Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Geologische Briefe.

(Fortsetzung.)

James Hutton. Leopold v. Buch.

Zu gleicher Zeit, da Werner nach dem Charakter des neptunisch gebildeten Erzgebirges das Modell der ganzen Erdrinde entwarf, kam ein anderer Forscher in einem Lande, das die auffallendsten Spuren alter vulcanischer Zerrüttung zeigt, auf ganz entgegengesetzte Vorstellungen. James Hutton richtete besondere Aufmerksamkeit auf eine Erscheinung, welche in seinem Vaterland Schottland sich überall in auffallender Weise wiederholt, auf die Thatsache, daß die sogenannten abnormen, ungeschichteten Gebirgsarten, die Werner, wie wir gesehen, für Gebilde des Wassers erklärte, die man aber häufig vor und nach ihm für alte vulcanische Producte gehalten, daß Granite, Grünsteine, Porphyre, Basalte vielfältig Gänge und Spalten im geschichteten Gebirg ausfüllen. Er erkannte, daß dabei die durchsetzten Gebirgsschichten immer verrückt oder zerrissen erscheinen, und er sah einen materiellen Beweis für den ursprünglich feurig flüssigen Zustand jener eingeschobenen Massen darin, daß sehr oft die Ränder der anstoßenden Schichten wie durch Anschmelzung chemisch und mechanisch verändert sind. Er sprach es diesemnach zuerst aus, daß jene abnormen Gesteine im Zustand der Schmelzung durch Spalten der Erdrinde aufgetrieben worden und sich häufig über die Oberfläche ergossen haben, wo sie sofort von spätern Bildungen des Wassers wieder bedeckt wurden, so daß sie häufig auch horizontal zwischen den Schichten eingeschoben erscheinen - ein Verhältniß, das in der Werner'schen Theorie eines der peinigendsten Räthsel war, weil hiebei das in der Voraussetzung am frühesten Gebildete, Granit u. s. w., mit den Bildungen späterer, oft sehr neuer Zeit gleichförmig wechselte. Dieser Satz Huttons, in der neuesten Zeit von der Beobachtung zur Evidenz erhoben, ist ein Hauptgrundpfeiler der neueren Theorie geworden. Nicht weniger erkannte aber Hutton auch die gleich wichtige Naturwahrheit, daß alle deutlich geschichteten Gebirgsarten nach und nach, im Ablauf der Zeiten, gebildete Bodensätze des Meeres sind. Er behauptete, die ursprünglich im Schooße der Meeres ruhig und wagerecht gebildeten Schichten seyen da und dort durch vulcanische Wirkungen von unten auf verrückt, verbogen, zerrissen, aufgehoben worden, und alles geschichtete Gebirge des Festlandes bestehe lediglich aus emporgerückten Stücken des alten Meerbodens.

Diese Lehre trug Hutton vor (1795), als eben durch Werners Einfluß ein gerade entgegengesetzter Begriff sich der Geister zu bemächtigen anfing, und ihre Verbreitung blieb daher vorläufig beschränkt. Hutton erkannte auch keineswegs alle Consequenzen seiner Vorstellungsweise, und seine Ansichten waren vielfach zu weit oder zu eng, wie auch Kopernicus von den Distanzen der Himmelskörper noch die mangelhaftesten Begriffe hatte. Hutton ist aber allerdings der Vater der neuern Geologie. Dem Deutschen kann es nicht einfallen, aus patriotischem Eigendünkel die Geschichte der Wissenschaften zu verfälschen oder zu ignoriren; es ist bekannt, daß wir hierin, wie überhaupt, zur Wahrung unserer Rechte eher zu wenig als zu viel thun. Dem Franzosen und dem Engländer ist fremdes überwiegendes Verdienst ein Aergerniß; wenn immer möglich, suchen sie die Erfinder und Entdecker anderer Nationen hinter die ihnen mehr oder weniger entsprechenden einheimischen Geister zurückzuschieben, und die Geschichte jeder Disciplin gleicht, wenn man sie hört, einem Parlament, wo Engländer oder Franzosen als leitende Parteihäupter agiren, durch deren Beredsamkeit Alles durchgeht oder beseitigt wird, während die Fremden nur da sind, um Chorus zu machen. Wir haben im vorliegenden Fall um so weniger nöthig, nach einem früher gebrauchten Gleichniß, Schottland um den Kopernicus der Geologie zu beneiden, da wir in Leopold v. Buch unbestritten den Galilei derselben besitzen. Wenn wir in aller Kürze den Gedankengang dieses einzigen Mannes anzugeben versuchen, so entwerfen wir zugleich eine zwar flüchtige, aber hoffentlich scharfe Skizze der allgemeinsten geologischen Begriffe, wie sie sich im Laufe dieses Jahrhunderts Geltung verschafft.

