Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite
Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten. *)*)

Savigny, einer der Freunde, aus deren Beiträgen das Denkmal der Schrift hervorgegangen ist, das uns das Bild eines der seltensten und edelsten Zeitgenossen zur Totalanschauung zurückruft, hat Recht 1)1), wenn er für die Sammlung Niebuhr'scher Briefe vorzugsweise den Charakter von Memoiren in Anspruch nimmt, und zwar nicht jener Memoiren im französischen Geschmack, welche nur zu oft durch die Leichtfertigkeit der Gesinnung mehr abstoßen als durch die Anmuth der Darstellung erfreuen, sondern einer ernstern, den Confessionen verwandten Gattung. Das war das Eigenthümliche von Niebuhrs Natur, was ihn zu einer so großartigen und doch so liebenswürdigen Erscheinung macht, daß er der gelehrteste unter den Geschäftsmännern und der gemüthvollste unter den Gelehrten war, daß er, der Bewanderte auf allen Gebieten menschlichen Wissens, gegen die austrocknende Kraft der Bücher sich jene weiche Seele bewahrt hatte, die von Allem, was das Leben bewegte, besonders was die Ehre und das Schicksal des deutschen Vaterlandes betraf, ergriffen wurde in Lust und Leid, und darum ist auch sein Briefwechsel als treuer Ausdruck eines reichen mittheilungsbedürftigen Herzens ein so kostbares Vermächtniß. Die frühe Gediegenheit des Geistes, die ihm schon als Jüngling eine ausgezeichnete Stellung in der Gesellschaft gab, verbunden mit einer durchaus sittlichen Willensrichtung und einem scharfen Beobachtersblick, befähigte ihn zu einem Stimmführer der Wahrheit mit derselben Sicherheit des Urtheils über die Entwicklungen der Gegenwart, mit welcher seine historische Kunst Licht geschaffen hat in einigen der dunkelsten Räume der Vergangenheit. Allerdings hat die Herausgabe seiner Correspondenz außer der Beschränkung auf den mehr biographischen Zweck 2)2) noch eine weitere Verkürzung erlitten in ihren Aufschlüssen durch die nothwendig gebotene Rücksicht auf hochstehende Personen und delicate Verhältnisse - und wir haben ja neulich wieder Arndts Klage gehört über diese vielfältigen Hindernisse deutscher Aufrichtigkeit - wenn aber auch Bunsens Wunsch 3)3), daß die eben deßwegen in Niebuhrs Leben gelassenen Schattenpartien dereinst unter den Brennpunkt der Geschichte gebracht werden möchten, wohl nicht sobald in Erfüllung gehen wird, immerhin bleiben diese Reliquien auch so eine der erhebendsten Erscheinungen für die Mitwelt.

Wie erweckend ist nicht die Geschichte seiner Jugend, von der ersten Erziehung im elterlichen Hause 4)4) zu Meldorf in Süderdithmarschen bis zu seinen Universitätsjahren in Kiel! Die Abgeschiedenheit des Orts pflanzte und nährte in ihm den Hang zu diesem Insichgekehrtseyn, der ihn auch nachmals unter den Zerstreuungen der großen Welt stets mit einer wahren Sehnsucht zu den stillen Musen zurückführte, aber sein Vater, Carsten Niebuhr, der berühmte Reisende, anfangs Ingenieurofficier, damals Bezirksbeamter, war ein Mann von zu gesundem Verstand, als daß der Sohn hätte ein trüber Dämmerer, ein bloßer Bücherwurm werden dürfen. Der Vater erzählte ihm von seinen Wanderungen im Orient, von den Ländern und Völkern, die er gesehen, ihren Sitten, Gebräuchen und Staatsformen; er beschäftigte ihn mit geographischen, statistischen oder politischen Ausarbeitungen, ließ ihn Baurisse, Karten und Maschinen zeichnen, trieb mit ihm Heraldik und