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Allgemeine Zeitung. Nr. 21. Augsburg, 21. Januar 1840.

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Gegensatz zu seiner Geisteswelt, wie überhaupt eine begabte Natur auch das Heterogenste mit ihren edleren Zwecken zu verbinden weiß. So wurde in seiner Correspondenz mit den afrikanischen Consulaten nicht allein die Auswahl der tributartigen Verehrungen an die Barbareskenhäuptlinge verhandelt, sie wurde ihm Anlaß zu gründlicherem Studium der arabischen Litteratur und Geschichte und des afrikanischen Handels20). Sein ostindisches Bureaugeschäft führte ihn auf Vergleichungen der Besteuerungssysteme des Orients, der Perser, Juden und Indier, und auf das Resultat, daß die Natur den orientalischen Nationen den Reichthum ihrer Länder nur gegeben zu haben scheine, um durch alle Erpressungen nicht ausgerottet werden zu können, wie es in Europa geschehen würde: wie Jupiter in der Fabel dem Esel zu seiner Erleichterung, da er die Härte seines Treibers nicht mildern konnte, das dicke Fell und den Stumpfsinn gab, um es mit den Schlägen auszuhalten21). Auch fehlte ihm als Geschäftsmann nicht die Befriedigung, welche die Anerkennung gibt, die dem Verdienst gewährt wird. Zu Anfang des Jahrs 1804 wurde er Director der Bank und des ostindischen Bureau's; er trat als Mitglied in die Commission, deren Secretär er gewesen war. Damit bekam er auch ein reichlicheres Einkommen. Zugleich wurden aber die Geschäfte verwickelter, lästiger, durch die gespannte Aufmerksamkeit, die sie erforderten, anstrengender, wenn gleich der Sachkundige sich leicht zurecht fand. Rechnungen waren seine Beschäftigung, Kaufleute, Juden, Mäkler sein Umgang. Er fühlte sich unter den Juden wie Alcibiades unter den Thraciern und Persern: wenn er auch, weil er mußte, seinen Ehrgeiz darein setzte, mit jenen in die Wette Vortheile und Pfiffe zu berechnen und sie es nur nicht begreifen konnten, daß ihm am Geld für sich selbst nichts liege, so war er doch dieses Lebens aufrichtig satt22).

Inzwischen waren die Schläge von Ulm, von Austerlitz geschehen; die Gefahr des deutschen Vaterlandes und das Hereindrohen einer neuen Weltsklaverei hatten seine leidenschaftlichsten Gefühle entflammt. Einen Augenblick hatte er sich dem Wahn hingegeben, daß sich Deutschland aufraffen könnte; er hatte sich zu den Kämpfern gesehnt, um, wenn auch Alles verloren gehe, wenigstens es zu sehen und zu erfahren, mit welcher Freudigkeit und Herzenserhebung man im Nationalkrieg zu den Waffen greift. Er hatte in Demosthenes' erster Philippischer Rede einen Warnungsruf erschallen lassen wollen durch Deutschland, aber das Schwert des neuen Macedoniers hatte entschieden, ehe ihm selbst die Exemplare zukamen, so daß es ihm damit war wie den Nachgelassenen eines Todten, die einen an ihn geschriebenen Brief erhalten23). Das Schrecklichste waren ihm die vielen Deutschen, die den Siegen der Franzosen zujauchzten, die sich an Bonaparte's Glanz freuten wie die Mücke am Licht, von dem sie versengt wird, welche die letzten Funken der Nationalliebe und des Nationalhasses erstickten. "Wohl uns, ruft Niebuhr aus, die keine Kinder haben! Möchte es doch ganzen Völkern so gut seyn können, mit dieser Generation auszusterben! Mit zwei Dingen hat Englands Genius Lord Nelson gesegnet: daß er siegend starb, ehe er die Niederlage von Ulm wissen konnte, und dann, daß er keine Kinder hinterließ, die unter das Joch derer kriechen müßten, die er so oft unter das Joch gesandt hatte. Wie die Welt von den Franzosen beherrscht werden wird, das werden wir bald sehen. Was wir nicht vollendet sehen werden, aber doch schon beginnen sehen, ist die Ausartung des Geistes, das Erlöschen des Genie's, aller freien, aller liberalen Gesinnungen, das Regiment des Lasters, der Sinnlichkeit, ohne auch nur Hypokrisie, der Untergang des Geschmacks und der Litteratur - damit ist es schon hoch am Vormittag"24).