Im Jahr 1797 trat Leopold v. Buch, als Werners orthodorer Jünger, die weiten Gebirgswanderungen an, welche für die Entwickelung der Geologie so entscheidend geworden sind. Gleich in Italien, noch mehr aber in der Auvergne, wurde er irre am Werner'schen Dogma von der Oberflächlichkeit der Vulcane und der Bildung der Porphyre und Basalte aus Wasser. Er beobachtete in der Auvergne gar deutlich, daß die alten Vulcane aus dem Granit hervorgebrochen, was Werners Annahme geradezu widersprach. Schon hier und in Skandinavien wollte sich dem unermüdeten Forscher gebieterisch die Idee aufdrängen, daß Granite, Porphyre u. s. w. keineswegs seit ihrer Bildung unverrückte Krystalle aus Wasser seyen, sondern im Gegentheil Massen, die einst geschmolzen aus dem Innern der Erde aufgetrieben worden; aber noch schreckte die Pietät gegen den Meister die rebellischen Gedanken zurück. Der Besuch der canarischen Inseln öffnete ihm vollends die Augen über die eigentliche Bedeutung der vulcanischen Thätigkeit für die Bildung der ganzen Erdrinde. Die Thatsachen zwangen ihn zum Ausspruch, daß alle jene Inseln ihrer ganzen Masse nach Schöpfungen der unterirdischen Feuer seyen. Mit dieser festen Erfahrung im Auge recensirte er die geognostischen Beschreibungen seiner Vorgänger, und entwickelte daraus die äußerst fruchtbare Ansicht, daß alle die zahllosen über die großen Meere verstreuten Inseln auf dieselbe Weise entstanden seyen, wie die Canarien. Er bewies dieß namentlich für den ungeheuern Archipelagus der Südsee, und wenn auch der von ihm aufgestellte Begriff von Erhebungskratern, zum Unterschied von Eruptionskratern, zu Debatten Anlaß gab, die noch nicht geschlichtet sind, so bleibt dabei doch das Factum stehen, daß jene Inseln wirklich rein vulcanische Erzeugnisse sind, und nicht etwa, wie die frühere Theorie annehmen mußte, zerstreute Reste eines zertrümmerten und versunkenen Continents. Mit dieser Ansicht hatte nun aber Leop. v. Buch die Elemente gewonnen, um die Erhebung alles Landes über das Meer aus einem und demselben Processe zu begreifen. Er richtete sofort seine Aufmerksamkeit auf die allgemeine geographische Vertheilung der Vulcane, und das gewonnene Resultat führte ihn unmittelbar auf den entscheidenden Gedanken. Es zeigte sich nämlich, daß die Vulcane über die ganze Erde sehr oft in deutlichen Reihen aneinanderliegen, und noch dazu häufig offenbar in gegenseitigem innerem Rapport stehen. Nach seinen bisher gewonnenen Erfahrungen und Begriffen über die Wirkungen der Vulcane und Erdbeben erklärte er sich dieses auffallende Verhältniß aus großen Längespalten in der Erdrinde, durch welche die unterirdischen Kräfte sich den Weg gebahnt. Diese Ketten von Feuerschlünden bezeichnen nun aber nicht selten zugleich die Umrisse der großen Festländer; ferner brechen Vulcane meistens

Geologische Briefe.

(Fortsetzung.)

James Hutton. Leopold v. Buch.