Münzkunde, nahm ihn zu Berufsgeschäften mit und erregte sein dauerndes Interesse für die Verfassung des Ländchens, das seine Heimath war, überhaupt für einen freien Bauernstand. Deutsch und Dänisch waren Familiensprache, für das Englische und Französische hatte er wieder den väterlichen Unterricht, dazu vom zehnten Jahr an das tägliche Lesen englischer Zeitungen 5)5); Italienisch lernte er für sich und, da der Sturm einige spanische und portugiesische Werke an den Strand geworfen, Castilisch und Lusitanisch, so auch und mit Hülfe eines Privatlehrers die alten Sprachen. Die öffentliche Schule besuchte er nur vom dreizehnten bis zum vierzehnten Jahr, denn sie war in den untern Classen zu dürftig besetzt und er den Primanern selbst zu sehr voraus. Eine tägliche Privatstunde des Rectors Jäger genügte dann vollends zur Vorbereitung auf die Universität. Boje, der Herausgeber des deutschen Museums, war Hausfreund, dessen Schwager Voß in Eutin kam manchmal auf Besuch. Jener wirkte ermunternd auf schöne Litteratur, dieser auf classische Studien. Münter und Heyne versahen ihn mit Handschriften zur Vergleichung. Kleine Ausflüge zu den Verwandten in Hadeln, hin und wieder ein Fremder, den Carstens Ruf angezogen, unterbrachen allein die Einförmigkeit von Meldorf. Sie war ihm so lieb, daß, als man ihn nach Hamburg schickte zu Professor Büsch, der neben seinem Gymnasialamt einer Handlungsschule vorstand und ein großes Haus machte, wo es Gelegenheit gab sich in den neuern Sprachen zu üben und die Umgangssitten anzueignen, auch sonst allerhand positive Kenntnisse zu erwerben, er ein schmerzliches Heimweh bekam. Es fehlte hier nicht an einem geistreichen Kreis, aber ihm widerte das Geräuschvolle, das zu ausschließliche Dichten und Trachten nach materiellen Dingen; doch war die Bekanntschaft mit Klopstock, der ihn liebgewann und den er verehrte, eine schöne Erinnerung an den dreimonatlichen Aufenthalt in Hamburg.

Noch nicht achtzehn Jahre alt bezog Niebuhr die Universität: er brachte dahin einen Schatz vielseitiger Bildung und den brennenden Eifer, sie zu vermehren, und in des Vaters makelloser Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit leuchtete ihm ein Tugendmuster. In der wissenschaftlichen Strebsamkeit zu Kiel fühlte er sich heimisch. Freundschaften, die er daselbst schloß, begleiteten ihn durchs Leben. Besonders war es die Familie des Arztes Hensler, in der er wie zu Haus war. Zwei treffliche Frauen, dithmarsische Landsmänninnen, übten auf ihn den ersten Zauber eines weiblichen Umgangs. Die eine, die junge Wittwe von Henslers Sohn, wurde seine beste Freundin, diejenige, mit der seine Correspondenz, die in Kiel beginnt, am häufigsten verkehrt. Die andere, Amalie Behrens, wurde später seine Gattin, und als der Tod die Unvergeßliche von seiner Seite riß, knüpfte er mit einer Nichte der Hensler ein zweites Band. Von den Lehrern sprachen ihn vorzüglich Hegewisch an und Reinhold. Zu Reinhold stand er am nächsten. Der hatte einen Club errichtet für Studirende und Professoren; es waren Sokratische Unterhaltungen

*) Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde. 5 Bände. Hamburg bei Fr. Perthes. 1838-39. Niebuhr ist geboren zu Kopenhagen am 27 Aug. 1776, gestorben zu Bonn am 1 Jan. 1851.
1) Bd. 3, S. 543.
2) Vorwort zu Band 1.
3) Niebuhr als Diplomat in Rom, Bd. 3, S. 307.
4) Bd. 1, S. 3-31.
5) Briefe an den Grafen de Serre IV, Bd. 3, S. 379.
Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten. *)*)

Savigny, einer der Freunde, aus deren Beiträgen das Denkmal der Schrift hervorgegangen ist, das uns das Bild eines der seltensten und edelsten Zeitgenossen zur Totalanschauung zurückruft, hat Recht 1)1), wenn er für die Sammlung Niebuhr'scher Briefe vorzugsweise den Charakter von Memoiren in Anspruch nimmt, und zwar nicht jener Memoiren im französischen Geschmack, welche nur zu oft durch die Leichtfertigkeit der Gesinnung mehr abstoßen als durch die Anmuth der Darstellung erfreuen, sondern einer ernstern, den Confessionen verwandten Gattung. Das war das Eigenthümliche von Niebuhrs Natur, was ihn zu einer so großartigen und doch so liebenswürdigen Erscheinung macht, daß er der gelehrteste unter den Geschäftsmännern und der gemüthvollste unter den Gelehrten war, daß er, der Bewanderte auf allen Gebieten menschlichen Wissens, gegen die austrocknende Kraft der Bücher sich jene weiche Seele bewahrt hatte, die von Allem, was das Leben bewegte, besonders was die Ehre und das Schicksal des deutschen Vaterlandes betraf, ergriffen wurde in Lust und Leid, und darum ist auch sein Briefwechsel als treuer Ausdruck eines reichen mittheilungsbedürftigen Herzens ein so kostbares Vermächtniß. Die frühe Gediegenheit des Geistes, die ihm schon als Jüngling eine ausgezeichnete Stellung in der Gesellschaft gab, verbunden mit einer durchaus sittlichen Willensrichtung und einem scharfen Beobachtersblick, befähigte ihn zu einem Stimmführer der Wahrheit mit derselben Sicherheit des Urtheils über die Entwicklungen der Gegenwart, mit welcher seine historische Kunst Licht geschaffen hat in einigen der dunkelsten Räume der Vergangenheit. Allerdings hat die Herausgabe seiner Correspondenz außer der Beschränkung auf den mehr biographischen Zweck 2)2) noch eine weitere Verkürzung erlitten in ihren Aufschlüssen durch die nothwendig gebotene Rücksicht auf hochstehende Personen und delicate Verhältnisse – und wir haben ja neulich wieder Arndts Klage gehört über diese vielfältigen Hindernisse deutscher Aufrichtigkeit – wenn aber auch Bunsens Wunsch 3)3), daß die eben deßwegen in Niebuhrs Leben gelassenen Schattenpartien dereinst unter den Brennpunkt der Geschichte gebracht werden möchten, wohl nicht sobald in Erfüllung gehen wird, immerhin bleiben diese Reliquien auch so eine der erhebendsten Erscheinungen für die Mitwelt.

Wie erweckend ist nicht die Geschichte seiner Jugend, von der ersten Erziehung im elterlichen Hause 4)4) zu Meldorf in Süderdithmarschen bis zu seinen Universitätsjahren in Kiel! Die Abgeschiedenheit des Orts pflanzte und nährte in ihm den Hang zu diesem Insichgekehrtseyn, der ihn auch nachmals unter den Zerstreuungen der großen Welt stets mit einer wahren Sehnsucht zu den stillen Musen zurückführte, aber sein Vater, Carsten Niebuhr, der berühmte Reisende, anfangs Ingenieurofficier, damals Bezirksbeamter, war ein Mann von zu gesundem Verstand, als daß der Sohn hätte ein trüber Dämmerer, ein bloßer Bücherwurm werden dürfen. Der Vater erzählte ihm von seinen Wanderungen im Orient, von den Ländern und Völkern, die er gesehen, ihren Sitten, Gebräuchen und Staatsformen; er beschäftigte ihn mit geographischen, statistischen oder politischen Ausarbeitungen, ließ ihn Baurisse, Karten und Maschinen zeichnen, trieb mit ihm Heraldik und Münzkunde, nahm ihn zu Berufsgeschäften mit und erregte sein dauerndes Interesse für die Verfassung des Ländchens, das seine Heimath war, überhaupt für einen freien Bauernstand. Deutsch und Dänisch waren Familiensprache, für das Englische und Französische hatte er wieder den väterlichen Unterricht, dazu vom zehnten Jahr an das tägliche Lesen englischer Zeitungen 5)5); Italienisch lernte er für sich und, da der Sturm einige spanische und portugiesische Werke an den Strand geworfen, Castilisch und Lusitanisch, so auch und mit Hülfe eines Privatlehrers die alten Sprachen. Die öffentliche Schule besuchte er nur vom dreizehnten bis zum vierzehnten Jahr, denn sie war in den untern Classen zu dürftig besetzt und er den Primanern selbst zu sehr voraus. Eine tägliche Privatstunde des Rectors Jäger genügte dann vollends zur Vorbereitung auf die Universität. Boje, der Herausgeber des deutschen Museums, war Hausfreund, dessen Schwager Voß in Eutin kam manchmal auf Besuch. Jener wirkte ermunternd auf schöne Litteratur, dieser auf classische Studien. Münter und Heyne versahen ihn mit Handschriften zur Vergleichung. Kleine Ausflüge zu den Verwandten in Hadeln, hin und wieder ein Fremder, den Carstens Ruf angezogen, unterbrachen allein die Einförmigkeit von Meldorf. Sie war ihm so lieb, daß, als man ihn nach Hamburg schickte zu Professor Büsch, der neben seinem Gymnasialamt einer Handlungsschule vorstand und ein großes Haus machte, wo es Gelegenheit gab sich in den neuern Sprachen zu üben und die Umgangssitten anzueignen, auch sonst allerhand positive Kenntnisse zu erwerben, er ein schmerzliches Heimweh bekam. Es fehlte hier nicht an einem geistreichen Kreis, aber ihm widerte das Geräuschvolle, das zu ausschließliche Dichten und Trachten nach materiellen Dingen; doch war die Bekanntschaft mit Klopstock, der ihn liebgewann und den er verehrte, eine schöne Erinnerung an den dreimonatlichen Aufenthalt in Hamburg.

