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Allgemeine Zeitung. Nr. 25. Augsburg, 25. Januar 1840.

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abgewendet, sie haben zugleich die Fahne einer Oppositionspartei aufgesteckt, die sie als die Nachfolgerin des Ministeriums vom 12 Mai zu berufen scheinen: die Doctrinäre und an ihrer Spitze Guizot. Wir denken nicht, daß die einzige Unterdrückung der Subvention dieses einflußreiche Blatt zu seiner auffallenden Stellung verleitet hat - die Wahrung seines Interesses ist bei ihm stets mit vieler Gewandtheit verschleiert, und damit es lieber auf die stets ungewisse Zukunft eines noch nicht gebornen, vielleicht unmöglichen Ministeriums zähle, als sich auf indirectem Wege des größtmöglichen Vortheils der Gegenwart zu versichern, müssen andere Ursachen bestehen, als die, welche eine oberflächliche Beschauung zu erblicken wähnt. Vielleicht dünkt ihm der Weg zu einem Ministerium von Guizot und Thiers kürzer, als der zu dem Ministerium, das von der Kammer vorzugsweise den Titel des gouvernement parlamentaire erhalten hat. Es ist noch nicht an der Zeit, über diese politische Astrologie etwas Deutlicheres auszusprechen, vielleicht kommt diese Zeit gar nicht, ein Grund mehr, sich heute innerhalb der Schranken einer unverfänglichen Hindeutung zu halten.

Der Krieg, den das Journal des Debats fortwährend Hrn. Passy wegen seiner Rentenconversion macht, und der nicht bloß der Sache, sondern zugleich der Person sehr heftig zu Leibe geht, wirft ein neues Licht auf die prekäre Stellung aller Mitglieder des Cabinets. Eine noch schlimmere als Hr. Passy, hat in diesem Augenblick der Kriegsminister, General Schneider, der mit Hartnäckigkeit die Ausführung des so viel besprochenen Gesetzes über den Generalstab, das in der vorigen Session durchging, bei der ersten zu dessen Anwendung sich darbietenden Gelegenheit verlangt. - Nachschrift. General Schneider soll in dem gestern Abend gehaltenen Conseil seine Dimission eingegeben haben.

Ich komme auf den Artikel Ihres Londoner Correspondenten zurück, von dem ich unter dem 10 Dec. Allgem. Zeit. Nro. 355 sprach. Die Thatsachen liegen jetzt dem Publicum offen vor Augen, und jeder, der den Gang der Ereignisse ein wenig näher beobachtet hat, ist in die Lage gesetzt, das Unhaltbare der Anschuldigungen zu erkennen, welche in jenem Artikel erhoben wurden. Was in diesem Augenblick in London sich zuträgt, zeigt deutlich, daß das, was jener Correspondent von Rußland sagt, entweder Unkenntniß oder bösen Willen verräth. Erst läßt er Rußland im Trüben fischen, dann plötzlich hervortreten, um rücksichtslos den eigenen Weg einzuschlagen. So schlecht gesinnt, so schlecht berathen war und ist jedoch jenes Cabinet nicht. Es wollte nur die ihm gebührende Stellung einnehmen, nicht aber die allgemeinen Interessen den eigenen unterordnen, und als ihm dieß gelungen, ergriff es selbst die Initiative und gab zu den in London jetzt eingeleiteten Unterhandlungen den größten Impuls. Mit Unrecht also wird von Rußland gesagt, es habe den Gang der Tergiversationen so lange eingehalten, bis es sich gezwungen gesehen, denselben zu verlassen und offen zu erklären, keinen Theil nehmen zu wollen an den Berathungen, die eine Gestalt zu erhalten schienen, "worin die Stimmenmehrheit die Oberhand erhalten könnte, so daß seine überwiegenden Interessen, sein überwiegender Einfluß im Orient dem Interesse und dem Einflusse der Andern leicht weichen müßten." Was damals zu befürchten war, wäre jetzt nicht minder zu besorgen, und man sieht daher, daß das Petersburger Cabinet von andern Motiven als Furcht oder rückhaltigen Absichten geleitet gewesen, als es damals Anstand