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Allgemeine Zeitung. Nr. 154. Augsburg, 2. Juni 1840.

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gefällt, und ihrem Gotte Weihrauch streuen nach Herzenslust, die Kammer aber hatte einestheils mit Würde die dem großen Namen geschuldete Feier zu bewilligen, und anderntheils sich gegen einen durch nichts zu entschuldigenden Götzendienst und einen militärischen Taumel zu verwahren. Wir können uns nicht überzeugen, daß sie dieser Aufgabe untreu geworden sey.

(Die Juden und die Presse in Paris.) Ueber die Blutfrage von Damaskus haben norddeutsche Blätter mehrere Mittheilungen geliefert, welche theils von Paris, theils von Leipzig datirt, aber wohl aus derselben Feder geflossen sind, und, im Interesse einer gewissen Clique, das Urtheil des deutschen Publicums irre leiten sollen. Wir lassen die Persönlichkeit und die Motive jenes Berichterstatters unbeleuchtet, enthalten uns auch aller Untersuchung der Damascener Vorgänge; nur über das, was in Beziehung derselben von den hiesigen Juden und der hiesigen Presse gesagt wurde, erlauben wir uns einige berichtigende Bemerkungen. Aber auch bei dieser Aufgabe leitet uns mehr das Interesse der Wahrheit als der Personen; und was gar die Juden betrifft, so ist es möglich, daß unser Zeugniß eher gegen sie als für sie spräche. - Wahrlich, wir würden die Juden von Paris eher loben als tadeln, wenn sie, wie die erwähnten norddeutschen Blätter meldeten, für ihre unglücklichen Glaubensbrüder in Damaskus einen so großen Eifer an den Tag legten und zur Ehrenrettung ihrer verleumdeten Religion keine Geldopfer scheuten. Aber es ist nicht der Fall. Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emancipirt, als daß die Stammesbande nicht sehr gelockert wären, sie sind fast ganz untergegangen, oder, besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität; sie sind gerade eben solche Franzosen wie die andern, und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die 24 Stunden, und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern! - und das gilt von den Bessern. Viele unter ihnen üben noch den jüdischen Cerimonialdienst, den äußerlichen Cultus, mechanisch, ohne zu wissen warum, aus alter Gewohnheit; von innerm Glauben keine Spur, denn in der Synagoge ebenso wie in der christlichen Kirche hat die witzige Säure der Voltaire'schen Kritik zerstörend gewirkt. Bei den französischen Juden, wie bei den übrigen Franzosen, ist das Gold der Gott des Tages und die Industrie ist die herrschende Religion. In dieser Beziehung dürfte man die hiesigen Juden in zwei Secten eintheilen: in die Secte der rive droite und die Secte der rive gauche; diese Namen haben nämlich Bezug auf die beiden Eisenbahnen, welche, die eine längs dem rechten Seine-Ufer, die andere dem linken Ufer entlang, nach Versailles führen, und von zwei berühmten Finanzrabbinen geleitet werden, die mit einander eben so divergirend hadern, wie einst Rabbi Samai und Rabbi Hillel in der älteren Stadt Babylon. - Wir müssen dem Großrabbi der rive droite, dem Baron Rothschild, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er für das Haus Israel eine edlere Sympathie an den Tag legte als sein schriftgelehrter Antagonist, der Großrabbi der rive gauche, Hr. Benoit Fould, der, während in Syrien, auf Anreizung eines französischen Consuls, seine Glaubensbrüder gefoltert und gewürgt wurden, mit der unerschütterlichen Seelenruhe eines Hillel, in der französischen Deputirtenkammer einige schöne Reden hielt über die Conversion der Renten und den Disconto der Bank. - Das Interesse, welches die hiesigen Juden an der Tragödie von Damaskus nahmen, reducirt sich auf sehr geringfügige Manifestationen. Das israelitische Consistorium, in der lauen Weise aller Körperschaften, versammelte sich und deliberirte; das einzige Resultat dieser Deliberationen war die Meinung, daß man die Actenstücke des Processes zur öffentlichen Kunde bringen müsse. Hr. Cremieur, der berühmte Advocat, welcher nicht bloß den Juden, sondern den Unterdrückten aller Confessionen und