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Allgemeine Zeitung. Nr. 133. Augsburg, 12. Mai 1840.

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Rußland und China.

Die merkwürdige Weltstellung der beiden größten Reiche unseres Zeitalters, von denen das eine, über die Meere gebietend, vom Ocean aus sich in die Angelegenheiten aller Länder mischt, und das andere, über ungeheuere Ländermassen herrschend, mit seinem Interesse in das aller Welttheile und Meere verflochten ist, die gegenseitigen Beziehungen und Berührungen Englands und Rußlands sind der Gegenstand des aufmerksamsten Studiums aller Politiker unserer Tage. Den Erdkreis umfassend stoßen beide Riesen unter allen Meridianen nachbarlich an einander und ringen am Bosporus, am Sund, am Nil, am Oxus, in Asien, Europa und Amerika um das Uebergewicht. Vor Allem aber ist die asiatische Welt in neueren Zeiten immer mehr und mehr ein Gegenstand ihrer sich kreuzenden Unternehmungen geworden. Rußland hat den ganzen Norden dieses Welttheils zu seinem Gebiete geschlagen und hat sich mit seiner Bevölkerung, colonisirend und umgestaltend, darüber ergossen. England hat den halben Süden an sich gerissen und unter seine Herrschaft gebracht. Und was zwischen Nord und Süd in der Mitte lag, die Staaten des Kalifen, die Gebiete des Perserkönigs, die afghanischen und turkestanischen Staaten waren bisher ein beständiger Schauplatz der diplomatischen Unterhandlungen und commerciellen Speculationen beider um die Herrschaft der alten Welt spielenden Mächte. Jetzt sind sie sogar auch mit den Waffen in der Hand und erobernd auf diesen Schauplatz eingetreten, die Engländer von Süden vordringend, in Afghanistan, die Russen aus dem Norden in Turkestan.

Nur im Osten Asiens lag bisher noch, zwischen dem englischen und dem russischen Asien sich einkeilend, wie ein unerregbarer todter Koloß in sich abgeschlossen und unzugänglich für alle diplomatischen Bemühungen, das himmlische Reich der Mitte. Jedoch sind neuerdings auch in den Beziehungen dieser Macht zu einem seiner beiden europäischen Nachbarn, solche Veränderungen eingetreten, daß man die Frage aufgeworfen hat, ob nicht auch der andere Nachbar sich bei diesen Veränderungen thätig erweisen werde. Diese Frage gewinnt gerade in dem laufenden Jahr 1840 um so mehr an Interesse, da dasselbe das zehnte Jahr ist seit der letzten russischen Mission nach Peking, also, den zwischen Rußland und China bestehenden Vorträgen zufolge, in demselben Jahr, in welchem die Engländer sich gegen die Chinesen feindlich rüsten, eine neue freundschaftliche Sendung der Russen nach diesem Lande stattfindet.

Die englischen Zeitungen und Journale, in völliger Unkenntniß oder Verkennung der Verhältnisse Rußlands zu China und schon im voraus das, was hier bloß möglich scheint, als wirklich geschehen, ausschreiend, haben bereits alle neuerlichen, unfreundschaftlichen Acte der chinesischen Regierung gegen den Cantonhandel russischen Einflüsterungen zugeschrieben. Deutsche Journale und namentlich die Allg. Zeitung haben dagegen nicht nur die Versicherungen der Engländer verneint, sondern auch vielleicht mit Uebersehung des von uns schon früher berührten Umstandes der in dieses Jahr fallenden Mission, alle Möglichkeit eines Conflicts russischer und englischer Eingebungen zu den Füßen des Thrones des "Tin-tze," des Himmelssohnes, von der Hand gewiesen. Das ungemeine Interesse, welches eben jetzt die Stellung China's zwischen Rußland und England gewährt, das, so tief wie heute mit jenen beiden, noch nie mit zwei europäischen Reichen sich eingelassen hatte und bei dessen Betrachtung daher für die Zukunft alle Resultate der bisherigen Geschichte der Verbindungen China's mit Europa nicht ausreichen möchten, und die Unwissenheit, welche sich in den meisten unserer Zeitschriften über die russische Angelegenheit und vor Allem über die chinesisch russischen Angelegenheiten kund gibt, werden daher eine abermalige Erwägung derselben als nicht überflüssig erscheinen lassen, und wir geben hier als einen Beitrag zur besseren Beurtheilung der beregten Frage eine kurze historische Uebersicht der Fortschritte, welche die russischen Verbindungen mit China bis auf die neuesten Zeiten herab gemacht haben.

