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Allgemeine Zeitung. Nr. 122. Augsburg, 1. Mai 1840.

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Die Whigs und die Tories über China..

Was bezweckte Sir James Graham bei seiner Motion über die chinesischen Wirren? Sollte das Geschwader sammt den Landungstruppen durch einen Schnellsegler zurückgerufen und die auflodernde Kriegesflamme im Osten alsbald wieder gelöscht werden? Nein, das ist unmöglich, Albion's beleidigte Ehre fordert Genugthuung; es unterwerfe sich der erhabene Himmelssohn der Nordresidenz, sollen nicht Congrevische Raketen und Perkinsgewehrfeuer das Innerste seines Palastes in Brand stecken und den "Vater der zehntausend Jahre" - ein gewöhnlicher Titel des chinesischen Kaisers - aus den "Hallen der himmlischen Ruhe" (Kien-tsing-kong) jagen, hin zu dem wilden Geklüfte des langen weißen Berges, zur alten Heimath der barbarischen Mandschu. - Sollten vielleicht rings um das langgestreckte Gestade des östlichen Landes Kriegsflotten sich lagern, um den Schmuggelhandel der brittischen Unterthanen zu vernichten? Sollte wohl die Mohnpflanze in Indien ausgerottet und die Giftkrämer, gleichwie die Sklavenhändler, als Seeräuber betrachtet und behandelt werden? Das liegt jenseits der Gränzen menschlicher Macht. Die englische wie die einheimische Bevölkerung Indiens würde dagegen sich auflehnen. Und wer sollte denn endlich die unberechenbaren Summen tragen, welche die Ueberwachung eines Küstenlandes von mehr denn zweitausend englischen Meilen erheischen würde? Was bezweckte nun aber die Motion des ehrenwerthen Mitgliedes für Pembroke? Was wollten die Tories, als sie diese, der Nationalehre in mannichfacher Beziehung nachtheiligen chinesischen Händel vor das Parlament brachten? Kein hoher Sinn für Menschlichkeit und Gerechtigkeit hat ihre langen unerquicklichen Reden aus dem Herzen emporgetrieben. Tories und Whigs waren ja einstimmig in ihren Beschuldigungen gegen die Chinesen und ihre Regierung. "Wir," sagt der Tory Sir William Follet, unter dem rauschenden Beifalle seiner Partei - man wollte sich nämlich mit den kriegerisch gesinnten Kaufleuten der Altstadt nicht verfeinden - "wir verdammen nicht minder die Barbareien und die Heuchelei der Chinesen; wir verdammen ihre Uebertretung des Völkerrechts, ihre Grausamkeiten gegen unsere Landsleute, ihre wiederholten Beleidigungen der Majestät und der Flagge Großbritanniens." Kein Engländer wird über diesen Punkt einer andern Meinung huldigen. Sir James Graham wollte durch diese Motion bloß die Whigs zum Falle bringen; es sollte den Tories wiederum die süße Herrschaft werden; sie würden dann den Krieg gegen das Mittelreich nur mit größerem Nachdrucke fortgeführt; sie würden, um sich allenthalben Freunde zu machen, dem Schmuggelhandel mit Opium nur größeren Vorschub geleistet haben. China war bei diesem ganzen Handel nur ein leerer Schall, eines Traumes Schatten. Wer könnte es nun, nach solchen Vorgängen, einem Chinesen verargen, wenn er, ergrimmt ob dieses schmachvollen Spieles mit seinem Namen, mit seiner Ehre, die Engländer rothhaarige Barbaren schilt, wenn er über deren Herrsch- und Habsucht bittere Klagen führt? "Wir haben hier in Canton," schreibt der Generalgouverneur Li vor bereits 10 Jahren an Se. kaiserl. Maj. nach Peking, "Amerikaner, Hindu, Spanier und Holländer. Obgleich dieser aller Betragen in Beziehung auf Ruhe und Unterwerfung viel zu wünschen übrig läßt, sind sie doch bei weitem besser, als die Engländer; die Herrschsucht und Unverträglichkeit dieses Volkes ist nicht auszuhalten." Wer fände es wohl nicht natürlich, daß die Weisen des Mittelreiches ihre altererbte Lehre, die Sprüche des Kriegergottes Kuan-fu-tse höher achten, als all den Industrie- und