aller Doctrinen, zu jeder Zeit seine großmüthige Beredsamkeit gewidmet, unterzog sich der obenerwähnten Publication, und mit Ausnahme einer schönen Frau und einiger jungen Gelehrten, ist wohl Hr. Cremieur der einzige in Paris, der sich der Sache Israels thätig annahm. Mit der größten Aufopferung seiner persönlichen Interessen, mit Verachtung jeder lauernden Hinterlist, trat er den gehässigsten Insinuationen rücksichtslos entgegen, und erbot sich sogar nach Aegypten zu reisen, wenn dort der Proceß der Damascener Juden vor das Tribunal des Pascha Mehemed Ali gezogen werden sollte. Der ungetreue Berichterstatter in den erwähnten Norddeutschen Blättern insinuirt, mit perfider Nebenbemerkung, daß Hr. Cremieur die Entgegnung, womit er die falschen Missionsberichte in den hiesigen Zeitungen zu entkräften wußte, als Inserat druckte und die übliche Gebühr dafür entrichtete. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß die Journalredactionen sich bereitwillig erklärten, jene Entgegnung ganz gebührfrei einzurücken, wenn man einige Tage warten wolle, und nur auf Verlangen des schleunigsten Abdrucks berechneten einige Redactionen die Kosten eines Supplementblattes, die wahrlich nicht von großem Belange, wenn man die Geldkräfte des israelitischen Consistoriums bedenkt. Die Geldkräfte der Juden sind in der That groß, aber die Erfahrung lehrt, daß ihr Geiz noch weit größer ist. Eines der hochgeschätztesten Mitglieder des hiesigen Consistoriums - man schätzt ihn nämlich auf einige 30 Millionen Francs - Hr. W. de ......, gäbe vielleicht keine 100 Franken, wenn man zu ihm käme mit einer Collecte für die Rettung seines Stammes! Es ist eine alte, klägliche, aber noch immer nicht abgenutzte Erfindung, daß man demjenigen, der zur Vertheidigung der Juden seine Stimme erhebt, die unlautersten Geldmotive zuschreibt; ich bin überzeugt, nie hat Israel Geld gegeben, wenn man ihm nicht gewaltsam die Zähne ausriß, wie zur Zeit der Valois. Als ich unlängst die Histoire des Juifs von Basnage durchblätterte, mußte ich herzlich lachen über die Naivetät, womit der Autor, welchen seine Gegner anklagten, als habe er Geld von den Juden empfangen, sich gegen solche Beschuldigung vertheidigte; ich glaube ihm aufs Wort, wenn er wehmüthig hinzusetzt: le peuple juif est le peuple le plus ingrat qu'il-y-ait au monde! Hie und da freilich gibt es Beispiele, daß die Eitelkeit die verstockten Taschen der Juden zu erschließen verstand, aber dann war ihre Liberalität noch widerwärtiger als ihre Knickerei. Ein ehemaliger preußischer Lieferant, welcher, anspielend auf seinen hebräischen Namen Moses (Moses heißt nämlich auf Deutsch "aus dem Wasser gezogen," auf Italienisch "del mare") den dem letztern entsprechenden klangvolleren Namen eines Baron ...... angenommen hat, stiftete hier vor einiger Zeit eine Erziehungsanstalt für verarmte junge Adelige, wozu er über anderthalb Millionen Francs aussetzte, eine noble That, die ihm im Faurbourg Saint-Germain so hoch angerechnet wurde, daß dort selbst die stolzältesten Douairieren und die schnippisch jüngsten Fräulein jetzt nicht mehr laut über ihn spötteln. Hat dieser Edelmann aus dem Stamme David auch nur einen Pfennig beigesteuert bei einer Collecte für die Interessen der Juden? Ich möchte mich dafür verbürgen, daß ein anderer aus dem Wasser gezogener Baron, der im edlen Faurbourg den Gentil - homme catholique und großen Schriftsteller spielt, weder mit seinem Gelde noch mit seiner Feder für die Stammesgenossen thätig war. Hier muß ich eine Bemerkung aussprechen, die vielleicht die bitterste. Unter den getauften Juden sind viele, die aus feiger Hypokrisie über Israel noch ärgere Mißreden führen, als dessen geborne Feinde. In der

gefällt, und ihrem Gotte Weihrauch streuen nach Herzenslust, die Kammer aber hatte einestheils mit Würde die dem großen Namen geschuldete Feier zu bewilligen, und anderntheils sich gegen einen durch nichts zu entschuldigenden Götzendienst und einen militärischen Taumel zu verwahren. Wir können uns nicht überzeugen, daß sie dieser Aufgabe untreu geworden sey.