Vor 250 Jahren, etwa um dieselbe Zeit, in welcher die Mandschuren sich aus ihren Steppen nach China aufmachten und dort die alte Ordnung der Dinge über den Haufen werfend das jetzt noch bestehende chinesische Staatsgebäude gründeten, überflutheten ihrerseits die Kosaken den ganzen im Norden von China gelegenen Theil Asiens. Sie griffen weit in die großen Ländergebiete dieses Welttheils hinein, jene kühnen Prommischlenniki besetzten, hielten fest, was ihnen nicht bestritten wurde, und nahmen alles Land im Norden der großen die Mongolei begränzenden Gebirgskette. Ja sie überstiegen diese, da wo sie am niedrigsten ist, im Süden des Baikal-Sees, eroberten das Land Taurien und kamen so in das Gebiet eines nach Süden fließenden Stromes, des großen Amur, und in das Reich eines im Süden thronenden Fürsten, des großen Schamschachan (so nannten sie den chinesischen Kaiser). Die Kosaken waren Plünderer, Eroberer, Handelsleute und Diplomaten zu gleicher Zeit und mit jenem ihrem Uebertritt über die Baikal-Gebirge in die Amur-Gebiete (ums Jahr 1640) sind alle commerciellen, kriegerischen und diplomatischen Beziehungen Rußlands zu China als eröffnet und angefangen anzusehen.

Der erste Gedanke einer diplomatischen Verbindung mit China fällt freilich schon ins Jahr 1608, wo von Tomsk aus eine Gesandtschaft dahin abgehen sollte; der erste Versuch zu einer solchen um das Jahr 1619, wo einige Kosakenofficiere als Gesandte nach China abgingen, aber nur bis zum Altin-Chane, dem mongolischen Fürsten der goldenen Horde, vordrangen - die erste wirkliche Ausführung einer solchen Gesandtschaft aber erst, wie gesagt, um jene Mitte des 17ten Jahrhunderts, wo die Kosaken bereits mit chinesischen Unterthanen zu handeln und zu kriegen angefangen hatten. Dieser erste russische Gesandte an dem chinesischen Hof hieß Baikow. Er traf in Peking mit einer holländischen Gesandtschaft zusammen und wir haben umständliche Nachrichten von seiner zwischen 1753 und 1756 ausgeführten Reise, die indeß insofern ebenfalls nur von geringem Interesse sind, als Baikows Unterhandlungen zu keinem Resultate führten.

Die Chinesen hatten natürlich keine einigermaßen deutliche Idee weder von dem russischen Reiche, noch von der Wichtigkeit der in Sibirien vorgehenden Ereignisse. Ja sie mochten selbst nicht einmal recht wissen, wie weit sie dort im wüsten Norden die Gränzen ihres eigenen Reiches anzunehmen hätten. Sie betrachteten daher anfangs die Ansiedelungen der Kosaken im Quellengebiete des Amur mit ziemlicher Gleichgültigkeit. Auch vollendeten sie erst in dieser Zeit die Unterjochung der Mongolei, so daß sie den Handel der Russen überall zuließen, ja dieselben sogar in Peking duldeten, ihnen die Erbauung eines Bethauses daselbst gestatteten und erst nach der Mitte des Jahrhunderts dazu kamen, gegen die Ansiedelungen der Russen am Amur mit Wort und That zu protestiren, als diese sogar schon anfingen, die ganze Mandschurei auf Flußschiffen zu durchschweifen.

