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Allgemeine Zeitung. Nr. 109. Augsburg, 18. April 1840.

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dem zweiten Romane mit viel Geist und Geschick bewerkstelligt. St. Roche führt uns nach Frankreich, und es sind die Sitten des Zeitalters Ludwigs XIV, welche uns darin entgegentreten. Die Composition des Ganzen ist einfacher, und deßhalb ansprechender wie die Godwie-Castle's, allein ganz künstlerisch ist auch die jetzige noch nicht. Der erste Theil führt uns allerlei Personen vor, welche in Beziehung zu dem alten Schloß St. Roche in Languedoc stehen, dann sehen wir uns allmählich dorthin versetzt, und am Schluß des ersten Bandes beginnt dann die Geschichte dieses Schlosses, und zwar um ein Jahrhundert früher, enthaltend die höchst merkwürdigen Schicksale der Grafen v. Crecy. Diese Erzählung erstreckt sich bis in die Hälfte des dritten Bandes, und daran knüpft sich dann eine Ergänzung der Lebensschicksale der von jener blutigen Tragödie des Schlosses noch übrigen Personen, und eine Versöhnung der Geschicke. ...

"Wir müssen St. Roche als eine gute, wohlgelungene Dichtung und als den besten Productionen unserer Romanlitteratur angehörend bezeichnen. Sollen wir nun aber den absoluten Werth dieser Richtung der historischen Romanschilderung bestimmen, sollen wir sagen, was unserer Poesie daraus für Nutzen und für Bereicherung zu erwachsen vermag, so müssen wir dieß Lob wesentlich modificiren. Es ist in dieser Gattung des historischen Romans noch zu viel Nachahmung, zu wenig Originalität, und der Nutzen derselben für die Poesie noch sehr untergeordneter Art. Walter Scotts Poesie ging aus einer nationalen Nothwendigkeit hervor. Durch Goethe zum Dichter geweckt, vertiefte er sich in die Romantik seiner Nationalität, das schottische Hochland gab ihm den natürlichen Hintergrund der Naturanschauung, die wechselvollen Ereignisse der neueren und älteren englischen Geschichte den Inhalt der Charakterschilderung. Beide Elemente wußte er, wenn auch nicht mit der höchsten Intensität des Genie's, so doch mit der Beweglichkeit eines reichen Talents in Verbindung zu setzen, und sich zum wahrhaft nationalen Dichter heranzubilden. Deutschland hatte die Gattung des historischen Romans längst gekannt, aber es fehlte ihm das Genie, welches das Nationalinteresse wahrhaft nachhaltig daraus hervorzubilden vermochte, das, wie Goethe es im Götz gethan, den universalen Geist der deutschen Geschichte in erregender individueller Gestaltung verlebendigte; es war daher sehr natürlich, daß Walter Scott auch in Deutschland so enthusiastische Theilnahme fand, und man um seinetwillen van der Velde, und was sonst noch für Talente zweiten und dritten Ranges sich neben diesem bewegten, hintenansetzte und vergaß. Der Einfluß Walter Scotts führte nun direct zur Nachahmung desselben; aber auch jetzt noch währte es lange, bis man den richtigen Weg auffand, und bis wirklich Nachhaltiges auf demselben errungen wurde. Willibald Alexis wurde endlich, nachdem er Walter Scott zuerst sklavisch nachgeahmt hatte, auf den Gedanken geführt, daß er einen wahrhaft nationalen Stoff ergreifen müsse. Er schilderte im "Cabanis" das Zeitalter Friedrichs des Großen, und siehe da! es gelang ihm vortrefflich. Der erste Theil des Cabanis, welcher das Bürgerleben Berlins zur Zeit des großen Friedrich schilderte, ist ein Meisterwerk; leider aber besaß Willibald Alexis nicht die Kraft, dieß Interesse durchzuführen, die übrigen Bände des Cabanis, welche den Verlauf des siebenjährigen Krieges schildern, stehen sehr gern gegen den ersten zurück. .. Jetzt ist er, wie wir hören, wieder mit einem historischen Roman aus einer ältern Epoche der brandenburgischen Geschichte beschäftigt. Das Mittelalter aber ist eine gefährliche Klippe für Romandichter, hier übermannt sie, weil die historische Forschung ihnen noch so wenig vorgearbeitet hat, gar zu leicht die Hohlheit der Romantik, sie hören nur das Schwertergeklirr und das Rasseln der Harnische, die Wahrheit des Individuellen geht ihnen über diesen Aeußerlichkeiten verloren. In dieser Richtung bewegen sich Spindler, Duller, Storch, Belani, Bechstein und wie sie Alle heißen, die Unseligen, welche für die Leihbibliotheken schreiben. Eine tiefere Richtung neben dem nationalen Interesse hatte nun noch Tieck durch seinen "Cevennenkrieg" begründet, indem er die ganze Schärfe des deutschen Geistes auf die psychologische Gestaltung universalhistorischer Zustände wandte; ihm sind Steffens, Rehfues, H. König, Mügge, Kühne und Andere gefolgt, sie haben viel Gutes und Schönes, aber doch nichts Vollendetes geschaffen. Es kann ihnen dieß auch nur erst dann gelingen, wenn sie ihren universalhistorischen Sinn auf nationale Stoffe wenden, wenn sie die wahrhafte Begeisterung einer in sich nothwendigen Poesie in sich aufnehmen. Dieß trifft auch die Verfasserin von Godwie-Castle. Was kann aus solchen Anschauungen fremdländischer Nationalität, wie der altenglischen und altfranzösischen, von einem Deutschen wahrhaft Großes ersprießen! Wie viel Mühe und Studium hat diese Dichterin nur auf die Schilderung dieser Sitten verwandt, und was hat sie erreicht? So vortrefflich vieles Einzelne darin auch ist, in zehn französischen Romanen haben wir es besser, lebendiger, individueller, geistvoller. Und hat sie denn nun Engländer und Franzosen in ihren Romanen geschaffen? Nein, es sind Deutsche! Diese Fennimor ist ein deutsches Mädchen, Gretchen in Goethe's Faust ist ihr Urbild; dieser Crecy ist ein deutscher Träumer, dieser Fenelon ein deutscher Idealist, der Maler Lesieur ein deutscher Kunstschwärmer, und selbst die alte Marschallin ist an deutschen Höfen, nicht aber im Zeitalter Ludwigs XIV zu suchen.

