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Allgemeine Zeitung. Nr. 120. Augsburg, 29. April 1840.

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den Emissionspreis erheben sollte? Die Kammer hat aber durch die gänzliche Verwerfung der Creirung von 3 1/2 Procents factisch eines der großen Resultate der Operation abgeschnitten. Die Ersparung bleibt, obgleich man sie vermindert; der Impuls aber, welchen die Constituirung von Renten in einem Fonds unter Pari dem Credit geben sollte, ist vertagt. Die Conversion der 5 proc. in 4 1/2 proc. wird den Platz von dem Druck eines Fonds über Pari nicht befreien. Der Staat wird den Rentnern jährlich 10 Millionen weniger bezahlen, und dieß ist Alles. Es ist möglich, daß diese Verstümmelung des Gesetzes für die Pairskammer ein Grund zu dessen Annahme werde. Die Rentner haben das Recht nicht und werden niemals die Hoffnung haben, mehr durchzusetzen. Der Verlust, den sie an ihren Einkünften erleiden, reducirt sich in der That auf ein Zehntel; außerdem will man ihnen ein Semester Zinsen zu 5 Proc. über die Conversion hinaus garantiren, was den Genuß von 4 1/2 Proc. auf zwölf Jahre ausmacht. Ueberdieß hat die Deputirtenkammer durch Verweigerung der Creirung eines Fonds unter Pari den Vorurtheilen der Pairie eine Concession gemacht, welche diese nicht wohl unbeachtet lassen kann. Die Pairskammer wird die Conversion annehmen, wenn das Ministerium sie will und sie vertheidigt. Die Rentner werden sie wohl ohne allen Zweifel annehmen. Wer sollte ihnen 4 1/2 Proc. von ihrem Gelde geben? Die Kammer hat die Heimzahlung durch Serien beschlossen. Dieß ist englische Sitte. Wir hätten die gleichzeitige Heimzahlung vorgezogen.

Die Deputirtenkammer kam am 23 April mit der Discussion der Artikel des Rentengesetzes zu Ende, und nahm dasselbe mit 208 weißen gegen 162 schwarze Kugeln an. Die Kammer hat in dieser Sitzung noch alle Ausnahmen verworfen, welche man zu Gunsten der öffentlichen Anstalten, der Ehrenlegion, der Seeinvaliden, der Gemeinden, der Spitäler u. s. w. hatte einführen wollen. Aus Anlaß des die Tilgung betreffenden Artikels drückte der Conseilpräsident sein Bedauern aus, daß das Votum der Kammer der Regierung eines der Mittel zur Ausführung nämlich der Creirung des 3 1/2 proc. Fonds entzogen habe, beruhigte aber doch die Kammer über die ihm übrig gebliebenen Mittel, und erläuterte die Art, wie er den Tilgungsfonds zur Heimzahlung gebrauchen wolle. Auch erklärte er neuerdings, daß er die Discussion ernstlich betrachte, und sich ernstlich mit der Vollziehung des Gesetzes beschäftigen werde, auch ebenso ernstlich gesonnen sey, die nöthigen Hülfsquellen für diese Operation zu sammeln, die sich übrigens seiner Ansicht nach nicht über 300 Millionen belaufen könnten.

