Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 116. Augsburg, 25. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

der Vorsorge und Weisheit Oesterreichs verdankt. Diese Correspondenz ward wohl überall mit lebhafter Theilnahme aufgenommen, und nachdem Sie in einer Anmerkung zu jenem Artikel auf die Wünsche des südwestlichen Deutschlands hingedeutet, glauben wir Ihrer Absicht zu entsprechen, wenn wir auf den nämlichen Gegenstand zurückkommen.

Die vierte Bundesfestung sollte wohl eigentlich ein Aufsatz: "Ueber die Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands in einem Kriege des deutschen Bundes mit Frankreich," bezeichnet seyn, welchen das erste Heft der Deutschen Vierteljahrsschrift für 1840 enthält, denn er beschäftigt sich vorzugsweise mit dem genannten Gegenstande, dessen Bedeutsamkeit Niemand verkennen wird. Wir lassen die sogenannten strategischen Betrachtungen des ungenannten Verfassers ganz unangefochten, oder vielmehr auf sich beruhen, weil uns die Feldherrnwissenschaft fremd ist; da aber die Angelegenheit einmal wieder in Anregung gekommen, und noch eine andere Seite der Auffassung darbietet, so mögen diese Zeilen als ein bescheidener Beitrag zur Erörterung der Frage aufgenommen werden.

Das Historische derselben ist kürzlich Folgendes. Frankreich hatte im zweiten Pariser Frieden unter Anderm die Verpflichtung übernommen, zwanzig Millionen Franken zum Bau einer neuen Festung zum Schutze der deutschen Gränze zu zahlen, und ein anderer Vertrag unter den betheiligten Mächten setzte fest, daß dieser Platz am Oberrhein erbaut werden solle. Die genauere Bestimmung war eine innere Angelegenheit des Bundes, und dabei konnte die deutsche Gründlichkeit sich wieder einmal in vollem Lichte zeigen, denn nach beinahe fünfundzwanzig Jahren sind die Deliberationen noch nicht zu demjenigen Grade der Reife gediehen, welcher baldigen Uebergang zum werkthätigen Handeln gestattete. Es gehört unter die öffentlichen Geheimnisse, daß hinsichtlich der Wahl des zu befestigenden Punktes zwei verschiedene Ansichten einander gegenüber stehen: von einer Seite wird Ulm als unentbehrlicher Hauptwaffenplatz für das südwestliche Deutschland bezeichnet, von der andern ebenso entschieden gegen diesen Entwurf protestirt, und eine große Festung im Rheinthale, namentlich Rastadt, auch wohl Befestigung einiger Sperrpunkte im Schwarzwalde beantragt.

Gewiß sprechen für Ulm sehr triftige Gründe, welche unwiderstehlich seyn würden, wenn ganz Süddeutschland Einen Herrn anerkennte, ja wenn nur Bayern, Würtemberg und Baden Eine Monarchie bildeten, was aber einmal nicht der Fall ist. Die Regierungen der letztgenannten beiden Länder dürften sich dringend veranlaßt fühlen, der vorgeschlagenen Maaßregel ausdauernden Widerspruch entgegenzusetzen, denn das Großherzogthum Baden bliebe schutzlos den Anfällen des Feindes preisgegeben, das Königreich Würtemberg befände sich ziemlich in demselben Fall und hätte zum Ueberfluß die Aussicht, das franzsische Heer ernähren zu müssen, dessen Fortschritte durch Ulm aufgehalten würden.

Ehe wir weiter gehen, wird es zweckmäßig seyn, einige durch Geschichte und Erfahrung gerechtfertigte Vordersätze hinzustellen, deren Bezug zu dem Nachfolgenden keinem Leser entgehen kann, ohne daß es nöthig wäre, immer wieder darauf hinzuweisen.

Bei jedem europäischen Conflicte ist mit beinahe voller Gewißheit auf Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu rechnen. Unsere westlichen Nachbarn sind leider durch die letzten Jahrhunderte daran gewöhnt, Vortheile oder Entschädigungen für anderweite Verluste bei uns zu finden, und jetzt hat sich ihrer vollends die Idee der "natürlichen Gränzen" bemächtigt, welche Hoch und Niedrig klug verschleiert oder in brutaler Offenheit erfüllt; die Adressediscussionen lieferten neuerlich wieder davon Zeugniß; sie können für bedeutsam gelten, nicht, weil die Redner bedeutend waren, sondern weil sie, auf Effect hinarbeitend, recht wohl wußten, daß mit der "Rheingränze" eine Saite angeschlagen wird, die in der ganzen Masse nachklingt.

