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Allgemeine Zeitung. Nr. 149. Augsburg, 28. Mai 1840.

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Bevölkerung noch lange Spuren von großer Verdorbenheit nach sich lassen und an sich tragen; aber das Klima ist gesund und die Arbeit theuer bezahlt. Neuseeland ist in einem furchtbaren Zustande durch das europäische Gesindel, Landharpyen, weggelaufene Matrosen u. s. w., und Alles erst zu erschaffen, aber das Land ist fruchtbar, das Klima in der nördlichen Insel eines der besten in der Welt. Die englische Regierung wird die Anlehen der Colonien zum Behuf der Beförderung der Einwanderung so lange als möglich verhindern, und wird auch wohl daran thun, weil gegenwärtig alle Colonien von einem wahren Fieber darüber befallen sind; aber es liegt doch ein wahres und dauerndes Bedürfniß darunter, und sie wird am Ende nachgeben müssen.

Thiers und die Franzosen.

Hr. Thiers hat, durch die überzeugende Klarheit, womit er in der Kammer die trockensten und verworrensten Gegenstände abhandelte, wieder neue Lorbeern errungen. Die Bankverhältnisse wurden uns durch seine Rede ganz veranschaulicht, so wie auch die Algier'schen Angelegenheiten und die Zuckerfrage. Der Mann versteht Alles; es ist Schade, daß er sich nicht auf deutsche Philosophie gelegt hat; er würde auch diese zu verdeutlichen wissen. Aber wer weiß! wenn die Ereignisse ihn antreiben und er sich auch mit Deutschland beschäftigen muß, wird er über Schelling und Hegel eben so belehrend sprechen wie über Zuckerrohr und Runkelrübe.

Wichtiger aber für die Interessen Europa's, als die commerciellen, financiellen und Colonialgegenstände, die in der Kammer zur Sprache kamen, ist die feierliche Rückkehr der irdischen Reste Napoleons. Diese Angelegenheit beschäftigt hier noch immer alle Geister, die höchsten wie die niedrigsten. Während unten im Volke alles jubelt, jauchzt, glüht und aufflammt, grübelt man oben, in den kälteren Regionen der Gesellschaft, über die Gefahren, die jetzt von Sanct-Helena aus täglich näher heranziehen und Paris mit einer sehr bedenklichen Todtenfeier bedrohen. Ja, könnte man schon den nächsten Morgen die Asche des Kaisers unter der Kuppel des Invalidenpalastes beisetzen, so dürfte man dem jetzigen Ministerium Kraft genug zutrauen, bei diesem Leichenbegängnisse jeden ungefügen Ausbruch der Leidenschaften zu verhüten. Aber wird es diese Kraft noch nach sechs Monaten besitzen, zur Zeit wenn der triumphirende Sarg in die Seine hereinschwimmt? In Frankreich, dem rauschenden Lande der Bewegung, können sich binnen sechs Monaten die sonderbarsten Dinge ereignen: Thiers ist unterdessen vielleicht wieder Privatmann geworden (was wir sehr wünschten) oder er ist unterdessen als Minister sehr depopularisirt (was wir sehr befürchten) oder Frankreich ward unterdessen in einen Krieg verwickelt - und alsdann könnten aus der Asche Napoleons einige Funken hervorsprühen, ganz in der Nähe des Stuhls, der mit rothem Zunder bedeckt ist!

