Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 33. Augsburg, 2. Februar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Beilage zur Allgemeinen Zeitung
2 Februar 1840

Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn. Mauguin.

In Lüttich ist eine kleine Schrift erschienen (la frontiere du Rhin, lettre d'un Prussien-Rhenan a Mr. Mauguin. Liege, Collardin, 1840), worin die schon so oft erörterte Frage, ob Frankreich auf die Rheingränze Anspruch machen dürfe, von neuem abgehandelt wird. Da sie durch die periodisch immer wiederkehrenden Reclamationen französischer Journale hervorgerufen wurde und sie einige sehr gute Gedanken, namentlich über das Verhältniß der katholischen Geistlichkeit in Rheinpreußen zu der französischen, enthält, so theilen wir Einiges daraus mit.

"Die französischen Blätter glauben sich nie auf einem für sie vortheilhafteren Boden zu bewegen, als wenn sie die Idee von der Vereinigung der auf dem linken Rheinufer gelegenen Länder mit Frankreich wieder aufwärmen. Wenn man sie hört, so ist diese Ausdehnung der französischen Gränzen ein volksthümliches Axiom, eine politische Nothwendigkeit. Nichts ist leichter, nichts gerechter, nichts natürlicher, als die Eroberung jener Länderstriche, die, als integrirende Theile des deutschen Reichs seit undenklichen Zeiten, in Folge des Luneviller Friedens vom 9 Febr. 1801 an Frankreich abgetreten, und in Folge des Pariser Friedens vom 30 Mai 1814 Deutschland wieder zurückgegeben worden sind. ...

"Für die Redner der Oppositionspartei kann es nicht zweifelhaft seyn, daß die Frage in Betreff der Rheingränze die Alternative zwischen Frieden und einem europäischen Krieg in sich schließt. Die unablässige Wiederholung derselben Doctrinen muß unfehlbar dem Argwohn der auswärtigen Cabinette Nahrung geben, und der Meinung Consistenz verleihen, daß die gegenwärtige Regierung Frankreichs nicht im Stande ist, das friedfertige System länger aufrecht zu erhalten, durch welches allein ihre Existenz zur Möglichkeit wurde. Der Friede, dessen wir seit 1830 genießen, ist aber auch nichts weiter als ein Waffenstillstand, der die financiellen Hülfsquellen der Staaten erschöpft, die Ungewißheit über die Zukunft verlängert und dem unbehaglichen Zustande unserer Zeitgenossen ständige Dauer verleiht.

"Hat man aber, indem man eine so unbesonnene Sprache in Betreff des Kriegs führt, wohl bedacht, was man eigentlich will? Alle Revolutionskriege sind durch den Vertrag von 1814 und durch seine auf den Zustand der Dinge vor dieser Revolution gegründeten Territorialbestimmungen beendigt worden. Sollte sich Frankreich, gehe es nun siegend oder besiegt aus dem Kampfe, wohl schmeicheln, daß ein allgemeiner Krieg, die nothwendige Folge jenes hartnäckigen Systems, die erloschenen Leidenschaften wieder anzufachen, jemals mit einem Frieden nach der Grundlage des status quo vor oder nach 1814 sich enden würde?

"Sein Vaterland in einen Krieg stürzen wollen, dessen Ziel und Ausgang sich nicht absehen lassen, ist schon an und für sich ein allzu verderblicher Irrthum, als daß er auf einem Schlachtfelde geführt werden sollte. Allein es ist mehr als Irrthum, es ist ein Verbrechen, alle politischen Leidenschaften heraufzubeschwören, um einen Kampf zu veranlassen, bei welchem die Geschichte, das Völkerrecht, die früheren Vorgänge und die Bedingungen des gegenwärtigen Zustandes der Dinge sich die Hand bieten würden, um alle Wechselfälle desselben zum Nachtheil der Nation zu lenken, die sich durch den Gedanken an Nationalruhm dazu hinreißen ließe, die einzige Lockspeise, die man ihr zu bieten etwa wagen könnte."