Rußland und China.

Die merkwürdige Weltstellung der beiden größten Reiche unseres Zeitalters, von denen das eine, über die Meere gebietend, vom Ocean aus sich in die Angelegenheiten aller Länder mischt, und das andere, über ungeheuere Ländermassen herrschend, mit seinem Interesse in das aller Welttheile und Meere verflochten ist, die gegenseitigen Beziehungen und Berührungen Englands und Rußlands sind der Gegenstand des aufmerksamsten Studiums aller Politiker unserer Tage. Den Erdkreis umfassend stoßen beide Riesen unter allen Meridianen nachbarlich an einander und ringen am Bosporus, am Sund, am Nil, am Oxus, in Asien, Europa und Amerika um das Uebergewicht. Vor Allem aber ist die asiatische Welt in neueren Zeiten immer mehr und mehr ein Gegenstand ihrer sich kreuzenden Unternehmungen geworden. Rußland hat den ganzen Norden dieses Welttheils zu seinem Gebiete geschlagen und hat sich mit seiner Bevölkerung, colonisirend und umgestaltend, darüber ergossen. England hat den halben Süden an sich gerissen und unter seine Herrschaft gebracht. Und was zwischen Nord und Süd in der Mitte lag, die Staaten des Kalifen, die Gebiete des Perserkönigs, die afghanischen und turkestanischen Staaten waren bisher ein beständiger Schauplatz der diplomatischen Unterhandlungen und commerciellen Speculationen beider um die Herrschaft der alten Welt spielenden Mächte. Jetzt sind sie sogar auch mit den Waffen in der Hand und erobernd auf diesen Schauplatz eingetreten, die Engländer von Süden vordringend, in Afghanistan, die Russen aus dem Norden in Turkestan.

Nur im Osten Asiens lag bisher noch, zwischen dem englischen und dem russischen Asien sich einkeilend, wie ein unerregbarer todter Koloß in sich abgeschlossen und unzugänglich für alle diplomatischen Bemühungen, das himmlische Reich der Mitte. Jedoch sind neuerdings auch in den Beziehungen dieser Macht zu einem seiner beiden europäischen Nachbarn, solche Veränderungen eingetreten, daß man die Frage aufgeworfen hat, ob nicht auch der andere Nachbar sich bei diesen Veränderungen thätig erweisen werde. Diese Frage gewinnt gerade in dem laufenden Jahr 1840 um so mehr an Interesse, da dasselbe das zehnte Jahr ist seit der letzten russischen Mission nach Peking, also, den zwischen Rußland und China bestehenden Vorträgen zufolge, in demselben Jahr, in welchem die Engländer sich gegen die Chinesen feindlich rüsten, eine neue freundschaftliche Sendung der Russen nach diesem Lande stattfindet.

Die englischen Zeitungen und Journale, in völliger Unkenntniß oder Verkennung der Verhältnisse Rußlands zu China und schon im voraus das, was hier bloß möglich scheint, als wirklich geschehen, ausschreiend, haben bereits alle neuerlichen, unfreundschaftlichen Acte der chinesischen Regierung gegen den Cantonhandel russischen Einflüsterungen zugeschrieben. Deutsche Journale und namentlich die Allg. Zeitung haben dagegen nicht nur die Versicherungen der Engländer verneint, sondern auch vielleicht mit Uebersehung des von uns schon früher berührten Umstandes der in dieses Jahr fallenden Mission, alle Möglichkeit eines Conflicts russischer und englischer Eingebungen zu den Füßen des Thrones des „Tin-tze,“ des Himmelssohnes, von der Hand gewiesen. Das ungemeine Interesse, welches eben jetzt die Stellung China's zwischen Rußland und England gewährt, das, so tief wie heute mit jenen beiden, noch nie mit zwei europäischen Reichen sich eingelassen hatte und bei dessen Betrachtung daher für die Zukunft alle Resultate der bisherigen Geschichte der Verbindungen China's mit Europa nicht ausreichen möchten, und die Unwissenheit, welche sich in den meisten unserer Zeitschriften über die russische Angelegenheit und vor Allem über die chinesisch russischen Angelegenheiten kund gibt, werden daher eine abermalige Erwägung derselben als nicht überflüssig erscheinen lassen, und wir geben hier als einen Beitrag zur besseren Beurtheilung der beregten Frage eine kurze historische Uebersicht der Fortschritte, welche die russischen Verbindungen mit China bis auf die neuesten Zeiten herab gemacht haben.