(Die Juden und die Presse in Paris.) Ueber die Blutfrage von Damaskus haben norddeutsche Blätter mehrere Mittheilungen geliefert, welche theils von Paris, theils von Leipzig datirt, aber wohl aus derselben Feder geflossen sind, und, im Interesse einer gewissen Clique, das Urtheil des deutschen Publicums irre leiten sollen. Wir lassen die Persönlichkeit und die Motive jenes Berichterstatters unbeleuchtet, enthalten uns auch aller Untersuchung der Damascener Vorgänge; nur über das, was in Beziehung derselben von den hiesigen Juden und der hiesigen Presse gesagt wurde, erlauben wir uns einige berichtigende Bemerkungen. Aber auch bei dieser Aufgabe leitet uns mehr das Interesse der Wahrheit als der Personen; und was gar die Juden betrifft, so ist es möglich, daß unser Zeugniß eher gegen sie als für sie spräche. – Wahrlich, wir würden die Juden von Paris eher loben als tadeln, wenn sie, wie die erwähnten norddeutschen Blätter meldeten, für ihre unglücklichen Glaubensbrüder in Damaskus einen so großen Eifer an den Tag legten und zur Ehrenrettung ihrer verleumdeten Religion keine Geldopfer scheuten. Aber es ist nicht der Fall. Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emancipirt, als daß die Stammesbande nicht sehr gelockert wären, sie sind fast ganz untergegangen, oder, besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität; sie sind gerade eben solche Franzosen wie die andern, und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die 24 Stunden, und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern! – und das gilt von den Bessern. Viele unter ihnen üben noch den jüdischen Cerimonialdienst, den äußerlichen Cultus, mechanisch, ohne zu wissen warum, aus alter Gewohnheit; von innerm Glauben keine Spur, denn in der Synagoge ebenso wie in der christlichen Kirche hat die witzige Säure der Voltaire'schen Kritik zerstörend gewirkt. Bei den französischen Juden, wie bei den übrigen Franzosen, ist das Gold der Gott des Tages und die Industrie ist die herrschende Religion. In dieser Beziehung dürfte man die hiesigen Juden in zwei Secten eintheilen: in die Secte der rive droite und die Secte der rive gauche; diese Namen haben nämlich Bezug auf die beiden Eisenbahnen, welche, die eine längs dem rechten Seine-Ufer, die andere dem linken Ufer entlang, nach Versailles führen, und von zwei berühmten Finanzrabbinen geleitet werden, die mit einander eben so divergirend hadern, wie einst Rabbi Samai und Rabbi Hillel in der älteren Stadt Babylon. – Wir müssen dem Großrabbi der rive droite, dem Baron Rothschild, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er für das Haus Israel eine edlere Sympathie an den Tag legte als sein schriftgelehrter Antagonist, der Großrabbi der rive gauche, Hr. Benoit Fould, der, während in Syrien, auf Anreizung eines französischen Consuls, seine Glaubensbrüder gefoltert und gewürgt wurden, mit der unerschütterlichen Seelenruhe eines Hillel, in der französischen Deputirtenkammer einige schöne Reden hielt über die Conversion der Renten und den Disconto der Bank. – Das Interesse, welches die hiesigen Juden an der Tragödie von Damaskus nahmen, reducirt sich auf sehr geringfügige Manifestationen. Das israelitische Consistorium, in der lauen Weise aller Körperschaften, versammelte sich und deliberirte; das einzige Resultat dieser Deliberationen war die Meinung, daß man die Actenstücke des Processes zur öffentlichen Kunde bringen müsse. Hr. Cremieur, der berühmte Advocat, welcher nicht bloß den Juden, sondern den Unterdrückten