nahm, der Einladung Folge zu geben, die wegen Abhaltung von Conferenzen an dasselbe gerichtet worden waren. Die abschlägige Antwort des russischen Hofes auf jene Einladung muß hauptsächlich einer Frage der Form zugeschrieben werden, an welcher jede Macht halten muß, die sich selbst achtet. Das französische Cabinet hatte sich bereit erklärt an den Conferenzen Theil zu nehmen, weil es die Formen beobachtet fand; diese Bereitwilligkeit aber, sagt man, sey nicht aufrichtig gemeint gewesen; man habe in Paris nur gewandter als in Petersburg sich benommen, indem man von Anfang an seine Zwecke so geschickt zu verstecken gewußt habe (nämlich Alles zu trainiren und zu vereiteln, was die andern Mächte gegen Mehemed Ali zu beschließen sich anschicken könnten), daß ganz Europa die Dupe französischer diplomatischer Kunststücke geworden sey. Dieß wäre gerade nicht schmeichelhaft für Europa und die übrige Diplomatie. Europa kann sich inzwischen beruhigen: es ist so wenig die Dupe Frankreichs gewesen, als Frankreich und Rußland sich in ihren eigenen Schlingen gefangen haben. Frankreich wollte und konnte Niemand dupiren, und hatte daher auch keine Schlinge auszuwerfen. Rußland und Frankreich sind gewissenhaft vorgegangen, beide haben sich redlich gegen die Pforte benommen, ihre Sprache und Handlungsweise war stets der Ausdruck ihrer Gesinnungen. Frankreich, das, wie in dem Londoner Artikel vorgegeben wird, vorzüglich sich versündigt haben soll, um die orientalischen Wirren auszubeuten, hatte, weder vor noch nach der Schlacht von Nisib, eine andere Absicht, als zur Erhaltung des allgemeinen Friedens beizutragen, der Pforte Schutz angedeihen zu lassen, den Orient dauerhaft zu beruhigen, was es nur bewerkstelligen zu können glaubte durch Berücksichtigung der eigenthümlichen Stellung Mehemed Ali's. Anders wird es auch Niemand sonst zu Wege bringen. Daß Frankreich in dieser Beziehung keinen Treubruch an der Pforte beging, beweisen die eigenen Schritte, die diese bei Mehemed Ali gemacht hat, um ihn zu versöhnen, beweisen auch die mannichfachen Projecte, die von allen Cabinetten ausgegangen sind, und worin die Nothwendigkeit dargethan wird, ein Abfinden zwischen der Pforte und ihrem mächtigen Vasallen auf friedlichem Wege zu Stande zu bringen. Die größern oder mindern Zugeständnisse, die dabei eine jede Macht für Mehemed Ali gelten lassen will, geben noch nicht die Befugniß, ihre Intentionen zu verdächtigen, denn jede urtheilt nach den Eindrücken, welche die Lage der Dinge ihr macht. Dieß ist fast immer der Fall, wo es einen streitigen Punkt zu schlichten gibt; so geschah es bei Griechenland, bei Belgien, wo doch alle von dem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte ausgingen, das Gute zu fördern. Als daher das französische Cabinet an den gewünschten Berathungen Theil zu nehmen versprach, hatte Niemand das Recht seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln, am wenigsten diejenigen, welche ihm ein System von Intriguen zuschreiben. Hätte es darauf seine Politik gebaut, so konnte ihm kein besseres Feld geboten werden, als das der Conferenzen. Dort kann nach Gefallen trainirt und protokollirt, mithin Zeit so viel man will verschleudert werden, worauf es doch Frankreich angekommen seyn soll. Aber seltsam genug wird Frankreich mit einemmal in dem erwähnten Artikel der, wenn auch etwas verschleierte, Vorwurf gemacht, daß es trotz seiner Verheißungen, mit England und Oesterreich sich zu vereinigen, nachdem Rußland die Maske abgeworfen und von keinen Conferenzen hören wollte, sich retractirt habe. Eine solche Behauptung ist mehr als gewagt, man mag den Geist, der das französische Cabinet belebt, auch noch so willkürlich auffassen wollen. Es ist kein Geheimniß, daß man hier die Consequenzen fühlte, welche die bekannte Collectivnote mit sich führte; um jede Verlegenheit zu vermeiden, wollte man mit Oesterreich und England zusammenhalten. Frankreich vermochte auch kaum anders, als im Sinne der zufällig entstandenen Collectivnote sich zu bewegen, mochte nun Finesse oder Aufrichtigkeit


