Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 99. Augsburg, 8. April 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

worden, die Entscheidung der ägyptischen aber hätte sogleich zur Vollziehung geführt werden können. Aber nun ist durch das Vorgehen des brittischen Ministeriums die Frage der Meerengen wieder zur Hauptfrage erwachsen, die nothwendig vorerst entschieden werden muß, da weder die Umstände noch die Stimmung des Januars im April wieder improvisirt werden können. Aber von Seite Rußlands wurde allerdings schon früher ein weit ärgerer Fehler begangen, denn es wußte die Stimmung in England nicht zu würdigen. Diese ist eine halbfeindselige, zum wenigsten eine Stimmung des Mißtrauens, die alles, was von Rußland kommt, und wäre es noch so gut gemeint, mit argwöhnischem Blick betrachten läßt. Wie konnte nun wohl Rußland auf so eclatante Weise sich voranstellen, nicht ohne Geräusch Vorschläge der Berathung unterlegen und Unterhandlungen eröffnen, die weit zweckmäßiger durch eine vermittelnde Macht, welche der größten Sympathien in England sich erfreut, begonnen, und bis zu Ende hätten geführt werden können? Man hätte bedenken sollen, daß wenn auch ein solches Verfahren ein endliches Uebereinkommen nicht geradezu unmöglich macht, es dasselbe doch offenbar erschweren mußte. Auch mag man es zum Theil einsehen, und wenn ich recht berichtet bin, so dürften wir binnen kurzem in Hinsicht der Thätigkeit bei den wechselseitigen Unterhandlungen der Mächte eine nicht unbedeutende Modification der Rollen erleben. Es ist zu bedauern, daß es nicht früher geschah, und man kann sich der Bemerkung kaum erwehren, daß im Fall auch nur ein geringer Theil der Schuld an der Zurückgezogenheit, welche diese vermittelnde Macht beobachtet, an ihr selbst liegen sollte, darin der Vorwurf einer etwas zu ängstlichen Vorsicht liegen möchte, denn um der guten Sache zu dienen, darf man ohne Bedenken immer kühn vortreten, selbst auf die Gefahr des Mißlingens hin, weil nur demjenigen nichts fehlschlägt, der nichts unternimmt und am Ende der Erfolg oder Nichterfolg den Gehalt der Handlungsweise nicht bestimmen kann. Von dieser Seite nun scheint ein neuer Vorschlag in Bezug auf die Schlichtung des europäischen Theils der obschwebenden Fragen ausgegangen zu seyn, welcher bereits die Zustimmung zweier andern Mächte erhalten haben soll. Gelingt es, die vierte Macht dafür zu gewinnen - ein Unternehmen freilich, dessen Schwierigkeiten Niemand verkennt - dann darf man hoffen, daß sich auch Frankreich nicht länger sträuben wird, hinsichtlich der zwischen der Pforte und Mehemed Ali obwaltenden Verhältnisse einem Beschlusse beizutreten, der vor dem Forum des Rechts und der Billigkeit, der Vernunft und des Gefühls sich als gleich gerechtfertigt darstellt. Dafür scheinen überdieß folgende Betrachtungen zu sprechen: 1) Es wäre einer großen Nation, welche die höchste Stufe der Cultur und der Macht erreicht zu haben behauptet, unwürdig, ihr gegebenes Wort zu brechen. Dieß würde aber Frankreich thun, wenn es gegen den Buchstaben der von seinen Repräsentanten unterzeichneten Collectivnote die Integrität der Pforte schmälern wollte. 2) Wenn die übrigen Großmächte über die ägyptische Streitsache zu einem Einverständniß gelangen, vermag Frankreich keinen Widerstand entgegenzusetzen, weil es sich in einem solchen Falle ganz Europa, dem es nicht gewachsen ist, entgegenstellen würde. 3) Ein gefährlicher Feind gegen das französische Besitzthum in Afrika kann nur der Beherrscher Aegyptens, der Heerführer der Araber werden; es kann daher im Interesse Frankreichs nicht liegen, jenen noch mächtiger zu machen als er bereits ist. 4) Die Herrschaft Frankreichs in Algerien ist von den Mächten nicht anerkannt; man schreite allenfalls zu deren Anerkennung und knüpfe dieses französische Interesse an das des Sultans, indem man eine solche Anerkennung von Bedingungen in der ägyptisch-türkischen Frage abhängig macht. Eine Bürgschaft endlich für die gerechte Lösung der Frage gewährt der helle Verstand, die klare Einsicht des gegenwärtigen ausgezeichneten Premierministers in Frankreich. Man ist hier davon so innig durchdrungen, daß man nicht ansteht, den Sieg Thiers' in der Sache der geheimen Fonds, die große ministerielle Majorität als einen Triumph zu feiern, weil Thiers als der einzige Mann angesehen wird, der mit unbefangenem Auge auf die orientalischen Angelegenheiten zu blicken vermag.