Maschinenreichthum, die beiden Herkulessäulen des jungen Europa's, welche den Menschen lassen, wie er ist. Eines Tags unterhielt sich Dr. Morrison mit einem der einsichtsvollsten Hong über die unterscheidenden Merkmale zwischen Europa und dem Reich der Mitte. Der Missionair rühmte die Wissenschaft und die Kunstfertigkeit, die politische wie die bürgerliche Freiheit Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, er machte den Chinesen mit allen Wohlthaten bekannt, welche durch die europäisch-christliche Civilisation über die ganze Menschheit verbreitet würden. Morrison hatte nämlich damals im Sinne, eine Anzahl geschichtlicher und wissenschaftlicher Werke ins Chinesische zu übersetzen, um die Bewohner des Ostens mit unsern Zuständen bekannt zu machen. Der Kaufmann horchte aufmerksam auf die Worte des Missionairs bis zu Ende und entgegnete dann, wie die Chinesen dieß zu thun pflegen, in bescheidener Weise: "Ich zweifle nicht an der Wahrhaftigkeit Ihrer Rede; aber Sie werden mir auch zugestehen, daß Ihr Volk aller herrlichen Lehren Ihrer Religion, aller Freiheit und alles Reichthums ungeachtet, nicht besser ist als das unsrige. Ja, ihr habt nicht bloß alle Laster unserer Bevölkerung, sondern überdieß noch andere, und zwar höchst schädliche, wie euer aufbrausendes, auf Streit und Mord gerichtetes Wesen, wobei ein so großes, starkbevölkertes Reich, wie das unsrige, kein Jahrzehent zusammengehalten werden könnte. Die Weisheit unserer Altvordern ist mehr werth, als alle die unbegreiflichen Seltenheiten, von welchen Sie mir erzählen. Gibt es Herrlicheres auf Erden, als die Sprüche unserer Lehrers Kuan: *) Gehorche den Eltern; beobachte des Königs Gesetz; halte hoch die Lehrer und Vorgesetzten; liebe die Brüder und alle Verwandten; sey treu den Freunden; lebe in Frieden mit den Nachbarn!"

Doch sehen wir ab von dem Wesen der Motion und wenden uns zu dem Formellen. Zeigten die Mitglieder des Parlaments, welche bei dieser Frage das Wort nahmen, daß sie vollkommen vorbereitet und gerüstet den welthistorischen Ereignissen entgegenschreiten, daß sie ihren Feind nach innen und außen kennen und seine Macht zu würdigen verstehen? O nein, auch in dieser Beziehung hat der Chinese das Recht, seine Gegner unwissende Barbaren zu schelten. Von welchen gigantischen, unverzeihlichen Irrthümern strotzen nicht die Reden Graham's, die seiner Freunde, wie seiner Gegner. "China," sagt der ehrenwerthe Baronet, "ist von 350 Millionen Menschen bewohnt, welche eine einzige Sprache sprechen, denselben Gesetzen gehorchen, zu einer einzigen Religion sich bekennen und von Einem Gefühle nationalen Stolzes und Sympathie beseelt sind." "Die Stärke eines Reiches, wird dann hinzugefügt, besteht aber n seiner Einheit. Engländer, bedenkt es also, welch einen furchtbaren Feind die Drachenzähne eurer whigg'schen Regierung aus der Erde hervorgerufen haben!" Um dieser tiefen Weisheit und seltenen Wissenschaft den Stachel auszureißen, erwiedert der Minister Macaulay entschuldigend: "Wie hätten wir denn zu solcher erstaunlichen Kenntniß empordringen können! Die Chinesen haben gar keine Litteratur, die den Fremden helfend zur Seite stünde, und alle diejenigen, welche sich bestrebten, die Gesetze, Sitten und geselligen Verhältnisse dieses Volkes kennen

*) Diesem vergötterten Heros oder chinesischen Mars, von welchem abzustammen der Admiral in den Gewässern Cantons sich vor kurzem rühmte, werden 120 Sprüche zugeschrieben, welche im ganzen Mittelreiche sehr verbreitet sind. Kuan, geboren im Jahre 175 unserer Zeitrechnung ward zum Schutzpatron der jetzigen Dynastie erhoben. Seine Sprüche bilden den 17ten Abschnitt der in China berühmten moralisch-religiösen Sammlung "King-sin-lu oder Gebet- und Glaubensbuch" überschrieben.