abgewendet, sie haben zugleich die Fahne einer Oppositionspartei aufgesteckt, die sie als die Nachfolgerin des Ministeriums vom 12 Mai zu berufen scheinen: die Doctrinäre und an ihrer Spitze Guizot. Wir denken nicht, daß die einzige Unterdrückung der Subvention dieses einflußreiche Blatt zu seiner auffallenden Stellung verleitet hat – die Wahrung seines Interesses ist bei ihm stets mit vieler Gewandtheit verschleiert, und damit es lieber auf die stets ungewisse Zukunft eines noch nicht gebornen, vielleicht unmöglichen Ministeriums zähle, als sich auf indirectem Wege des größtmöglichen Vortheils der Gegenwart zu versichern, müssen andere Ursachen bestehen, als die, welche eine oberflächliche Beschauung zu erblicken wähnt. Vielleicht dünkt ihm der Weg zu einem Ministerium von Guizot und Thiers kürzer, als der zu dem Ministerium, das von der Kammer vorzugsweise den Titel des gouvernement parlamentaire erhalten hat. Es ist noch nicht an der Zeit, über diese politische Astrologie etwas Deutlicheres auszusprechen, vielleicht kommt diese Zeit gar nicht, ein Grund mehr, sich heute innerhalb der Schranken einer unverfänglichen Hindeutung zu halten.

Der Krieg, den das Journal des Débats fortwährend Hrn. Passy wegen seiner Rentenconversion macht, und der nicht bloß der Sache, sondern zugleich der Person sehr heftig zu Leibe geht, wirft ein neues Licht auf die prekäre Stellung aller Mitglieder des Cabinets. Eine noch schlimmere als Hr. Passy, hat in diesem Augenblick der Kriegsminister, General Schneider, der mit Hartnäckigkeit die Ausführung des so viel besprochenen Gesetzes über den Generalstab, das in der vorigen Session durchging, bei der ersten zu dessen Anwendung sich darbietenden Gelegenheit verlangt. – Nachschrift. General Schneider soll in dem gestern Abend gehaltenen Conseil seine Dimission eingegeben haben.

Ich komme auf den Artikel Ihres Londoner Correspondenten ♂ zurück, von dem ich unter dem 10 Dec. Allgem. Zeit. Nro. 355 sprach. Die Thatsachen liegen jetzt dem Publicum offen vor Augen, und jeder, der den Gang der Ereignisse ein wenig näher beobachtet hat, ist in die Lage gesetzt, das Unhaltbare der Anschuldigungen zu erkennen, welche in jenem Artikel erhoben wurden. Was in diesem Augenblick in London sich zuträgt, zeigt deutlich, daß das, was jener Correspondent von Rußland sagt, entweder Unkenntniß oder bösen Willen verräth. Erst läßt er Rußland im Trüben fischen, dann plötzlich hervortreten, um rücksichtslos den eigenen Weg einzuschlagen. So schlecht gesinnt, so schlecht berathen war und ist jedoch jenes Cabinet nicht. Es wollte nur die ihm gebührende Stellung einnehmen, nicht aber die allgemeinen Interessen den eigenen unterordnen, und als ihm dieß gelungen, ergriff es selbst die Initiative und gab zu den in London jetzt eingeleiteten Unterhandlungen den größten Impuls. Mit Unrecht also wird von Rußland gesagt, es habe den Gang der Tergiversationen so lange eingehalten, bis es sich gezwungen gesehen, denselben zu verlassen und offen zu erklären, keinen Theil nehmen zu wollen an den Berathungen, die eine Gestalt zu erhalten schienen, „worin die Stimmenmehrheit die Oberhand erhalten könnte, so daß seine überwiegenden Interessen, sein überwiegender Einfluß im Orient dem Interesse und dem Einflusse der Andern leicht weichen müßten.