Eine solche Feuerseele hatte nicht ihren Platz unter den Wucherern des Geldmarkts! Niebuhr trennte sich schwer von Dänemark. Eine erste Anfrage aus Berlin, ob er geneigt wäre in preußischen Staatsdienst zu treten, beantwortete er unbestimmt, aber mittlerweile mußte er die Kränkung erleiden, daß er in einer Stelle, auf die er nach seinen Leistungen gerechten Anspruch und versprochenermaßen Anwartschaft hatte, einem jungen Mann nachgesetzt wurde, bloß weil derselbe von vornehmer Geburt war. So war ihm das Vorrücken auf seiner amtlichen Laufbahn verschlossen: er hatte nichts als die Aussicht auf geisttödtende Detailarbeiten vor sich. Noch zauderte sein Entschluß. Gerüchte von einer Annäherung der preußischen an die französische Politik machten ihn stutzig: er fürchtete alsdann Collisionen mit Dänemark. Erst als ihn der Finanzminister Stein darüber beruhigt hatte, als vielmehr Alles sich zu einem Bruch mit Frankreich anließ, reichte er bei der dänischen Regierung sein Entlassungsgesuch ein. Sie bewilligte es mit Bedauern, und begleitet von vielfachen Achtungsbezeugungen verließ er im September 1806 Kopenhagen25).

(Ein zweiter Artikel folgt.)

Portugal.

In Folgendem ergänzen wir unsere gestrigen Auszüge aus der portugiesischen Thronrede. Nach der auf Großbritannien bezüglichen Stelle heißt es weiter: "Eine andere Frage hat sich zwischen meiner Regierung und der von Spanien darüber ergeben, welcher der beiden Mächte das Recht auf ein in der Mündung des Guadiana gelegenes kleines Eiland zustehe. Ein topographischer Plan soll angefertigt und die genauste Erkundigung über diesen Punkt eingezogen werden, damit dann die ganze Frage an eine von beiden Regierungen niederzusetzende Commission zur Entscheidung gebracht werde. Unsere Beziehungen zu dem Kaiserreich Brasilien dauern ungestört fort. Die Regierung hat einen neuen diplomatischen Agenten nach Rio Janeiro ernannt, um unsern Landesproducten die möglich größten Handelsvortheile auf dem brasilischen Markt zu verschaffen. Mit Vergnügen zeig' ich Ihnen an, daß meine Regierung so eben mit der Sr. Maj. des Königs der Franzosen eine Uebereinkunft abgeschlossen hat, kraft derer für die zwischen beiden Staaten ausstehenden, auf früheren Verträgen beruhenden Ansprüche Sorge getragen ist. Ich habe meine Minister beordert, Ihnen die Convention zu gehöriger Zeit vorzulegen. ... Der innere Zustand öffentlicher Sicherheit und Ruhe hat sich seit der letzten Session nicht verschlimmert. Die Banden, welche Algarbien und Alemtejo beunruhigten, haben sich allmählich vermindert. Wenn sie sich zeigen, werden sie geschlagen oder zerstreut, und seit dem Todesstoß, welcher der Partei des Präsidenten in dem Nachbarreiche versetzt worden, hat Entmuthigung ihre Reihen gelichtet. Aus diesen Gründen hoff' ich mit Zuversicht, daß in kurzer Zeit Kraft mit Milde verbunden ihre Unterwerfung vollenden werde. Was

20) Briefe aus Kopenhagen, Bd. 1, S. 302-315.
21) A. a. O. S. 310, 311.
22) Briefe an Moltke von 1804, Bd. 2, S. 43, 47.
23) Briefe an Moltke von 1806, Bd. 2. S. 52, 53.
24) A. a. O. S. 54.
25) Briefe an seine Eltern von 1806, Bd. 1, S. 315-320.