aller Confessionen und aller Doctrinen, zu jeder Zeit seine großmüthige Beredsamkeit gewidmet, unterzog sich der obenerwähnten Publication, und mit Ausnahme einer schönen Frau und einiger jungen Gelehrten, ist wohl Hr. Cremieur der einzige in Paris, der sich der Sache Israels thätig annahm. Mit der größten Aufopferung seiner persönlichen Interessen, mit Verachtung jeder lauernden Hinterlist, trat er den gehässigsten Insinuationen rücksichtslos entgegen, und erbot sich sogar nach Aegypten zu reisen, wenn dort der Proceß der Damascener Juden vor das Tribunal des Pascha Mehemed Ali gezogen werden sollte. Der ungetreue Berichterstatter in den erwähnten Norddeutschen Blättern insinuirt, mit perfider Nebenbemerkung, daß Hr. Cremieur die Entgegnung, womit er die falschen Missionsberichte in den hiesigen Zeitungen zu entkräften wußte, als Inserat druckte und die übliche Gebühr dafür entrichtete. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß die Journalredactionen sich bereitwillig erklärten, jene Entgegnung ganz gebührfrei einzurücken, wenn man einige Tage warten wolle, und nur auf Verlangen des schleunigsten Abdrucks berechneten einige Redactionen die Kosten eines Supplementblattes, die wahrlich nicht von großem Belange, wenn man die Geldkräfte des israelitischen Consistoriums bedenkt. Die Geldkräfte der Juden sind in der That groß, aber die Erfahrung lehrt, daß ihr Geiz noch weit größer ist. Eines der hochgeschätztesten Mitglieder des hiesigen Consistoriums – man schätzt ihn nämlich auf einige 30 Millionen Francs – Hr. W. de ......, gäbe vielleicht keine 100 Franken, wenn man zu ihm käme mit einer Collecte für die Rettung seines Stammes! Es ist eine alte, klägliche, aber noch immer nicht abgenutzte Erfindung, daß man demjenigen, der zur Vertheidigung der Juden seine Stimme erhebt, die unlautersten Geldmotive zuschreibt; ich bin überzeugt, nie hat Israel Geld gegeben, wenn man ihm nicht gewaltsam die Zähne ausriß, wie zur Zeit der Valois. Als ich unlängst die Histoire des Juifs von Basnage durchblätterte, mußte ich herzlich lachen über die Naivetät, womit der Autor, welchen seine Gegner anklagten, als habe er Geld von den Juden empfangen, sich gegen solche Beschuldigung vertheidigte; ich glaube ihm aufs Wort, wenn er wehmüthig hinzusetzt: le peuple juif est le peuple le plus ingrat qu'il-y-ait au monde! Hie und da freilich gibt es Beispiele, daß die Eitelkeit die verstockten Taschen der Juden zu erschließen verstand, aber dann war ihre Liberalität noch widerwärtiger als ihre Knickerei. Ein ehemaliger preußischer Lieferant, welcher, anspielend auf seinen hebräischen Namen Moses (Moses heißt nämlich auf Deutsch „aus dem Wasser gezogen,“ auf Italienisch „del mare“) den dem letztern entsprechenden klangvolleren Namen eines Baron ...... angenommen hat, stiftete hier vor einiger Zeit eine Erziehungsanstalt für verarmte junge Adelige, wozu er über anderthalb Millionen Francs aussetzte, eine noble That, die ihm im Faurbourg Saint-Germain so hoch angerechnet wurde, daß dort selbst die stolzältesten Douairieren und die schnippisch jüngsten Fräulein jetzt nicht mehr laut über ihn spötteln. Hat dieser Edelmann aus dem Stamme David auch nur einen Pfennig beigesteuert bei einer Collecte für die Interessen der Juden? Ich möchte mich dafür verbürgen, daß ein anderer aus dem Wasser gezogener Baron, der im edlen Faurbourg den Gentil - homme catholique und großen Schriftsteller spielt, weder mit seinem Gelde noch mit seiner Feder für die Stammesgenossen thätig war. Hier muß ich eine Bemerkung aussprechen, die vielleicht die bitterste. Unter den getauften Juden sind viele, die aus feiger Hypokrisie über Israel noch ärgere Mißreden führen, als dessen geborne Feinde. In der