Wir übergehen die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen den Staatskräften Frankreichs und Preußens zieht, da sie schwerlich erschöpfend ist. An einen Zweikampf dieser beiden Staaten ohne Theilnahme der übrigen europäischen Mächte ist ohnehin nicht zu denken. Schlagend dagegen ist die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen der französischen und der preußischen Verwaltung der Rheinlande in den verschiedenen Epochen vor und nach dem Jahr 1814 angestellt hat.

"Die erste Epoche beginnt mit der militärischen Besitznahme des linken Rheinufers durch die Franzosen, in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das berüchtigte Decret des Nationalconvents vom 15 Dec. 1792 schrieb seinen Generalen vor, wie sie sich in den Ländern zu verhalten hätten, in welche sie eingefallen waren. Man fing damit an, diese Gegenden auf den Fuß französischer Provinzen zu organisiren, ersparte ihnen aber dabei keineswegs die Uebel, welche in Feindesland vom Krieg unzertrennlich sind; ja man steigerte im Gegentheil alle Bedrückungen auf hundertfältige Weise. Die tumultuarische Abschaffung aller administrativen und Regierungs-Formen in Provinzen, welche bis dahin unter der Herrschaft einer großen Zahl durch Gesetze und Staatseinrichtungen unter sich sehr verschiedener Regierungen gestanden hatten, vervielfältigte ins Unendliche die Unzahl von Lasten, welche ihnen von Civil- und Militärbehörden auferlegt wurden, die größtentheils transitorischer Natur waren, ja zuweilen nur eine angemaßte Autorität besaßen, weil es schlechterdings unmöglich war, einen nur einigermaßen beruhigenden Maaßstab zu billiger Vertheilung in Landstrichen aufzufinden, deren Hülfsquellen ihrer Natur nach so verschieden und hinsichtlich ihres Werthes so ungleich waren. Somit war denn zügelloser Unordnung und schamlosen Räubereien Thür und Thor geöffnet. Während man die öffentlichen Cassen bis auf den letzten Pfennig leerte, führte man neue Abgaben ein, ohne die alten deßhalb abzuschaffen. Man trieb ungeheure Brandschatzungen ein, während der Soldat auf Kosten des Einwohners lebte; und ungeachtet aller Anstrengungen der preußischen Regierung, die Gemeindeschulden nach und nach zu tilgen, sind selbst jetzt noch von den Bewohnern unserer Städte und Dörfer Zahlungen zu leisten, die sich von den gränzenlosen Erpressungen herschreiben, welche in jenen Zeiten geistiger und materieller Anarchie die auf einander folgenden Militär- und Civilbehörden sich erlaubt hatten. Die fürstlichen Domänen, das Grundeigenthum geistlicher und weltlicher Corporationen, wissenschaftliche und pädagogische Stiftungen - Alles wurde für Nationalgut erklärt, und zum Vortheil des Nationalschatzes verkauft. Man plünderte Paläste, Kirchen, Bibliotheken, verschleuderte die Mobilien und die kostbarsten Sammlungen. Man vernichtete die öffentlichen und Gemeindeschulden, wenn auch nicht alle vermittelst eines Decrets, doch wenigstens dadurch, daß keine Zinsen mehr bezahlt wurden. Um endlich das Maaß des Unheils voll zu machen, überschwemmte man die eroberten Länderstriche mit einem Duzend Milliarden von Assignaten, indem man zugleich alles baare Geld aus denselben herauszog. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß in den Rheinprovinzen auch nicht Eine Familie von einigem Ansehen und Vermögen existirt, die durch die französische Herrschaft nicht entweder ganz zu Grunde gerichtet, oder bis in die Grundvesten ihres Wohlstandes erschüttert worden wäre.


Beilage zur Allgemeinen Zeitung
2 Februar 1840

Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn. Mauguin.