Frankreich.

(Moniteur.) Man hat heute (2 April) auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Depeschen aus Tanger vom 14 März erhalten. Diese Depeschen besagen durchaus nicht, daß der Kaiser von Marokko Frankreich den Krieg erklärt habe, wie es in den letzten Tagen geheißen hatte.

Der officielle Bericht des Marschalls Valee über die Einnahme von Scherschel im Moniteur lautet wie folgt: "Die Beleidigung, die unserer Flagge durch Wegnahme eines Kauffahrteischiffs zugefügt worden, machte die Besetzung von Scherschel nothwendig, dessen Hafen ein neuer Seeräuberherd zu werden drohte. Nachdem die Regierung des Königs meinen ihr vorgelegten Feldzugsplan, dessen erster Act die Einnahme von Scherschel war, gebilligt hatte, zog ich an der Chiffa in den ersten Tagen des März ein Expeditionscorps zusammen, welches durch die Ebene der Hadschuten und durch das Gebiet der Kabylen von Schenuan marschirte, in das Thal des Uad-Haschem eindrang und am 15 März vor Scherschel ankam. Die Einwohner hatten, die verdiente Strafe fürchtend, diese Stadt völlig geräumt und die französischen Truppen nahmen Besitz von ihr, ohne einen Schuß zu thun. Während des Marsches der Expeditionscolonne in der Ebene Metidscha beunruhigte die Cavallerie des Chalisa von Miliana einen Augenblick unsern linken Flügel. Sie wurde aber vom General Duvivier leicht im Schach gehalten, und wollte sich in keinen ernsten Kampf einlassen. Als wir am 14 in das Thal des Uad-Haschem eindrangen, zeigte sich dieselbe Cavallerie vor uns, und schien uns den Durchzug streitig machen zu wollen. Ich ließ auf die dichtesten Gruppen drei oder vier Kanonenschüsse abfeuern, und befahl dem 17ten leichten Infanterieregiment, eine Linie von Tirailleurs gegen die feindliche Cavallerie vorrücken zu lassen, sobald es den Fluß überschritten haben würde. Der Feind zog sich zurück, als er unsere Infanterie auf dem linken Ufer erblickte. Ich ließ das Expeditionscorps am Ufer dieses Flusses campiren. Die Araber beunruhigten uns nicht während der Nacht, und beschränkten sich am Morgen des 15 darauf, unsere Bewegungen von ferne zu beobachten. Auch die Kabylen zeigten nirgends feindselige Gesinnungen."

Ein zweiter Bericht des Marschalls Valee, aus Scherschel vom 18 März datirt, meldet über die neuesten Vorgänge in der Provinz Constantine: "Die Häuptlinge von Collo und der Kabylenstämme, welche in der Umgebung dieses Städtchens wohnen, sind in Constantine angekommen, und haben dem General Galbois ihre Unterwerfung angezeigt. Ich werde diesen kleinen Hafen demnächst besetzen lassen. General Galbois bewacht die Bewegungen des Ex-Bey Achmet, und wird jeden feindseligen Versuch von seiner Seite zu strafen wissen. In Dschischelli war die Ruhe in den letzten Tagen des Februar gestört. Auf die Drohung des Obercommandanten aber, daß er die Stämme züchtigen werde, wenn neue feindselige Acte begangen würden, haben die momentan unterbrochenen Handelsverbindungen zwischen Dschischelli und der Landschaft wieder begonnen."