Schuf Hr. Thiers - meinen Viele - schuf er jene Gefahr um sich unentbehrlich zu machen, da man ihm auch die Kunst zutraut, alle selbstgeschaffenen Gefahren glücklich zu überwinden? Oder - meinen wieder Andere - sucht er im Bonapartismus eine glänzende Zuflucht für den Fall, daß er einmal mit dem Orleanismus ganz brechen müßte? Hr. Thiers weiß sehr gut, daß wenn er, in die Opposition zurücksinkend, den jetzigen Thron umstürzen hälfe, die Republicaner ans Ruder kämen und ihm für den besten Dienst den schlechtesten Dank widmen würden; im günstigsten Falle schöben sie ihn sacht bei Seite. Stolpernd über jene rohen Tugendklötze könnte er leicht den Hals brechen und noch obendrein verhöhnt werden. Dergleichen hätte er aber nicht vom Bonapartismus zu befürchten. Ein wiedereingesetzter Bonaparte würde in rührender Dankbarkeit verharren; die matte Creatur würde ihren starken Schöpfer um so preisender verehren, je bedürftiger sie seiner Nachstütze beständig bliebe. Dazu kommt, daß es leichter ist in Frankreich ein Bonapartistenregiment als eine Republik zu stiften; gegen ersteres würde weder die Bourgeoisie noch die Armee so großen Widerstand leisten, wie gegen die Republik. Der Bourgeoisie liegt nur an einem sichern Schutzvogt des Eigenthums. Und gar die Armee - in dem Schrei vive l'Empereur! liegen so viele funkelnde Epaulette, so viele Herzogsuniformen, so viele Contributionen, kurz der glänzendste Köder der Raubsucht und Eitelkeit.

Das französische Volk, aller republicanischen Eigenschaften baar, ist seiner Natur nach ganz Bonapartistisch. Ihnen fehlt die Einfalt, die Selbstgenügsamkeit, die innere und die äußere Ruhe; sie lieben den Krieg des Krieges wegen; selbst im Frieden ist ihr Leben eitel Kampf und Lärm; die Alten wie die Jungen ergötzen sich gern am Trommelschlag und Pulverdampf, an Knalleffecten jeder Art.

Dadurch, daß Hr. Thiers ihrem angebornen Bonapartismus schmeichelte, hat er unter den Franzosen die außerordentlichste Popularität gewonnen. Oder ward er populär, weil er selber ein kleiner Napoleon ist, wie ihn jüngst ein deutscher Correspondent nannte? Ein kleiner Napoleon! Ein kleiner gothischer Dom! Ein gothischer Dom erregt eben dadurch unser Erstaunen, weil er so kolossal, so groß ist. Im verjüngten Maaßstabe verlöre er alle Bedeutung. Hr. Thiers ist gewiß mehr als so ein winziges Dömchen. Sein Geist überragt alle Intelligenzen rund um ihn her, obgleich manche darunter sind, die von bedeutender Natur. Keiner kann sich mit ihm messen, und in einem Kampfe mit ihm muß die Schlauheit selbst den Kürzern ziehen. Er ist der klügste Kopf Frankreichs, obgleich er, wie man behauptet, es selbst gesteht. In seiner schnellzüngigen Weise soll er nämlich voriges Jahr, während der Ministerkrisis, zum König gesagt haben: Ew. Majestät glauben, Sie seyen der klügste Mann in diesem Lande, aber ich kenne hier Jemand, der noch weit klüger ist und das bin Ich! Der schlaue Philipp soll hierauf geantwortet haben: Sie irren sich, Hr. Thiers, wenn Sie es wären, würden Sie es nicht sagen. - Dem sey aber wie ihm wolle, Hr. Thiers wandelt zu dieser Stunde durch die Gemächer der Tuilerien mit dem Selbstbewußtseyn seiner Größe, als ein Maire du Palais der Orleanischen Dynastie.

Wird er lange diese Allmacht behaupten? Ist er nicht jetzt schon heimlich gebrochen, in Folge ungeheurer Anstrengungen? Sein Haupt ist vor der Zeit gebleicht, man findet darauf gewiß kein einziges schwarzes Haar mehr; und je länger er herrscht, desto mehr schwindet die kecke Gesundheit seines Naturells. Die Leichtigkeit, womit er sich bewegt, hat jetzt sogar etwas Unheimliches. Aber außerordentlich und bewunderungswürdig ist sie noch immer, diese Leichtigkeit, und wie leicht und beweglich auch die andern Franzosen sind, in Vergleichung mit Thiers erscheinen sie wie lauter plumpe Deutsche.

Die Bank von Frankreich.