Gegensatz zu seiner Geisteswelt, wie überhaupt eine begabte Natur auch das Heterogenste mit ihren edleren Zwecken zu verbinden weiß. So wurde in seiner Correspondenz mit den afrikanischen Consulaten nicht allein die Auswahl der tributartigen Verehrungen an die Barbareskenhäuptlinge verhandelt, sie wurde ihm Anlaß zu gründlicherem Studium der arabischen Litteratur und Geschichte und des afrikanischen Handels20). Sein ostindisches Bureaugeschäft führte ihn auf Vergleichungen der Besteuerungssysteme des Orients, der Perser, Juden und Indier, und auf das Resultat, daß die Natur den orientalischen Nationen den Reichthum ihrer Länder nur gegeben zu haben scheine, um durch alle Erpressungen nicht ausgerottet werden zu können, wie es in Europa geschehen würde: wie Jupiter in der Fabel dem Esel zu seiner Erleichterung, da er die Härte seines Treibers nicht mildern konnte, das dicke Fell und den Stumpfsinn gab, um es mit den Schlägen auszuhalten21). Auch fehlte ihm als Geschäftsmann nicht die Befriedigung, welche die Anerkennung gibt, die dem Verdienst gewährt wird. Zu Anfang des Jahrs 1804 wurde er Director der Bank und des ostindischen Bureau's; er trat als Mitglied in die Commission, deren Secretär er gewesen war. Damit bekam er auch ein reichlicheres Einkommen. Zugleich wurden aber die Geschäfte verwickelter, lästiger, durch die gespannte Aufmerksamkeit, die sie erforderten, anstrengender, wenn gleich der Sachkundige sich leicht zurecht fand. Rechnungen waren seine Beschäftigung, Kaufleute, Juden, Mäkler sein Umgang. Er fühlte sich unter den Juden wie Alcibiades unter den Thraciern und Persern: wenn er auch, weil er mußte, seinen Ehrgeiz darein setzte, mit jenen in die Wette Vortheile und Pfiffe zu berechnen und sie es nur nicht begreifen konnten, daß ihm am Geld für sich selbst nichts liege, so war er doch dieses Lebens aufrichtig satt22).

Inzwischen waren die Schläge von Ulm, von Austerlitz geschehen; die Gefahr des deutschen Vaterlandes und das Hereindrohen einer neuen Weltsklaverei hatten seine leidenschaftlichsten Gefühle entflammt. Einen Augenblick hatte er sich dem Wahn hingegeben, daß sich Deutschland aufraffen könnte; er hatte sich zu den Kämpfern gesehnt, um, wenn auch Alles verloren gehe, wenigstens es zu sehen und zu erfahren, mit welcher Freudigkeit und Herzenserhebung man im Nationalkrieg zu den Waffen greift. Er hatte in Demosthenes' erster Philippischer Rede einen Warnungsruf erschallen lassen wollen durch Deutschland, aber das Schwert des neuen Macedoniers hatte entschieden, ehe ihm selbst die Exemplare zukamen, so daß es ihm damit war wie den Nachgelassenen eines Todten, die einen an ihn geschriebenen Brief erhalten23). Das Schrecklichste waren ihm die vielen Deutschen, die den Siegen der Franzosen zujauchzten, die sich an Bonaparte's Glanz freuten wie die Mücke am Licht, von dem sie versengt wird, welche die letzten Funken der Nationalliebe und des Nationalhasses erstickten. „Wohl uns, ruft Niebuhr aus, die keine Kinder haben! Möchte es doch ganzen Völkern so gut seyn können, mit dieser Generation auszusterben! Mit zwei Dingen hat Englands Genius Lord Nelson gesegnet: daß er siegend starb, ehe er die Niederlage von Ulm wissen konnte, und dann, daß er keine Kinder hinterließ, die unter das Joch derer kriechen müßten, die er so oft unter das Joch gesandt hatte. Wie die Welt von den Franzosen beherrscht werden wird, das werden wir bald sehen. Was wir nicht vollendet sehen werden, aber doch schon beginnen sehen, ist die Ausartung des Geistes, das Erlöschen des Genie's, aller freien, aller liberalen Gesinnungen, das Regiment des Lasters, der Sinnlichkeit, ohne auch nur Hypokrisie, der Untergang des Geschmacks und der Litteratur – damit ist es schon hoch am Vormittag“24).