"Eben dieß Verhältniß läßt sich auch bei Godwie-Castle nachweisen. Was ist also mit diesen Dichtungen gewonnen? Eine geistvolle, unterhaltende Lecture, nicht mehr! Aber die Litteratur will mehr. Schildert deutsche Verhältnisse und Sitten, schildert uns den Hof Friedrich Augusts von Sachsen und Friedrich Wilhelms II von Preußen, und wir wollen euch gern lauschen, wollen die Bedeutung eurer Charakteristiken scharf und gründlich erörtern und uns wahrhaft daran erfreuen. Schreibt mit Einem Worte für die Nation!

"Aber ein bitteres Lächeln, ich seh' es, zuckt um eure Lippen. Hat denn die Nation, antwortet ihr, uns schon die Freiheit errungen, daß wir wahrhaft für sie wirken können? Dürfen wir denn Friedrich Wilhelm II und seinen Hof schildern? Wissen wir nicht im voraus, daß unsere Dichtungen hievon nicht die Censur passiren, ja daß sie wahrscheinlich confiscirt werden, wie dieß ja selbst mit Memoiren geschieht!

"Darauf freilich weiß ich nichts zu erwiedern, als: Gott besser's! Aber die Kunst muß doch auf ihrer Forderung bestehen, und sie muß euch drängen, daß ihr wagt, was zu wagen ist. "Ich hab's gewagt!" war der Wahlspruch Ulrichs von Hutten."

Frankreich.