„ Was damals zu befürchten war, wäre jetzt nicht minder zu besorgen, und man sieht daher, daß das Petersburger Cabinet von andern Motiven als Furcht oder rückhaltigen Absichten geleitet gewesen, als es damals Anstand nahm, der Einladung Folge zu geben, die wegen Abhaltung von Conferenzen an dasselbe gerichtet worden waren. Die abschlägige Antwort des russischen Hofes auf jene Einladung muß hauptsächlich einer Frage der Form zugeschrieben werden, an welcher jede Macht halten muß, die sich selbst achtet. Das französische Cabinet hatte sich bereit erklärt an den Conferenzen Theil zu nehmen, weil es die Formen beobachtet fand; diese Bereitwilligkeit aber, sagt man, sey nicht aufrichtig gemeint gewesen; man habe in Paris nur gewandter als in Petersburg sich benommen, indem man von Anfang an seine Zwecke so geschickt zu verstecken gewußt habe (nämlich Alles zu trainiren und zu vereiteln, was die andern Mächte gegen Mehemed Ali zu beschließen sich anschicken könnten), daß ganz Europa die Dupe französischer diplomatischer Kunststücke geworden sey. Dieß wäre gerade nicht schmeichelhaft für Europa und die übrige Diplomatie. Europa kann sich inzwischen beruhigen: es ist so wenig die Dupe Frankreichs gewesen, als Frankreich und Rußland sich in ihren eigenen Schlingen gefangen haben. Frankreich wollte und konnte Niemand dupiren, und hatte daher auch keine Schlinge auszuwerfen. Rußland und Frankreich sind gewissenhaft vorgegangen, beide haben sich redlich gegen die Pforte benommen, ihre Sprache und Handlungsweise war stets der Ausdruck ihrer Gesinnungen. Frankreich, das, wie in dem Londoner Artikel vorgegeben wird, vorzüglich sich versündigt haben soll, um die orientalischen Wirren auszubeuten, hatte, weder vor noch nach der Schlacht von Nisib, eine andere Absicht, als zur Erhaltung des allgemeinen Friedens beizutragen, der Pforte Schutz angedeihen zu lassen, den Orient dauerhaft zu beruhigen, was es nur bewerkstelligen zu können glaubte durch Berücksichtigung der eigenthümlichen Stellung Mehemed Ali's. Anders wird es auch Niemand sonst zu Wege bringen. Daß Frankreich in dieser Beziehung keinen Treubruch an der Pforte beging, beweisen die eigenen Schritte, die diese bei Mehemed Ali gemacht hat, um ihn zu versöhnen, beweisen auch die mannichfachen Projecte, die von allen Cabinetten ausgegangen sind, und worin die Nothwendigkeit dargethan wird, ein Abfinden zwischen der Pforte und ihrem mächtigen Vasallen auf friedlichem Wege zu Stande zu bringen. Die größern oder mindern Zugeständnisse, die dabei eine jede Macht für Mehemed Ali gelten lassen will, geben noch nicht die Befugniß, ihre Intentionen zu verdächtigen, denn jede urtheilt nach den Eindrücken, welche die Lage der Dinge ihr macht. Dieß ist fast immer der Fall, wo es einen streitigen Punkt zu schlichten gibt; so geschah es bei Griechenland, bei Belgien, wo doch alle von dem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte ausgingen, das Gute zu fördern. Als daher das französische Cabinet an den gewünschten Berathungen Theil zu nehmen versprach, hatte Niemand das Recht seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln, am wenigsten diejenigen, welche ihm ein System von Intriguen zuschreiben. Hätte es darauf seine Politik gebaut, so konnte ihm kein besseres Feld geboten werden, als das der Conferenzen. Dort kann nach Gefallen trainirt und protokollirt, mithin Zeit so viel man will verschleudert werden, worauf es doch Frankreich angekommen seyn soll. Aber seltsam genug wird Frankreich mit einemmal in dem erwähnten Artikel der, wenn auch etwas verschleierte, Vorwurf gemacht, daß es trotz seiner Verheißungen, mit England und Oesterreich sich zu