Bei jedem Kriege wird eine französische Armee vom Elsaß aus ins südwestliche Deutschland einzudringen suchen, und es liegt ganz in der jenseitigen Kriegspolitik, vom deutschen Bunde - den mit einem Schlage zu sprengen nicht möglich seyn dürfte - so viel abzubröckeln, als die Umstände irgend gestatten wollen; überdieß müssen wir dermalen darauf gefaßt seyn, der "Propaganda" beim feindlichen Vortrabe zu begegnen. Ohne daß man diesseits genauere Kenntniß davon erhalten könnte, vermag die Regierung hinter dem Vorhange der Vogesen ein Heer zu sammeln, welches nach wenigen Märschen bei Hüningen oder Straßburg erscheint, und die Möglichkeit, in letzterm großen Waffenplatze ganz unbemerkt 30- bis 40,000 Mann zu vereinigen, ist bereits thatsächlich bewiesen.

Das Großherzogthum Baden hat an der Gränze eines turbulenten Nachbars die ungünstigste Lage, welche nur immer gedacht werden mag: bei unverhältnißmäßig geringer Tiefe einige und dreißig Meilen Längenausdehnung, und mehr als zwei Drittheile derselben nur durch den Rhein von Frankreich geschieden. Man vergegenwärtige sich den Augenblick, wo das Bundescontigent zusammengezogen und mobil gemacht werden soll, die einzelnen Abtheilungen ihre Standorte verlassen, um nach dem Sammelplatze zu marschiren, wozu höchst wahrscheinlich die Umgegend von Karlsruhe dienen würde, gleichzeitig Recruten, Pferde etc. nach demselben Punkt in Bewegung. Brechen nur 20,000 Mann aus Straßburg hervor, so ist in unglaublich kurzer Zeit das ganze Netz jener Bewegungen durchschnitten, und am Morgen des dritten Tages können ganz füglich 10,000 Feinde statt des Contingents bei Karlsruhe stehen, sich die dort aufgehäuften Vorräthe aneignend, wodurch die beabsichtigte Mobilmachung wohl ins Stocken gerathen dürfte. Fürwahr, es ist keiner Regierung zu verdenken, wenn sie gegen einen solchen militärischen Skandal geschützt zu werden verlangt.

Diesen bedeutenden Mißständen wäre durch Anlegung eines festen Platzes im Rheinthale zu begegnen. Ob Rastadt, ungeachtet seiner etwas nördlichen Lage, vorzugsweise dazu geeignet, ob es nicht möglich sey, einen eben so brauchbaren Punkt einige Meilen weiter südlich aufzufinden, darüber enthalten wir uns jedes Urtheils, weil neben den allgemeinen Beziehungen örtliche Bewandtnisse ebenfalls wohl ins Auge gefaßt seyn wollen. Allein Eins scheint außer allem Zweifel: daß dabei nicht an einen Waffenplatz in großem Styl - wie hinsichtlich Ulms in Aussicht stand - gedacht werden dürfe, und nicht davon die Rede seyn könne, die vorhandenen 20 Millionen Franken hier ganz oder auch nur zum größeren Theil zu verwenden. Eine solche Festung im Rheinthal erbaut, möchte die damit verknüpften defensiven Zwecke kaum erfüllen, und für offensive schwerlich in Anspruch genommen werden, da große Operationen im Elsaß nicht zu den wahrscheinlichen Dingen gehören, insofern man der Erfahrung früherer Kriege einigen Einfluß zugesteht. Der Hauptzweck bleibt immer, die Kriegsrüstungen, die Existenz des badischen Contingents als Ganzen, zu sichern und das Land, vor Allem die Hauptstadt, gegen die Ueberschwemmung durch entsendete Truppen noch vor dem Beginn der großen Bewegungen

der Vorsorge und Weisheit Oesterreichs verdankt. Diese Correspondenz ward wohl überall mit lebhafter Theilnahme aufgenommen, und nachdem Sie in einer Anmerkung zu jenem Artikel auf die Wünsche des südwestlichen Deutschlands hingedeutet, glauben wir Ihrer Absicht zu entsprechen, wenn wir auf den nämlichen Gegenstand zurückkommen.