Zu gleicher Zeit, da Werner nach dem Charakter des neptunisch gebildeten Erzgebirges das Modell der ganzen Erdrinde entwarf, kam ein anderer Forscher in einem Lande, das die auffallendsten Spuren alter vulcanischer Zerrüttung zeigt, auf ganz entgegengesetzte Vorstellungen. James Hutton richtete besondere Aufmerksamkeit auf eine Erscheinung, welche in seinem Vaterland Schottland sich überall in auffallender Weise wiederholt, auf die Thatsache, daß die sogenannten abnormen, ungeschichteten Gebirgsarten, die Werner, wie wir gesehen, für Gebilde des Wassers erklärte, die man aber häufig vor und nach ihm für alte vulcanische Producte gehalten, daß Granite, Grünsteine, Porphyre, Basalte vielfältig Gänge und Spalten im geschichteten Gebirg ausfüllen. Er erkannte, daß dabei die durchsetzten Gebirgsschichten immer verrückt oder zerrissen erscheinen, und er sah einen materiellen Beweis für den ursprünglich feurig flüssigen Zustand jener eingeschobenen Massen darin, daß sehr oft die Ränder der anstoßenden Schichten wie durch Anschmelzung chemisch und mechanisch verändert sind. Er sprach es diesemnach zuerst aus, daß jene abnormen Gesteine im Zustand der Schmelzung durch Spalten der Erdrinde aufgetrieben worden und sich häufig über die Oberfläche ergossen haben, wo sie sofort von spätern Bildungen des Wassers wieder bedeckt wurden, so daß sie häufig auch horizontal zwischen den Schichten eingeschoben erscheinen – ein Verhältniß, das in der Werner'schen Theorie eines der peinigendsten Räthsel war, weil hiebei das in der Voraussetzung am frühesten Gebildete, Granit u. s. w., mit den Bildungen späterer, oft sehr neuer Zeit gleichförmig wechselte. Dieser Satz Huttons, in der neuesten Zeit von der Beobachtung zur Evidenz erhoben, ist ein Hauptgrundpfeiler der neueren Theorie geworden. Nicht weniger erkannte aber Hutton auch die gleich wichtige Naturwahrheit, daß alle deutlich geschichteten Gebirgsarten nach und nach, im Ablauf der Zeiten, gebildete Bodensätze des Meeres sind. Er behauptete, die ursprünglich im Schooße der Meeres ruhig und wagerecht gebildeten Schichten seyen da und dort durch vulcanische Wirkungen von unten auf verrückt, verbogen, zerrissen, aufgehoben worden, und alles geschichtete Gebirge des Festlandes bestehe lediglich aus emporgerückten Stücken des alten Meerbodens.

Diese Lehre trug Hutton vor (1795), als eben durch Werners Einfluß ein gerade entgegengesetzter Begriff sich der Geister zu bemächtigen anfing, und ihre Verbreitung blieb daher vorläufig beschränkt. Hutton erkannte auch keineswegs alle Consequenzen seiner Vorstellungsweise, und seine Ansichten waren vielfach zu weit oder zu eng, wie auch Kopernicus von den Distanzen der Himmelskörper noch die mangelhaftesten Begriffe hatte. Hutton ist aber allerdings der Vater der neuern Geologie. Dem Deutschen kann es nicht einfallen, aus patriotischem Eigendünkel die Geschichte der Wissenschaften zu verfälschen oder zu ignoriren; es ist bekannt, daß wir hierin, wie überhaupt, zur Wahrung unserer Rechte eher zu wenig als zu viel thun. Dem Franzosen und dem Engländer ist fremdes überwiegendes Verdienst ein Aergerniß; wenn immer möglich, suchen sie die Erfinder und Entdecker anderer Nationen hinter die ihnen mehr oder weniger entsprechenden einheimischen Geister zurückzuschieben, und die Geschichte jeder Disciplin gleicht, wenn man sie hört, einem Parlament, wo Engländer oder Franzosen als leitende Parteihäupter agiren, durch deren Beredsamkeit Alles durchgeht oder beseitigt wird, während die Fremden nur da sind, um Chorus zu machen. Wir haben im vorliegenden Fall um so weniger nöthig, nach einem früher gebrauchten Gleichniß, Schottland um den Kopernicus der Geologie zu beneiden, da wir in Leopold v. Buch unbestritten den Galilei derselben besitzen. Wenn wir in aller Kürze den Gedankengang dieses einzigen Mannes anzugeben versuchen, so entwerfen wir zugleich eine zwar flüchtige, aber hoffentlich scharfe Skizze der allgemeinsten geologischen Begriffe, wie sie sich im Laufe dieses Jahrhunderts Geltung verschafft.