vereinigen, nachdem Rußland die Maske abgeworfen und von keinen Conferenzen hören wollte, sich retractirt habe. Eine solche Behauptung ist mehr als gewagt, man mag den Geist, der das französische Cabinet belebt, auch noch so willkürlich auffassen wollen. Es ist kein Geheimniß, daß man hier die Consequenzen fühlte, welche die bekannte Collectivnote mit sich führte; um jede Verlegenheit zu vermeiden, wollte man mit Oesterreich und England zusammenhalten. Frankreich vermochte auch kaum anders, als im Sinne der zufällig entstandenen Collectivnote sich zu bewegen, mochte nun Finesse oder Aufrichtigkeit

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abgewendet, sie haben zugleich die Fahne einer Oppositionspartei aufgesteckt, die sie als die Nachfolgerin des Ministeriums vom 12 Mai zu berufen scheinen: die Doctrinäre und an ihrer Spitze Guizot. Wir denken nicht, daß die einzige Unterdrückung der Subvention dieses einflußreiche Blatt zu seiner auffallenden Stellung verleitet hat &#x2013; die Wahrung seines Interesses ist bei ihm stets mit vieler Gewandtheit verschleiert, und damit es lieber auf die stets ungewisse Zukunft eines noch nicht gebornen, vielleicht unmöglichen Ministeriums zähle, als sich auf indirectem Wege des größtmöglichen Vortheils der Gegenwart zu versichern, müssen andere Ursachen bestehen, als die, welche eine oberflächliche Beschauung zu erblicken wähnt. Vielleicht dünkt ihm der Weg zu einem Ministerium von Guizot und Thiers kürzer, als der zu dem Ministerium, das von der Kammer vorzugsweise den Titel des gouvernement parlamentaire erhalten hat. Es ist noch nicht an der Zeit, über diese politische Astrologie etwas Deutlicheres auszusprechen, vielleicht kommt diese Zeit gar nicht, ein Grund mehr, sich heute innerhalb der Schranken einer unverfänglichen Hindeutung zu halten.</p>
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Es wollte nur die ihm gebührende Stellung einnehmen, nicht aber die allgemeinen Interessen den eigenen unterordnen, und als ihm dieß gelungen, ergriff es selbst die Initiative und gab zu den in London jetzt eingeleiteten Unterhandlungen den größten Impuls. Mit Unrecht also wird von Rußland gesagt, es habe den Gang der Tergiversationen so lange eingehalten, bis es sich gezwungen gesehen, denselben zu verlassen und offen zu erklären, keinen Theil nehmen zu wollen an den Berathungen, die eine Gestalt zu erhalten schienen, &#x201E;worin die Stimmenmehrheit die Oberhand erhalten könnte, so daß seine überwiegenden Interessen, sein überwiegender Einfluß im Orient dem Interesse und dem Einflusse der Andern leicht weichen müßten.&#x201E; Was damals zu befürchten war, wäre jetzt nicht minder zu besorgen, und man sieht daher, daß das Petersburger Cabinet von andern Motiven als Furcht oder rückhaltigen Absichten geleitet gewesen, als es damals Anstand nahm, der Einladung Folge zu geben, die wegen Abhaltung von Conferenzen an dasselbe gerichtet worden waren. Die abschlägige Antwort des russischen Hofes auf jene Einladung muß hauptsächlich einer Frage der Form zugeschrieben werden, an welcher jede Macht halten muß, die sich selbst achtet. Das französische Cabinet hatte sich bereit erklärt an den Conferenzen Theil zu nehmen, weil es die Formen beobachtet fand; diese Bereitwilligkeit aber, sagt man, sey nicht aufrichtig gemeint gewesen; man habe in Paris nur gewandter als in Petersburg sich benommen, indem man von Anfang an seine Zwecke so geschickt zu verstecken gewußt habe (nämlich Alles zu trainiren und zu vereiteln, was die andern Mächte gegen Mehemed Ali zu beschließen sich anschicken könnten), daß ganz Europa die Dupe französischer diplomatischer Kunststücke geworden sey. Dieß