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Aber auch bei dieser Aufgabe leitet uns mehr das Interesse der Wahrheit als der Personen; und was gar die Juden betrifft, so ist es möglich, daß unser Zeugniß eher gegen sie als für sie spräche. &#x2013; Wahrlich, wir würden die Juden von Paris eher loben als tadeln, wenn sie, wie die erwähnten norddeutschen Blätter meldeten, für ihre unglücklichen Glaubensbrüder in Damaskus einen so großen Eifer an den Tag legten und zur Ehrenrettung ihrer verleumdeten Religion keine Geldopfer scheuten. Aber es ist nicht der Fall. Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emancipirt, als daß die Stammesbande nicht sehr gelockert wären, sie sind fast ganz untergegangen, oder, besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität; sie sind gerade eben solche Franzosen wie die andern, und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die 24 Stunden, und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern! &#x2013; und das gilt von den Bessern. Viele unter ihnen üben noch den jüdischen Cerimonialdienst, den äußerlichen Cultus, mechanisch, ohne zu wissen warum, aus alter Gewohnheit; von innerm Glauben keine Spur, denn in der Synagoge ebenso wie in der christlichen Kirche hat die witzige Säure der Voltaire'schen Kritik zerstörend gewirkt. Bei den französischen Juden, wie bei den übrigen Franzosen, ist das Gold der Gott des Tages und die Industrie ist die herrschende Religion. In dieser Beziehung dürfte man die hiesigen Juden in zwei Secten eintheilen: in die Secte der rive droite und die Secte der rive gauche; diese Namen haben nämlich Bezug auf die beiden Eisenbahnen, welche, die eine längs dem rechten Seine-Ufer, die andere dem linken Ufer entlang, nach Versailles führen, und von zwei berühmten Finanzrabbinen geleitet werden, die mit einander eben so divergirend hadern, wie einst Rabbi Samai und Rabbi Hillel in der älteren Stadt Babylon. &#x2013; Wir müssen dem Großrabbi der rive droite, dem Baron Rothschild, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er für das Haus Israel eine edlere Sympathie an den Tag legte als sein schriftgelehrter Antagonist, der Großrabbi der rive gauche, Hr. Benoit Fould, der, während in Syrien, auf Anreizung eines französischen Consuls, seine Glaubensbrüder gefoltert und gewürgt wurden, mit der unerschütterlichen Seelenruhe eines Hillel, in der französischen Deputirtenkammer einige schöne Reden hielt über die Conversion der Renten und den Disconto der Bank. &#x2013; Das Interesse, welches die hiesigen Juden an der Tragödie von Damaskus nahmen, reducirt sich auf sehr geringfügige Manifestationen. Das israelitische Consistorium, in der lauen Weise aller Körperschaften, versammelte sich und deliberirte; das einzige Resultat dieser Deliberationen war die Meinung, daß man die Actenstücke des Processes zur öffentlichen Kunde bringen müsse. Hr. Cremieur, der berühmte Advocat, welcher nicht bloß den Juden, sondern den Unterdrückten aller Confessionen und aller Doctrinen, zu jeder Zeit seine großmüthige Beredsamkeit gewidmet, unterzog sich der obenerwähnten Publication, und mit Ausnahme einer schönen Frau und einiger jungen Gelehrten, ist wohl Hr. Cremieur der einzige in Paris, der sich der Sache Israels thätig annahm. Mit der größten Aufopferung seiner persönlichen