In der Sache der Bank scheint Niemand die Wahrheit sagen zu wollen, nämlich daß die Bank

Bevölkerung noch lange Spuren von großer Verdorbenheit nach sich lassen und an sich tragen; aber das Klima ist gesund und die Arbeit theuer bezahlt. Neuseeland ist in einem furchtbaren Zustande durch das europäische Gesindel, Landharpyen, weggelaufene Matrosen u. s. w., und Alles erst zu erschaffen, aber das Land ist fruchtbar, das Klima in der nördlichen Insel eines der besten in der Welt. Die englische Regierung wird die Anlehen der Colonien zum Behuf der Beförderung der Einwanderung so lange als möglich verhindern, und wird auch wohl daran thun, weil gegenwärtig alle Colonien von einem wahren Fieber darüber befallen sind; aber es liegt doch ein wahres und dauerndes Bedürfniß darunter, und sie wird am Ende nachgeben müssen.

Thiers und die Franzosen.

Hr. Thiers hat, durch die überzeugende Klarheit, womit er in der Kammer die trockensten und verworrensten Gegenstände abhandelte, wieder neue Lorbeern errungen. Die Bankverhältnisse wurden uns durch seine Rede ganz veranschaulicht, so wie auch die Algier'schen Angelegenheiten und die Zuckerfrage. Der Mann versteht Alles; es ist Schade, daß er sich nicht auf deutsche Philosophie gelegt hat; er würde auch diese zu verdeutlichen wissen. Aber wer weiß! wenn die Ereignisse ihn antreiben und er sich auch mit Deutschland beschäftigen muß, wird er über Schelling und Hegel eben so belehrend sprechen wie über Zuckerrohr und Runkelrübe.

Wichtiger aber für die Interessen Europa's, als die commerciellen, financiellen und Colonialgegenstände, die in der Kammer zur Sprache kamen, ist die feierliche Rückkehr der irdischen Reste Napoleons. Diese Angelegenheit beschäftigt hier noch immer alle Geister, die höchsten wie die niedrigsten. Während unten im Volke alles jubelt, jauchzt, glüht und aufflammt, grübelt man oben, in den kälteren Regionen der Gesellschaft, über die Gefahren, die jetzt von Sanct-Helena aus täglich näher heranziehen und Paris mit einer sehr bedenklichen Todtenfeier bedrohen. Ja, könnte man schon den nächsten Morgen die Asche des Kaisers unter der Kuppel des Invalidenpalastes beisetzen, so dürfte man dem jetzigen Ministerium Kraft genug zutrauen, bei diesem Leichenbegängnisse jeden ungefügen Ausbruch der Leidenschaften zu verhüten. Aber wird es diese Kraft noch nach sechs Monaten besitzen, zur Zeit wenn der triumphirende Sarg in die Seine hereinschwimmt? In Frankreich, dem rauschenden Lande der Bewegung, können sich binnen sechs Monaten die sonderbarsten Dinge ereignen: Thiers ist unterdessen vielleicht wieder Privatmann geworden (was wir sehr wünschten) oder er ist unterdessen als Minister sehr depopularisirt (was wir sehr befürchten) oder Frankreich ward unterdessen in einen Krieg verwickelt – und alsdann könnten aus der Asche Napoleons einige Funken hervorsprühen, ganz in der Nähe des Stuhls, der mit rothem Zunder bedeckt ist!