In Lüttich ist eine kleine Schrift erschienen (la frontière du Rhin, lettre d'un Prussien-Rhénan à Mr. Mauguin. Liège, Collardin, 1840), worin die schon so oft erörterte Frage, ob Frankreich auf die Rheingränze Anspruch machen dürfe, von neuem abgehandelt wird. Da sie durch die periodisch immer wiederkehrenden Reclamationen französischer Journale hervorgerufen wurde und sie einige sehr gute Gedanken, namentlich über das Verhältniß der katholischen Geistlichkeit in Rheinpreußen zu der französischen, enthält, so theilen wir Einiges daraus mit.

„Die französischen Blätter glauben sich nie auf einem für sie vortheilhafteren Boden zu bewegen, als wenn sie die Idee von der Vereinigung der auf dem linken Rheinufer gelegenen Länder mit Frankreich wieder aufwärmen. Wenn man sie hört, so ist diese Ausdehnung der französischen Gränzen ein volksthümliches Axiom, eine politische Nothwendigkeit. Nichts ist leichter, nichts gerechter, nichts natürlicher, als die Eroberung jener Länderstriche, die, als integrirende Theile des deutschen Reichs seit undenklichen Zeiten, in Folge des Luneviller Friedens vom 9 Febr. 1801 an Frankreich abgetreten, und in Folge des Pariser Friedens vom 30 Mai 1814 Deutschland wieder zurückgegeben worden sind. ...

„Für die Redner der Oppositionspartei kann es nicht zweifelhaft seyn, daß die Frage in Betreff der Rheingränze die Alternative zwischen Frieden und einem europäischen Krieg in sich schließt. Die unablässige Wiederholung derselben Doctrinen muß unfehlbar dem Argwohn der auswärtigen Cabinette Nahrung geben, und der Meinung Consistenz verleihen, daß die gegenwärtige Regierung Frankreichs nicht im Stande ist, das friedfertige System länger aufrecht zu erhalten, durch welches allein ihre Existenz zur Möglichkeit wurde. Der Friede, dessen wir seit 1830 genießen, ist aber auch nichts weiter als ein Waffenstillstand, der die financiellen Hülfsquellen der Staaten erschöpft, die Ungewißheit über die Zukunft verlängert und dem unbehaglichen Zustande unserer Zeitgenossen ständige Dauer verleiht.

„Hat man aber, indem man eine so unbesonnene Sprache in Betreff des Kriegs führt, wohl bedacht, was man eigentlich will? Alle Revolutionskriege sind durch den Vertrag von 1814 und durch seine auf den Zustand der Dinge vor dieser Revolution gegründeten Territorialbestimmungen beendigt worden. Sollte sich Frankreich, gehe es nun siegend oder besiegt aus dem Kampfe, wohl schmeicheln, daß ein allgemeiner Krieg, die nothwendige Folge jenes hartnäckigen Systems, die erloschenen Leidenschaften wieder anzufachen, jemals mit einem Frieden nach der Grundlage des status quo vor oder nach 1814 sich enden würde?

„Sein Vaterland in einen Krieg stürzen wollen, dessen Ziel und Ausgang sich nicht absehen lassen, ist schon an und für sich ein allzu verderblicher Irrthum, als daß er auf einem Schlachtfelde geführt werden sollte. Allein es ist mehr als Irrthum, es ist ein Verbrechen, alle politischen Leidenschaften heraufzubeschwören, um einen Kampf zu veranlassen, bei welchem die Geschichte, das Völkerrecht, die früheren Vorgänge und die Bedingungen des gegenwärtigen Zustandes der Dinge sich die Hand bieten würden, um alle Wechselfälle desselben zum Nachtheil der Nation zu lenken, die sich durch den Gedanken an Nationalruhm dazu hinreißen ließe, die einzige Lockspeise, die man ihr zu bieten etwa wagen könnte.“

Wir übergehen die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen den Staatskräften Frankreichs und Preußens zieht, da sie schwerlich erschöpfend ist. An einen Zweikampf dieser beiden Staaten ohne Theilnahme der übrigen europäischen Mächte ist ohnehin nicht zu denken. Schlagend dagegen ist die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen der französischen und der preußischen Verwaltung der Rheinlande in den verschiedenen Epochen vor und nach dem Jahr 1814 angestellt hat.