Die vierte Bundesfestung sollte wohl eigentlich ein Aufsatz: „Ueber die Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands in einem Kriege des deutschen Bundes mit Frankreich,“ bezeichnet seyn, welchen das erste Heft der Deutschen Vierteljahrsschrift für 1840 enthält, denn er beschäftigt sich vorzugsweise mit dem genannten Gegenstande, dessen Bedeutsamkeit Niemand verkennen wird. Wir lassen die sogenannten strategischen Betrachtungen des ungenannten Verfassers ganz unangefochten, oder vielmehr auf sich beruhen, weil uns die Feldherrnwissenschaft fremd ist; da aber die Angelegenheit einmal wieder in Anregung gekommen, und noch eine andere Seite der Auffassung darbietet, so mögen diese Zeilen als ein bescheidener Beitrag zur Erörterung der Frage aufgenommen werden.

Das Historische derselben ist kürzlich Folgendes. Frankreich hatte im zweiten Pariser Frieden unter Anderm die Verpflichtung übernommen, zwanzig Millionen Franken zum Bau einer neuen Festung zum Schutze der deutschen Gränze zu zahlen, und ein anderer Vertrag unter den betheiligten Mächten setzte fest, daß dieser Platz am Oberrhein erbaut werden solle. Die genauere Bestimmung war eine innere Angelegenheit des Bundes, und dabei konnte die deutsche Gründlichkeit sich wieder einmal in vollem Lichte zeigen, denn nach beinahe fünfundzwanzig Jahren sind die Deliberationen noch nicht zu demjenigen Grade der Reife gediehen, welcher baldigen Uebergang zum werkthätigen Handeln gestattete. Es gehört unter die öffentlichen Geheimnisse, daß hinsichtlich der Wahl des zu befestigenden Punktes zwei verschiedene Ansichten einander gegenüber stehen: von einer Seite wird Ulm als unentbehrlicher Hauptwaffenplatz für das südwestliche Deutschland bezeichnet, von der andern ebenso entschieden gegen diesen Entwurf protestirt, und eine große Festung im Rheinthale, namentlich Rastadt, auch wohl Befestigung einiger Sperrpunkte im Schwarzwalde beantragt.

Gewiß sprechen für Ulm sehr triftige Gründe, welche unwiderstehlich seyn würden, wenn ganz Süddeutschland Einen Herrn anerkennte, ja wenn nur Bayern, Würtemberg und Baden Eine Monarchie bildeten, was aber einmal nicht der Fall ist. Die Regierungen der letztgenannten beiden Länder dürften sich dringend veranlaßt fühlen, der vorgeschlagenen Maaßregel ausdauernden Widerspruch entgegenzusetzen, denn das Großherzogthum Baden bliebe schutzlos den Anfällen des Feindes preisgegeben, das Königreich Würtemberg befände sich ziemlich in demselben Fall und hätte zum Ueberfluß die Aussicht, das franzsische Heer ernähren zu müssen, dessen Fortschritte durch Ulm aufgehalten würden.

Ehe wir weiter gehen, wird es zweckmäßig seyn, einige durch Geschichte und Erfahrung gerechtfertigte Vordersätze hinzustellen, deren Bezug zu dem Nachfolgenden keinem Leser entgehen kann, ohne daß es nöthig wäre, immer wieder darauf hinzuweisen.

Bei jedem europäischen Conflicte ist mit beinahe voller Gewißheit auf Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu rechnen. Unsere westlichen Nachbarn sind leider durch die letzten Jahrhunderte daran gewöhnt, Vortheile oder Entschädigungen für anderweite Verluste bei uns zu finden, und jetzt hat sich ihrer vollends die Idee der „natürlichen Gränzen“ bemächtigt, welche Hoch und Niedrig klug verschleiert oder in brutaler Offenheit erfüllt; die Adressediscussionen lieferten neuerlich wieder davon Zeugniß; sie können für bedeutsam gelten, nicht, weil die Redner bedeutend waren, sondern weil sie, auf Effect hinarbeitend, recht wohl wußten, daß mit der „Rheingränze“ eine Saite angeschlagen wird, die in der ganzen Masse nachklingt.