Schuf Hr. Thiers – meinen Viele – schuf er jene Gefahr um sich unentbehrlich zu machen, da man ihm auch die Kunst zutraut, alle selbstgeschaffenen Gefahren glücklich zu überwinden? Oder – meinen wieder Andere – sucht er im Bonapartismus eine glänzende Zuflucht für den Fall, daß er einmal mit dem Orleanismus ganz brechen müßte? Hr. Thiers weiß sehr gut, daß wenn er, in die Opposition zurücksinkend, den jetzigen Thron umstürzen hälfe, die Republicaner ans Ruder kämen und ihm für den besten Dienst den schlechtesten Dank widmen würden; im günstigsten Falle schöben sie ihn sacht bei Seite. Stolpernd über jene rohen Tugendklötze könnte er leicht den Hals brechen und noch obendrein verhöhnt werden. Dergleichen hätte er aber nicht vom Bonapartismus zu befürchten. Ein wiedereingesetzter Bonaparte würde in rührender Dankbarkeit verharren; die matte Creatur würde ihren starken Schöpfer um so preisender verehren, je bedürftiger sie seiner Nachstütze beständig bliebe. Dazu kommt, daß es leichter ist in Frankreich ein Bonapartistenregiment als eine Republik zu stiften; gegen ersteres würde weder die Bourgeoisie noch die Armee so großen Widerstand leisten, wie gegen die Republik. Der Bourgeoisie liegt nur an einem sichern Schutzvogt des Eigenthums. Und gar die Armee – in dem Schrei vive l'Empereur! liegen so viele funkelnde Epaulette, so viele Herzogsuniformen, so viele Contributionen, kurz der glänzendste Köder der Raubsucht und Eitelkeit.

Das französische Volk, aller republicanischen Eigenschaften baar, ist seiner Natur nach ganz Bonapartistisch. Ihnen fehlt die Einfalt, die Selbstgenügsamkeit, die innere und die äußere Ruhe; sie lieben den Krieg des Krieges wegen; selbst im Frieden ist ihr Leben eitel Kampf und Lärm; die Alten wie die Jungen ergötzen sich gern am Trommelschlag und Pulverdampf, an Knalleffecten jeder Art.

Dadurch, daß Hr. Thiers ihrem angebornen Bonapartismus schmeichelte, hat er unter den Franzosen die außerordentlichste Popularität gewonnen. Oder ward er populär, weil er selber ein kleiner Napoleon ist, wie ihn jüngst ein deutscher Correspondent nannte? Ein kleiner Napoleon! Ein kleiner gothischer Dom! Ein gothischer Dom erregt eben dadurch unser Erstaunen, weil er so kolossal, so groß ist. Im verjüngten Maaßstabe verlöre er alle Bedeutung. Hr. Thiers ist gewiß mehr als so ein winziges Dömchen. Sein Geist überragt alle Intelligenzen rund um ihn her, obgleich manche darunter sind, die von bedeutender Natur. Keiner kann sich mit ihm messen, und in einem Kampfe mit ihm muß die Schlauheit selbst den Kürzern ziehen. Er ist der klügste Kopf Frankreichs, obgleich er, wie man behauptet, es selbst gesteht. In seiner schnellzüngigen Weise soll er nämlich voriges Jahr, während der Ministerkrisis, zum König gesagt haben: Ew. Majestät glauben, Sie seyen der klügste Mann in diesem Lande, aber ich kenne hier Jemand, der noch weit klüger ist und das bin Ich! Der schlaue Philipp soll hierauf geantwortet haben: Sie irren sich, Hr. Thiers, wenn Sie es wären, würden Sie es nicht sagen. – Dem sey aber wie ihm wolle, Hr. Thiers wandelt zu dieser Stunde durch die Gemächer der Tuilerien mit dem Selbstbewußtseyn seiner Größe, als ein Maire du Palais der Orleanischen Dynastie.

Wird er lange diese Allmacht behaupten? Ist er nicht jetzt schon heimlich gebrochen, in Folge ungeheurer Anstrengungen? Sein Haupt ist vor der Zeit gebleicht, man findet darauf gewiß kein einziges schwarzes Haar mehr; und je länger er herrscht, desto mehr schwindet die kecke Gesundheit seines Naturells. Die Leichtigkeit, womit er sich bewegt, hat jetzt sogar etwas Unheimliches. Aber außerordentlich und bewunderungswürdig ist sie noch immer, diese Leichtigkeit, und wie leicht und beweglich auch die andern Franzosen sind, in Vergleichung mit Thiers erscheinen sie wie lauter plumpe Deutsche.

Die Bank von Frankreich.