„Die erste Epoche beginnt mit der militärischen Besitznahme des linken Rheinufers durch die Franzosen, in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das berüchtigte Decret des Nationalconvents vom 15 Dec. 1792 schrieb seinen Generalen vor, wie sie sich in den Ländern zu verhalten hätten, in welche sie eingefallen waren. Man fing damit an, diese Gegenden auf den Fuß französischer Provinzen zu organisiren, ersparte ihnen aber dabei keineswegs die Uebel, welche in Feindesland vom Krieg unzertrennlich sind; ja man steigerte im Gegentheil alle Bedrückungen auf hundertfältige Weise. Die tumultuarische Abschaffung aller administrativen und Regierungs-Formen in Provinzen, welche bis dahin unter der Herrschaft einer großen Zahl durch Gesetze und Staatseinrichtungen unter sich sehr verschiedener Regierungen gestanden hatten, vervielfältigte ins Unendliche die Unzahl von Lasten, welche ihnen von Civil- und Militärbehörden auferlegt wurden, die größtentheils transitorischer Natur waren, ja zuweilen nur eine angemaßte Autorität besaßen, weil es schlechterdings unmöglich war, einen nur einigermaßen beruhigenden Maaßstab zu billiger Vertheilung in Landstrichen aufzufinden, deren Hülfsquellen ihrer Natur nach so verschieden und hinsichtlich ihres Werthes so ungleich waren. Somit war denn zügelloser Unordnung und schamlosen Räubereien Thür und Thor geöffnet. Während man die öffentlichen Cassen bis auf den letzten Pfennig leerte, führte man neue Abgaben ein, ohne die alten deßhalb abzuschaffen. Man trieb ungeheure Brandschatzungen ein, während der Soldat auf Kosten des Einwohners lebte; und ungeachtet aller Anstrengungen der preußischen Regierung, die Gemeindeschulden nach und nach zu tilgen, sind selbst jetzt noch von den Bewohnern unserer Städte und Dörfer Zahlungen zu leisten, die sich von den gränzenlosen Erpressungen herschreiben, welche in jenen Zeiten geistiger und materieller Anarchie die auf einander folgenden Militär- und Civilbehörden sich erlaubt hatten. Die fürstlichen Domänen, das Grundeigenthum geistlicher und weltlicher Corporationen, wissenschaftliche und pädagogische Stiftungen – Alles wurde für Nationalgut erklärt, und zum Vortheil des Nationalschatzes verkauft. Man plünderte Paläste, Kirchen, Bibliotheken, verschleuderte die Mobilien und die kostbarsten Sammlungen. Man vernichtete die öffentlichen und Gemeindeschulden, wenn auch nicht alle vermittelst eines Decrets, doch wenigstens dadurch, daß keine Zinsen mehr bezahlt wurden. Um endlich das Maaß des Unheils voll zu machen, überschwemmte man die eroberten Länderstriche mit einem Duzend Milliarden von Assignaten, indem man zugleich alles baare Geld aus denselben herauszog. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß in den Rheinprovinzen auch nicht Eine Familie von einigem Ansehen und Vermögen existirt, die durch die französische Herrschaft nicht entweder ganz zu Grunde gerichtet, oder bis in die Grundvesten ihres Wohlstandes erschüttert worden wäre.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div type="jArticle" n="2">
          <pb facs="#f0009" n="0257"/><lb/>
        </div>
      </div>
      <div type="jSupplement" n="1">
        <floatingText>
          <front>
            <titlePage type="heading">
              <docTitle>
                <titlePart type="main">Beilage zur Allgemeinen Zeitung</titlePart>
              </docTitle>
              <docImprint>
                <docDate>2 Februar 1840</docDate>
              </docImprint>
            </titlePage>
          </front>
          <body><lb/>