Der Courrier francais bemerkt aus Anlaß dieser Sitzung: "Wir zweifelten nicht an dem Votum, aber wir hofften eine bessere Erörterung; sie war in allen Punkten bejammernswürdig. Noch nie hat die Kammer weniger politische Fähigkeiten an den Tag gelegt. Man verwarf bald, bald nahm man ohne Discussion die wichtigsten Artikel des Entwurfs an. Die Commission änderte jeden Augenblick ihre Ansicht, und wagte nicht mit Offenheit die Gründe dieses Wechselns anzugeben. Die Regierung sagte durch einen befremdlichen Anachronismus heute das, was sie gestern hätte sagen sollen, nämlich in Betreff der Verwerfung des 3 1/2 proc. Fonds. Alles war Ungewißheit, Verlegenheit, Verwirrung. Zwölf Millionen 5 proc. Renten, das Zehntel der zu convertirenden Renten, sind im Besitze von öffentlichen Anstalten. Ob man ihnen diese Renten durch Immobilisirung läßt, oder ob man ihnen 4 1/2 Proc. gibt, und die Differenz durch eine Anweisung auf das Staatsbudget ersetzt, ist am Ende fast gleichgültig; inzwischen kam die Philanthropie gewisser Deputirter in Aufregung, und forderte eine Ausnahme zu Gunsten der Renten, die keinen Privatleuten gehören. Darüber ward hauptsächlich debattirt. Die Commission, in der Meinung, eine größere Zahl von Stimmen zu gewinnen, hatte ihre frühere Ansicht aufgegeben, und einen Zusatzartikel vorgeschlagen, der diese Kategorien in das Gesetz einführte. Das von dem Ministerium unterstützte, von der Linken bekämpfte Amendement ward verworfen. Man wird sich nicht wundern, daß wir der Linken recht geben; sie hat das Princip vertheidigt. Vor lauter Transactionen war das Gesetz so schwach geworden, daß ihm Sinn und Bedeutung fehlte. Diesem Hinneigen zur Schwäche, dem gefährlichsten in einer Zeit und in einem Lande, wo energische Ueberzeugungen zu schwinden streben, mußte Einhalt gethan werden. Durch jenes Verwerfen der Ausnahmen hat die Conversion allerdings einige Stimmen verloren; es wäre aber besser gewesen, sie nochmals zu vertagen, als diesen Sieg so sehr zu vermindern und zu entnerven, daß er beinahe einer Niederlage gleich gekommen wäre. Die relative Majorität von 45 Stimmen ist nicht hinreichend, den Widerstand der Pairskammer zu überwinden. Hätte inzwischen die Pairie Frankreichs jene Weisheit, welche die Ereignisse voraussieht, und ihnen bei Zeiten entgegenkommt, so würde sie sich beeilen, dem Gesetze in der Art, wie man es ihr vorlegen wird, ihre Sanction zu ertheilen. Man wird gewiß keines mehr machen, das den Rentnern günstiger wäre, und je mehr man die Genugthuung, die man der öffentlichen Meinung schuldig ist, hinausschiebt, um so weniger dürfte die Meinung sich geneigt zeigen, ihre Rechte aufzugeben."

Der National bemerkt darüber: "Man hat verschiedene Amendements für Ausnahmen vorgeschlagen. Hr. Garnier Pages, Mitglied der Minorität der Commission, sah wohl ein, daß diese Ausnahmen nothwendig seyen, um das Gesetz mit beträchtlicher Majorität durchzuführen, und bestieg zum letztenmal zur Aufrechthaltung dieses Systems der Ausnahmen die Tribune. Die dynastische Linke sah aber diese Lage der Dinge und die Stimmung der Gemüther nicht ein, und erhob sich in Masse gegen das Amendement zu Gunsten der öffentlichen Anstalten. Dieses Votum hat das Gesetz getödtet, denn eine solche Majorität ist nicht hinreichend, die Abneigung der Pairie und des Schlosses zu überwinden."

[irrelevantes Material] In der Sitzung der Deputirtenkammer am 24 April entwickelte Hr. Remilly seinen bekannten Vorschlag, die Deputirten, die zugleich Staatsbeamte sind, betreffend. Es seyen jetzt 170 Staatsbeamte in der Kammer, und ihre Zahl könne in einigen Monaten auf 200 steigen. Bei der nächsten Legislatur könnten sie leicht die Majorität ausmachen, und so der Uebelstand immer zunehmen. Man schreibe denjenigen Deputirten, die Stellen oder Beförderungen suchen, die Fractionirung der Kammer zu. Man suche die Chefs und Unterchefs der Parteien zu gewinnen, die nach dem Siege den Lohn für ihre Hingebung erwarten. (Murren.) Hr. Liadieres vertheidigte die Deputirten-Staatsbeamten, und fand vielfachen Beifall, als er ausrief, daß nach dem System des Hrn. Remilly die Kammer bald nur eine große Conferenz von Advocaten unter dem Vorsitz ihres Stabträgers seyn würde. (Abgang der Post.)

(Presse.) Unter dem diplomatischen Corps ist das Gerücht verbreitet, das englische Cabinet habe bei Annahme der Vermittelung Frankreichs in dem Schwefelstreit verlangt, daß der König von Neapel, ehe man zu einer Unterhandlung schritte, aufgefordert werde, den Vertrag mit der Compagnie Taix aufzulösen. Hat Hr. Thiers sich diesem Verlangen Englands willfährig gezeigt?