Die Whigs und die Tories über China..

Was bezweckte Sir James Graham bei seiner Motion über die chinesischen Wirren? Sollte das Geschwader sammt den Landungstruppen durch einen Schnellsegler zurückgerufen und die auflodernde Kriegesflamme im Osten alsbald wieder gelöscht werden? Nein, das ist unmöglich, Albion's beleidigte Ehre fordert Genugthuung; es unterwerfe sich der erhabene Himmelssohn der Nordresidenz, sollen nicht Congrevische Raketen und Perkinsgewehrfeuer das Innerste seines Palastes in Brand stecken und den „Vater der zehntausend Jahre“ – ein gewöhnlicher Titel des chinesischen Kaisers – aus den „Hallen der himmlischen Ruhe“ (Kien-tsing-kong) jagen, hin zu dem wilden Geklüfte des langen weißen Berges, zur alten Heimath der barbarischen Mandschu. – Sollten vielleicht rings um das langgestreckte Gestade des östlichen Landes Kriegsflotten sich lagern, um den Schmuggelhandel der brittischen Unterthanen zu vernichten? Sollte wohl die Mohnpflanze in Indien ausgerottet und die Giftkrämer, gleichwie die Sklavenhändler, als Seeräuber betrachtet und behandelt werden? Das liegt jenseits der Gränzen menschlicher Macht. Die englische wie die einheimische Bevölkerung Indiens würde dagegen sich auflehnen. Und wer sollte denn endlich die unberechenbaren Summen tragen, welche die Ueberwachung eines Küstenlandes von mehr denn zweitausend englischen Meilen erheischen würde? Was bezweckte nun aber die Motion des ehrenwerthen Mitgliedes für Pembroke? Was wollten die Tories, als sie diese, der Nationalehre in mannichfacher Beziehung nachtheiligen chinesischen Händel vor das Parlament brachten? Kein hoher Sinn für Menschlichkeit und Gerechtigkeit hat ihre langen unerquicklichen Reden aus dem Herzen emporgetrieben. Tories und Whigs waren ja einstimmig in ihren Beschuldigungen gegen die Chinesen und ihre Regierung. „Wir,“ sagt der Tory Sir William Follet, unter dem rauschenden Beifalle seiner Partei – man wollte sich nämlich mit den kriegerisch gesinnten Kaufleuten der Altstadt nicht verfeinden – „wir verdammen nicht minder die Barbareien und die Heuchelei der Chinesen; wir verdammen ihre Uebertretung des Völkerrechts, ihre Grausamkeiten gegen unsere Landsleute, ihre wiederholten Beleidigungen der Majestät und der Flagge Großbritanniens.“ Kein Engländer wird über diesen Punkt einer andern Meinung huldigen. Sir James Graham wollte durch diese Motion bloß die Whigs zum Falle bringen; es sollte den Tories wiederum die süße Herrschaft werden; sie würden dann den Krieg gegen das Mittelreich nur mit größerem Nachdrucke fortgeführt; sie würden, um sich allenthalben Freunde zu machen, dem Schmuggelhandel mit Opium nur größeren Vorschub geleistet haben. China war bei diesem ganzen Handel nur ein leerer Schall, eines Traumes Schatten. Wer könnte es nun, nach solchen Vorgängen, einem Chinesen verargen, wenn er, ergrimmt ob dieses schmachvollen Spieles mit seinem Namen, mit seiner Ehre, die Engländer rothhaarige Barbaren schilt, wenn er über deren Herrsch- und Habsucht bittere Klagen führt? „Wir haben hier in Canton,“ schreibt der Generalgouverneur Li vor bereits 10 Jahren an Se. kaiserl. Maj. nach Peking, „Amerikaner, Hindu, Spanier und Holländer. Obgleich dieser aller Betragen in Beziehung auf Ruhe und Unterwerfung viel zu wünschen übrig läßt, sind sie doch bei weitem besser, als die Engländer; die Herrschsucht und Unverträglichkeit dieses Volkes ist nicht auszuhalten.