            <div type="jArticle" n="2">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn</hi>. <hi rendition="#g">Mauguin</hi>.</hi> </head>
              <byline>*</byline><lb/>
              <p>In Lüttich ist eine kleine Schrift erschienen (la frontière du Rhin, lettre d'un Prussien-Rhénan à Mr. Mauguin. Liège, Collardin, 1840), worin die schon so oft erörterte Frage, ob Frankreich auf die Rheingränze Anspruch machen dürfe, von neuem abgehandelt wird. Da sie durch die periodisch immer wiederkehrenden Reclamationen französischer Journale hervorgerufen wurde und sie einige sehr gute Gedanken, namentlich über das Verhältniß der katholischen Geistlichkeit in Rheinpreußen zu der französischen, enthält, so theilen wir Einiges daraus mit.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die französischen Blätter glauben sich nie auf einem für sie vortheilhafteren Boden zu bewegen, als wenn sie die Idee von der Vereinigung der auf dem linken Rheinufer gelegenen Länder mit Frankreich wieder aufwärmen. Wenn man sie hört, so ist diese Ausdehnung der französischen Gränzen ein volksthümliches Axiom, eine politische Nothwendigkeit. Nichts ist leichter, nichts gerechter, nichts natürlicher, als die Eroberung jener Länderstriche, die, als integrirende Theile des deutschen Reichs seit undenklichen Zeiten, in Folge des Luneviller Friedens vom 9 Febr. 1801 an Frankreich abgetreten, und in Folge des Pariser Friedens vom 30 Mai 1814 Deutschland wieder zurückgegeben worden sind. ...</p><lb/>
              <p>&#x201E;Für die Redner der Oppositionspartei kann es nicht zweifelhaft seyn, daß die Frage in Betreff der Rheingränze die Alternative zwischen Frieden und einem europäischen Krieg in sich schließt. Die unablässige Wiederholung derselben Doctrinen muß unfehlbar dem Argwohn der auswärtigen Cabinette Nahrung geben, und der Meinung Consistenz verleihen, daß die gegenwärtige Regierung Frankreichs nicht im Stande ist, das friedfertige System länger aufrecht zu erhalten, durch welches allein ihre Existenz zur Möglichkeit wurde. Der Friede, dessen wir seit 1830 genießen, ist aber auch nichts weiter als ein Waffenstillstand, der die financiellen Hülfsquellen der Staaten erschöpft, die Ungewißheit über die Zukunft verlängert und dem unbehaglichen Zustande unserer Zeitgenossen ständige Dauer verleiht.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Hat man aber, indem man eine so unbesonnene Sprache in Betreff des Kriegs führt, wohl bedacht, was man eigentlich will? Alle Revolutionskriege sind durch den Vertrag von 1814 und durch seine auf den Zustand der Dinge vor dieser Revolution gegründeten Territorialbestimmungen beendigt worden. Sollte sich Frankreich, gehe es nun siegend oder besiegt aus dem Kampfe, wohl schmeicheln, daß ein allgemeiner Krieg, die nothwendige Folge jenes hartnäckigen Systems, die erloschenen Leidenschaften wieder anzufachen, jemals mit einem Frieden nach der Grundlage des status quo vor oder nach 1814 sich enden würde?</p><lb/>
              <p>&#x201E;Sein Vaterland in einen Krieg stürzen wollen, dessen Ziel und Ausgang sich nicht absehen lassen, ist schon an und für sich ein allzu verderblicher Irrthum, als daß er auf einem Schlachtfelde geführt werden sollte. Allein es ist mehr als Irrthum, es ist ein Verbrechen, alle politischen Leidenschaften heraufzubeschwören, um einen Kampf zu veranlassen, bei welchem die Geschichte, das Völkerrecht, die früheren Vorgänge und die Bedingungen des gegenwärtigen Zustandes der Dinge sich die Hand bieten würden, um alle Wechselfälle desselben zum Nachtheil der Nation zu lenken, die sich durch den Gedanken an Nationalruhm dazu hinreißen ließe, die einzige Lockspeise, die man ihr zu bieten etwa wagen könnte.&#x201C;</p><lb/>