Bei jedem Kriege wird eine französische Armee vom Elsaß aus ins südwestliche Deutschland einzudringen suchen, und es liegt ganz in der jenseitigen Kriegspolitik, vom deutschen Bunde – den mit einem Schlage zu sprengen nicht möglich seyn dürfte – so viel abzubröckeln, als die Umstände irgend gestatten wollen; überdieß müssen wir dermalen darauf gefaßt seyn, der „Propaganda“ beim feindlichen Vortrabe zu begegnen. Ohne daß man diesseits genauere Kenntniß davon erhalten könnte, vermag die Regierung hinter dem Vorhange der Vogesen ein Heer zu sammeln, welches nach wenigen Märschen bei Hüningen oder Straßburg erscheint, und die Möglichkeit, in letzterm großen Waffenplatze ganz unbemerkt 30- bis 40,000 Mann zu vereinigen, ist bereits thatsächlich bewiesen.

Das Großherzogthum Baden hat an der Gränze eines turbulenten Nachbars die ungünstigste Lage, welche nur immer gedacht werden mag: bei unverhältnißmäßig geringer Tiefe einige und dreißig Meilen Längenausdehnung, und mehr als zwei Drittheile derselben nur durch den Rhein von Frankreich geschieden. Man vergegenwärtige sich den Augenblick, wo das Bundescontigent zusammengezogen und mobil gemacht werden soll, die einzelnen Abtheilungen ihre Standorte verlassen, um nach dem Sammelplatze zu marschiren, wozu höchst wahrscheinlich die Umgegend von Karlsruhe dienen würde, gleichzeitig Recruten, Pferde etc. nach demselben Punkt in Bewegung. Brechen nur 20,000 Mann aus Straßburg hervor, so ist in unglaublich kurzer Zeit das ganze Netz jener Bewegungen durchschnitten, und am Morgen des dritten Tages können ganz füglich 10,000 Feinde statt des Contingents bei Karlsruhe stehen, sich die dort aufgehäuften Vorräthe aneignend, wodurch die beabsichtigte Mobilmachung wohl ins Stocken gerathen dürfte. Fürwahr, es ist keiner Regierung zu verdenken, wenn sie gegen einen solchen militärischen Skandal geschützt zu werden verlangt.

Diesen bedeutenden Mißständen wäre durch Anlegung eines festen Platzes im Rheinthale zu begegnen. Ob Rastadt, ungeachtet seiner etwas nördlichen Lage, vorzugsweise dazu geeignet, ob es nicht möglich sey, einen eben so brauchbaren Punkt einige Meilen weiter südlich aufzufinden, darüber enthalten wir uns jedes Urtheils, weil neben den allgemeinen Beziehungen örtliche Bewandtnisse ebenfalls wohl ins Auge gefaßt seyn wollen. Allein Eins scheint außer allem Zweifel: daß dabei nicht an einen Waffenplatz in großem Styl – wie hinsichtlich Ulms in Aussicht stand – gedacht werden dürfe, und nicht davon die Rede seyn könne, die vorhandenen 20 Millionen Franken hier ganz oder auch nur zum größeren Theil zu verwenden. Eine solche Festung im Rheinthal erbaut, möchte die damit verknüpften defensiven Zwecke kaum erfüllen, und für offensive schwerlich in Anspruch genommen werden, da große Operationen im Elsaß nicht zu den wahrscheinlichen Dingen gehören, insofern man der Erfahrung früherer Kriege einigen Einfluß zugesteht. Der Hauptzweck bleibt immer, die Kriegsrüstungen, die Existenz des badischen Contingents als Ganzen, zu sichern und das Land, vor Allem die Hauptstadt, gegen die Ueberschwemmung durch entsendete Truppen noch vor dem Beginn der großen Bewegungen