Interessen, mit Verachtung jeder lauernden Hinterlist, trat er den gehässigsten Insinuationen rücksichtslos entgegen, und erbot sich sogar nach Aegypten zu reisen, wenn dort der Proceß der Damascener Juden vor das Tribunal des Pascha Mehemed Ali gezogen werden sollte. Der ungetreue Berichterstatter in den erwähnten Norddeutschen Blättern insinuirt, mit perfider Nebenbemerkung, daß Hr. Cremieur die Entgegnung, womit er die falschen Missionsberichte in den hiesigen Zeitungen zu entkräften wußte, als Inserat druckte und die übliche Gebühr dafür entrichtete. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß die Journalredactionen sich bereitwillig erklärten, jene Entgegnung ganz gebührfrei einzurücken, wenn man einige Tage warten wolle, und nur auf Verlangen des schleunigsten Abdrucks berechneten einige Redactionen die Kosten eines Supplementblattes, die wahrlich nicht von großem Belange, wenn man die Geldkräfte des israelitischen Consistoriums bedenkt. Die Geldkräfte der Juden sind in der That groß, aber die Erfahrung lehrt, daß ihr Geiz noch weit größer ist. Eines der hochgeschätztesten Mitglieder des hiesigen Consistoriums &#x2013; man schätzt ihn nämlich auf einige 30 Millionen Francs &#x2013; Hr. W. de ......, gäbe vielleicht keine 100 Franken, wenn man zu ihm käme mit einer Collecte für die Rettung seines Stammes! Es ist eine alte, klägliche, aber noch immer nicht abgenutzte Erfindung, daß man demjenigen, der zur Vertheidigung der Juden seine Stimme erhebt, die unlautersten Geldmotive zuschreibt; ich bin überzeugt, nie hat Israel Geld gegeben, wenn man ihm nicht gewaltsam die Zähne ausriß, wie zur Zeit der Valois. Als ich unlängst die Histoire des Juifs von Basnage durchblätterte, mußte ich herzlich lachen über die Naivetät, womit der Autor, welchen seine Gegner anklagten, als habe er Geld von den Juden empfangen, sich gegen solche Beschuldigung vertheidigte; ich glaube ihm aufs Wort, wenn er wehmüthig hinzusetzt: le peuple juif est le peuple le plus ingrat qu'il-y-ait au monde! Hie und da freilich gibt es Beispiele, daß die Eitelkeit die verstockten Taschen der Juden zu erschließen verstand, aber dann war ihre Liberalität noch widerwärtiger als ihre Knickerei. 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Ich möchte mich dafür verbürgen, daß ein anderer aus dem Wasser gezogener Baron, der im edlen Faurbourg den Gentil - homme catholique und großen Schriftsteller spielt, weder mit seinem Gelde noch mit seiner Feder für die Stammesgenossen thätig war. Hier muß ich eine Bemerkung aussprechen, die vielleicht die bitterste. Unter den getauften Juden sind viele, die aus feiger Hypokrisie über Israel noch ärgere Mißreden führen, als dessen geborne Feinde. In der<lb/></p>
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[1229/0005] gefällt, und ihrem Gotte Weihrauch streuen nach Herzenslust, die Kammer aber hatte einestheils mit Würde die dem großen Namen geschuldete Feier zu bewilligen, und anderntheils sich gegen einen durch nichts zu entschuldigenden Götzendienst und einen militärischen Taumel zu verwahren. Wir können uns nicht überzeugen, daß sie dieser Aufgabe untreu geworden sey. _ Paris, 27 Mai. (Die Juden und die Presse in Paris.) Ueber die Blutfrage von Damaskus haben norddeutsche Blätter mehrere Mittheilungen geliefert, welche theils von Paris, theils von Leipzig datirt, aber wohl aus derselben Feder geflossen sind, und, im Interesse einer gewissen Clique, das Urtheil des deutschen Publicums irre leiten sollen. Wir lassen die