Wir haben gestern der lang versprochenen, feierlich vorbereiteten ersten Aufführung der neuen Oper von Donizetti, "les Martyrs," an der großen Oper beigewohnt. Sie hat keinen Erfolg gehabt, und gehört zu den mißlungenen Unternehmen der Anstalt, die sie ungeheures Geld kostet und keines einbringen wird. Der Gegenstand des Stückes ist die Geschichte Polyeucts, wie sie Corneille in einem Trauerspiele bearbeitet hatte. Polyeuct, ein Römer, der Schwiegersohn des Provinzverwalters Felix in Armenien, unter Kaiser Decius,

dem zweiten Romane mit viel Geist und Geschick bewerkstelligt. St. Roche führt uns nach Frankreich, und es sind die Sitten des Zeitalters Ludwigs XIV, welche uns darin entgegentreten. Die Composition des Ganzen ist einfacher, und deßhalb ansprechender wie die Godwie-Castle's, allein ganz künstlerisch ist auch die jetzige noch nicht. Der erste Theil führt uns allerlei Personen vor, welche in Beziehung zu dem alten Schloß St. Roche in Languedoc stehen, dann sehen wir uns allmählich dorthin versetzt, und am Schluß des ersten Bandes beginnt dann die Geschichte dieses Schlosses, und zwar um ein Jahrhundert früher, enthaltend die höchst merkwürdigen Schicksale der Grafen v. Crecy. Diese Erzählung erstreckt sich bis in die Hälfte des dritten Bandes, und daran knüpft sich dann eine Ergänzung der Lebensschicksale der von jener blutigen Tragödie des Schlosses noch übrigen Personen, und eine Versöhnung der Geschicke. ...

„Wir müssen St. Roche als eine gute, wohlgelungene Dichtung und als den besten Productionen unserer Romanlitteratur angehörend bezeichnen. Sollen wir nun aber den absoluten Werth dieser Richtung der historischen Romanschilderung bestimmen, sollen wir sagen, was unserer Poesie daraus für Nutzen und für Bereicherung zu erwachsen vermag, so müssen wir dieß Lob wesentlich modificiren. Es ist in dieser Gattung des historischen Romans noch zu viel Nachahmung, zu wenig Originalität, und der Nutzen derselben für die Poesie noch sehr untergeordneter Art. Walter Scotts Poesie ging aus einer nationalen Nothwendigkeit hervor. Durch Goethe zum Dichter geweckt, vertiefte er sich in die Romantik seiner Nationalität, das schottische Hochland gab ihm den natürlichen Hintergrund der Naturanschauung, die wechselvollen Ereignisse der neueren und älteren englischen Geschichte den Inhalt der Charakterschilderung. Beide Elemente wußte er, wenn auch nicht mit der höchsten Intensität des Genie's, so doch mit der Beweglichkeit eines reichen Talents in Verbindung zu setzen, und sich zum wahrhaft nationalen Dichter heranzubilden. Deutschland hatte die Gattung des historischen Romans längst gekannt, aber es fehlte ihm das Genie, welches das Nationalinteresse wahrhaft nachhaltig daraus hervorzubilden vermochte, das, wie Goethe es im Götz gethan, den universalen Geist der deutschen Geschichte in erregender individueller Gestaltung verlebendigte; es war daher sehr natürlich, daß Walter Scott auch in Deutschland so enthusiastische Theilnahme fand, und man um seinetwillen van der Velde, und was sonst noch für Talente zweiten und dritten Ranges sich neben diesem bewegten, hintenansetzte und vergaß. Der Einfluß Walter Scotts führte nun direct zur Nachahmung desselben; aber auch jetzt noch währte es lange, bis man den richtigen Weg auffand, und bis wirklich Nachhaltiges auf demselben errungen wurde. Willibald Alexis wurde endlich, nachdem er Walter Scott zuerst sklavisch nachgeahmt hatte, auf den Gedanken geführt, daß er einen wahrhaft nationalen Stoff ergreifen müsse. Er schilderte im „Cabanis“ das Zeitalter Friedrichs des Großen, und siehe da! es gelang ihm vortrefflich. Der erste Theil des Cabanis, welcher das Bürgerleben Berlins zur Zeit des großen Friedrich schilderte, ist ein Meisterwerk; leider aber besaß Willibald Alexis nicht die Kraft, dieß Interesse durchzuführen, die übrigen Bände des Cabanis, welche den Verlauf des siebenjährigen Krieges schildern, stehen sehr gern gegen den ersten zurück. .. Jetzt ist er, wie wir hören, wieder mit einem historischen Roman aus einer ältern Epoche der brandenburgischen Geschichte beschäftigt. Das Mittelalter aber ist eine gefährliche Klippe für Romandichter, hier übermannt sie, weil die historische Forschung ihnen noch so wenig vorgearbeitet hat, gar zu leicht die Hohlheit der Romantik, sie hören nur das Schwertergeklirr und das Rasseln der Harnische, die Wahrheit des Individuellen geht ihnen über diesen Aeußerlichkeiten verloren. In dieser Richtung bewegen sich Spindler, Duller, Storch, Belani, Bechstein und wie sie Alle heißen, die Unseligen, welche für die Leihbibliotheken schreiben. Eine tiefere Richtung neben dem nationalen Interesse hatte nun noch Tieck durch seinen „Cevennenkrieg“ begründet, indem er die ganze Schärfe des deutschen Geistes auf die psychologische Gestaltung universalhistorischer Zustände wandte; ihm sind Steffens, Rehfues, H. König, Mügge, Kühne und Andere gefolgt, sie haben viel Gutes und Schönes, aber doch nichts Vollendetes geschaffen. Es kann ihnen dieß auch nur erst dann gelingen, wenn sie ihren universalhistorischen Sinn auf nationale Stoffe wenden, wenn sie die wahrhafte Begeisterung einer in sich nothwendigen Poesie in sich aufnehmen. Dieß trifft auch die Verfasserin von Godwie-Castle. Was kann aus solchen Anschauungen fremdländischer Nationalität, wie der altenglischen und altfranzösischen, von einem Deutschen wahrhaft Großes ersprießen! Wie viel Mühe und Studium hat diese Dichterin nur auf die Schilderung dieser Sitten verwandt, und was hat sie erreicht? So vortrefflich vieles Einzelne darin auch ist, in zehn französischen Romanen haben wir es besser, lebendiger, individueller, geistvoller. Und hat sie denn nun Engländer und Franzosen in ihren Romanen geschaffen? Nein, es sind Deutsche! Diese Fennimor ist ein deutsches Mädchen, Gretchen in Goethe's Faust ist ihr Urbild; dieser Crecy ist ein deutscher Träumer, dieser Fenelon ein deutscher Idealist, der Maler Lesieur ein deutscher Kunstschwärmer, und selbst die alte Marschallin ist an deutschen Höfen, nicht aber im Zeitalter Ludwigs XIV zu suchen.