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <p><pb facs="#f0011" n="0924"/>
der Vorsorge und Weisheit Oesterreichs verdankt. Diese Correspondenz ward wohl überall mit lebhafter Theilnahme aufgenommen, und nachdem Sie in einer Anmerkung zu jenem Artikel auf die Wünsche des südwestlichen Deutschlands hingedeutet, glauben wir Ihrer Absicht zu entsprechen, wenn wir auf den nämlichen Gegenstand zurückkommen.</p><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Die vierte Bundesfestung</hi> sollte wohl eigentlich ein Aufsatz: &#x201E;Ueber die Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands in einem Kriege des deutschen Bundes mit Frankreich,&#x201C; bezeichnet seyn, welchen das erste Heft der Deutschen Vierteljahrsschrift für 1840 enthält, denn er beschäftigt sich vorzugsweise mit dem genannten Gegenstande, dessen Bedeutsamkeit Niemand verkennen wird. Wir lassen die sogenannten strategischen Betrachtungen des ungenannten Verfassers ganz unangefochten, oder vielmehr auf sich beruhen, weil uns die Feldherrnwissenschaft fremd ist; da aber die Angelegenheit einmal wieder in Anregung gekommen, und noch eine andere Seite der Auffassung darbietet, so mögen diese Zeilen als ein bescheidener Beitrag zur Erörterung der Frage aufgenommen werden.</p><lb/>
          <p>Das Historische derselben ist kürzlich Folgendes. Frankreich hatte im zweiten Pariser Frieden unter Anderm die Verpflichtung übernommen, zwanzig Millionen Franken zum Bau einer neuen Festung zum Schutze der deutschen Gränze zu zahlen, und ein anderer Vertrag unter den betheiligten Mächten setzte fest, daß dieser Platz am Oberrhein erbaut werden solle. Die genauere Bestimmung war eine innere Angelegenheit des Bundes, und dabei konnte die deutsche Gründlichkeit sich wieder einmal in vollem Lichte zeigen, denn nach beinahe fünfundzwanzig Jahren sind die Deliberationen noch nicht zu demjenigen Grade der Reife gediehen, welcher baldigen Uebergang zum werkthätigen Handeln gestattete. Es gehört unter die öffentlichen Geheimnisse, daß hinsichtlich der Wahl des zu befestigenden Punktes zwei verschiedene Ansichten einander gegenüber stehen: von einer Seite wird Ulm als unentbehrlicher Hauptwaffenplatz für das südwestliche Deutschland bezeichnet, von der andern ebenso entschieden gegen diesen Entwurf protestirt, und eine große Festung im Rheinthale, namentlich Rastadt, auch wohl Befestigung einiger Sperrpunkte im Schwarzwalde beantragt.</p><lb/>
          <p>Gewiß sprechen für Ulm sehr triftige Gründe, welche unwiderstehlich seyn würden, wenn ganz Süddeutschland Einen Herrn anerkennte, ja wenn nur Bayern, Würtemberg und Baden Eine Monarchie bildeten, was aber einmal nicht der Fall ist. Die Regierungen der letztgenannten beiden Länder dürften sich dringend veranlaßt fühlen, der vorgeschlagenen Maaßregel ausdauernden Widerspruch entgegenzusetzen, denn das Großherzogthum Baden bliebe schutzlos den Anfällen des Feindes preisgegeben, das Königreich Würtemberg befände sich ziemlich in demselben Fall und hätte zum Ueberfluß die Aussicht, das franzsische Heer ernähren zu müssen, dessen Fortschritte durch Ulm aufgehalten würden.</p><lb/>
          <p>Ehe wir weiter gehen, wird es zweckmäßig seyn, einige durch Geschichte und Erfahrung gerechtfertigte Vordersätze hinzustellen, deren Bezug zu dem Nachfolgenden keinem Leser entgehen kann, ohne daß es nöthig wäre, immer wieder darauf hinzuweisen.</p><lb/>