worden, die Entscheidung der ägyptischen aber hätte sogleich zur Vollziehung geführt werden können. Aber nun ist durch das Vorgehen des brittischen Ministeriums die Frage der Meerengen wieder zur Hauptfrage erwachsen, die nothwendig vorerst entschieden werden muß, da weder die Umstände noch die Stimmung des Januars im April wieder improvisirt werden können. Aber von Seite Rußlands wurde allerdings schon früher ein weit ärgerer Fehler begangen, denn es wußte die Stimmung in England nicht zu würdigen. Diese ist eine halbfeindselige, zum wenigsten eine Stimmung des Mißtrauens, die alles, was von Rußland kommt, und wäre es noch so gut gemeint, mit argwöhnischem Blick betrachten läßt. Wie konnte nun wohl Rußland auf so eclatante Weise sich voranstellen, nicht ohne Geräusch Vorschläge der Berathung unterlegen und Unterhandlungen eröffnen, die weit zweckmäßiger durch eine vermittelnde Macht, welche der größten Sympathien in England sich erfreut, begonnen, und bis zu Ende hätten geführt werden können? Man hätte bedenken sollen, daß wenn auch ein solches Verfahren ein endliches Uebereinkommen nicht geradezu unmöglich macht, es dasselbe doch offenbar erschweren mußte. Auch mag man es zum Theil einsehen, und wenn ich recht berichtet bin, so dürften wir binnen kurzem in Hinsicht der Thätigkeit bei den wechselseitigen Unterhandlungen der Mächte eine nicht unbedeutende Modification der Rollen erleben. Es ist zu bedauern, daß es nicht früher geschah, und man kann sich der Bemerkung kaum erwehren, daß im Fall auch nur ein geringer Theil der Schuld an der Zurückgezogenheit, welche diese vermittelnde Macht beobachtet, an ihr selbst liegen sollte, darin der Vorwurf einer etwas zu ängstlichen Vorsicht liegen möchte, denn um der guten Sache zu dienen, darf man ohne Bedenken immer kühn vortreten, selbst auf die Gefahr des Mißlingens hin, weil nur demjenigen nichts fehlschlägt, der nichts unternimmt und am Ende der Erfolg oder Nichterfolg den Gehalt der Handlungsweise nicht bestimmen kann. Von dieser Seite nun scheint ein neuer Vorschlag in Bezug auf die Schlichtung des europäischen Theils der obschwebenden Fragen ausgegangen zu seyn, welcher bereits die Zustimmung zweier andern Mächte erhalten haben soll. Gelingt es, die vierte Macht dafür zu gewinnen – ein Unternehmen freilich, dessen Schwierigkeiten Niemand verkennt – dann darf man hoffen, daß sich auch Frankreich nicht länger sträuben wird, hinsichtlich der zwischen der Pforte und Mehemed Ali obwaltenden Verhältnisse einem Beschlusse beizutreten, der vor dem Forum des Rechts und der Billigkeit, der Vernunft und des Gefühls sich als gleich gerechtfertigt darstellt. Dafür scheinen überdieß folgende Betrachtungen zu sprechen: 1) Es wäre einer großen Nation, welche die höchste Stufe der Cultur und der Macht erreicht zu haben behauptet, unwürdig, ihr gegebenes Wort zu brechen. Dieß würde aber Frankreich thun, wenn es gegen den Buchstaben der von seinen Repräsentanten unterzeichneten Collectivnote die Integrität der Pforte schmälern wollte. 2) Wenn die übrigen Großmächte über die ägyptische Streitsache zu einem Einverständniß gelangen, vermag Frankreich keinen Widerstand entgegenzusetzen, weil es sich in einem solchen Falle ganz Europa, dem es nicht gewachsen ist, entgegenstellen würde. 3) Ein gefährlicher Feind gegen das französische Besitzthum in Afrika kann nur der Beherrscher Aegyptens, der Heerführer der Araber werden; es kann daher im Interesse Frankreichs nicht liegen, jenen noch mächtiger zu machen als er bereits ist. 4) Die Herrschaft Frankreichs in Algerien ist von den Mächten nicht anerkannt; man schreite allenfalls zu deren Anerkennung und knüpfe dieses französische Interesse an das des Sultans, indem man eine solche Anerkennung von Bedingungen in der ägyptisch-türkischen Frage abhängig macht. Eine Bürgschaft endlich für die gerechte Lösung der Frage gewährt der helle Verstand, die klare Einsicht des gegenwärtigen ausgezeichneten Premierministers in Frankreich. Man ist hier davon so innig durchdrungen, daß man nicht ansteht, den Sieg Thiers' in der Sache der geheimen Fonds, die große ministerielle Majorität als einen Triumph zu feiern, weil Thiers als der einzige Mann angesehen wird, der mit unbefangenem Auge auf die orientalischen Angelegenheiten zu blicken vermag.