„Eben dieß Verhältniß läßt sich auch bei Godwie-Castle nachweisen. Was ist also mit diesen Dichtungen gewonnen? Eine geistvolle, unterhaltende Lecture, nicht mehr! Aber die Litteratur will mehr. Schildert deutsche Verhältnisse und Sitten, schildert uns den Hof Friedrich Augusts von Sachsen und Friedrich Wilhelms II von Preußen, und wir wollen euch gern lauschen, wollen die Bedeutung eurer Charakteristiken scharf und gründlich erörtern und uns wahrhaft daran erfreuen. Schreibt mit Einem Worte für die Nation!

„Aber ein bitteres Lächeln, ich seh' es, zuckt um eure Lippen. Hat denn die Nation, antwortet ihr, uns schon die Freiheit errungen, daß wir wahrhaft für sie wirken können? Dürfen wir denn Friedrich Wilhelm II und seinen Hof schildern? Wissen wir nicht im voraus, daß unsere Dichtungen hievon nicht die Censur passiren, ja daß sie wahrscheinlich confiscirt werden, wie dieß ja selbst mit Memoiren geschieht!

„Darauf freilich weiß ich nichts zu erwiedern, als: Gott besser's! Aber die Kunst muß doch auf ihrer Forderung bestehen, und sie muß euch drängen, daß ihr wagt, was zu wagen ist. „Ich hab's gewagt!“ war der Wahlspruch Ulrichs von Hutten.“

Frankreich.

Wir haben gestern der lang versprochenen, feierlich vorbereiteten ersten Aufführung der neuen Oper von Donizetti, „les Martyrs,“ an der großen Oper beigewohnt. Sie hat keinen Erfolg gehabt, und gehört zu den mißlungenen Unternehmen der Anstalt, die sie ungeheures Geld kostet und keines einbringen wird. Der Gegenstand des Stückes ist die Geschichte Polyeucts, wie sie Corneille in einem Trauerspiele bearbeitet hatte. Polyeuct, ein Römer, der Schwiegersohn des Provinzverwalters Felix in Armenien, unter Kaiser Decius,