          <p>Bei jedem europäischen Conflicte ist mit beinahe voller Gewißheit auf Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu rechnen. Unsere westlichen Nachbarn sind leider durch die letzten Jahrhunderte daran gewöhnt, Vortheile oder Entschädigungen für anderweite Verluste bei uns zu finden, und jetzt hat sich ihrer vollends die Idee der &#x201E;natürlichen Gränzen&#x201C; bemächtigt, welche Hoch und Niedrig klug verschleiert oder in brutaler Offenheit erfüllt; die Adressediscussionen lieferten neuerlich wieder davon Zeugniß; sie können für bedeutsam gelten, nicht, weil die Redner bedeutend waren, sondern weil sie, auf Effect hinarbeitend, recht wohl wußten, daß mit der &#x201E;Rheingränze&#x201C; eine Saite angeschlagen wird, die in der ganzen Masse nachklingt.</p><lb/>
          <p>Bei jedem Kriege wird eine französische Armee vom Elsaß aus ins südwestliche Deutschland einzudringen suchen, und es liegt ganz in der jenseitigen Kriegspolitik, vom deutschen Bunde &#x2013; den mit einem Schlage zu sprengen nicht möglich seyn dürfte &#x2013; so viel abzubröckeln, als die Umstände irgend gestatten wollen; überdieß müssen wir dermalen darauf gefaßt seyn, der &#x201E;Propaganda&#x201C; beim feindlichen Vortrabe zu begegnen. Ohne daß man diesseits genauere Kenntniß davon erhalten könnte, vermag die Regierung hinter dem Vorhange der Vogesen ein Heer zu sammeln, welches nach wenigen Märschen bei Hüningen oder Straßburg erscheint, und die Möglichkeit, in letzterm großen Waffenplatze ganz unbemerkt 30- bis 40,000 Mann zu vereinigen, ist bereits thatsächlich bewiesen.</p><lb/>
          <p>Das Großherzogthum Baden hat an der Gränze eines turbulenten Nachbars die ungünstigste Lage, welche nur immer gedacht werden mag: bei unverhältnißmäßig geringer Tiefe einige und dreißig Meilen Längenausdehnung, und mehr als zwei Drittheile derselben nur durch den Rhein von Frankreich geschieden. Man vergegenwärtige sich den Augenblick, wo das Bundescontigent zusammengezogen und mobil gemacht werden soll, die einzelnen Abtheilungen ihre Standorte verlassen, um nach dem Sammelplatze zu marschiren, wozu höchst wahrscheinlich die Umgegend von Karlsruhe dienen würde, gleichzeitig Recruten, Pferde etc. nach demselben Punkt in Bewegung. Brechen nur 20,000 Mann aus Straßburg hervor, so ist in unglaublich kurzer Zeit das ganze Netz jener Bewegungen durchschnitten, und am Morgen des dritten Tages können ganz füglich 10,000 Feinde statt des Contingents bei Karlsruhe stehen, sich die dort aufgehäuften Vorräthe aneignend, wodurch die beabsichtigte Mobilmachung wohl ins Stocken gerathen dürfte. Fürwahr, es ist keiner Regierung zu verdenken, wenn sie gegen einen solchen militärischen Skandal geschützt zu werden verlangt.</p><lb/>
          <p>Diesen bedeutenden Mißständen wäre durch Anlegung eines festen Platzes im Rheinthale zu begegnen. Ob Rastadt, ungeachtet seiner etwas nördlichen Lage, vorzugsweise dazu geeignet, ob es nicht möglich sey, einen eben so brauchbaren Punkt einige Meilen weiter südlich aufzufinden, darüber enthalten wir uns jedes Urtheils, weil neben den allgemeinen Beziehungen örtliche Bewandtnisse ebenfalls wohl ins Auge gefaßt seyn wollen. Allein Eins scheint außer allem Zweifel: daß dabei nicht an einen Waffenplatz in großem Styl &#x2013; wie hinsichtlich Ulms in Aussicht stand &#x2013; gedacht werden dürfe, und nicht davon die Rede seyn könne, die vorhandenen 20 Millionen Franken hier ganz oder auch nur zum größeren Theil zu verwenden. Eine solche Festung im Rheinthal erbaut, möchte die damit verknüpften defensiven Zwecke kaum erfüllen, und für offensive schwerlich in Anspruch genommen werden, da große Operationen im Elsaß nicht zu den wahrscheinlichen Dingen gehören, insofern man der Erfahrung früherer Kriege einigen Einfluß zugesteht. Der Hauptzweck bleibt immer, die Kriegsrüstungen, die Existenz des badischen Contingents als Ganzen, zu sichern und das Land, vor Allem die Hauptstadt, gegen die Ueberschwemmung durch entsendete Truppen noch vor dem Beginn der großen Bewegungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0924/0011] der Vorsorge und Weisheit Oesterreichs verdankt. Diese Correspondenz ward wohl überall mit lebhafter Theilnahme aufgenommen, und nachdem Sie in einer Anmerkung zu jenem Artikel auf die Wünsche des südwestlichen Deutschlands hingedeutet, glauben wir Ihrer Absicht zu entsprechen, wenn wir auf den nämlichen Gegenstand zurückkommen. Die vierte Bundesfestung sollte wohl eigentlich ein Aufsatz: „Ueber die Vertheidigung des südwestlichen Deutschlands in einem Kriege des deutschen Bundes mit Frankreich,“ bezeichnet seyn, welchen das erste Heft der Deutschen Vierteljahrsschrift für 1840 enthält, denn er beschäftigt sich vorzugsweise mit dem genannten Gegenstande, dessen Bedeutsamkeit Niemand verkennen wird. Wir lassen die sogenannten strategischen Betrachtungen des ungenannten Verfassers ganz unangefochten, oder vielmehr auf sich beruhen, weil uns die Feldherrnwissenschaft fremd ist; da aber die Angelegenheit einmal wieder in Anregung gekommen, und noch eine andere Seite der Auffassung darbietet, so mögen diese Zeilen als ein bescheidener Beitrag zur Erörterung der Frage aufgenommen werden. Das Historische derselben ist kürzlich Folgendes. Frankreich hatte im zweiten Pariser Frieden unter Anderm die Verpflichtung übernommen, zwanzig Millionen Franken zum Bau einer neuen Festung zum Schutze der deutschen Gränze zu zahlen, und ein anderer Vertrag unter den betheiligten Mächten setzte fest, daß dieser Platz am Oberrhein erbaut werden solle. Die genauere Bestimmung war eine innere Angelegenheit des Bundes, und dabei konnte die deutsche Gründlichkeit sich wieder einmal in vollem Lichte zeigen, denn nach beinahe fünfundzwanzig Jahren sind die Deliberationen noch nicht zu demjenigen Grade der Reife gediehen, welcher baldigen Uebergang zum werkthätigen Handeln gestattete. Es gehört unter die öffentlichen Geheimnisse, daß hinsichtlich der Wahl des zu befestigenden Punktes zwei verschiedene Ansichten einander gegenüber stehen: von einer Seite wird Ulm als unentbehrlicher Hauptwaffenplatz für das südwestliche Deutschland bezeichnet, von der andern ebenso entschieden gegen diesen Entwurf protestirt, und eine große Festung im Rheinthale, namentlich Rastadt, auch wohl Befestigung einiger Sperrpunkte im Schwarzwalde beantragt. Gewiß sprechen für Ulm sehr triftige Gründe, welche unwiderstehlich seyn würden, wenn ganz Süddeutschland Einen Herrn anerkennte, ja wenn nur Bayern, Würtemberg und Baden Eine Monarchie bildeten, was aber einmal nicht der Fall ist. Die Regierungen der letztgenannten beiden Länder dürften sich dringend veranlaßt fühlen, der vorgeschlagenen Maaßregel ausdauernden Widerspruch entgegenzusetzen, denn das Großherzogthum Baden bliebe schutzlos den Anfällen des Feindes preisgegeben, das Königreich Würtemberg befände sich ziemlich in demselben Fall und hätte zum Ueberfluß die Aussicht, das franzsische Heer ernähren zu müssen, dessen Fortschritte durch Ulm aufgehalten würden. Ehe wir weiter gehen, wird es zweckmäßig seyn, einige durch Geschichte und Erfahrung gerechtfertigte Vordersätze hinzustellen, deren Bezug zu dem Nachfolgenden keinem Leser entgehen kann, ohne daß es nöthig wäre, immer wieder darauf hinzuweisen. Bei jedem europäischen Conflicte ist mit beinahe voller Gewißheit auf Feindseligkeiten zwischen Frankreich und Deutschland zu rechnen. Unsere westlichen Nachbarn sind leider durch die letzten Jahrhunderte daran gewöhnt, Vortheile oder Entschädigungen für anderweite Verluste bei uns zu finden, und jetzt hat sich ihrer vollends die Idee der „natürlichen Gränzen“ bemächtigt, welche Hoch und Niedrig klug verschleiert oder in brutaler Offenheit erfüllt; die Adressediscussionen lieferten neuerlich