Frankreich.

(Moniteur.) Man hat heute (2 April) auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Depeschen aus Tanger vom 14 März erhalten. Diese Depeschen besagen durchaus nicht, daß der Kaiser von Marokko Frankreich den Krieg erklärt habe, wie es in den letzten Tagen geheißen hatte.

Der officielle Bericht des Marschalls Valée über die Einnahme von Scherschel im Moniteur lautet wie folgt: „Die Beleidigung, die unserer Flagge durch Wegnahme eines Kauffahrteischiffs zugefügt worden, machte die Besetzung von Scherschel nothwendig, dessen Hafen ein neuer Seeräuberherd zu werden drohte. Nachdem die Regierung des Königs meinen ihr vorgelegten Feldzugsplan, dessen erster Act die Einnahme von Scherschel war, gebilligt hatte, zog ich an der Chiffa in den ersten Tagen des März ein Expeditionscorps zusammen, welches durch die Ebene der Hadschuten und durch das Gebiet der Kabylen von Schenuan marschirte, in das Thal des Uad-Haschem eindrang und am 15 März vor Scherschel ankam. Die Einwohner hatten, die verdiente Strafe fürchtend, diese Stadt völlig geräumt und die französischen Truppen nahmen Besitz von ihr, ohne einen Schuß zu thun. Während des Marsches der Expeditionscolonne in der Ebene Metidscha beunruhigte die Cavallerie des Chalisa von Miliana einen Augenblick unsern linken Flügel. Sie wurde aber vom General Duvivier leicht im Schach gehalten, und wollte sich in keinen ernsten Kampf einlassen. Als wir am 14 in das Thal des Uad-Haschem eindrangen, zeigte sich dieselbe Cavallerie vor uns, und schien uns den Durchzug streitig machen zu wollen. Ich ließ auf die dichtesten Gruppen drei oder vier Kanonenschüsse abfeuern, und befahl dem 17ten leichten Infanterieregiment, eine Linie von Tirailleurs gegen die feindliche Cavallerie vorrücken zu lassen, sobald es den Fluß überschritten haben würde. Der Feind zog sich zurück, als er unsere Infanterie auf dem linken Ufer erblickte. Ich ließ das Expeditionscorps am Ufer dieses Flusses campiren. Die Araber beunruhigten uns nicht während der Nacht, und beschränkten sich am Morgen des 15 darauf, unsere Bewegungen von ferne zu beobachten. Auch die Kabylen zeigten nirgends feindselige Gesinnungen.“

Ein zweiter Bericht des Marschalls Valée, aus Scherschel vom 18 März datirt, meldet über die neuesten Vorgänge in der Provinz Constantine: „Die Häuptlinge von Collo und der Kabylenstämme, welche in der Umgebung dieses Städtchens wohnen, sind in Constantine angekommen, und haben dem General Galbois ihre Unterwerfung angezeigt. Ich werde diesen kleinen Hafen demnächst besetzen lassen. General Galbois bewacht die Bewegungen des Ex-Bey Achmet, und wird jeden feindseligen Versuch von seiner Seite zu strafen wissen. In Dschischelli war die Ruhe in den letzten Tagen des Februar gestört. Auf die Drohung des Obercommandanten aber, daß er die Stämme züchtigen werde, wenn neue feindselige Acte begangen würden, haben die momentan unterbrochenen Handelsverbindungen zwischen Dschischelli und der Landschaft wieder begonnen.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0004" n="0788"/>
worden, die Entscheidung der ägyptischen aber hätte sogleich zur Vollziehung geführt werden können. Aber nun ist durch das Vorgehen des brittischen Ministeriums die Frage der Meerengen wieder zur Hauptfrage erwachsen, die nothwendig vorerst entschieden werden muß, da weder die Umstände noch die Stimmung des Januars im April wieder improvisirt werden können. Aber von Seite Rußlands wurde allerdings schon früher ein weit ärgerer Fehler begangen, denn es wußte die Stimmung in England nicht zu würdigen. Diese ist eine halbfeindselige, zum wenigsten eine Stimmung des Mißtrauens, die alles, was von Rußland kommt, und wäre es noch so gut