Vor 250 Jahren, etwa um dieselbe Zeit, in welcher die Mandschuren sich aus ihren Steppen nach China aufmachten und dort die alte Ordnung der Dinge über den Haufen werfend das jetzt noch bestehende chinesische Staatsgebäude gründeten, überflutheten ihrerseits die Kosaken den ganzen im Norden von China gelegenen Theil Asiens. Sie griffen weit in die großen Ländergebiete dieses Welttheils hinein, jene kühnen Prommischlenniki besetzten, hielten fest, was ihnen nicht bestritten wurde, und nahmen alles Land im Norden der großen die Mongolei begränzenden Gebirgskette. Ja sie überstiegen diese, da wo sie am niedrigsten ist, im Süden des Baikal-Sees, eroberten das Land Taurien und kamen so in das Gebiet eines nach Süden fließenden Stromes, des großen Amur, und in das Reich eines im Süden thronenden Fürsten, des großen Schamschachan (so nannten sie den chinesischen Kaiser). Die Kosaken waren Plünderer, Eroberer, Handelsleute und Diplomaten zu gleicher Zeit und mit jenem ihrem Uebertritt über die Baikal-Gebirge in die Amur-Gebiete (ums Jahr 1640) sind alle commerciellen, kriegerischen und diplomatischen Beziehungen Rußlands zu China als eröffnet und angefangen anzusehen.

Der erste Gedanke einer diplomatischen Verbindung mit China fällt freilich schon ins Jahr 1608, wo von Tomsk aus eine Gesandtschaft dahin abgehen sollte; der erste Versuch zu einer solchen um das Jahr 1619, wo einige Kosakenofficiere als Gesandte nach China abgingen, aber nur bis zum Altin-Chane, dem mongolischen Fürsten der goldenen Horde, vordrangen – die erste wirkliche Ausführung einer solchen Gesandtschaft aber erst, wie gesagt, um jene Mitte des 17ten Jahrhunderts, wo die Kosaken bereits mit chinesischen Unterthanen zu handeln und zu kriegen angefangen hatten. Dieser erste russische Gesandte an dem chinesischen Hof hieß Baikow. Er traf in Peking mit einer holländischen Gesandtschaft zusammen und wir haben umständliche Nachrichten von seiner zwischen 1753 und 1756 ausgeführten Reise, die indeß insofern ebenfalls nur von geringem Interesse sind, als Baikows Unterhandlungen zu keinem Resultate führten.

Die Chinesen hatten natürlich keine einigermaßen deutliche Idee weder von dem russischen Reiche, noch von der Wichtigkeit der in Sibirien vorgehenden Ereignisse. Ja sie mochten selbst nicht einmal recht wissen, wie weit sie dort im wüsten Norden die Gränzen ihres eigenen Reiches anzunehmen hätten. Sie betrachteten daher anfangs die Ansiedelungen der Kosaken im Quellengebiete des Amur mit ziemlicher Gleichgültigkeit. Auch vollendeten sie erst in dieser Zeit die Unterjochung der Mongolei, so daß sie den Handel der Russen überall zuließen, ja dieselben sogar in Peking duldeten, ihnen die Erbauung eines Bethauses daselbst gestatteten und erst nach der Mitte des Jahrhunderts dazu kamen, gegen die Ansiedelungen der Russen am Amur mit Wort und That zu protestiren, als diese sogar schon anfingen, die ganze Mandschurei auf Flußschiffen zu durchschweifen.