den Emissionspreis erheben sollte? Die Kammer hat aber durch die gänzliche Verwerfung der Creirung von 3 1/2 Procents factisch eines der großen Resultate der Operation abgeschnitten. Die Ersparung bleibt, obgleich man sie vermindert; der Impuls aber, welchen die Constituirung von Renten in einem Fonds unter Pari dem Credit geben sollte, ist vertagt. Die Conversion der 5 proc. in 4 1/2 proc. wird den Platz von dem Druck eines Fonds über Pari nicht befreien. Der Staat wird den Rentnern jährlich 10 Millionen weniger bezahlen, und dieß ist Alles. Es ist möglich, daß diese Verstümmelung des Gesetzes für die Pairskammer ein Grund zu dessen Annahme werde. Die Rentner haben das Recht nicht und werden niemals die Hoffnung haben, mehr durchzusetzen. Der Verlust, den sie an ihren Einkünften erleiden, reducirt sich in der That auf ein Zehntel; außerdem will man ihnen ein Semester Zinsen zu 5 Proc. über die Conversion hinaus garantiren, was den Genuß von 4 1/2 Proc. auf zwölf Jahre ausmacht. Ueberdieß hat die Deputirtenkammer durch Verweigerung der Creirung eines Fonds unter Pari den Vorurtheilen der Pairie eine Concession gemacht, welche diese nicht wohl unbeachtet lassen kann. Die Pairskammer wird die Conversion annehmen, wenn das Ministerium sie will und sie vertheidigt. Die Rentner werden sie wohl ohne allen Zweifel annehmen. Wer sollte ihnen 4 1/2 Proc. von ihrem Gelde geben? Die Kammer hat die Heimzahlung durch Serien beschlossen. Dieß ist englische Sitte. Wir hätten die gleichzeitige Heimzahlung vorgezogen.

Die Deputirtenkammer kam am 23 April mit der Discussion der Artikel des Rentengesetzes zu Ende, und nahm dasselbe mit 208 weißen gegen 162 schwarze Kugeln an. Die Kammer hat in dieser Sitzung noch alle Ausnahmen verworfen, welche man zu Gunsten der öffentlichen Anstalten, der Ehrenlegion, der Seeinvaliden, der Gemeinden, der Spitäler u. s. w. hatte einführen wollen. Aus Anlaß des die Tilgung betreffenden Artikels drückte der Conseilpräsident sein Bedauern aus, daß das Votum der Kammer der Regierung eines der Mittel zur Ausführung nämlich der Creirung des 3 1/2 proc. Fonds entzogen habe, beruhigte aber doch die Kammer über die ihm übrig gebliebenen Mittel, und erläuterte die Art, wie er den Tilgungsfonds zur Heimzahlung gebrauchen wolle. Auch erklärte er neuerdings, daß er die Discussion ernstlich betrachte, und sich ernstlich mit der Vollziehung des Gesetzes beschäftigen werde, auch ebenso ernstlich gesonnen sey, die nöthigen Hülfsquellen für diese Operation zu sammeln, die sich übrigens seiner Ansicht nach nicht über 300 Millionen belaufen könnten.

Der Courrier français bemerkt aus Anlaß dieser Sitzung: „Wir zweifelten nicht an dem Votum, aber wir hofften eine bessere Erörterung; sie war in allen Punkten bejammernswürdig. Noch nie hat die Kammer weniger politische Fähigkeiten an den Tag gelegt. Man verwarf bald, bald nahm man ohne Discussion die wichtigsten Artikel des Entwurfs an. Die Commission änderte jeden Augenblick ihre Ansicht, und wagte nicht mit Offenheit die Gründe dieses Wechselns anzugeben. Die Regierung sagte durch einen befremdlichen Anachronismus heute das, was sie gestern hätte sagen sollen, nämlich in Betreff der Verwerfung des 3 1/2 proc. Fonds. Alles war Ungewißheit, Verlegenheit, Verwirrung. Zwölf Millionen 5 proc. Renten, das Zehntel der zu convertirenden Renten, sind im Besitze von öffentlichen Anstalten. Ob man ihnen diese Renten durch Immobilisirung läßt, oder ob man ihnen 4 1/2 Proc. gibt, und die Differenz durch eine Anweisung auf das Staatsbudget ersetzt, ist am Ende fast gleichgültig; inzwischen kam die Philanthropie gewisser Deputirter in Aufregung, und forderte eine Ausnahme zu Gunsten der Renten, die keinen Privatleuten gehören. Darüber ward hauptsächlich debattirt. Die Commission, in der Meinung, eine größere Zahl von Stimmen zu gewinnen, hatte ihre frühere Ansicht aufgegeben, und einen Zusatzartikel vorgeschlagen, der diese Kategorien in das Gesetz einführte. Das von dem Ministerium unterstützte, von der Linken bekämpfte Amendement ward verworfen. Man wird sich nicht wundern, daß wir der Linken recht geben; sie hat das Princip vertheidigt. Vor lauter Transactionen war das Gesetz so schwach geworden, daß ihm Sinn und Bedeutung fehlte. Diesem Hinneigen zur Schwäche, dem gefährlichsten in einer Zeit und in einem Lande, wo energische Ueberzeugungen zu schwinden streben, mußte Einhalt gethan werden. Durch jenes Verwerfen der Ausnahmen hat die Conversion allerdings einige Stimmen verloren; es wäre aber besser gewesen, sie nochmals zu vertagen, als diesen Sieg so sehr zu vermindern und zu entnerven, daß er beinahe einer Niederlage gleich gekommen wäre. Die relative Majorität von 45 Stimmen ist nicht hinreichend, den Widerstand der Pairskammer zu überwinden. Hätte inzwischen die Pairie Frankreichs jene Weisheit, welche die Ereignisse voraussieht, und ihnen bei Zeiten entgegenkommt, so würde sie sich beeilen, dem Gesetze in der Art, wie man es ihr vorlegen wird, ihre Sanction zu ertheilen. Man wird gewiß keines mehr machen, das den Rentnern günstiger wäre, und je mehr man die Genugthuung, die man der öffentlichen Meinung schuldig ist, hinausschiebt, um so weniger dürfte die Meinung sich geneigt zeigen, ihre Rechte aufzugeben.“