“ Wer fände es wohl nicht natürlich, daß die Weisen des Mittelreiches ihre altererbte Lehre, die Sprüche des Kriegergottes Kuan-fu-tse höher achten, als all den Industrie- und Maschinenreichthum, die beiden Herkulessäulen des jungen Europa's, welche den Menschen lassen, wie er ist. Eines Tags unterhielt sich Dr. Morrison mit einem der einsichtsvollsten Hong über die unterscheidenden Merkmale zwischen Europa und dem Reich der Mitte. Der Missionair rühmte die Wissenschaft und die Kunstfertigkeit, die politische wie die bürgerliche Freiheit Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, er machte den Chinesen mit allen Wohlthaten bekannt, welche durch die europäisch-christliche Civilisation über die ganze Menschheit verbreitet würden. Morrison hatte nämlich damals im Sinne, eine Anzahl geschichtlicher und wissenschaftlicher Werke ins Chinesische zu übersetzen, um die Bewohner des Ostens mit unsern Zuständen bekannt zu machen. Der Kaufmann horchte aufmerksam auf die Worte des Missionairs bis zu Ende und entgegnete dann, wie die Chinesen dieß zu thun pflegen, in bescheidener Weise: „Ich zweifle nicht an der Wahrhaftigkeit Ihrer Rede; aber Sie werden mir auch zugestehen, daß Ihr Volk aller herrlichen Lehren Ihrer Religion, aller Freiheit und alles Reichthums ungeachtet, nicht besser ist als das unsrige. Ja, ihr habt nicht bloß alle Laster unserer Bevölkerung, sondern überdieß noch andere, und zwar höchst schädliche, wie euer aufbrausendes, auf Streit und Mord gerichtetes Wesen, wobei ein so großes, starkbevölkertes Reich, wie das unsrige, kein Jahrzehent zusammengehalten werden könnte. Die Weisheit unserer Altvordern ist mehr werth, als alle die unbegreiflichen Seltenheiten, von welchen Sie mir erzählen. Gibt es Herrlicheres auf Erden, als die Sprüche unserer Lehrers Kuan: *) Gehorche den Eltern; beobachte des Königs Gesetz; halte hoch die Lehrer und Vorgesetzten; liebe die Brüder und alle Verwandten; sey treu den Freunden; lebe in Frieden mit den Nachbarn!“

Doch sehen wir ab von dem Wesen der Motion und wenden uns zu dem Formellen. Zeigten die Mitglieder des Parlaments, welche bei dieser Frage das Wort nahmen, daß sie vollkommen vorbereitet und gerüstet den welthistorischen Ereignissen entgegenschreiten, daß sie ihren Feind nach innen und außen kennen und seine Macht zu würdigen verstehen? O nein, auch in dieser Beziehung hat der Chinese das Recht, seine Gegner unwissende Barbaren zu schelten. Von welchen gigantischen, unverzeihlichen Irrthümern strotzen nicht die Reden Graham's, die seiner Freunde, wie seiner Gegner. „China,“ sagt der ehrenwerthe Baronet, „ist von 350 Millionen Menschen bewohnt, welche eine einzige Sprache sprechen, denselben Gesetzen gehorchen, zu einer einzigen Religion sich bekennen und von Einem Gefühle nationalen Stolzes und Sympathie beseelt sind.“ „Die Stärke eines Reiches, wird dann hinzugefügt, besteht aber n seiner Einheit. Engländer, bedenkt es also, welch einen furchtbaren Feind die Drachenzähne eurer whigg'schen Regierung aus der Erde hervorgerufen haben!“ Um dieser tiefen Weisheit und seltenen Wissenschaft den Stachel auszureißen, erwiedert der Minister Macaulay entschuldigend: „Wie hätten wir denn zu solcher erstaunlichen Kenntniß empordringen können! Die Chinesen haben gar keine Litteratur, die den Fremden helfend zur Seite stünde, und alle diejenigen, welche sich bestrebten, die Gesetze, Sitten und geselligen Verhältnisse dieses Volkes kennen

*) Diesem vergötterten Heros oder chinesischen Mars, von welchem abzustammen der Admiral in den Gewässern Cantons sich vor kurzem rühmte, werden 120 Sprüche zugeschrieben, welche im ganzen Mittelreiche sehr verbreitet sind. Kuan, geboren im Jahre 175 unserer Zeitrechnung ward zum Schutzpatron der jetzigen Dynastie erhoben. Seine Sprüche bilden den 17ten Abschnitt der in China berühmten moralisch-religiösen Sammlung „King-sin-lu oder Gebet- und Glaubensbuch“ überschrieben.