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[1058/0010] Rußland und China. Die merkwürdige Weltstellung der beiden größten Reiche unseres Zeitalters, von denen das eine, über die Meere gebietend, vom Ocean aus sich in die Angelegenheiten aller Länder mischt, und das andere, über ungeheuere Ländermassen herrschend, mit seinem Interesse in das aller Welttheile und Meere verflochten ist, die gegenseitigen Beziehungen und Berührungen Englands und Rußlands sind der Gegenstand des aufmerksamsten Studiums aller Politiker unserer Tage. Den Erdkreis umfassend stoßen beide Riesen unter allen Meridianen nachbarlich an einander und ringen am Bosporus, am Sund, am Nil, am Oxus, in Asien, Europa und Amerika um das Uebergewicht. Vor Allem aber ist die asiatische Welt in neueren Zeiten immer mehr und mehr ein Gegenstand ihrer sich kreuzenden Unternehmungen geworden. Rußland hat den ganzen Norden dieses Welttheils zu seinem Gebiete geschlagen und hat sich mit seiner Bevölkerung, colonisirend und umgestaltend, darüber ergossen. England hat den halben Süden an sich gerissen und unter seine Herrschaft gebracht. Und was zwischen Nord und Süd in der Mitte lag, die Staaten des Kalifen, die Gebiete des Perserkönigs, die afghanischen und turkestanischen Staaten waren bisher ein beständiger Schauplatz der diplomatischen Unterhandlungen und commerciellen Speculationen beider um die Herrschaft der alten Welt spielenden Mächte. Jetzt sind sie sogar auch mit den Waffen in der Hand und erobernd auf diesen Schauplatz eingetreten, die Engländer von Süden vordringend, in Afghanistan, die Russen aus dem Norden in Turkestan. Nur im Osten Asiens lag bisher noch, zwischen dem englischen und dem russischen Asien sich einkeilend, wie ein unerregbarer todter Koloß in sich abgeschlossen und unzugänglich für alle diplomatischen Bemühungen, das himmlische Reich der Mitte. Jedoch sind neuerdings auch in den Beziehungen dieser Macht zu einem seiner beiden europäischen Nachbarn, solche Veränderungen eingetreten, daß man die Frage aufgeworfen hat, ob nicht auch der andere Nachbar sich bei diesen Veränderungen thätig erweisen werde. Diese Frage gewinnt gerade in dem laufenden Jahr 1840 um so mehr an Interesse, da dasselbe das zehnte Jahr ist seit der letzten russischen Mission nach Peking, also, den zwischen Rußland und China bestehenden Vorträgen zufolge, in demselben Jahr, in welchem die Engländer sich gegen die Chinesen feindlich rüsten, eine neue freundschaftliche Sendung der Russen nach diesem Lande stattfindet. Die englischen Zeitungen und Journale, in völliger Unkenntniß oder Verkennung der Verhältnisse Rußlands zu China und schon im voraus das, was hier bloß möglich scheint, als wirklich geschehen, ausschreiend, haben bereits alle neuerlichen, unfreundschaftlichen Acte der chinesischen Regierung gegen den Cantonhandel russischen Einflüsterungen zugeschrieben. Deutsche Journale und namentlich die Allg. Zeitung haben dagegen nicht nur die Versicherungen der Engländer verneint, sondern auch vielleicht mit Uebersehung des von uns schon früher berührten Umstandes der in dieses Jahr fallenden Mission, alle Möglichkeit eines Conflicts russischer und englischer Eingebungen zu den Füßen des Thrones des „Tin-tze,“ des Himmelssohnes, von der Hand gewiesen. Das ungemeine Interesse, welches eben jetzt die Stellung China's zwischen Rußland und England gewährt, das, so tief wie heute mit jenen beiden, noch nie mit zwei europäischen Reichen sich eingelassen hatte und bei dessen Betrachtung daher für die Zukunft alle Resultate der bisherigen Geschichte der Verbindungen China's mit Europa nicht ausreichen möchten, und