Noch nicht achtzehn Jahre alt bezog Niebuhr die Universität: er brachte dahin einen Schatz vielseitiger Bildung und den brennenden Eifer, sie zu vermehren, und in des Vaters makelloser Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit leuchtete ihm ein Tugendmuster. In der wissenschaftlichen Strebsamkeit zu Kiel fühlte er sich heimisch. Freundschaften, die er daselbst schloß, begleiteten ihn durchs Leben. Besonders war es die Familie des Arztes Hensler, in der er wie zu Haus war. Zwei treffliche Frauen, dithmarsische Landsmänninnen, übten auf ihn den ersten Zauber eines weiblichen Umgangs. Die eine, die junge Wittwe von Henslers Sohn, wurde seine beste Freundin, diejenige, mit der seine Correspondenz, die in Kiel beginnt, am häufigsten verkehrt. Die andere, Amalie Behrens, wurde später seine Gattin, und als der Tod die Unvergeßliche von seiner Seite riß, knüpfte er mit einer Nichte der Hensler ein zweites Band. Von den Lehrern sprachen ihn vorzüglich Hegewisch an und Reinhold. Zu Reinhold stand er am nächsten. Der hatte einen Club errichtet für Studirende und Professoren; es waren Sokratische Unterhaltungen

*) Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde. 5 Bände. Hamburg bei Fr. Perthes. 1838-39. Niebuhr ist geboren zu Kopenhagen am 27 Aug. 1776, gestorben zu Bonn am 1 Jan. 1851.
1) Bd. 3, S. 543.
2) Vorwort zu Band 1.
3) Niebuhr als Diplomat in Rom, Bd. 3, S. 307.
4) Bd. 1, S. 3-31.
5) Briefe an den Grafen de Serre IV, Bd. 3, S. 379.