Im Jahr 1797 trat Leopold v. Buch, als Werners orthodorer Jünger, die weiten Gebirgswanderungen an, welche für die Entwickelung der Geologie so entscheidend geworden sind. Gleich in Italien, noch mehr aber in der Auvergne, wurde er irre am Werner'schen Dogma von der Oberflächlichkeit der Vulcane und der Bildung der Porphyre und Basalte aus Wasser. Er beobachtete in der Auvergne gar deutlich, daß die alten Vulcane aus dem Granit hervorgebrochen, was Werners Annahme geradezu widersprach. Schon hier und in Skandinavien wollte sich dem unermüdeten Forscher gebieterisch die Idee aufdrängen, daß Granite, Porphyre u. s. w. keineswegs seit ihrer Bildung unverrückte Krystalle aus Wasser seyen, sondern im Gegentheil Massen, die einst geschmolzen aus dem Innern der Erde aufgetrieben worden; aber noch schreckte die Pietät gegen den Meister die rebellischen Gedanken zurück. Der Besuch der canarischen Inseln öffnete ihm vollends die Augen über die eigentliche Bedeutung der vulcanischen Thätigkeit für die Bildung der ganzen Erdrinde. Die Thatsachen zwangen ihn zum Ausspruch, daß alle jene Inseln ihrer ganzen Masse nach Schöpfungen der unterirdischen Feuer seyen. Mit dieser festen Erfahrung im Auge recensirte er die geognostischen Beschreibungen seiner Vorgänger, und entwickelte daraus die äußerst fruchtbare Ansicht, daß alle die zahllosen über die großen Meere verstreuten Inseln auf dieselbe Weise entstanden seyen, wie die Canarien. Er bewies dieß namentlich für den ungeheuern Archipelagus der Südsee, und wenn auch der von ihm aufgestellte Begriff von Erhebungskratern, zum Unterschied von Eruptionskratern, zu Debatten Anlaß gab, die noch nicht geschlichtet sind, so bleibt dabei doch das Factum stehen, daß jene Inseln wirklich rein vulcanische Erzeugnisse sind, und nicht etwa, wie die frühere Theorie annehmen mußte, zerstreute Reste eines zertrümmerten und versunkenen Continents. Mit dieser Ansicht hatte nun aber Leop. v. Buch die Elemente gewonnen, um die Erhebung alles Landes über das Meer aus einem und demselben Processe zu begreifen. Er richtete sofort seine Aufmerksamkeit auf die allgemeine geographische Vertheilung der Vulcane, und das gewonnene Resultat führte ihn unmittelbar auf den entscheidenden Gedanken. Es zeigte sich nämlich, daß die Vulcane über die ganze Erde sehr oft in deutlichen Reihen aneinanderliegen, und noch dazu häufig offenbar in gegenseitigem innerem Rapport stehen. Nach seinen bisher gewonnenen Erfahrungen und Begriffen über die Wirkungen der Vulcane und Erdbeben erklärte er sich dieses auffallende Verhältniß aus großen Längespalten in der Erdrinde, durch welche die unterirdischen Kräfte sich den Weg gebahnt. Diese Ketten von Feuerschlünden bezeichnen nun aber nicht selten zugleich die Umrisse der großen Festländer; ferner brechen Vulcane meistens

<TEI>
  <text>
    <body>
      <pb facs="#f0009" n="0881"/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Geologische Briefe</hi>.</hi> </head><lb/>
        <p>(Fortsetzung.)</p><lb/>
        <p><hi rendition="#g">James Hutton</hi>. <hi rendition="#g">Leopold</hi> v. <hi rendition="#g">Buch</hi>.</p><lb/>