Eine solche Feuerseele hatte nicht ihren Platz unter den Wucherern des Geldmarkts! Niebuhr trennte sich schwer von Dänemark. Eine erste Anfrage aus Berlin, ob er geneigt wäre in preußischen Staatsdienst zu treten, beantwortete er unbestimmt, aber mittlerweile mußte er die Kränkung erleiden, daß er in einer Stelle, auf die er nach seinen Leistungen gerechten Anspruch und versprochenermaßen Anwartschaft hatte, einem jungen Mann nachgesetzt wurde, bloß weil derselbe von vornehmer Geburt war. So war ihm das Vorrücken auf seiner amtlichen Laufbahn verschlossen: er hatte nichts als die Aussicht auf geisttödtende Detailarbeiten vor sich. Noch zauderte sein Entschluß. Gerüchte von einer Annäherung der preußischen an die französische Politik machten ihn stutzig: er fürchtete alsdann Collisionen mit Dänemark. Erst als ihn der Finanzminister Stein darüber beruhigt hatte, als vielmehr Alles sich zu einem Bruch mit Frankreich anließ, reichte er bei der dänischen Regierung sein Entlassungsgesuch ein. Sie bewilligte es mit Bedauern, und begleitet von vielfachen Achtungsbezeugungen verließ er im September 1806 Kopenhagen25).

(Ein zweiter Artikel folgt.)

Portugal.

In Folgendem ergänzen wir unsere gestrigen Auszüge aus der portugiesischen Thronrede. Nach der auf Großbritannien bezüglichen Stelle heißt es weiter: „Eine andere Frage hat sich zwischen meiner Regierung und der von Spanien darüber ergeben, welcher der beiden Mächte das Recht auf ein in der Mündung des Guadiana gelegenes kleines Eiland zustehe. Ein topographischer Plan soll angefertigt und die genauste Erkundigung über diesen Punkt eingezogen werden, damit dann die ganze Frage an eine von beiden Regierungen niederzusetzende Commission zur Entscheidung gebracht werde. Unsere Beziehungen zu dem Kaiserreich Brasilien dauern ungestört fort. Die Regierung hat einen neuen diplomatischen Agenten nach Rio Janeiro ernannt, um unsern Landesproducten die möglich größten Handelsvortheile auf dem brasilischen Markt zu verschaffen. Mit Vergnügen zeig' ich Ihnen an, daß meine Regierung so eben mit der Sr. Maj. des Königs der Franzosen eine Uebereinkunft abgeschlossen hat, kraft derer für die zwischen beiden Staaten ausstehenden, auf früheren Verträgen beruhenden Ansprüche Sorge getragen ist. Ich habe meine Minister beordert, Ihnen die Convention zu gehöriger Zeit vorzulegen. ... Der innere Zustand öffentlicher Sicherheit und Ruhe hat sich seit der letzten Session nicht verschlimmert. Die Banden, welche Algarbien und Alemtejo beunruhigten, haben sich allmählich vermindert. Wenn sie sich zeigen, werden sie geschlagen oder zerstreut, und seit dem Todesstoß, welcher der Partei des Präsidenten in dem Nachbarreiche versetzt worden, hat Entmuthigung ihre Reihen gelichtet. Aus diesen Gründen hoff' ich mit Zuversicht, daß in kurzer Zeit Kraft mit Milde verbunden ihre Unterwerfung vollenden werde. Was