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[0868/0012] dem zweiten Romane mit viel Geist und Geschick bewerkstelligt. St. Roche führt uns nach Frankreich, und es sind die Sitten des Zeitalters Ludwigs XIV, welche uns darin entgegentreten. Die Composition des Ganzen ist einfacher, und deßhalb ansprechender wie die Godwie-Castle's, allein ganz künstlerisch ist auch die jetzige noch nicht. Der erste Theil führt uns allerlei Personen vor, welche in Beziehung zu dem alten Schloß St. Roche in Languedoc stehen, dann sehen wir uns allmählich dorthin versetzt, und am Schluß des ersten Bandes beginnt dann die Geschichte dieses Schlosses, und zwar um ein Jahrhundert früher, enthaltend die höchst merkwürdigen Schicksale der Grafen v. Crecy. Diese Erzählung erstreckt sich bis in die Hälfte des dritten Bandes, und daran knüpft sich dann eine Ergänzung der Lebensschicksale der von jener blutigen Tragödie des Schlosses noch übrigen Personen, und eine Versöhnung der Geschicke. ... „Wir müssen St. Roche als eine gute, wohlgelungene Dichtung und als den besten Productionen unserer Romanlitteratur angehörend bezeichnen. Sollen wir nun aber den absoluten Werth dieser Richtung der historischen Romanschilderung bestimmen, sollen wir sagen, was unserer Poesie daraus für Nutzen und für Bereicherung zu erwachsen vermag, so müssen wir dieß Lob wesentlich modificiren. Es ist in dieser Gattung des historischen Romans noch zu viel Nachahmung, zu wenig Originalität, und der Nutzen derselben für die Poesie noch sehr untergeordneter Art. Walter Scotts Poesie ging aus einer nationalen Nothwendigkeit hervor. Durch Goethe zum Dichter geweckt, vertiefte er sich in die Romantik seiner Nationalität, das schottische Hochland gab ihm den natürlichen Hintergrund der Naturanschauung, die wechselvollen Ereignisse der neueren und älteren englischen Geschichte den Inhalt der Charakterschilderung. Beide Elemente wußte er, wenn auch nicht mit der höchsten Intensität des Genie's, so doch mit der Beweglichkeit eines reichen Talents in Verbindung zu setzen, und sich zum wahrhaft nationalen Dichter heranzubilden. Deutschland hatte die Gattung des historischen Romans längst gekannt, aber es fehlte ihm das Genie, welches das Nationalinteresse wahrhaft nachhaltig daraus hervorzubilden vermochte, das, wie Goethe es im Götz gethan, den universalen Geist der deutschen Geschichte in erregender individueller Gestaltung verlebendigte; es war daher sehr natürlich, daß Walter Scott auch in Deutschland so enthusiastische Theilnahme fand, und man um seinetwillen van der Velde, und was sonst noch für Talente zweiten und dritten Ranges sich neben diesem bewegten, hintenansetzte und vergaß. Der Einfluß Walter Scotts führte nun direct zur Nachahmung desselben; aber auch jetzt noch währte es lange, bis man den richtigen Weg auffand, und bis wirklich Nachhaltiges auf demselben errungen wurde. Willibald Alexis wurde endlich, nachdem er Walter Scott zuerst sklavisch nachgeahmt hatte, auf den Gedanken geführt, daß er einen wahrhaft nationalen Stoff ergreifen müsse. Er schilderte im „Cabanis“ das Zeitalter Friedrichs des Großen, und siehe da! es gelang ihm vortrefflich. Der erste Theil des Cabanis, welcher das Bürgerleben Berlins zur Zeit des großen Friedrich schilderte, ist ein Meisterwerk; leider aber besaß Willibald Alexis nicht die Kraft, dieß Interesse durchzuführen, die übrigen Bände des Cabanis, welche den Verlauf des siebenjährigen Krieges schildern, stehen sehr gern gegen den ersten zurück. .. Jetzt ist er, wie wir hören, wieder mit einem historischen Roman aus einer ältern Epoche der brandenburgischen Geschichte beschäftigt. Das Mittelalter aber ist eine gefährliche Klippe für Romandichter, hier übermannt sie, weil die historische Forschung