wäre gerade nicht schmeichelhaft für Europa und die übrige Diplomatie. Europa kann sich inzwischen beruhigen: es ist so wenig die Dupe Frankreichs gewesen, als Frankreich und Rußland sich in ihren eigenen Schlingen gefangen haben. Frankreich wollte und konnte Niemand dupiren, und hatte daher auch keine Schlinge auszuwerfen. Rußland und Frankreich sind gewissenhaft vorgegangen, beide haben sich redlich gegen die Pforte benommen, ihre Sprache und Handlungsweise war stets der Ausdruck ihrer Gesinnungen. Frankreich, das, wie in dem Londoner Artikel vorgegeben wird, vorzüglich sich versündigt haben soll, um die orientalischen Wirren auszubeuten, hatte, weder vor noch nach der Schlacht von Nisib, eine andere Absicht, als zur Erhaltung des allgemeinen Friedens beizutragen, der Pforte Schutz angedeihen zu lassen, den Orient dauerhaft zu beruhigen, was es nur bewerkstelligen zu können glaubte durch Berücksichtigung der eigenthümlichen Stellung Mehemed Ali's. Anders wird es auch Niemand sonst zu Wege bringen. Daß Frankreich in dieser Beziehung keinen Treubruch an der Pforte beging, beweisen die eigenen Schritte, die diese bei Mehemed Ali gemacht hat, um ihn zu versöhnen, beweisen auch die mannichfachen Projecte, die von allen Cabinetten ausgegangen sind, und worin die Nothwendigkeit dargethan wird, ein Abfinden zwischen der Pforte und ihrem mächtigen Vasallen auf friedlichem Wege zu Stande zu bringen. Die größern oder mindern Zugeständnisse, die dabei eine jede Macht für Mehemed Ali gelten lassen will, geben noch nicht die Befugniß, ihre Intentionen zu verdächtigen, denn jede urtheilt nach den Eindrücken, welche die Lage der Dinge ihr macht. Dieß ist fast immer der Fall, wo es einen streitigen Punkt zu schlichten gibt; so geschah es bei Griechenland, bei Belgien, wo doch alle von dem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte ausgingen, das Gute zu fördern. Als daher das französische Cabinet an den gewünschten Berathungen Theil zu nehmen versprach, hatte Niemand das Recht seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln, am wenigsten diejenigen, welche ihm ein System von Intriguen zuschreiben. Hätte es darauf seine Politik gebaut, so konnte ihm kein besseres Feld geboten werden, als das der Conferenzen. Dort kann nach Gefallen trainirt und protokollirt, mithin Zeit so viel man will verschleudert werden, worauf es doch Frankreich angekommen seyn soll. Aber seltsam genug wird Frankreich mit einemmal in dem erwähnten Artikel der, wenn auch etwas verschleierte, Vorwurf gemacht, daß es trotz seiner Verheißungen, mit England und Oesterreich sich zu vereinigen, nachdem Rußland die Maske abgeworfen und von keinen Conferenzen hören wollte, sich retractirt habe. Eine solche Behauptung ist mehr als gewagt, man mag den Geist, der das französische Cabinet belebt, auch noch so willkürlich auffassen wollen. Es ist kein Geheimniß, daß man hier die Consequenzen fühlte, welche die bekannte Collectivnote mit sich führte; um jede Verlegenheit zu vermeiden, wollte man mit Oesterreich und England zusammenhalten. Frankreich vermochte auch kaum anders, als im Sinne der zufällig entstandenen Collectivnote sich zu bewegen, mochte nun Finesse oder Aufrichtigkeit<lb/></p>