gemeint, mit argwöhnischem Blick betrachten läßt. Wie konnte nun wohl Rußland auf so eclatante Weise sich voranstellen, nicht ohne Geräusch Vorschläge der Berathung unterlegen und Unterhandlungen eröffnen, die weit zweckmäßiger durch eine vermittelnde Macht, welche der größten Sympathien in England sich erfreut, begonnen, und bis zu Ende hätten geführt werden können? Man hätte bedenken sollen, daß wenn auch ein solches Verfahren ein endliches Uebereinkommen nicht geradezu unmöglich macht, es dasselbe doch offenbar erschweren mußte. Auch mag man es zum Theil einsehen, und wenn ich recht berichtet bin, so dürften wir binnen kurzem in Hinsicht der Thätigkeit bei den wechselseitigen Unterhandlungen der Mächte eine nicht unbedeutende Modification der Rollen erleben. Es ist zu bedauern, daß es nicht früher geschah, und man kann sich der Bemerkung kaum erwehren, daß im Fall auch nur ein geringer Theil der Schuld an der Zurückgezogenheit, welche diese vermittelnde Macht beobachtet, an ihr selbst liegen sollte, darin der Vorwurf einer etwas zu ängstlichen Vorsicht liegen möchte, denn um der guten Sache zu dienen, darf man ohne Bedenken immer kühn vortreten, selbst auf die Gefahr des Mißlingens hin, weil nur demjenigen nichts fehlschlägt, der nichts unternimmt und am Ende der Erfolg oder Nichterfolg den Gehalt der Handlungsweise nicht bestimmen kann. Von dieser Seite nun scheint ein neuer Vorschlag in Bezug auf die Schlichtung des europäischen Theils der obschwebenden Fragen ausgegangen zu seyn, welcher bereits die Zustimmung zweier andern Mächte erhalten haben soll. Gelingt es, die vierte Macht dafür zu gewinnen &#x2013; ein Unternehmen freilich, dessen Schwierigkeiten Niemand verkennt &#x2013; dann darf man hoffen, daß sich auch Frankreich nicht länger sträuben wird, hinsichtlich der zwischen der Pforte und Mehemed Ali obwaltenden Verhältnisse einem Beschlusse beizutreten, der vor dem Forum des Rechts und der Billigkeit, der Vernunft und des Gefühls sich als gleich gerechtfertigt darstellt. Dafür scheinen überdieß folgende Betrachtungen zu sprechen: 1) Es wäre einer großen Nation, welche die höchste Stufe der Cultur und der Macht erreicht zu haben behauptet, unwürdig, ihr gegebenes Wort zu brechen. Dieß würde aber Frankreich thun, wenn es gegen den Buchstaben der von seinen Repräsentanten unterzeichneten Collectivnote die Integrität der Pforte schmälern wollte. 2) Wenn die übrigen Großmächte über die ägyptische Streitsache zu einem Einverständniß gelangen, vermag Frankreich keinen Widerstand entgegenzusetzen, weil es sich in einem solchen Falle ganz Europa, dem es nicht gewachsen ist, entgegenstellen würde. 3) Ein gefährlicher Feind gegen das französische Besitzthum in Afrika kann nur der Beherrscher Aegyptens, der Heerführer der Araber werden; es kann daher im Interesse Frankreichs nicht liegen, jenen noch mächtiger zu machen als er bereits ist. 4) Die Herrschaft Frankreichs in Algerien ist von den Mächten nicht anerkannt; man schreite allenfalls zu deren Anerkennung und knüpfe dieses französische Interesse an das des Sultans, indem man eine solche Anerkennung von Bedingungen in der ägyptisch-türkischen Frage abhängig macht. Eine Bürgschaft endlich für die gerechte Lösung der Frage gewährt der helle Verstand, die klare Einsicht des gegenwärtigen ausgezeichneten Premierministers in Frankreich. Man ist hier davon so innig durchdrungen, daß man nicht ansteht, den Sieg Thiers' in der Sache der geheimen Fonds, die große ministerielle Majorität als einen Triumph zu feiern, weil Thiers als der einzige Mann angesehen wird, der mit unbefangenem Auge auf die orientalischen Angelegenheiten zu blicken vermag.</p>
        </div>
      </div><lb/>
      <div n="1">