die Unwissenheit, welche sich in den meisten unserer Zeitschriften über die russische Angelegenheit und vor Allem über die chinesisch russischen Angelegenheiten kund gibt, werden daher eine abermalige Erwägung derselben als nicht überflüssig erscheinen lassen, und wir geben hier als einen Beitrag zur besseren Beurtheilung der beregten Frage eine kurze historische Uebersicht der Fortschritte, welche die russischen Verbindungen mit China bis auf die neuesten Zeiten herab gemacht haben. Vor 250 Jahren, etwa um dieselbe Zeit, in welcher die Mandschuren sich aus ihren Steppen nach China aufmachten und dort die alte Ordnung der Dinge über den Haufen werfend das jetzt noch bestehende chinesische Staatsgebäude gründeten, überflutheten ihrerseits die Kosaken den ganzen im Norden von China gelegenen Theil Asiens. Sie griffen weit in die großen Ländergebiete dieses Welttheils hinein, jene kühnen Prommischlenniki besetzten, hielten fest, was ihnen nicht bestritten wurde, und nahmen alles Land im Norden der großen die Mongolei begränzenden Gebirgskette. Ja sie überstiegen diese, da wo sie am niedrigsten ist, im Süden des Baikal-Sees, eroberten das Land Taurien und kamen so in das Gebiet eines nach Süden fließenden Stromes, des großen Amur, und in das Reich eines im Süden thronenden Fürsten, des großen Schamschachan (so nannten sie den chinesischen Kaiser). Die Kosaken waren Plünderer, Eroberer, Handelsleute und Diplomaten zu gleicher Zeit und mit jenem ihrem Uebertritt über die Baikal-Gebirge in die Amur-Gebiete (ums Jahr 1640) sind alle commerciellen, kriegerischen und diplomatischen Beziehungen Rußlands zu China als eröffnet und angefangen anzusehen. Der erste Gedanke einer diplomatischen Verbindung mit China fällt freilich schon ins Jahr 1608, wo von Tomsk aus eine Gesandtschaft dahin abgehen sollte; der erste Versuch zu einer solchen um das Jahr 1619, wo einige Kosakenofficiere als Gesandte nach China abgingen, aber nur bis zum Altin-Chane, dem mongolischen Fürsten der goldenen Horde, vordrangen – die erste wirkliche Ausführung einer solchen Gesandtschaft aber erst, wie gesagt, um jene Mitte des 17ten Jahrhunderts, wo die Kosaken bereits mit chinesischen Unterthanen zu handeln und zu kriegen angefangen hatten. Dieser erste russische Gesandte an dem chinesischen Hof hieß Baikow. Er traf in Peking mit einer holländischen Gesandtschaft zusammen und wir haben umständliche Nachrichten von seiner zwischen 1753 und 1756 ausgeführten Reise, die indeß insofern ebenfalls nur von geringem Interesse sind, als Baikows Unterhandlungen zu keinem Resultate führten. Die Chinesen hatten natürlich keine einigermaßen deutliche Idee weder von dem russischen Reiche, noch von der Wichtigkeit der in Sibirien vorgehenden Ereignisse. Ja sie mochten selbst nicht einmal recht wissen, wie weit sie dort im wüsten Norden die Gränzen ihres eigenen Reiches anzunehmen hätten. Sie betrachteten daher anfangs die Ansiedelungen der Kosaken im Quellengebiete des Amur mit ziemlicher Gleichgültigkeit. Auch vollendeten sie erst in dieser Zeit die Unterjochung der Mongolei, so daß sie den Handel der Russen überall zuließen, ja dieselben sogar in Peking duldeten, ihnen die Erbauung eines Bethauses daselbst gestatteten und erst nach der Mitte des Jahrhunderts dazu kamen, gegen die Ansiedelungen der Russen am Amur mit Wort und That zu protestiren, als diese sogar schon anfingen, die ganze Mandschurei auf Flußschiffen zu durchschweifen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 133. Augsburg, 12. Mai 1840, S. 1058. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_133_18400512/10>, abgerufen am 25.04.2024.