        <p>Zu gleicher Zeit, da Werner nach dem Charakter des neptunisch gebildeten Erzgebirges das Modell der ganzen Erdrinde entwarf, kam ein anderer Forscher in einem Lande, das die auffallendsten Spuren alter vulcanischer Zerrüttung zeigt, auf ganz entgegengesetzte Vorstellungen. James <hi rendition="#g">Hutton</hi> richtete besondere Aufmerksamkeit auf eine Erscheinung, welche in seinem Vaterland Schottland sich überall in auffallender Weise wiederholt, auf die Thatsache, daß die sogenannten abnormen, ungeschichteten Gebirgsarten, die Werner, wie wir gesehen, für Gebilde des Wassers erklärte, die man aber häufig vor und nach ihm für alte vulcanische Producte gehalten, daß Granite, Grünsteine, Porphyre, Basalte vielfältig Gänge und Spalten im geschichteten Gebirg ausfüllen. Er erkannte, daß dabei die durchsetzten Gebirgsschichten immer verrückt oder zerrissen erscheinen, und er sah einen materiellen Beweis für den ursprünglich feurig flüssigen Zustand jener eingeschobenen Massen darin, daß sehr oft die Ränder der anstoßenden Schichten wie durch Anschmelzung chemisch und mechanisch verändert sind. Er sprach es diesemnach zuerst aus, daß jene abnormen Gesteine im Zustand der Schmelzung durch Spalten der Erdrinde aufgetrieben worden und sich häufig über die Oberfläche ergossen haben, wo sie sofort von spätern Bildungen des Wassers wieder bedeckt wurden, so daß sie häufig auch horizontal zwischen den Schichten eingeschoben erscheinen &#x2013; ein Verhältniß, das in der Werner'schen Theorie eines der peinigendsten Räthsel war, weil hiebei das in der Voraussetzung am frühesten Gebildete, Granit u. s. w., mit den Bildungen späterer, oft sehr neuer Zeit gleichförmig wechselte. Dieser Satz Huttons, in der neuesten Zeit von der Beobachtung zur Evidenz erhoben, ist ein Hauptgrundpfeiler der neueren Theorie geworden. Nicht weniger erkannte aber Hutton auch die gleich wichtige Naturwahrheit, daß alle deutlich geschichteten Gebirgsarten nach und nach, im Ablauf der Zeiten, gebildete Bodensätze des Meeres sind. Er behauptete, die ursprünglich im Schooße der Meeres ruhig und wagerecht gebildeten Schichten seyen da und dort durch vulcanische Wirkungen von unten auf verrückt, verbogen, zerrissen, aufgehoben worden, und alles geschichtete Gebirge des Festlandes bestehe lediglich aus emporgerückten Stücken des alten Meerbodens.</p><lb/>
        <p>Diese Lehre trug Hutton vor (1795), als eben durch Werners Einfluß ein gerade entgegengesetzter Begriff sich der Geister zu bemächtigen anfing, und ihre Verbreitung blieb daher vorläufig beschränkt. Hutton erkannte auch keineswegs alle Consequenzen seiner Vorstellungsweise, und seine Ansichten waren vielfach zu weit oder zu eng, wie auch Kopernicus von den Distanzen der Himmelskörper noch die mangelhaftesten Begriffe hatte. Hutton ist aber allerdings der Vater der neuern Geologie. Dem Deutschen kann es nicht einfallen, aus patriotischem Eigendünkel die Geschichte der Wissenschaften zu verfälschen oder zu ignoriren; es ist bekannt, daß wir hierin, wie überhaupt, zur Wahrung unserer Rechte eher zu wenig als zu viel thun. Dem Franzosen und dem Engländer ist fremdes überwiegendes Verdienst ein Aergerniß; wenn immer möglich, suchen sie die Erfinder und Entdecker anderer Nationen hinter die ihnen mehr oder weniger entsprechenden einheimischen Geister zurückzuschieben, und die Geschichte jeder Disciplin gleicht, wenn man sie hört, einem Parlament, wo Engländer oder Franzosen als leitende Parteihäupter agiren, durch deren Beredsamkeit Alles durchgeht oder beseitigt wird, während die Fremden nur da sind, um Chorus zu machen. Wir haben im vorliegenden Fall um so weniger nöthig, nach einem früher gebrauchten Gleichniß, Schottland um den Kopernicus der Geologie zu beneiden, da wir in <hi rendition="#g">Leopold</hi> v. <hi rendition="#g">Buch</hi> unbestritten den Galilei derselben besitzen. Wenn wir in aller Kürze den Gedankengang dieses einzigen Mannes anzugeben versuchen, so entwerfen wir zugleich eine zwar flüchtige, aber hoffentlich scharfe Skizze der allgemeinsten geologischen Begriffe, wie sie sich im Laufe dieses Jahrhunderts Geltung verschafft.</p><lb/>
