten und erfolgreichen Fleißes. Die mitleidsvoll herbeigeeilte Kriegerin stützt ihre tödtlich verwundete Gefährtin. Der Künstler hat die Natur mit scharfen Blicken belauscht, und die Resultate seiner Forschungen auf eine geschmackvolle Weise wiedergegeben; der Ausdruck des verscheidenden Schmerzes und des liebreichen Mitleidens begegnen sich mit weiser Mäßigung. Der Marmorblock ist glücklich gewählt, und das treffliche Material vollendet die schöne Wirkung des Ganzen. Man spricht von einer Herausgabe des etruskischen Museums des Vaticans, des sogenannten Gregorianum. Die Arbeit scheint Künstlern ausschließlich überlassen zu bleiben; Auswahl und Anordnung mag daher Vieles zu wünschen übrig lassen. Malerische Ansichten sollen genügen. Bei Sr. Heiligkeit hat das Interesse für die vaterländischen Alterthümer gänzlich nachgelassen; das für ägyptische Denkmäler absorbirt Alles. Man klagt sogar über die Unmasse etruskischer Alterthümer. Die Aussicht auf Ausgrabungen auf dem Forum in der Gegend der Basilica Julia verschwindet sonach für die nächste Zeit gänzlich. Dr. Böhmer, Bibliothekar der Stadt Frankfurt, verweilt seit einigen Wochen bei uns, und benützt die vaticanischen Handschriftenschätze mit rastlosem Fleiß. Leider sieht er sich bei diesem seinem Unternehmen nichts weniger als gefördert. Die Strenge, mit der der Zugang zu der Vaticana bewacht wird, nimmt eher zu als ab. In den Sommermonaten ist einem jeden, selbst den einheimischen Gelehrten der Zutritt streng versagt. Die jährliche Benützung der Vaticana ist sonach auf ungefähr 300 Stunden beschränkt, indem im Ganzen nur hundert Arbeitstage gesetzlich angesetzt sind. Schweiz. (Zerwürfnisse zwischen dem reformirten Convent des Kantons Schaffhausen und seinem Dekan Th. Dr. Friedrich Hurter.) Ursprung und nächste Veranlassung derselben war folgendes, nach gerichtlicher Untersuchung als unstatthaft erwiesenes Gerücht: Dr. Hurter habe am Feste des heil. Josephs in der Kirche des Nonnenklosters St. Katharinen-Thal (wohin er mit seiner Frau und dem Hrn. Grafen v. Enzenberg einen kleinen Ausflug gemacht hatte – das Kloster liegt auf dem linken Rheinufer, zwei Stunden oberhalb Schaffhausen im Kanton Thurgau, an der Landstraße nach Constanz) beim Eintritt sich mit Weihwasser besprengt, sich bekreuzigt und sey bei der Elevation anbetend auf die Kniee gefallen. Dieses Gerücht wurde benutzt, um in einem Zeitungsartikel hämische und den Charakter Dr. Hurters verdächtigende Fragen aufzuwerfen. Die Regierung ließ den Urheber des Gerüchts vernehmen, und da kam das Ganze darauf hinaus, was – wenn man dem eben so biedern als geistvollen Mann auch nur die Befolgung der gewöhnlichsten Klugheitsmaaßregeln zutraut, nicht anders zu erwarten war – daß jener gestand: „er könne sich geirrt haben.“ Hiemit wäre die Sache völlig abgethan und beseitigt gewesen, wenn sich dieselbe nicht durch ein, freilich nicht ganz zufälliges Incidens anders gestaltet und einen bösartigen Charakter angenommen hätte. Friedrich Hurter gehört im eigentlichsten Sinne zu den außerordentlichern Capacitäten, und muß sich deßhalb in jedem beschränkten Raume beengt fühlen, zudem besitzt er den wahren historischen Sinn; daher er, was die Wissenschaft betrifft, unmöglich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (?): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_169_18400617
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_169_18400617/11
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 169. Augsburg, 17. Juni 1840, S. 1347. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_169_18400617/11>, abgerufen am 16.04.2024.