Der National bemerkt darüber: „Man hat verschiedene Amendements für Ausnahmen vorgeschlagen. Hr. Garnier Pagès, Mitglied der Minorität der Commission, sah wohl ein, daß diese Ausnahmen nothwendig seyen, um das Gesetz mit beträchtlicher Majorität durchzuführen, und bestieg zum letztenmal zur Aufrechthaltung dieses Systems der Ausnahmen die Tribune. Die dynastische Linke sah aber diese Lage der Dinge und die Stimmung der Gemüther nicht ein, und erhob sich in Masse gegen das Amendement zu Gunsten der öffentlichen Anstalten. Dieses Votum hat das Gesetz getödtet, denn eine solche Majorität ist nicht hinreichend, die Abneigung der Pairie und des Schlosses zu überwinden.“

[irrelevantes Material] In der Sitzung der Deputirtenkammer am 24 April entwickelte Hr. Rémilly seinen bekannten Vorschlag, die Deputirten, die zugleich Staatsbeamte sind, betreffend. Es seyen jetzt 170 Staatsbeamte in der Kammer, und ihre Zahl könne in einigen Monaten auf 200 steigen. Bei der nächsten Legislatur könnten sie leicht die Majorität ausmachen, und so der Uebelstand immer zunehmen. Man schreibe denjenigen Deputirten, die Stellen oder Beförderungen suchen, die Fractionirung der Kammer zu. Man suche die Chefs und Unterchefs der Parteien zu gewinnen, die nach dem Siege den Lohn für ihre Hingebung erwarten. (Murren.) Hr. Liadières vertheidigte die Deputirten-Staatsbeamten, und fand vielfachen Beifall, als er ausrief, daß nach dem System des Hrn. Rémilly die Kammer bald nur eine große Conferenz von Advocaten unter dem Vorsitz ihres Stabträgers seyn würde. (Abgang der Post.)

(Presse.) Unter dem diplomatischen Corps ist das Gerücht verbreitet, das englische Cabinet habe bei Annahme der Vermittelung Frankreichs in dem Schwefelstreit verlangt, daß der König von Neapel, ehe man zu einer Unterhandlung schritte, aufgefordert werde, den Vertrag mit der Compagnie Taix aufzulösen. Hat Hr. Thiers sich diesem Verlangen Englands willfährig gezeigt?