In der Sache der Bank scheint Niemand die Wahrheit sagen zu wollen, nämlich daß die Bank

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[1186/0010] Bevölkerung noch lange Spuren von großer Verdorbenheit nach sich lassen und an sich tragen; aber das Klima ist gesund und die Arbeit theuer bezahlt. Neuseeland ist in einem furchtbaren Zustande durch das europäische Gesindel, Landharpyen, weggelaufene Matrosen u. s. w., und Alles erst zu erschaffen, aber das Land ist fruchtbar, das Klima in der nördlichen Insel eines der besten in der Welt. Die englische Regierung wird die Anlehen der Colonien zum Behuf der Beförderung der Einwanderung so lange als möglich verhindern, und wird auch wohl daran thun, weil gegenwärtig alle Colonien von einem wahren Fieber darüber befallen sind; aber es liegt doch ein wahres und dauerndes Bedürfniß darunter, und sie wird am Ende nachgeben müssen. Thiers und die Franzosen. _ Paris, 20 Mai. Hr. Thiers hat, durch die überzeugende Klarheit, womit er in der Kammer die trockensten und verworrensten Gegenstände abhandelte, wieder neue Lorbeern errungen. Die Bankverhältnisse wurden uns durch seine Rede ganz veranschaulicht, so wie auch die Algier'schen Angelegenheiten und die Zuckerfrage. Der Mann versteht Alles; es ist Schade, daß er sich nicht auf deutsche Philosophie gelegt hat; er würde auch diese zu verdeutlichen wissen. Aber wer weiß! wenn die Ereignisse ihn antreiben und er sich auch mit Deutschland beschäftigen muß, wird er über Schelling und Hegel eben so belehrend sprechen wie über Zuckerrohr und Runkelrübe. Wichtiger aber für die Interessen Europa's, als die commerciellen, financiellen und Colonialgegenstände, die in der Kammer zur Sprache kamen, ist die feierliche Rückkehr der irdischen Reste Napoleons. Diese Angelegenheit beschäftigt hier noch immer alle Geister, die höchsten wie die niedrigsten. Während unten im Volke alles jubelt, jauchzt, glüht und aufflammt, grübelt man oben, in den kälteren Regionen der Gesellschaft, über die Gefahren, die jetzt von Sanct-Helena aus täglich näher heranziehen und Paris mit einer sehr bedenklichen Todtenfeier bedrohen. Ja, könnte man schon den nächsten Morgen die Asche des Kaisers unter der Kuppel des Invalidenpalastes beisetzen, so dürfte man dem jetzigen Ministerium Kraft genug zutrauen, bei diesem Leichenbegängnisse jeden ungefügen Ausbruch der Leidenschaften zu verhüten. Aber wird es diese Kraft noch nach sechs Monaten besitzen, zur Zeit wenn der triumphirende Sarg in die Seine hereinschwimmt? In Frankreich, dem rauschenden Lande der Bewegung, können sich binnen sechs Monaten die sonderbarsten Dinge ereignen: Thiers ist unterdessen vielleicht wieder Privatmann geworden (was wir sehr wünschten) oder er ist unterdessen als Minister sehr depopularisirt (was wir sehr befürchten) oder Frankreich ward unterdessen in einen Krieg verwickelt – und alsdann könnten aus der Asche Napoleons einige Funken hervorsprühen, ganz in der Nähe des Stuhls, der mit rothem Zunder bedeckt ist! Schuf Hr. Thiers – meinen Viele – schuf er jene Gefahr um sich unentbehrlich zu machen, da man ihm auch die Kunst zutraut, alle selbstgeschaffenen Gefahren glücklich zu überwinden? Oder – meinen wieder Andere – sucht er im Bonapartismus eine glänzende Zuflucht für den Fall, daß er einmal mit dem Orleanismus ganz brechen müßte? Hr. Thiers weiß sehr gut, daß wenn er, in die Opposition zurücksinkend, den jetzigen Thron umstürzen hälfe, die Republicaner ans Ruder kämen und ihm für den besten Dienst den schlechtesten Dank widmen würden; im günstigsten Falle schöben