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Tories und Whigs waren ja einstimmig in ihren Beschuldigungen gegen die Chinesen und ihre Regierung. &#x201E;Wir,&#x201C; sagt der Tory Sir William Follet, unter dem rauschenden Beifalle seiner Partei &#x2013; man wollte sich nämlich mit den kriegerisch gesinnten Kaufleuten der Altstadt nicht verfeinden &#x2013; &#x201E;wir verdammen nicht minder die Barbareien und die Heuchelei der Chinesen; wir verdammen ihre Uebertretung des Völkerrechts, ihre Grausamkeiten gegen unsere Landsleute, ihre wiederholten Beleidigungen der Majestät und der Flagge Großbritanniens.&#x201C; Kein Engländer wird über diesen Punkt einer andern Meinung huldigen. Sir James Graham wollte durch diese Motion bloß die Whigs zum Falle bringen; es sollte den Tories wiederum die süße Herrschaft werden; sie würden dann den Krieg gegen das Mittelreich nur mit größerem Nachdrucke fortgeführt; sie würden, um sich allenthalben Freunde zu machen, dem Schmuggelhandel mit Opium nur größeren Vorschub geleistet haben. China war bei diesem ganzen Handel nur ein leerer Schall, eines Traumes Schatten. Wer könnte es nun, nach solchen Vorgängen, einem Chinesen verargen, wenn er, ergrimmt ob dieses schmachvollen Spieles mit seinem Namen, mit seiner Ehre, die Engländer rothhaarige Barbaren schilt, wenn er über deren Herrsch- und Habsucht bittere Klagen führt? &#x201E;Wir haben hier in Canton,&#x201C; schreibt der Generalgouverneur Li vor bereits 10 Jahren an Se. kaiserl. Maj. nach Peking, &#x201E;Amerikaner, Hindu, Spanier und Holländer. 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Morrison hatte nämlich damals im Sinne, eine Anzahl geschichtlicher und wissenschaftlicher Werke ins Chinesische zu übersetzen, um die Bewohner des Ostens mit unsern Zuständen bekannt zu machen. Der Kaufmann horchte aufmerksam auf die Worte des Missionairs bis zu Ende und entgegnete dann, wie die Chinesen dieß zu thun pflegen, in bescheidener Weise: &#x201E;Ich zweifle nicht an der Wahrhaftigkeit Ihrer Rede; aber Sie werden mir auch zugestehen, daß Ihr Volk aller herrlichen Lehren Ihrer Religion, aller Freiheit und alles Reichthums ungeachtet, nicht besser ist als das unsrige. Ja, ihr habt nicht bloß alle Laster unserer Bevölkerung, sondern überdieß noch andere, und zwar höchst schädliche, wie euer aufbrausendes, auf Streit und Mord gerichtetes Wesen, wobei ein so großes, starkbevölkertes Reich, wie das unsrige, kein Jahrzehent zusammengehalten werden könnte. Die Weisheit unserer Altvordern ist mehr werth, als alle die unbegreiflichen Seltenheiten, von welchen Sie mir erzählen. 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[0972/0012] Die Whigs und die Tories über China.. Was bezweckte Sir James Graham bei seiner Motion über die chinesischen Wirren? Sollte das Geschwader sammt den Landungstruppen durch einen Schnellsegler zurückgerufen und die auflodernde Kriegesflamme im Osten alsbald wieder gelöscht werden? Nein, das ist unmöglich, Albion's beleidigte Ehre fordert Genugthuung; es unterwerfe sich der erhabene Himmelssohn der Nordresidenz, sollen nicht Congrevische Raketen und Perkinsgewehrfeuer das Innerste seines Palastes in Brand stecken und den „Vater der zehntausend Jahre“ – ein gewöhnlicher Titel des chinesischen Kaisers – aus den „Hallen der himmlischen Ruhe“ (Kien-tsing-kong) jagen, hin zu dem wilden Geklüfte des langen weißen