        <p>Im Jahr 1797 trat Leopold v. <hi rendition="#g">Buch</hi>, als Werners orthodorer Jünger, die weiten Gebirgswanderungen an, welche für die Entwickelung der Geologie so entscheidend geworden sind. Gleich in Italien, noch mehr aber in der Auvergne, wurde er irre am Werner'schen Dogma von der Oberflächlichkeit der Vulcane und der Bildung der Porphyre und Basalte aus Wasser. Er beobachtete in der Auvergne gar deutlich, daß die alten Vulcane aus dem Granit hervorgebrochen, was Werners Annahme geradezu widersprach. Schon hier und in Skandinavien wollte sich dem unermüdeten Forscher gebieterisch die Idee aufdrängen, daß Granite, Porphyre u. s. w. keineswegs seit ihrer Bildung unverrückte Krystalle aus Wasser seyen, sondern im Gegentheil Massen, die einst geschmolzen aus dem Innern der Erde aufgetrieben worden; aber noch schreckte die Pietät gegen den Meister die rebellischen Gedanken zurück. Der Besuch der canarischen Inseln öffnete ihm vollends die Augen über die eigentliche Bedeutung der vulcanischen Thätigkeit für die Bildung der ganzen Erdrinde. Die Thatsachen zwangen ihn zum Ausspruch, daß alle jene Inseln ihrer ganzen Masse nach Schöpfungen der unterirdischen Feuer seyen. Mit dieser festen Erfahrung im Auge recensirte er die geognostischen Beschreibungen seiner Vorgänger, und entwickelte daraus die äußerst fruchtbare Ansicht, daß alle die zahllosen über die großen Meere verstreuten Inseln auf dieselbe Weise entstanden seyen, wie die Canarien. Er bewies dieß namentlich für den ungeheuern Archipelagus der Südsee, und wenn auch der von ihm aufgestellte Begriff von Erhebungskratern, zum Unterschied von Eruptionskratern, zu Debatten Anlaß gab, die noch nicht geschlichtet sind, so bleibt dabei doch das Factum stehen, daß jene Inseln wirklich rein vulcanische Erzeugnisse sind, und nicht etwa, wie die frühere Theorie annehmen mußte, zerstreute Reste eines zertrümmerten und versunkenen Continents. Mit dieser Ansicht hatte nun aber Leop. v. Buch die Elemente gewonnen, um die Erhebung alles Landes über das Meer aus einem und demselben Processe zu begreifen. Er richtete sofort seine Aufmerksamkeit auf die allgemeine geographische Vertheilung der Vulcane, und das gewonnene Resultat führte ihn unmittelbar auf den entscheidenden Gedanken. Es zeigte sich nämlich, daß die Vulcane über die ganze Erde sehr oft in deutlichen Reihen aneinanderliegen, und noch dazu häufig offenbar in gegenseitigem innerem Rapport stehen. Nach seinen bisher gewonnenen Erfahrungen und Begriffen über die Wirkungen der Vulcane und Erdbeben erklärte er sich dieses auffallende Verhältniß aus großen <hi rendition="#g">Längespalten</hi> in der Erdrinde, durch welche die unterirdischen Kräfte sich den Weg gebahnt. Diese Ketten von Feuerschlünden bezeichnen nun aber nicht selten zugleich die Umrisse der großen Festländer; ferner brechen Vulcane meistens<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0881/0009] Geologische Briefe. (Fortsetzung.) James Hutton. Leopold v. Buch. Zu gleicher Zeit, da Werner nach dem Charakter des neptunisch gebildeten Erzgebirges das Modell der ganzen Erdrinde entwarf, kam ein anderer Forscher in einem Lande, das die auffallendsten