              <p>Wir übergehen die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen den Staatskräften Frankreichs und Preußens zieht, da sie schwerlich erschöpfend ist. An einen Zweikampf dieser beiden Staaten ohne Theilnahme der übrigen europäischen Mächte ist ohnehin nicht zu denken. Schlagend dagegen ist die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen der französischen und der preußischen Verwaltung der Rheinlande in den verschiedenen Epochen vor und nach dem Jahr 1814 angestellt hat.</p><lb/>
              <p>&#x201E;Die erste Epoche beginnt mit der militärischen Besitznahme des linken Rheinufers durch die Franzosen, in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das berüchtigte Decret des Nationalconvents vom 15 Dec. 1792 schrieb seinen Generalen vor, wie sie sich in den Ländern zu verhalten hätten, in welche sie eingefallen waren. Man fing damit an, diese Gegenden auf den Fuß französischer Provinzen zu organisiren, ersparte ihnen aber dabei keineswegs die Uebel, welche in Feindesland vom Krieg unzertrennlich sind; ja man steigerte im Gegentheil alle Bedrückungen auf hundertfältige Weise. Die tumultuarische Abschaffung aller administrativen und Regierungs-Formen in Provinzen, welche bis dahin unter der Herrschaft einer großen Zahl durch Gesetze und Staatseinrichtungen unter sich sehr verschiedener Regierungen gestanden hatten, vervielfältigte ins Unendliche die Unzahl von Lasten, welche ihnen von Civil- und Militärbehörden auferlegt wurden, die größtentheils transitorischer Natur waren, ja zuweilen nur eine angemaßte Autorität besaßen, weil es schlechterdings unmöglich war, einen nur einigermaßen beruhigenden Maaßstab zu billiger Vertheilung in Landstrichen aufzufinden, deren Hülfsquellen ihrer Natur nach so verschieden und hinsichtlich ihres Werthes so ungleich waren. Somit war denn zügelloser Unordnung und schamlosen Räubereien Thür und Thor geöffnet. Während man die öffentlichen Cassen bis auf den letzten Pfennig leerte, führte man neue Abgaben ein, ohne die alten deßhalb abzuschaffen. Man trieb ungeheure Brandschatzungen ein, während der Soldat auf Kosten des Einwohners lebte; und ungeachtet aller Anstrengungen der preußischen Regierung, die Gemeindeschulden nach und nach zu tilgen, sind selbst jetzt noch von den Bewohnern unserer Städte und Dörfer Zahlungen zu leisten, die sich von den gränzenlosen Erpressungen herschreiben, welche in jenen Zeiten geistiger und materieller Anarchie die auf einander folgenden Militär- und Civilbehörden sich erlaubt hatten. Die fürstlichen Domänen, das Grundeigenthum geistlicher und weltlicher Corporationen, wissenschaftliche und pädagogische Stiftungen &#x2013; Alles wurde für Nationalgut erklärt, und zum Vortheil des Nationalschatzes verkauft. Man plünderte Paläste, Kirchen, Bibliotheken, verschleuderte die Mobilien und die kostbarsten Sammlungen. Man vernichtete die öffentlichen und Gemeindeschulden, wenn auch nicht alle vermittelst eines Decrets, doch wenigstens dadurch, daß keine Zinsen mehr bezahlt wurden. Um endlich das Maaß des Unheils voll zu machen, überschwemmte man die eroberten Länderstriche mit einem Duzend Milliarden von Assignaten, indem man zugleich alles baare Geld aus denselben herauszog. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß in den Rheinprovinzen auch nicht Eine Familie von einigem Ansehen und Vermögen existirt, die durch die französische Herrschaft nicht entweder ganz zu Grunde gerichtet, oder bis in die Grundvesten ihres Wohlstandes erschüttert worden wäre.