Berges, zur alten Heimath der barbarischen Mandschu. – Sollten vielleicht rings um das langgestreckte Gestade des östlichen Landes Kriegsflotten sich lagern, um den Schmuggelhandel der brittischen Unterthanen zu vernichten? Sollte wohl die Mohnpflanze in Indien ausgerottet und die Giftkrämer, gleichwie die Sklavenhändler, als Seeräuber betrachtet und behandelt werden? Das liegt jenseits der Gränzen menschlicher Macht. Die englische wie die einheimische Bevölkerung Indiens würde dagegen sich auflehnen. Und wer sollte denn endlich die unberechenbaren Summen tragen, welche die Ueberwachung eines Küstenlandes von mehr denn zweitausend englischen Meilen erheischen würde? Was bezweckte nun aber die Motion des ehrenwerthen Mitgliedes für Pembroke? Was wollten die Tories, als sie diese, der Nationalehre in mannichfacher Beziehung nachtheiligen chinesischen Händel vor das Parlament brachten? Kein hoher Sinn für Menschlichkeit und Gerechtigkeit hat ihre langen unerquicklichen Reden aus dem Herzen emporgetrieben. Tories und Whigs waren ja einstimmig in ihren Beschuldigungen gegen die Chinesen und ihre Regierung. „Wir,“ sagt der Tory Sir William Follet, unter dem rauschenden Beifalle seiner Partei – man wollte sich nämlich mit den kriegerisch gesinnten Kaufleuten der Altstadt nicht verfeinden – „wir verdammen nicht minder die Barbareien und die Heuchelei der Chinesen; wir verdammen ihre Uebertretung des Völkerrechts, ihre Grausamkeiten gegen unsere Landsleute, ihre wiederholten Beleidigungen der Majestät und der Flagge Großbritanniens.“ Kein Engländer wird über diesen Punkt einer andern Meinung huldigen. Sir James Graham wollte durch diese Motion bloß die Whigs zum Falle bringen; es sollte den Tories wiederum die süße Herrschaft werden; sie würden dann den Krieg gegen das Mittelreich nur mit größerem Nachdrucke fortgeführt; sie würden, um sich allenthalben Freunde zu machen, dem Schmuggelhandel mit Opium nur größeren Vorschub geleistet haben. China war bei diesem ganzen Handel nur ein leerer Schall, eines Traumes Schatten. Wer könnte es nun, nach solchen Vorgängen, einem Chinesen verargen, wenn er, ergrimmt ob dieses schmachvollen Spieles mit seinem Namen, mit seiner Ehre, die Engländer rothhaarige Barbaren schilt, wenn er über deren Herrsch- und Habsucht bittere Klagen führt? „Wir haben hier in Canton,“ schreibt der Generalgouverneur Li vor bereits 10 Jahren an Se. kaiserl. Maj. nach Peking, „Amerikaner, Hindu, Spanier und Holländer. Obgleich dieser aller Betragen in Beziehung auf Ruhe und Unterwerfung viel zu wünschen übrig läßt, sind sie doch bei weitem besser, als die Engländer; die Herrschsucht und Unverträglichkeit dieses Volkes ist nicht auszuhalten.“ Wer fände es wohl nicht natürlich, daß die Weisen des Mittelreiches ihre altererbte Lehre, die Sprüche des Kriegergottes Kuan-fu-tse höher achten, als all den Industrie- und Maschinenreichthum, die beiden Herkulessäulen des jungen Europa's, welche den Menschen lassen, wie er ist. Eines Tags unterhielt sich Dr. Morrison mit einem der einsichtsvollsten Hong über die unterscheidenden Merkmale zwischen Europa und dem Reich der Mitte. Der Missionair rühmte die Wissenschaft und die Kunstfertigkeit, die politische wie die bürgerliche Freiheit Großbritanniens und der Vereinigten Staaten, er machte den Chinesen mit allen Wohlthaten bekannt, welche durch die europäisch-christliche Civilisation über die