Persönlichkeit und die Motive jenes Berichterstatters unbeleuchtet, enthalten uns auch aller Untersuchung der Damascener Vorgänge; nur über das, was in Beziehung derselben von den hiesigen Juden und der hiesigen Presse gesagt wurde, erlauben wir uns einige berichtigende Bemerkungen. Aber auch bei dieser Aufgabe leitet uns mehr das Interesse der Wahrheit als der Personen; und was gar die Juden betrifft, so ist es möglich, daß unser Zeugniß eher gegen sie als für sie spräche. – Wahrlich, wir würden die Juden von Paris eher loben als tadeln, wenn sie, wie die erwähnten norddeutschen Blätter meldeten, für ihre unglücklichen Glaubensbrüder in Damaskus einen so großen Eifer an den Tag legten und zur Ehrenrettung ihrer verleumdeten Religion keine Geldopfer scheuten. Aber es ist nicht der Fall. Die Juden in Frankreich sind schon zu lange emancipirt, als daß die Stammesbande nicht sehr gelockert wären, sie sind fast ganz untergegangen, oder, besser gesagt, aufgegangen in der französischen Nationalität; sie sind gerade eben solche Franzosen wie die andern, und haben also auch Anwandlungen von Enthusiasmus, die 24 Stunden, und, wenn die Sonne heiß ist, sogar drei Tage dauern! – und das gilt von den Bessern. Viele unter ihnen üben noch den jüdischen Cerimonialdienst, den äußerlichen Cultus, mechanisch, ohne zu wissen warum, aus alter Gewohnheit; von innerm Glauben keine Spur, denn in der Synagoge ebenso wie in der christlichen Kirche hat die witzige Säure der Voltaire'schen Kritik zerstörend gewirkt. Bei den französischen Juden, wie bei den übrigen Franzosen, ist das Gold der Gott des Tages und die Industrie ist die herrschende Religion. In dieser Beziehung dürfte man die hiesigen Juden in zwei Secten eintheilen: in die Secte der rive droite und die Secte der rive gauche; diese Namen haben nämlich Bezug auf die beiden Eisenbahnen, welche, die eine längs dem rechten Seine-Ufer, die andere dem linken Ufer entlang, nach Versailles führen, und von zwei berühmten Finanzrabbinen geleitet werden, die mit einander eben so divergirend hadern, wie einst Rabbi Samai und Rabbi Hillel in der älteren Stadt Babylon. – Wir müssen dem Großrabbi der rive droite, dem Baron Rothschild, die Gerechtigkeit widerfahren lassen, daß er für das Haus Israel eine edlere Sympathie an den Tag legte als sein schriftgelehrter Antagonist, der Großrabbi der rive gauche, Hr. Benoit Fould, der, während in Syrien, auf Anreizung eines französischen Consuls, seine Glaubensbrüder gefoltert und gewürgt wurden, mit der unerschütterlichen Seelenruhe eines Hillel, in der französischen Deputirtenkammer einige schöne Reden hielt über die Conversion der Renten und den Disconto der Bank. – Das Interesse, welches die hiesigen Juden an der Tragödie von Damaskus nahmen, reducirt sich auf sehr geringfügige Manifestationen. Das israelitische Consistorium, in der lauen Weise aller Körperschaften, versammelte sich und deliberirte; das einzige Resultat dieser Deliberationen war die Meinung, daß man die Actenstücke des Processes zur öffentlichen Kunde bringen müsse. Hr. Cremieur, der berühmte Advocat, welcher nicht bloß den Juden, sondern den Unterdrückten aller Confessionen und aller Doctrinen, zu jeder Zeit seine großmüthige Beredsamkeit gewidmet, unterzog sich der obenerwähnten Publication, und mit Ausnahme einer schönen Frau und einiger jungen Gelehrten, ist wohl Hr. Cremieur der einzige in Paris, der sich der Sache Israels thätig annahm. Mit der größten Aufopferung seiner persönlichen Interessen, mit Verachtung jeder