</p><lb/>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0257/0009] Beilage zur Allgemeinen Zeitung 2 Februar 1840 Sendschreiben eines Rheinpreußen an Hrn. Mauguin.* In Lüttich ist eine kleine Schrift erschienen (la frontière du Rhin, lettre d'un Prussien-Rhénan à Mr. Mauguin. Liège, Collardin, 1840), worin die schon so oft erörterte Frage, ob Frankreich auf die Rheingränze Anspruch machen dürfe, von neuem abgehandelt wird. Da sie durch die periodisch immer wiederkehrenden Reclamationen französischer Journale hervorgerufen wurde und sie einige sehr gute Gedanken, namentlich über das Verhältniß der katholischen Geistlichkeit in Rheinpreußen zu der französischen, enthält, so theilen wir Einiges daraus mit. „Die französischen Blätter glauben sich nie auf einem für sie vortheilhafteren Boden zu bewegen, als wenn sie die Idee von der Vereinigung der auf dem linken Rheinufer gelegenen Länder mit Frankreich wieder aufwärmen. Wenn man sie hört, so ist diese Ausdehnung der französischen Gränzen ein volksthümliches Axiom, eine politische Nothwendigkeit. Nichts ist leichter, nichts gerechter, nichts natürlicher, als die Eroberung jener Länderstriche, die, als integrirende Theile des deutschen Reichs seit undenklichen Zeiten, in Folge des Luneviller Friedens vom 9 Febr. 1801 an Frankreich abgetreten, und in Folge des Pariser Friedens vom 30 Mai 1814 Deutschland wieder zurückgegeben worden sind. ... „Für die Redner der Oppositionspartei kann es nicht zweifelhaft seyn, daß die Frage in Betreff der Rheingränze die Alternative zwischen Frieden und einem europäischen Krieg in sich schließt. Die unablässige Wiederholung derselben Doctrinen muß unfehlbar dem Argwohn der auswärtigen Cabinette Nahrung geben, und der Meinung Consistenz verleihen, daß die gegenwärtige Regierung Frankreichs nicht im Stande ist, das friedfertige System länger aufrecht zu erhalten, durch welches allein ihre Existenz zur Möglichkeit wurde. Der Friede, dessen wir seit 1830 genießen, ist aber auch nichts weiter als ein Waffenstillstand, der die financiellen Hülfsquellen der Staaten erschöpft, die Ungewißheit über die Zukunft verlängert und dem unbehaglichen Zustande unserer Zeitgenossen ständige Dauer verleiht. „Hat man aber, indem man eine so unbesonnene Sprache in Betreff des Kriegs führt, wohl bedacht, was man eigentlich will? Alle Revolutionskriege sind durch den Vertrag von 1814 und durch seine auf den Zustand der Dinge vor dieser Revolution gegründeten Territorialbestimmungen beendigt worden. Sollte sich Frankreich, gehe es nun siegend oder besiegt aus dem Kampfe, wohl schmeicheln, daß ein allgemeiner Krieg, die nothwendige Folge jenes hartnäckigen Systems, die erloschenen Leidenschaften wieder anzufachen, jemals mit einem Frieden nach der Grundlage des status quo vor oder nach 1814 sich enden würde? „Sein Vaterland in einen Krieg stürzen wollen, dessen Ziel und Ausgang sich nicht absehen lassen, ist schon an und für sich ein allzu verderblicher Irrthum, als daß er auf einem Schlachtfelde geführt werden sollte. Allein es ist mehr als Irrthum, es ist ein Verbrechen, alle politischen Leidenschaften heraufzubeschwören, um einen Kampf zu veranlassen, bei welchem die Geschichte, das Völkerrecht, die früheren Vorgänge und die Bedingungen des gegenwärtigen Zustandes der Dinge sich die Hand bieten würden, um alle Wechselfälle desselben zum Nachtheil der Nation zu lenken, die sich durch den Gedanken an Nationalruhm dazu hinreißen ließe, die einzige Lockspeise, die man ihr zu bieten etwa wagen könnte.