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[0195/0003] abgewendet, sie haben zugleich die Fahne einer Oppositionspartei aufgesteckt, die sie als die Nachfolgerin des Ministeriums vom 12 Mai zu berufen scheinen: die Doctrinäre und an ihrer Spitze Guizot. Wir denken nicht, daß die einzige Unterdrückung der Subvention dieses einflußreiche Blatt zu seiner auffallenden Stellung verleitet hat – die Wahrung seines Interesses ist bei ihm stets mit vieler Gewandtheit verschleiert, und damit es lieber auf die stets ungewisse Zukunft eines noch nicht gebornen, vielleicht unmöglichen Ministeriums zähle, als sich auf indirectem Wege des größtmöglichen Vortheils der Gegenwart zu versichern, müssen andere Ursachen bestehen, als die, welche eine oberflächliche Beschauung zu erblicken wähnt. Vielleicht dünkt ihm der Weg zu einem Ministerium von Guizot und Thiers kürzer, als der zu dem Ministerium, das von der Kammer vorzugsweise den Titel des gouvernement parlamentaire erhalten hat. Es ist noch nicht an der Zeit, über diese politische Astrologie etwas Deutlicheres auszusprechen, vielleicht kommt diese Zeit gar nicht, ein Grund mehr, sich heute innerhalb der Schranken einer unverfänglichen Hindeutung zu halten. ** Paris, 20 Jar. Der Krieg, den das Journal des Débats fortwährend Hrn. Passy wegen seiner Rentenconversion macht, und der nicht bloß der Sache, sondern zugleich der Person sehr heftig zu Leibe geht, wirft ein neues Licht auf die prekäre Stellung aller Mitglieder des Cabinets. Eine noch schlimmere als Hr. Passy, hat in diesem Augenblick der Kriegsminister, General Schneider, der mit Hartnäckigkeit die Ausführung des so viel besprochenen Gesetzes über den Generalstab, das in der vorigen Session durchging, bei der ersten zu dessen Anwendung sich darbietenden Gelegenheit verlangt. – Nachschrift. General Schneider soll in dem gestern Abend gehaltenen Conseil seine Dimission eingegeben haben. ✠ Paris, 14 Jan. Ich komme auf den Artikel Ihres Londoner Correspondenten ♂ zurück, von dem ich unter dem 10 Dec. Allgem. Zeit. Nro. 355 sprach. Die Thatsachen liegen jetzt dem Publicum offen vor Augen, und jeder, der den Gang der Ereignisse ein wenig näher beobachtet hat, ist in die Lage gesetzt, das Unhaltbare der Anschuldigungen zu erkennen, welche in jenem Artikel erhoben wurden. Was in diesem Augenblick in London sich zuträgt, zeigt deutlich, daß das, was jener Correspondent von Rußland sagt, entweder Unkenntniß oder bösen Willen verräth. Erst läßt er Rußland im Trüben fischen, dann plötzlich hervortreten, um rücksichtslos den eigenen Weg einzuschlagen. So schlecht gesinnt, so schlecht berathen war und ist jedoch jenes Cabinet nicht. Es wollte nur die ihm gebührende Stellung einnehmen, nicht aber die allgemeinen Interessen den eigenen unterordnen, und als ihm dieß gelungen, ergriff es selbst die Initiative und gab zu den in London jetzt eingeleiteten Unterhandlungen den größten Impuls. Mit Unrecht also wird von Rußland gesagt, es habe den Gang der Tergiversationen so lange eingehalten, bis es sich gezwungen gesehen, denselben zu verlassen und offen zu erklären, keinen Theil nehmen zu wollen an den Berathungen, die eine Gestalt zu erhalten schienen, „worin die Stimmenmehrheit die Oberhand erhalten könnte, so daß seine überwiegenden Interessen, sein überwiegender Einfluß im Orient dem Interesse und dem Einflusse der Andern leicht weichen müßten.„ Was damals zu befürchten war, wäre jetzt nicht minder zu besorgen, und man sieht daher, daß das Petersburger Cabinet von andern Motiven als Furcht oder rückhaltigen Absichten geleitet gewesen, als es damals Anstand nahm, der Einladung Folge zu geben, die wegen Abhaltung von Conferenzen an dasselbe gerichtet worden waren. Die abschlägige Antwort des russischen Hofes auf jene Einladung muß hauptsächlich einer Frage der Form zugeschrieben werden, an welcher jede Macht halten muß, die sich selbst achtet. Das französische Cabinet hatte sich bereit erklärt an den Conferenzen Theil zu nehmen, weil es die Formen beobachtet fand; diese Bereitwilligkeit aber, sagt man, sey nicht aufrichtig gemeint gewesen; man habe in Paris nur gewandter