20) Briefe aus Kopenhagen, Bd. 1, S. 302-315.
21) A. a. O. S. 310, 311.
22) Briefe an Moltke von 1804, Bd. 2, S. 43, 47.
23) Briefe an Moltke von 1806, Bd. 2. S. 52, 53.
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[0163/0011] Gegensatz zu seiner Geisteswelt, wie überhaupt eine begabte Natur auch das Heterogenste mit ihren edleren Zwecken zu verbinden weiß. So wurde in seiner Correspondenz mit den afrikanischen Consulaten nicht allein die Auswahl der tributartigen Verehrungen an die Barbareskenhäuptlinge verhandelt, sie wurde ihm Anlaß zu gründlicherem Studium der arabischen Litteratur und Geschichte und des afrikanischen Handels 20). Sein ostindisches Bureaugeschäft führte ihn auf Vergleichungen der Besteuerungssysteme des Orients, der Perser, Juden und Indier, und auf das Resultat, daß die Natur den orientalischen Nationen den Reichthum ihrer Länder nur gegeben zu haben scheine, um durch alle Erpressungen nicht ausgerottet werden zu können, wie es in Europa geschehen würde: wie Jupiter in der Fabel dem Esel zu seiner Erleichterung, da er die Härte seines Treibers nicht mildern konnte, das dicke Fell und den Stumpfsinn gab, um es mit den Schlägen auszuhalten 21). Auch fehlte ihm als Geschäftsmann nicht die Befriedigung, welche die Anerkennung gibt, die dem Verdienst gewährt wird. Zu Anfang des Jahrs 1804 wurde er Director der Bank und des ostindischen Bureau's; er trat als Mitglied in die Commission, deren Secretär er gewesen war. Damit bekam er auch ein reichlicheres Einkommen. Zugleich wurden aber die Geschäfte verwickelter, lästiger, durch die gespannte Aufmerksamkeit, die sie erforderten, anstrengender, wenn gleich der Sachkundige sich leicht zurecht fand. Rechnungen waren seine Beschäftigung, Kaufleute, Juden, Mäkler sein Umgang. Er fühlte sich unter den Juden wie Alcibiades unter den Thraciern und Persern: wenn er auch, weil er mußte, seinen Ehrgeiz darein setzte, mit jenen in die Wette Vortheile und Pfiffe zu berechnen und sie es nur nicht begreifen konnten, daß ihm am Geld für sich selbst nichts liege, so war er doch dieses Lebens aufrichtig satt 22). Inzwischen waren die Schläge von Ulm, von Austerlitz geschehen; die Gefahr des deutschen Vaterlandes und das Hereindrohen einer neuen Weltsklaverei hatten seine leidenschaftlichsten Gefühle entflammt. Einen Augenblick hatte er sich dem Wahn hingegeben, daß sich Deutschland aufraffen könnte; er hatte sich zu den Kämpfern gesehnt, um, wenn auch Alles verloren gehe, wenigstens es zu sehen und zu erfahren, mit welcher Freudigkeit und Herzenserhebung man im Nationalkrieg zu den Waffen greift. Er hatte in Demosthenes' erster Philippischer Rede einen Warnungsruf erschallen lassen wollen durch Deutschland, aber das Schwert des neuen Macedoniers hatte entschieden, ehe ihm selbst die Exemplare zukamen, so daß es ihm damit war wie den Nachgelassenen eines Todten, die einen an ihn geschriebenen Brief erhalten 23). Das Schrecklichste waren ihm die vielen Deutschen, die den Siegen der Franzosen zujauchzten, die sich an Bonaparte's Glanz freuten wie die Mücke am Licht, von dem sie versengt wird, welche die letzten Funken der Nationalliebe und des Nationalhasses erstickten. „Wohl uns, ruft Niebuhr aus, die keine Kinder haben! Möchte es doch ganzen Völkern so gut seyn können, mit dieser Generation auszusterben! Mit zwei Dingen hat Englands Genius Lord Nelson gesegnet: daß er siegend starb, ehe er die Niederlage von Ulm wissen konnte, und dann, daß er keine Kinder hinterließ, die unter das Joch derer kriechen müßten, die er so oft unter das Joch gesandt hatte. Wie die Welt von den Franzosen beherrscht werden wird, das werden wir bald