Spuren alter vulcanischer Zerrüttung zeigt, auf ganz entgegengesetzte Vorstellungen. James Hutton richtete besondere Aufmerksamkeit auf eine Erscheinung, welche in seinem Vaterland Schottland sich überall in auffallender Weise wiederholt, auf die Thatsache, daß die sogenannten abnormen, ungeschichteten Gebirgsarten, die Werner, wie wir gesehen, für Gebilde des Wassers erklärte, die man aber häufig vor und nach ihm für alte vulcanische Producte gehalten, daß Granite, Grünsteine, Porphyre, Basalte vielfältig Gänge und Spalten im geschichteten Gebirg ausfüllen. Er erkannte, daß dabei die durchsetzten Gebirgsschichten immer verrückt oder zerrissen erscheinen, und er sah einen materiellen Beweis für den ursprünglich feurig flüssigen Zustand jener eingeschobenen Massen darin, daß sehr oft die Ränder der anstoßenden Schichten wie durch Anschmelzung chemisch und mechanisch verändert sind. Er sprach es diesemnach zuerst aus, daß jene abnormen Gesteine im Zustand der Schmelzung durch Spalten der Erdrinde aufgetrieben worden und sich häufig über die Oberfläche ergossen haben, wo sie sofort von spätern Bildungen des Wassers wieder bedeckt wurden, so daß sie häufig auch horizontal zwischen den Schichten eingeschoben erscheinen – ein Verhältniß, das in der Werner'schen Theorie eines der peinigendsten Räthsel war, weil hiebei das in der Voraussetzung am frühesten Gebildete, Granit u. s. w., mit den Bildungen späterer, oft sehr neuer Zeit gleichförmig wechselte. Dieser Satz Huttons, in der neuesten Zeit von der Beobachtung zur Evidenz erhoben, ist ein Hauptgrundpfeiler der neueren Theorie geworden. Nicht weniger erkannte aber Hutton auch die gleich wichtige Naturwahrheit, daß alle deutlich geschichteten Gebirgsarten nach und nach, im Ablauf der Zeiten, gebildete Bodensätze des Meeres sind. Er behauptete, die ursprünglich im Schooße der Meeres ruhig und wagerecht gebildeten Schichten seyen da und dort durch vulcanische Wirkungen von unten auf verrückt, verbogen, zerrissen, aufgehoben worden, und alles geschichtete Gebirge des Festlandes bestehe lediglich aus emporgerückten Stücken des alten Meerbodens. Diese Lehre trug Hutton vor (1795), als eben durch Werners Einfluß ein gerade entgegengesetzter Begriff sich der Geister zu bemächtigen anfing, und ihre Verbreitung blieb daher vorläufig beschränkt. Hutton erkannte auch keineswegs alle Consequenzen seiner Vorstellungsweise, und seine Ansichten waren vielfach zu weit oder zu eng, wie auch Kopernicus von den Distanzen der Himmelskörper noch die mangelhaftesten Begriffe hatte. Hutton ist aber allerdings der Vater der neuern Geologie. Dem Deutschen kann es nicht einfallen, aus patriotischem Eigendünkel die Geschichte der Wissenschaften zu verfälschen oder zu ignoriren; es ist bekannt, daß wir hierin, wie überhaupt, zur Wahrung unserer Rechte eher zu wenig als zu viel thun. Dem Franzosen und dem Engländer ist fremdes überwiegendes Verdienst ein Aergerniß; wenn immer möglich, suchen sie die Erfinder und Entdecker anderer Nationen hinter die ihnen mehr oder weniger entsprechenden einheimischen Geister zurückzuschieben, und die Geschichte jeder Disciplin gleicht, wenn man sie hört, einem Parlament, wo Engländer oder Franzosen als leitende Parteihäupter agiren, durch deren Beredsamkeit Alles durchgeht oder beseitigt wird, während die Fremden nur da sind, um Chorus zu machen. Wir haben im vorliegenden Fall um so weniger nöthig, nach einem früher gebrauchten Gleichniß, Schottland um den Kopernicus der