ihnen noch so wenig vorgearbeitet hat, gar zu leicht die Hohlheit der Romantik, sie hören nur das Schwertergeklirr und das Rasseln der Harnische, die Wahrheit des Individuellen geht ihnen über diesen Aeußerlichkeiten verloren. In dieser Richtung bewegen sich Spindler, Duller, Storch, Belani, Bechstein und wie sie Alle heißen, die Unseligen, welche für die Leihbibliotheken schreiben. Eine tiefere Richtung neben dem nationalen Interesse hatte nun noch Tieck durch seinen „Cevennenkrieg“ begründet, indem er die ganze Schärfe des deutschen Geistes auf die psychologische Gestaltung universalhistorischer Zustände wandte; ihm sind Steffens, Rehfues, H. König, Mügge, Kühne und Andere gefolgt, sie haben viel Gutes und Schönes, aber doch nichts Vollendetes geschaffen. Es kann ihnen dieß auch nur erst dann gelingen, wenn sie ihren universalhistorischen Sinn auf nationale Stoffe wenden, wenn sie die wahrhafte Begeisterung einer in sich nothwendigen Poesie in sich aufnehmen. Dieß trifft auch die Verfasserin von Godwie-Castle. Was kann aus solchen Anschauungen fremdländischer Nationalität, wie der altenglischen und altfranzösischen, von einem Deutschen wahrhaft Großes ersprießen! Wie viel Mühe und Studium hat diese Dichterin nur auf die Schilderung dieser Sitten verwandt, und was hat sie erreicht? So vortrefflich vieles Einzelne darin auch ist, in zehn französischen Romanen haben wir es besser, lebendiger, individueller, geistvoller. Und hat sie denn nun Engländer und Franzosen in ihren Romanen geschaffen? Nein, es sind Deutsche! Diese Fennimor ist ein deutsches Mädchen, Gretchen in Goethe's Faust ist ihr Urbild; dieser Crecy ist ein deutscher Träumer, dieser Fenelon ein deutscher Idealist, der Maler Lesieur ein deutscher Kunstschwärmer, und selbst die alte Marschallin ist an deutschen Höfen, nicht aber im Zeitalter Ludwigs XIV zu suchen. „Eben dieß Verhältniß läßt sich auch bei Godwie-Castle nachweisen. Was ist also mit diesen Dichtungen gewonnen? Eine geistvolle, unterhaltende Lecture, nicht mehr! Aber die Litteratur will mehr. Schildert deutsche Verhältnisse und Sitten, schildert uns den Hof Friedrich Augusts von Sachsen und Friedrich Wilhelms II von Preußen, und wir wollen euch gern lauschen, wollen die Bedeutung eurer Charakteristiken scharf und gründlich erörtern und uns wahrhaft daran erfreuen. Schreibt mit Einem Worte für die Nation! „Aber ein bitteres Lächeln, ich seh' es, zuckt um eure Lippen. Hat denn die Nation, antwortet ihr, uns schon die Freiheit errungen, daß wir wahrhaft für sie wirken können? Dürfen wir denn Friedrich Wilhelm II und seinen Hof schildern? Wissen wir nicht im voraus, daß unsere Dichtungen hievon nicht die Censur passiren, ja daß sie wahrscheinlich confiscirt werden, wie dieß ja selbst mit Memoiren geschieht! „Darauf freilich weiß ich nichts zu erwiedern, als: Gott besser's! Aber die Kunst muß doch auf ihrer Forderung bestehen, und sie muß euch drängen, daß ihr wagt, was zu wagen ist. „Ich hab's gewagt!“ war der Wahlspruch Ulrichs von Hutten.“ Frankreich. _ Paris, 10 April. Wir haben gestern der lang versprochenen, feierlich vorbereiteten ersten Aufführung der neuen Oper von Donizetti, „les Martyrs,“ an der großen Oper beigewohnt. Sie hat keinen Erfolg gehabt, und gehört zu den mißlungenen Unternehmen der Anstalt, die sie ungeheures Geld kostet und keines einbringen wird. Der Gegenstand des Stückes ist die Geschichte Polyeucts, wie sie Corneille in einem Trauerspiele bearbeitet hatte. Polyeuct, ein Römer, der Schwiegersohn des Provinzverwalters Felix in Armenien, unter Kaiser Decius,

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 109. Augsburg, 18. April 1840, S. 0868. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_109_18400418/12>, abgerufen am 19.04.2024.