als in Petersburg sich benommen, indem man von Anfang an seine Zwecke so geschickt zu verstecken gewußt habe (nämlich Alles zu trainiren und zu vereiteln, was die andern Mächte gegen Mehemed Ali zu beschließen sich anschicken könnten), daß ganz Europa die Dupe französischer diplomatischer Kunststücke geworden sey. Dieß wäre gerade nicht schmeichelhaft für Europa und die übrige Diplomatie. Europa kann sich inzwischen beruhigen: es ist so wenig die Dupe Frankreichs gewesen, als Frankreich und Rußland sich in ihren eigenen Schlingen gefangen haben. Frankreich wollte und konnte Niemand dupiren, und hatte daher auch keine Schlinge auszuwerfen. Rußland und Frankreich sind gewissenhaft vorgegangen, beide haben sich redlich gegen die Pforte benommen, ihre Sprache und Handlungsweise war stets der Ausdruck ihrer Gesinnungen. Frankreich, das, wie in dem Londoner Artikel vorgegeben wird, vorzüglich sich versündigt haben soll, um die orientalischen Wirren auszubeuten, hatte, weder vor noch nach der Schlacht von Nisib, eine andere Absicht, als zur Erhaltung des allgemeinen Friedens beizutragen, der Pforte Schutz angedeihen zu lassen, den Orient dauerhaft zu beruhigen, was es nur bewerkstelligen zu können glaubte durch Berücksichtigung der eigenthümlichen Stellung Mehemed Ali's. Anders wird es auch Niemand sonst zu Wege bringen. Daß Frankreich in dieser Beziehung keinen Treubruch an der Pforte beging, beweisen die eigenen Schritte, die diese bei Mehemed Ali gemacht hat, um ihn zu versöhnen, beweisen auch die mannichfachen Projecte, die von allen Cabinetten ausgegangen sind, und worin die Nothwendigkeit dargethan wird, ein Abfinden zwischen der Pforte und ihrem mächtigen Vasallen auf friedlichem Wege zu Stande zu bringen. Die größern oder mindern Zugeständnisse, die dabei eine jede Macht für Mehemed Ali gelten lassen will, geben noch nicht die Befugniß, ihre Intentionen zu verdächtigen, denn jede urtheilt nach den Eindrücken, welche die Lage der Dinge ihr macht. Dieß ist fast immer der Fall, wo es einen streitigen Punkt zu schlichten gibt; so geschah es bei Griechenland, bei Belgien, wo doch alle von dem gemeinschaftlichen Gesichtspunkte ausgingen, das Gute zu fördern. Als daher das französische Cabinet an den gewünschten Berathungen Theil zu nehmen versprach, hatte Niemand das Recht seine Aufrichtigkeit zu bezweifeln, am wenigsten diejenigen, welche ihm ein System von Intriguen zuschreiben. Hätte es darauf seine Politik gebaut, so konnte ihm kein besseres Feld geboten werden, als das der Conferenzen. Dort kann nach Gefallen trainirt und protokollirt, mithin Zeit so viel man will verschleudert werden, worauf es doch Frankreich angekommen seyn soll. Aber seltsam genug wird Frankreich mit einemmal in dem erwähnten Artikel der, wenn auch etwas verschleierte, Vorwurf gemacht, daß es trotz seiner Verheißungen, mit England und Oesterreich sich zu vereinigen, nachdem Rußland die Maske abgeworfen und von keinen Conferenzen hören wollte, sich retractirt habe. Eine solche Behauptung ist mehr als gewagt, man mag den Geist, der das französische Cabinet belebt, auch noch so willkürlich auffassen wollen. Es ist kein Geheimniß, daß man hier die Consequenzen fühlte, welche die bekannte Collectivnote mit sich führte; um jede Verlegenheit zu vermeiden, wollte man mit Oesterreich und England zusammenhalten. Frankreich vermochte auch kaum anders, als im Sinne der zufällig entstandenen Collectivnote sich zu bewegen, mochte nun Finesse oder Aufrichtigkeit

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 25. Augsburg, 25. Januar 1840, S. 0195. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_025_18400125/3>, abgerufen am 18.04.2024.