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den Emissionspreis erheben sollte? Die Kammer hat aber durch die gänzliche Verwerfung der Creirung von 3 1/2 Procents factisch eines der großen Resultate der Operation abgeschnitten. Die Ersparung bleibt, obgleich man sie vermindert; der Impuls aber, welchen die Constituirung von Renten in einem Fonds unter Pari dem Credit geben sollte, ist vertagt. Die Conversion der 5 proc. in 4 1/2 proc. wird den Platz von dem Druck eines Fonds über Pari nicht befreien. Der Staat wird den Rentnern jährlich 10 Millionen weniger bezahlen, und dieß ist Alles. Es ist möglich, daß diese Verstümmelung des Gesetzes für die Pairskammer ein Grund zu dessen Annahme werde. Die Rentner haben das Recht nicht und werden niemals die Hoffnung haben, mehr durchzusetzen. Der Verlust, den sie an ihren Einkünften erleiden, reducirt sich in der That auf ein Zehntel; außerdem will man ihnen ein Semester Zinsen zu 5 Proc. über die Conversion hinaus garantiren, was den Genuß von 4 1/2 Proc. auf zwölf Jahre ausmacht. Ueberdieß hat die Deputirtenkammer durch Verweigerung der Creirung eines Fonds unter Pari den Vorurtheilen der Pairie eine Concession gemacht, welche diese nicht wohl unbeachtet lassen kann. Die Pairskammer wird die Conversion annehmen, wenn das Ministerium sie will und sie vertheidigt. Die Rentner werden sie wohl ohne allen Zweifel annehmen. Wer sollte ihnen 4 1/2 Proc. von ihrem Gelde geben? Die Kammer hat die Heimzahlung durch Serien beschlossen. Dieß ist englische Sitte. Wir hätten die gleichzeitige Heimzahlung vorgezogen.</p><lb/>
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[0955/0003] den Emissionspreis erheben sollte? Die Kammer hat aber durch die gänzliche Verwerfung der Creirung von 3 1/2 Procents factisch eines der großen Resultate der Operation abgeschnitten. Die Ersparung bleibt, obgleich man sie vermindert; der Impuls aber, welchen die Constituirung von Renten in einem Fonds unter Pari dem Credit geben sollte, ist vertagt. Die Conversion der 5 proc. in 4 1/2 proc. wird den Platz von dem Druck eines Fonds über Pari nicht befreien. Der Staat wird den Rentnern jährlich 10 Millionen weniger bezahlen, und dieß ist Alles. Es ist möglich, daß diese Verstümmelung des Gesetzes für die Pairskammer ein Grund zu dessen Annahme werde. Die Rentner haben das Recht nicht und werden niemals die Hoffnung haben, mehr durchzusetzen. Der Verlust, den sie an ihren Einkünften erleiden, reducirt sich in der That auf ein Zehntel; außerdem will man ihnen ein Semester Zinsen zu 5 Proc. über die Conversion hinaus garantiren, was den Genuß von 4 1/2 Proc. auf zwölf Jahre ausmacht. Ueberdieß hat die Deputirtenkammer durch Verweigerung der Creirung eines Fonds unter Pari den Vorurtheilen der Pairie eine Concession gemacht, welche diese nicht wohl unbeachtet lassen kann. Die Pairskammer wird die Conversion annehmen, wenn das Ministerium sie will und sie vertheidigt. Die Rentner werden sie wohl ohne allen Zweifel annehmen. Wer sollte ihnen 4 1/2 Proc. von ihrem Gelde geben? Die Kammer hat die Heimzahlung durch Serien beschlossen. Dieß ist englische Sitte. Wir hätten die gleichzeitige Heimzahlung vorgezogen. Die Deputirtenkammer kam am 23 April mit der Discussion der Artikel des Rentengesetzes zu Ende, und nahm dasselbe mit 208 weißen gegen 162 schwarze Kugeln an. Die Kammer hat in dieser Sitzung noch alle Ausnahmen verworfen, welche man zu Gunsten der öffentlichen Anstalten, der Ehrenlegion, der Seeinvaliden, der Gemeinden, der Spitäler u. s. w. hatte einführen wollen. Aus Anlaß des die Tilgung betreffenden Artikels drückte der Conseilpräsident sein Bedauern aus, daß das Votum der Kammer der Regierung eines der Mittel zur Ausführung nämlich der Creirung des 3 1/2 proc. Fonds entzogen habe, beruhigte aber doch die Kammer über die ihm übrig gebliebenen Mittel, und erläuterte die Art, wie er den Tilgungsfonds zur Heimzahlung gebrauchen wolle. Auch erklärte er neuerdings, daß er die Discussion ernstlich betrachte, und sich ernstlich mit der Vollziehung des Gesetzes beschäftigen werde, auch ebenso ernstlich gesonnen