        <head> <hi rendition="#b">Frankreich.</hi> </head><lb/>
        <div n="2">
          <byline>
            <docAuthor>
              <gap reason="insignificant"/>
            </docAuthor>
          </byline>
          <dateline><hi rendition="#b">Paris,</hi> 3 April.</dateline>
          <p/><lb/>
          <p>(<hi rendition="#g">Moniteur</hi>.) Man hat heute (2 April) auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Depeschen aus Tanger vom 14 März erhalten. Diese Depeschen besagen durchaus nicht, daß der Kaiser von Marokko Frankreich den Krieg erklärt habe, wie es in den letzten Tagen geheißen hatte.</p><lb/>
          <p>Der officielle Bericht des Marschalls Valée über die Einnahme von Scherschel im <hi rendition="#g">Moniteur</hi> lautet wie folgt: &#x201E;Die Beleidigung, die unserer Flagge durch Wegnahme eines Kauffahrteischiffs zugefügt worden, machte die Besetzung von Scherschel nothwendig, dessen Hafen ein neuer Seeräuberherd zu werden drohte. Nachdem die Regierung des Königs meinen ihr vorgelegten Feldzugsplan, dessen erster Act die Einnahme von Scherschel war, gebilligt hatte, zog ich an der Chiffa in den ersten Tagen des März ein Expeditionscorps zusammen, welches durch die Ebene der Hadschuten und durch das Gebiet der Kabylen von Schenuan marschirte, in das Thal des Uad-Haschem eindrang und am 15 März vor Scherschel ankam. Die Einwohner hatten, die verdiente Strafe fürchtend, diese Stadt völlig geräumt und die französischen Truppen nahmen Besitz von ihr, ohne einen Schuß zu thun. Während des Marsches der Expeditionscolonne in der Ebene Metidscha beunruhigte die Cavallerie des Chalisa von Miliana einen Augenblick unsern linken Flügel. Sie wurde aber vom General Duvivier leicht im Schach gehalten, und wollte sich in keinen ernsten Kampf einlassen. Als wir am 14 in das Thal des Uad-Haschem eindrangen, zeigte sich dieselbe Cavallerie vor uns, und schien uns den Durchzug streitig machen zu wollen. Ich ließ auf die dichtesten Gruppen drei oder vier Kanonenschüsse abfeuern, und befahl dem 17ten leichten Infanterieregiment, eine Linie von Tirailleurs gegen die feindliche Cavallerie vorrücken zu lassen, sobald es den Fluß überschritten haben würde. Der Feind zog sich zurück, als er unsere Infanterie auf dem linken Ufer erblickte. Ich ließ das Expeditionscorps am Ufer dieses Flusses campiren. Die Araber beunruhigten uns nicht während der Nacht, und beschränkten sich am Morgen des 15 darauf, unsere Bewegungen von ferne zu beobachten. Auch die Kabylen zeigten nirgends feindselige Gesinnungen.&#x201C;</p><lb/>
          <p>Ein zweiter Bericht des Marschalls Valée, aus <hi rendition="#b">Scherschel</hi> vom 18 März datirt, meldet über die neuesten Vorgänge in der Provinz Constantine: &#x201E;Die Häuptlinge von Collo und der Kabylenstämme, welche in der Umgebung dieses Städtchens wohnen, sind in Constantine angekommen, und haben dem General Galbois ihre Unterwerfung angezeigt. Ich werde diesen kleinen Hafen demnächst besetzen lassen. General Galbois bewacht die Bewegungen des Ex-Bey Achmet, und wird jeden feindseligen Versuch von seiner Seite zu strafen wissen. In Dschischelli war die Ruhe in den letzten Tagen des Februar gestört. Auf die Drohung des Obercommandanten aber, daß er die Stämme züchtigen werde, wenn neue feindselige Acte begangen würden, haben die momentan unterbrochenen Handelsverbindungen zwischen Dschischelli und der Landschaft wieder begonnen.