sehen. Was wir nicht vollendet sehen werden, aber doch schon beginnen sehen, ist die Ausartung des Geistes, das Erlöschen des Genie's, aller freien, aller liberalen Gesinnungen, das Regiment des Lasters, der Sinnlichkeit, ohne auch nur Hypokrisie, der Untergang des Geschmacks und der Litteratur – damit ist es schon hoch am Vormittag“ 24). Eine solche Feuerseele hatte nicht ihren Platz unter den Wucherern des Geldmarkts! Niebuhr trennte sich schwer von Dänemark. Eine erste Anfrage aus Berlin, ob er geneigt wäre in preußischen Staatsdienst zu treten, beantwortete er unbestimmt, aber mittlerweile mußte er die Kränkung erleiden, daß er in einer Stelle, auf die er nach seinen Leistungen gerechten Anspruch und versprochenermaßen Anwartschaft hatte, einem jungen Mann nachgesetzt wurde, bloß weil derselbe von vornehmer Geburt war. So war ihm das Vorrücken auf seiner amtlichen Laufbahn verschlossen: er hatte nichts als die Aussicht auf geisttödtende Detailarbeiten vor sich. Noch zauderte sein Entschluß. Gerüchte von einer Annäherung der preußischen an die französische Politik machten ihn stutzig: er fürchtete alsdann Collisionen mit Dänemark. Erst als ihn der Finanzminister Stein darüber beruhigt hatte, als vielmehr Alles sich zu einem Bruch mit Frankreich anließ, reichte er bei der dänischen Regierung sein Entlassungsgesuch ein. Sie bewilligte es mit Bedauern, und begleitet von vielfachen Achtungsbezeugungen verließ er im September 1806 Kopenhagen 25). (Ein zweiter Artikel folgt.) Portugal. In Folgendem ergänzen wir unsere gestrigen Auszüge aus der portugiesischen Thronrede. Nach der auf Großbritannien bezüglichen Stelle heißt es weiter: „Eine andere Frage hat sich zwischen meiner Regierung und der von Spanien darüber ergeben, welcher der beiden Mächte das Recht auf ein in der Mündung des Guadiana gelegenes kleines Eiland zustehe. Ein topographischer Plan soll angefertigt und die genauste Erkundigung über diesen Punkt eingezogen werden, damit dann die ganze Frage an eine von beiden Regierungen niederzusetzende Commission zur Entscheidung gebracht werde. Unsere Beziehungen zu dem Kaiserreich Brasilien dauern ungestört fort. Die Regierung hat einen neuen diplomatischen Agenten nach Rio Janeiro ernannt, um unsern Landesproducten die möglich größten Handelsvortheile auf dem brasilischen Markt zu verschaffen. Mit Vergnügen zeig' ich Ihnen an, daß meine Regierung so eben mit der Sr. Maj. des Königs der Franzosen eine Uebereinkunft abgeschlossen hat, kraft derer für die zwischen beiden Staaten ausstehenden, auf früheren Verträgen beruhenden Ansprüche Sorge getragen ist. Ich habe meine Minister beordert, Ihnen die Convention zu gehöriger Zeit vorzulegen. ... Der innere Zustand öffentlicher Sicherheit und Ruhe hat sich seit der letzten Session nicht verschlimmert. Die Banden, welche Algarbien und Alemtejo beunruhigten, haben sich allmählich vermindert. Wenn sie sich zeigen, werden sie geschlagen oder zerstreut, und seit dem Todesstoß, welcher der Partei des Präsidenten in dem Nachbarreiche versetzt worden, hat Entmuthigung ihre Reihen gelichtet. Aus diesen Gründen hoff' ich mit Zuversicht, daß in kurzer Zeit Kraft mit Milde verbunden ihre Unterwerfung vollenden werde. Was 20) Briefe aus Kopenhagen, Bd. 1, S. 302-315. 21) A. a. O. S. 310, 311. 22) Briefe an Moltke von 1804, Bd. 2, S. 43, 47. 23) Briefe an Moltke von 1806, Bd. 2. S. 52, 53. 24) A. a. O. S. 54. 25) Briefe an seine Eltern von 1806, Bd. 1, S. 315-320.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 21. Augsburg, 21. Januar 1840, S. 0163. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_021_18400121/11>, abgerufen am 29.03.2024.