lauernden Hinterlist, trat er den gehässigsten Insinuationen rücksichtslos entgegen, und erbot sich sogar nach Aegypten zu reisen, wenn dort der Proceß der Damascener Juden vor das Tribunal des Pascha Mehemed Ali gezogen werden sollte. Der ungetreue Berichterstatter in den erwähnten Norddeutschen Blättern insinuirt, mit perfider Nebenbemerkung, daß Hr. Cremieur die Entgegnung, womit er die falschen Missionsberichte in den hiesigen Zeitungen zu entkräften wußte, als Inserat druckte und die übliche Gebühr dafür entrichtete. Wir wissen aus sicherer Quelle, daß die Journalredactionen sich bereitwillig erklärten, jene Entgegnung ganz gebührfrei einzurücken, wenn man einige Tage warten wolle, und nur auf Verlangen des schleunigsten Abdrucks berechneten einige Redactionen die Kosten eines Supplementblattes, die wahrlich nicht von großem Belange, wenn man die Geldkräfte des israelitischen Consistoriums bedenkt. Die Geldkräfte der Juden sind in der That groß, aber die Erfahrung lehrt, daß ihr Geiz noch weit größer ist. Eines der hochgeschätztesten Mitglieder des hiesigen Consistoriums – man schätzt ihn nämlich auf einige 30 Millionen Francs – Hr. W. de ......, gäbe vielleicht keine 100 Franken, wenn man zu ihm käme mit einer Collecte für die Rettung seines Stammes! Es ist eine alte, klägliche, aber noch immer nicht abgenutzte Erfindung, daß man demjenigen, der zur Vertheidigung der Juden seine Stimme erhebt, die unlautersten Geldmotive zuschreibt; ich bin überzeugt, nie hat Israel Geld gegeben, wenn man ihm nicht gewaltsam die Zähne ausriß, wie zur Zeit der Valois. Als ich unlängst die Histoire des Juifs von Basnage durchblätterte, mußte ich herzlich lachen über die Naivetät, womit der Autor, welchen seine Gegner anklagten, als habe er Geld von den Juden empfangen, sich gegen solche Beschuldigung vertheidigte; ich glaube ihm aufs Wort, wenn er wehmüthig hinzusetzt: le peuple juif est le peuple le plus ingrat qu'il-y-ait au monde! Hie und da freilich gibt es Beispiele, daß die Eitelkeit die verstockten Taschen der Juden zu erschließen verstand, aber dann war ihre Liberalität noch widerwärtiger als ihre Knickerei. Ein ehemaliger preußischer Lieferant, welcher, anspielend auf seinen hebräischen Namen Moses (Moses heißt nämlich auf Deutsch „aus dem Wasser gezogen,“ auf Italienisch „del mare“) den dem letztern entsprechenden klangvolleren Namen eines Baron ...... angenommen hat, stiftete hier vor einiger Zeit eine Erziehungsanstalt für verarmte junge Adelige, wozu er über anderthalb Millionen Francs aussetzte, eine noble That, die ihm im Faurbourg Saint-Germain so hoch angerechnet wurde, daß dort selbst die stolzältesten Douairieren und die schnippisch jüngsten Fräulein jetzt nicht mehr laut über ihn spötteln. Hat dieser Edelmann aus dem Stamme David auch nur einen Pfennig beigesteuert bei einer Collecte für die Interessen der Juden? Ich möchte mich dafür verbürgen, daß ein anderer aus dem Wasser gezogener Baron, der im edlen Faurbourg den Gentil - homme catholique und großen Schriftsteller spielt, weder mit seinem Gelde noch mit seiner Feder für die Stammesgenossen thätig war. Hier muß ich eine Bemerkung aussprechen, die vielleicht die bitterste. Unter den getauften Juden sind viele, die aus feiger Hypokrisie über Israel noch ärgere Mißreden führen, als dessen geborne Feinde. In der

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 154. Augsburg, 2. Juni 1840, S. 1229. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_154_18400602/5>, abgerufen am 29.03.2024.