&#x201C;</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0788/0004] worden, die Entscheidung der ägyptischen aber hätte sogleich zur Vollziehung geführt werden können. Aber nun ist durch das Vorgehen des brittischen Ministeriums die Frage der Meerengen wieder zur Hauptfrage erwachsen, die nothwendig vorerst entschieden werden muß, da weder die Umstände noch die Stimmung des Januars im April wieder improvisirt werden können. Aber von Seite Rußlands wurde allerdings schon früher ein weit ärgerer Fehler begangen, denn es wußte die Stimmung in England nicht zu würdigen. Diese ist eine halbfeindselige, zum wenigsten eine Stimmung des Mißtrauens, die alles, was von Rußland kommt, und wäre es noch so gut gemeint, mit argwöhnischem Blick betrachten läßt. Wie konnte nun wohl Rußland auf so eclatante Weise sich voranstellen, nicht ohne Geräusch Vorschläge der Berathung unterlegen und Unterhandlungen eröffnen, die weit zweckmäßiger durch eine vermittelnde Macht, welche der größten Sympathien in England sich erfreut, begonnen, und bis zu Ende hätten geführt werden können? Man hätte bedenken sollen, daß wenn auch ein solches Verfahren ein endliches Uebereinkommen nicht geradezu unmöglich macht, es dasselbe doch offenbar erschweren mußte. Auch mag man es zum Theil einsehen, und wenn ich recht berichtet bin, so dürften wir binnen kurzem in Hinsicht der Thätigkeit bei den wechselseitigen Unterhandlungen der Mächte eine nicht unbedeutende Modification der Rollen erleben. Es ist zu bedauern, daß es nicht früher geschah, und man kann sich der Bemerkung kaum erwehren, daß im Fall auch nur ein geringer Theil der Schuld an der Zurückgezogenheit, welche diese vermittelnde Macht beobachtet, an ihr selbst liegen sollte, darin der Vorwurf einer etwas zu ängstlichen Vorsicht liegen möchte, denn um der guten Sache zu dienen, darf man ohne Bedenken immer kühn vortreten, selbst auf die Gefahr des Mißlingens hin, weil nur demjenigen nichts fehlschlägt, der nichts unternimmt und am Ende der Erfolg oder Nichterfolg den Gehalt der Handlungsweise nicht bestimmen kann. Von dieser Seite nun scheint ein neuer Vorschlag in Bezug auf die Schlichtung des europäischen Theils der obschwebenden Fragen ausgegangen zu seyn, welcher bereits die Zustimmung zweier andern Mächte erhalten haben soll. Gelingt es, die vierte Macht dafür zu gewinnen – ein Unternehmen freilich, dessen Schwierigkeiten Niemand verkennt – dann darf man hoffen, daß sich auch Frankreich nicht länger sträuben wird, hinsichtlich der zwischen der Pforte und Mehemed Ali obwaltenden Verhältnisse einem Beschlusse beizutreten, der vor dem Forum des Rechts und der Billigkeit, der Vernunft und des Gefühls sich als gleich gerechtfertigt darstellt. Dafür scheinen überdieß folgende Betrachtungen zu sprechen: 1) Es wäre einer großen Nation, welche die höchste Stufe der Cultur und der Macht erreicht zu haben behauptet, unwürdig, ihr gegebenes Wort zu brechen. Dieß würde aber Frankreich thun, wenn es gegen den Buchstaben der von seinen Repräsentanten unterzeichneten Collectivnote die Integrität der Pforte schmälern wollte. 2) Wenn die übrigen Großmächte über die ägyptische Streitsache zu einem Einverständniß gelangen, vermag Frankreich keinen Widerstand entgegenzusetzen, weil es sich in einem solchen Falle ganz Europa, dem es nicht gewachsen ist, entgegenstellen würde. 3) Ein gefährlicher Feind gegen das französische Besitzthum in Afrika kann nur der Beherrscher Aegyptens, der Heerführer der Araber werden; es kann daher im Interesse Frankreichs nicht liegen, jenen noch mächtiger zu machen als er bereits ist. 4) Die Herrschaft Frankreichs in Algerien ist von den Mächten nicht anerkannt; man schreite allenfalls zu deren Anerkennung und knüpfe dieses französische Interesse an das des Sultans, indem man eine solche Anerkennung von Bedingungen in der ägyptisch-türkischen Frage abhängig macht. Eine Bürgschaft endlich für die gerechte Lösung der Frage gewährt der helle Verstand, die klare Einsicht des