sey, die nöthigen Hülfsquellen für diese Operation zu sammeln, die sich übrigens seiner Ansicht nach nicht über 300 Millionen belaufen könnten. Der Courrier français bemerkt aus Anlaß dieser Sitzung: „Wir zweifelten nicht an dem Votum, aber wir hofften eine bessere Erörterung; sie war in allen Punkten bejammernswürdig. Noch nie hat die Kammer weniger politische Fähigkeiten an den Tag gelegt. Man verwarf bald, bald nahm man ohne Discussion die wichtigsten Artikel des Entwurfs an. Die Commission änderte jeden Augenblick ihre Ansicht, und wagte nicht mit Offenheit die Gründe dieses Wechselns anzugeben. Die Regierung sagte durch einen befremdlichen Anachronismus heute das, was sie gestern hätte sagen sollen, nämlich in Betreff der Verwerfung des 3 1/2 proc. Fonds. Alles war Ungewißheit, Verlegenheit, Verwirrung. Zwölf Millionen 5 proc. Renten, das Zehntel der zu convertirenden Renten, sind im Besitze von öffentlichen Anstalten. 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Diesem Hinneigen zur Schwäche, dem gefährlichsten in einer Zeit und in einem Lande, wo energische Ueberzeugungen zu schwinden streben, mußte Einhalt gethan werden. Durch jenes Verwerfen der Ausnahmen hat die Conversion allerdings einige Stimmen verloren; es wäre aber besser gewesen, sie nochmals zu vertagen, als diesen Sieg so sehr zu vermindern und zu entnerven, daß er beinahe einer Niederlage gleich gekommen wäre. Die relative Majorität von 45 Stimmen ist nicht hinreichend, den Widerstand der Pairskammer zu überwinden. Hätte inzwischen die Pairie Frankreichs jene Weisheit, welche die Ereignisse voraussieht, und ihnen bei Zeiten entgegenkommt, so würde sie sich beeilen, dem Gesetze in der Art, wie man es ihr vorlegen wird, ihre Sanction zu ertheilen. Man wird gewiß keines mehr machen, das den Rentnern günstiger wäre, und je mehr man die Genugthuung, die man der öffentlichen Meinung schuldig ist, hinausschiebt, um so weniger dürfte die Meinung sich geneigt zeigen, ihre Rechte aufzugeben.“ Der National bemerkt darüber: „Man hat verschiedene Amendements für Ausnahmen vorgeschlagen. Hr. Garnier Pagès, Mitglied der Minorität der Commission, sah wohl ein, daß diese Ausnahmen nothwendig seyen, um das Gesetz mit beträchtlicher Majorität durchzuführen, und bestieg zum letztenmal zur Aufrechthaltung dieses Systems der Ausnahmen die Tribune. Die dynastische Linke sah aber diese Lage der Dinge und die Stimmung der Gemüther nicht ein, und erhob sich in Masse gegen das Amendement zu Gunsten der öffentlichen Anstalten. Dieses Votum hat das Gesetz getödtet, denn eine solche Majorität ist nicht hinreichend, die Abneigung der Pairie und des Schlosses zu überwinden.“ _ In der Sitzung der Deputirtenkammer am 24 April entwickelte Hr. Rémilly seinen bekannten Vorschlag, die Deputirten, die zugleich Staatsbeamte sind, betreffend. Es seyen jetzt 170 Staatsbeamte in der Kammer, und ihre Zahl könne in einigen Monaten auf 200 steigen. Bei der nächsten Legislatur könnten sie leicht die Majorität ausmachen, und so der Uebelstand immer zunehmen. Man schreibe denjenigen Deputirten, die Stellen oder Beförderungen suchen, die Fractionirung der Kammer zu. Man suche die Chefs und Unterchefs der Parteien zu gewinnen, die nach dem Siege den Lohn für ihre Hingebung erwarten. (Murren.) Hr. Liadières vertheidigte die Deputirten-Staatsbeamten, und fand vielfachen Beifall, als er ausrief, daß nach dem System des Hrn. Rémilly die Kammer bald nur eine große Conferenz von Advocaten unter dem Vorsitz ihres Stabträgers seyn würde. (Abgang der Post.) (Presse.) Unter dem diplomatischen Corps ist das Gerücht verbreitet, das englische Cabinet habe bei Annahme der Vermittelung Frankreichs in dem Schwefelstreit verlangt, daß der König von Neapel, ehe man zu einer Unterhandlung schritte, aufgefordert werde, den Vertrag mit der Compagnie Taix aufzulösen. Hat Hr. Thiers sich diesem Verlangen Englands willfährig gezeigt?

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 120. Augsburg, 29. April 1840, S. 0955. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_120_18400429/3>, abgerufen am 29.03.2024.