“ Wir übergehen die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen den Staatskräften Frankreichs und Preußens zieht, da sie schwerlich erschöpfend ist. An einen Zweikampf dieser beiden Staaten ohne Theilnahme der übrigen europäischen Mächte ist ohnehin nicht zu denken. Schlagend dagegen ist die Vergleichung, welche der Verfasser zwischen der französischen und der preußischen Verwaltung der Rheinlande in den verschiedenen Epochen vor und nach dem Jahr 1814 angestellt hat. „Die erste Epoche beginnt mit der militärischen Besitznahme des linken Rheinufers durch die Franzosen, in den letzten Jahren des vorigen Jahrhunderts. Das berüchtigte Decret des Nationalconvents vom 15 Dec. 1792 schrieb seinen Generalen vor, wie sie sich in den Ländern zu verhalten hätten, in welche sie eingefallen waren. Man fing damit an, diese Gegenden auf den Fuß französischer Provinzen zu organisiren, ersparte ihnen aber dabei keineswegs die Uebel, welche in Feindesland vom Krieg unzertrennlich sind; ja man steigerte im Gegentheil alle Bedrückungen auf hundertfältige Weise. Die tumultuarische Abschaffung aller administrativen und Regierungs-Formen in Provinzen, welche bis dahin unter der Herrschaft einer großen Zahl durch Gesetze und Staatseinrichtungen unter sich sehr verschiedener Regierungen gestanden hatten, vervielfältigte ins Unendliche die Unzahl von Lasten, welche ihnen von Civil- und Militärbehörden auferlegt wurden, die größtentheils transitorischer Natur waren, ja zuweilen nur eine angemaßte Autorität besaßen, weil es schlechterdings unmöglich war, einen nur einigermaßen beruhigenden Maaßstab zu billiger Vertheilung in Landstrichen aufzufinden, deren Hülfsquellen ihrer Natur nach so verschieden und hinsichtlich ihres Werthes so ungleich waren. Somit war denn zügelloser Unordnung und schamlosen Räubereien Thür und Thor geöffnet. Während man die öffentlichen Cassen bis auf den letzten Pfennig leerte, führte man neue Abgaben ein, ohne die alten deßhalb abzuschaffen. Man trieb ungeheure Brandschatzungen ein, während der Soldat auf Kosten des Einwohners lebte; und ungeachtet aller Anstrengungen der preußischen Regierung, die Gemeindeschulden nach und nach zu tilgen, sind selbst jetzt noch von den Bewohnern unserer Städte und Dörfer Zahlungen zu leisten, die sich von den gränzenlosen Erpressungen herschreiben, welche in jenen Zeiten geistiger und materieller Anarchie die auf einander folgenden Militär- und Civilbehörden sich erlaubt hatten. Die fürstlichen Domänen, das Grundeigenthum geistlicher und weltlicher Corporationen, wissenschaftliche und pädagogische Stiftungen – Alles wurde für Nationalgut erklärt, und zum Vortheil des Nationalschatzes verkauft. Man plünderte Paläste, Kirchen, Bibliotheken, verschleuderte die Mobilien und die kostbarsten Sammlungen. Man vernichtete die öffentlichen und Gemeindeschulden, wenn auch nicht alle vermittelst eines Decrets, doch wenigstens dadurch, daß keine Zinsen mehr bezahlt wurden. Um endlich das Maaß des Unheils voll zu machen, überschwemmte man die eroberten Länderstriche mit einem Duzend Milliarden von Assignaten, indem man zugleich alles baare Geld aus denselben herauszog. Man kann ohne Uebertreibung behaupten, daß in den Rheinprovinzen auch nicht Eine Familie von einigem Ansehen und Vermögen existirt, die durch die französische Herrschaft nicht entweder ganz zu Grunde gerichtet, oder bis in die Grundvesten ihres Wohlstandes erschüttert worden wäre.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_033_18400202
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_033_18400202/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 33. Augsburg, 2. Februar 1840, S. 0257. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_033_18400202/9>, abgerufen am 25.04.2024.