Geologie zu beneiden, da wir in Leopold v. Buch unbestritten den Galilei derselben besitzen. Wenn wir in aller Kürze den Gedankengang dieses einzigen Mannes anzugeben versuchen, so entwerfen wir zugleich eine zwar flüchtige, aber hoffentlich scharfe Skizze der allgemeinsten geologischen Begriffe, wie sie sich im Laufe dieses Jahrhunderts Geltung verschafft. Im Jahr 1797 trat Leopold v. Buch, als Werners orthodorer Jünger, die weiten Gebirgswanderungen an, welche für die Entwickelung der Geologie so entscheidend geworden sind. Gleich in Italien, noch mehr aber in der Auvergne, wurde er irre am Werner'schen Dogma von der Oberflächlichkeit der Vulcane und der Bildung der Porphyre und Basalte aus Wasser. Er beobachtete in der Auvergne gar deutlich, daß die alten Vulcane aus dem Granit hervorgebrochen, was Werners Annahme geradezu widersprach. Schon hier und in Skandinavien wollte sich dem unermüdeten Forscher gebieterisch die Idee aufdrängen, daß Granite, Porphyre u. s. w. keineswegs seit ihrer Bildung unverrückte Krystalle aus Wasser seyen, sondern im Gegentheil Massen, die einst geschmolzen aus dem Innern der Erde aufgetrieben worden; aber noch schreckte die Pietät gegen den Meister die rebellischen Gedanken zurück. Der Besuch der canarischen Inseln öffnete ihm vollends die Augen über die eigentliche Bedeutung der vulcanischen Thätigkeit für die Bildung der ganzen Erdrinde. Die Thatsachen zwangen ihn zum Ausspruch, daß alle jene Inseln ihrer ganzen Masse nach Schöpfungen der unterirdischen Feuer seyen. Mit dieser festen Erfahrung im Auge recensirte er die geognostischen Beschreibungen seiner Vorgänger, und entwickelte daraus die äußerst fruchtbare Ansicht, daß alle die zahllosen über die großen Meere verstreuten Inseln auf dieselbe Weise entstanden seyen, wie die Canarien. Er bewies dieß namentlich für den ungeheuern Archipelagus der Südsee, und wenn auch der von ihm aufgestellte Begriff von Erhebungskratern, zum Unterschied von Eruptionskratern, zu Debatten Anlaß gab, die noch nicht geschlichtet sind, so bleibt dabei doch das Factum stehen, daß jene Inseln wirklich rein vulcanische Erzeugnisse sind, und nicht etwa, wie die frühere Theorie annehmen mußte, zerstreute Reste eines zertrümmerten und versunkenen Continents. Mit dieser Ansicht hatte nun aber Leop. v. Buch die Elemente gewonnen, um die Erhebung alles Landes über das Meer aus einem und demselben Processe zu begreifen. Er richtete sofort seine Aufmerksamkeit auf die allgemeine geographische Vertheilung der Vulcane, und das gewonnene Resultat führte ihn unmittelbar auf den entscheidenden Gedanken. Es zeigte sich nämlich, daß die Vulcane über die ganze Erde sehr oft in deutlichen Reihen aneinanderliegen, und noch dazu häufig offenbar in gegenseitigem innerem Rapport stehen. Nach seinen bisher gewonnenen Erfahrungen und Begriffen über die Wirkungen der Vulcane und Erdbeben erklärte er sich dieses auffallende Verhältniß aus großen Längespalten in der Erdrinde, durch welche die unterirdischen Kräfte sich den Weg gebahnt. Diese Ketten von Feuerschlünden bezeichnen nun aber nicht selten zugleich die Umrisse der großen Festländer; ferner brechen Vulcane meistens

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_111_18400420
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_111_18400420/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 111. Augsburg, 20. April 1840, S. 0881. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_111_18400420/9>, abgerufen am 25.04.2024.