sie ihn sacht bei Seite. Stolpernd über jene rohen Tugendklötze könnte er leicht den Hals brechen und noch obendrein verhöhnt werden. Dergleichen hätte er aber nicht vom Bonapartismus zu befürchten. Ein wiedereingesetzter Bonaparte würde in rührender Dankbarkeit verharren; die matte Creatur würde ihren starken Schöpfer um so preisender verehren, je bedürftiger sie seiner Nachstütze beständig bliebe. Dazu kommt, daß es leichter ist in Frankreich ein Bonapartistenregiment als eine Republik zu stiften; gegen ersteres würde weder die Bourgeoisie noch die Armee so großen Widerstand leisten, wie gegen die Republik. Der Bourgeoisie liegt nur an einem sichern Schutzvogt des Eigenthums. Und gar die Armee – in dem Schrei vive l'Empereur! liegen so viele funkelnde Epaulette, so viele Herzogsuniformen, so viele Contributionen, kurz der glänzendste Köder der Raubsucht und Eitelkeit. Das französische Volk, aller republicanischen Eigenschaften baar, ist seiner Natur nach ganz Bonapartistisch. Ihnen fehlt die Einfalt, die Selbstgenügsamkeit, die innere und die äußere Ruhe; sie lieben den Krieg des Krieges wegen; selbst im Frieden ist ihr Leben eitel Kampf und Lärm; die Alten wie die Jungen ergötzen sich gern am Trommelschlag und Pulverdampf, an Knalleffecten jeder Art. Dadurch, daß Hr. Thiers ihrem angebornen Bonapartismus schmeichelte, hat er unter den Franzosen die außerordentlichste Popularität gewonnen. Oder ward er populär, weil er selber ein kleiner Napoleon ist, wie ihn jüngst ein deutscher Correspondent nannte? Ein kleiner Napoleon! Ein kleiner gothischer Dom! Ein gothischer Dom erregt eben dadurch unser Erstaunen, weil er so kolossal, so groß ist. Im verjüngten Maaßstabe verlöre er alle Bedeutung. Hr. Thiers ist gewiß mehr als so ein winziges Dömchen. Sein Geist überragt alle Intelligenzen rund um ihn her, obgleich manche darunter sind, die von bedeutender Natur. Keiner kann sich mit ihm messen, und in einem Kampfe mit ihm muß die Schlauheit selbst den Kürzern ziehen. Er ist der klügste Kopf Frankreichs, obgleich er, wie man behauptet, es selbst gesteht. In seiner schnellzüngigen Weise soll er nämlich voriges Jahr, während der Ministerkrisis, zum König gesagt haben: Ew. Majestät glauben, Sie seyen der klügste Mann in diesem Lande, aber ich kenne hier Jemand, der noch weit klüger ist und das bin Ich! Der schlaue Philipp soll hierauf geantwortet haben: Sie irren sich, Hr. Thiers, wenn Sie es wären, würden Sie es nicht sagen. – Dem sey aber wie ihm wolle, Hr. Thiers wandelt zu dieser Stunde durch die Gemächer der Tuilerien mit dem Selbstbewußtseyn seiner Größe, als ein Maire du Palais der Orleanischen Dynastie. Wird er lange diese Allmacht behaupten? Ist er nicht jetzt schon heimlich gebrochen, in Folge ungeheurer Anstrengungen? Sein Haupt ist vor der Zeit gebleicht, man findet darauf gewiß kein einziges schwarzes Haar mehr; und je länger er herrscht, desto mehr schwindet die kecke Gesundheit seines Naturells. Die Leichtigkeit, womit er sich bewegt, hat jetzt sogar etwas Unheimliches. Aber außerordentlich und bewunderungswürdig ist sie noch immer, diese Leichtigkeit, und wie leicht und beweglich auch die andern Franzosen sind, in Vergleichung mit Thiers erscheinen sie wie lauter plumpe Deutsche. Die Bank von Frankreich. _ Paris, 22 Mai. In der Sache der Bank scheint Niemand die Wahrheit sagen zu wollen, nämlich daß die Bank

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 149. Augsburg, 28. Mai 1840, S. 1186. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_149_18400528/10>, abgerufen am 25.04.2024.