wieder davon Zeugniß; sie können für bedeutsam gelten, nicht, weil die Redner bedeutend waren, sondern weil sie, auf Effect hinarbeitend, recht wohl wußten, daß mit der „Rheingränze“ eine Saite angeschlagen wird, die in der ganzen Masse nachklingt. Bei jedem Kriege wird eine französische Armee vom Elsaß aus ins südwestliche Deutschland einzudringen suchen, und es liegt ganz in der jenseitigen Kriegspolitik, vom deutschen Bunde – den mit einem Schlage zu sprengen nicht möglich seyn dürfte – so viel abzubröckeln, als die Umstände irgend gestatten wollen; überdieß müssen wir dermalen darauf gefaßt seyn, der „Propaganda“ beim feindlichen Vortrabe zu begegnen. Ohne daß man diesseits genauere Kenntniß davon erhalten könnte, vermag die Regierung hinter dem Vorhange der Vogesen ein Heer zu sammeln, welches nach wenigen Märschen bei Hüningen oder Straßburg erscheint, und die Möglichkeit, in letzterm großen Waffenplatze ganz unbemerkt 30- bis 40,000 Mann zu vereinigen, ist bereits thatsächlich bewiesen. Das Großherzogthum Baden hat an der Gränze eines turbulenten Nachbars die ungünstigste Lage, welche nur immer gedacht werden mag: bei unverhältnißmäßig geringer Tiefe einige und dreißig Meilen Längenausdehnung, und mehr als zwei Drittheile derselben nur durch den Rhein von Frankreich geschieden. Man vergegenwärtige sich den Augenblick, wo das Bundescontigent zusammengezogen und mobil gemacht werden soll, die einzelnen Abtheilungen ihre Standorte verlassen, um nach dem Sammelplatze zu marschiren, wozu höchst wahrscheinlich die Umgegend von Karlsruhe dienen würde, gleichzeitig Recruten, Pferde etc. nach demselben Punkt in Bewegung. Brechen nur 20,000 Mann aus Straßburg hervor, so ist in unglaublich kurzer Zeit das ganze Netz jener Bewegungen durchschnitten, und am Morgen des dritten Tages können ganz füglich 10,000 Feinde statt des Contingents bei Karlsruhe stehen, sich die dort aufgehäuften Vorräthe aneignend, wodurch die beabsichtigte Mobilmachung wohl ins Stocken gerathen dürfte. Fürwahr, es ist keiner Regierung zu verdenken, wenn sie gegen einen solchen militärischen Skandal geschützt zu werden verlangt. Diesen bedeutenden Mißständen wäre durch Anlegung eines festen Platzes im Rheinthale zu begegnen. Ob Rastadt, ungeachtet seiner etwas nördlichen Lage, vorzugsweise dazu geeignet, ob es nicht möglich sey, einen eben so brauchbaren Punkt einige Meilen weiter südlich aufzufinden, darüber enthalten wir uns jedes Urtheils, weil neben den allgemeinen Beziehungen örtliche Bewandtnisse ebenfalls wohl ins Auge gefaßt seyn wollen. Allein Eins scheint außer allem Zweifel: daß dabei nicht an einen Waffenplatz in großem Styl – wie hinsichtlich Ulms in Aussicht stand – gedacht werden dürfe, und nicht davon die Rede seyn könne, die vorhandenen 20 Millionen Franken hier ganz oder auch nur zum größeren Theil zu verwenden. Eine solche Festung im Rheinthal erbaut, möchte die damit verknüpften defensiven Zwecke kaum erfüllen, und für offensive schwerlich in Anspruch genommen werden, da große Operationen im Elsaß nicht zu den wahrscheinlichen Dingen gehören, insofern man der Erfahrung früherer Kriege einigen Einfluß zugesteht. Der Hauptzweck bleibt immer, die Kriegsrüstungen, die Existenz des badischen Contingents als Ganzen, zu sichern und das Land, vor Allem die Hauptstadt, gegen die Ueberschwemmung durch entsendete Truppen noch vor dem Beginn der großen Bewegungen

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_116_18400425
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_116_18400425/11
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 116. Augsburg, 25. April 1840, S. 0924. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_116_18400425/11>, abgerufen am 19.04.2024.