gegenwärtigen ausgezeichneten Premierministers in Frankreich. Man ist hier davon so innig durchdrungen, daß man nicht ansteht, den Sieg Thiers' in der Sache der geheimen Fonds, die große ministerielle Majorität als einen Triumph zu feiern, weil Thiers als der einzige Mann angesehen wird, der mit unbefangenem Auge auf die orientalischen Angelegenheiten zu blicken vermag. Frankreich. _ Paris, 3 April. (Moniteur.) Man hat heute (2 April) auf dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten Depeschen aus Tanger vom 14 März erhalten. Diese Depeschen besagen durchaus nicht, daß der Kaiser von Marokko Frankreich den Krieg erklärt habe, wie es in den letzten Tagen geheißen hatte. Der officielle Bericht des Marschalls Valée über die Einnahme von Scherschel im Moniteur lautet wie folgt: „Die Beleidigung, die unserer Flagge durch Wegnahme eines Kauffahrteischiffs zugefügt worden, machte die Besetzung von Scherschel nothwendig, dessen Hafen ein neuer Seeräuberherd zu werden drohte. Nachdem die Regierung des Königs meinen ihr vorgelegten Feldzugsplan, dessen erster Act die Einnahme von Scherschel war, gebilligt hatte, zog ich an der Chiffa in den ersten Tagen des März ein Expeditionscorps zusammen, welches durch die Ebene der Hadschuten und durch das Gebiet der Kabylen von Schenuan marschirte, in das Thal des Uad-Haschem eindrang und am 15 März vor Scherschel ankam. Die Einwohner hatten, die verdiente Strafe fürchtend, diese Stadt völlig geräumt und die französischen Truppen nahmen Besitz von ihr, ohne einen Schuß zu thun. Während des Marsches der Expeditionscolonne in der Ebene Metidscha beunruhigte die Cavallerie des Chalisa von Miliana einen Augenblick unsern linken Flügel. Sie wurde aber vom General Duvivier leicht im Schach gehalten, und wollte sich in keinen ernsten Kampf einlassen. Als wir am 14 in das Thal des Uad-Haschem eindrangen, zeigte sich dieselbe Cavallerie vor uns, und schien uns den Durchzug streitig machen zu wollen. Ich ließ auf die dichtesten Gruppen drei oder vier Kanonenschüsse abfeuern, und befahl dem 17ten leichten Infanterieregiment, eine Linie von Tirailleurs gegen die feindliche Cavallerie vorrücken zu lassen, sobald es den Fluß überschritten haben würde. Der Feind zog sich zurück, als er unsere Infanterie auf dem linken Ufer erblickte. Ich ließ das Expeditionscorps am Ufer dieses Flusses campiren. Die Araber beunruhigten uns nicht während der Nacht, und beschränkten sich am Morgen des 15 darauf, unsere Bewegungen von ferne zu beobachten. Auch die Kabylen zeigten nirgends feindselige Gesinnungen.“ Ein zweiter Bericht des Marschalls Valée, aus Scherschel vom 18 März datirt, meldet über die neuesten Vorgänge in der Provinz Constantine: „Die Häuptlinge von Collo und der Kabylenstämme, welche in der Umgebung dieses Städtchens wohnen, sind in Constantine angekommen, und haben dem General Galbois ihre Unterwerfung angezeigt. Ich werde diesen kleinen Hafen demnächst besetzen lassen. General Galbois bewacht die Bewegungen des Ex-Bey Achmet, und wird jeden feindseligen Versuch von seiner Seite zu strafen wissen. In Dschischelli war die Ruhe in den letzten Tagen des Februar gestört. Auf die Drohung des Obercommandanten aber, daß er die Stämme züchtigen werde, wenn neue feindselige Acte begangen würden, haben die momentan unterbrochenen Handelsverbindungen zwischen Dschischelli und der Landschaft wieder begonnen.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_099_18400408
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_099_18400408/4
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 99. Augsburg, 8. April 1840, S. 0788. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_099_18400408/4>, abgerufen am 29.03.2024.