ganze Menschheit verbreitet würden. Morrison hatte nämlich damals im Sinne, eine Anzahl geschichtlicher und wissenschaftlicher Werke ins Chinesische zu übersetzen, um die Bewohner des Ostens mit unsern Zuständen bekannt zu machen. Der Kaufmann horchte aufmerksam auf die Worte des Missionairs bis zu Ende und entgegnete dann, wie die Chinesen dieß zu thun pflegen, in bescheidener Weise: „Ich zweifle nicht an der Wahrhaftigkeit Ihrer Rede; aber Sie werden mir auch zugestehen, daß Ihr Volk aller herrlichen Lehren Ihrer Religion, aller Freiheit und alles Reichthums ungeachtet, nicht besser ist als das unsrige. Ja, ihr habt nicht bloß alle Laster unserer Bevölkerung, sondern überdieß noch andere, und zwar höchst schädliche, wie euer aufbrausendes, auf Streit und Mord gerichtetes Wesen, wobei ein so großes, starkbevölkertes Reich, wie das unsrige, kein Jahrzehent zusammengehalten werden könnte. Die Weisheit unserer Altvordern ist mehr werth, als alle die unbegreiflichen Seltenheiten, von welchen Sie mir erzählen. Gibt es Herrlicheres auf Erden, als die Sprüche unserer Lehrers Kuan: *) Gehorche den Eltern; beobachte des Königs Gesetz; halte hoch die Lehrer und Vorgesetzten; liebe die Brüder und alle Verwandten; sey treu den Freunden; lebe in Frieden mit den Nachbarn!“ Doch sehen wir ab von dem Wesen der Motion und wenden uns zu dem Formellen. Zeigten die Mitglieder des Parlaments, welche bei dieser Frage das Wort nahmen, daß sie vollkommen vorbereitet und gerüstet den welthistorischen Ereignissen entgegenschreiten, daß sie ihren Feind nach innen und außen kennen und seine Macht zu würdigen verstehen? O nein, auch in dieser Beziehung hat der Chinese das Recht, seine Gegner unwissende Barbaren zu schelten. Von welchen gigantischen, unverzeihlichen Irrthümern strotzen nicht die Reden Graham's, die seiner Freunde, wie seiner Gegner. „China,“ sagt der ehrenwerthe Baronet, „ist von 350 Millionen Menschen bewohnt, welche eine einzige Sprache sprechen, denselben Gesetzen gehorchen, zu einer einzigen Religion sich bekennen und von Einem Gefühle nationalen Stolzes und Sympathie beseelt sind.“ „Die Stärke eines Reiches, wird dann hinzugefügt, besteht aber n seiner Einheit. Engländer, bedenkt es also, welch einen furchtbaren Feind die Drachenzähne eurer whigg'schen Regierung aus der Erde hervorgerufen haben!“ Um dieser tiefen Weisheit und seltenen Wissenschaft den Stachel auszureißen, erwiedert der Minister Macaulay entschuldigend: „Wie hätten wir denn zu solcher erstaunlichen Kenntniß empordringen können! Die Chinesen haben gar keine Litteratur, die den Fremden helfend zur Seite stünde, und alle diejenigen, welche sich bestrebten, die Gesetze, Sitten und geselligen Verhältnisse dieses Volkes kennen *) Diesem vergötterten Heros oder chinesischen Mars, von welchem abzustammen der Admiral in den Gewässern Cantons sich vor kurzem rühmte, werden 120 Sprüche zugeschrieben, welche im ganzen Mittelreiche sehr verbreitet sind. Kuan, geboren im Jahre 175 unserer Zeitrechnung ward zum Schutzpatron der jetzigen Dynastie erhoben. Seine Sprüche bilden den 17ten Abschnitt der in China berühmten moralisch-religiösen Sammlung „King-sin-lu oder Gebet- und Glaubensbuch“ überschrieben.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 122. Augsburg, 1. Mai 1840, S. 0972. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_122_18400501/12>, abgerufen am 28.03.2024.