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="1">
          <div type="jArticle" n="2">
            <pb facs="#f0009" n="0145"/>
          </div>
        </div>
        <div n="1">
          <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten</hi>.</hi> <hi rendition="#sup">*)</hi> <note place="foot" n="*)"> Lebensnachrichten über <hi rendition="#g">Barthold Georg Niebuhr</hi> aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde. 5 Bände. Hamburg bei Fr. Perthes. 1838-39. <hi rendition="#g">Niebuhr</hi> ist geboren zu <hi rendition="#g">Kopenhagen</hi> am 27 Aug. 1776, gestorben zu <hi rendition="#g">Bonn</hi> am 1 Jan. 1851.</note>
          </head><lb/>
          <p><hi rendition="#g">Savigny</hi>, einer der Freunde, aus deren Beiträgen das Denkmal der Schrift hervorgegangen ist, das uns das Bild eines der seltensten und edelsten Zeitgenossen zur Totalanschauung zurückruft, hat Recht <hi rendition="#sup">1)</hi><note place="foot" n="1)"> Bd. 3, S. 543.</note>, wenn er für die Sammlung <hi rendition="#g">Niebuhr</hi>'scher Briefe vorzugsweise den Charakter von Memoiren in Anspruch nimmt, und zwar nicht jener Memoiren im französischen Geschmack, welche nur zu oft durch die Leichtfertigkeit der Gesinnung mehr abstoßen als durch die Anmuth der Darstellung erfreuen, sondern einer ernstern, den Confessionen verwandten Gattung. Das war das Eigenthümliche von <hi rendition="#g">Niebuhrs</hi> Natur, was ihn zu einer so großartigen und doch so liebenswürdigen Erscheinung macht, daß er der gelehrteste unter den Geschäftsmännern und der gemüthvollste unter den Gelehrten war, daß er, der Bewanderte auf allen Gebieten menschlichen Wissens, gegen die austrocknende Kraft der Bücher sich jene weiche Seele bewahrt hatte, die von Allem, was das Leben bewegte, besonders was die Ehre und das Schicksal des deutschen Vaterlandes betraf, ergriffen wurde in Lust und Leid, und darum ist auch sein Briefwechsel als treuer Ausdruck eines reichen mittheilungsbedürftigen Herzens ein so kostbares Vermächtniß. Die frühe Gediegenheit des Geistes, die ihm schon als Jüngling eine ausgezeichnete Stellung in der Gesellschaft gab, verbunden mit einer durchaus sittlichen Willensrichtung und einem scharfen Beobachtersblick, befähigte ihn zu einem Stimmführer der Wahrheit mit derselben Sicherheit des Urtheils über die Entwicklungen der Gegenwart, mit welcher seine historische Kunst Licht geschaffen hat in einigen der dunkelsten Räume der Vergangenheit. Allerdings hat die Herausgabe seiner Correspondenz außer der Beschränkung auf den mehr biographischen Zweck <hi rendition="#sup">2)</hi><note place="foot" n="2)"> Vorwort zu Band 1.</note> noch eine weitere Verkürzung erlitten in ihren Aufschlüssen durch die nothwendig gebotene Rücksicht auf hochstehende Personen und delicate Verhältnisse &#x2013; und wir haben ja neulich wieder <hi rendition="#g">Arndts</hi> Klage gehört über diese vielfältigen Hindernisse deutscher Aufrichtigkeit &#x2013; wenn aber auch <hi rendition="#g">Bunsens</hi> Wunsch <hi rendition="#sup">3)</hi><note place="foot" n="3)"><hi rendition="#g">Niebuhr</hi> als Diplomat in Rom, Bd. 3, S. 307.</note>, daß die eben deßwegen in Niebuhrs Leben gelassenen Schattenpartien dereinst unter den Brennpunkt der Geschichte gebracht werden möchten, wohl nicht sobald in Erfüllung gehen wird, immerhin bleiben diese Reliquien auch so eine der erhebendsten Erscheinungen für die Mitwelt.</p><lb/>
          <p>Wie erweckend ist nicht die Geschichte seiner Jugend, von der ersten Erziehung im elterlichen Hause <hi rendition="#sup">4)</hi><note place="foot" n="4)"> Bd. 1, S. 3-31.</note> zu <hi rendition="#g">Meldorf</hi> in <hi rendition="#g">Süderdithmarschen</hi> bis zu seinen Universitätsjahren in <hi rendition="#g">Kiel</hi>! Die Abgeschiedenheit des Orts pflanzte und nährte in ihm den Hang zu diesem Insichgekehrtseyn, der ihn auch nachmals unter den Zerstreuungen der großen Welt stets mit einer wahren Sehnsucht zu den stillen Musen zurückführte, aber sein Vater, Carsten Niebuhr, der berühmte Reisende, anfangs Ingenieurofficier, damals Bezirksbeamter, war ein Mann von zu gesundem Verstand, als daß der Sohn hätte ein trüber Dämmerer, ein bloßer Bücherwurm werden dürfen. Der Vater erzählte ihm von seinen Wanderungen im Orient, von den Ländern und Völkern, die er gesehen, ihren Sitten, Gebräuchen und Staatsformen; er beschäftigte ihn mit geographischen, statistischen oder politischen Ausarbeitungen, ließ ihn Baurisse, Karten und Maschinen zeichnen, trieb mit ihm Heraldik und Münzkunde, nahm ihn zu Berufsgeschäften mit und erregte sein dauerndes Interesse für die Verfassung des Ländchens, das seine Heimath war, überhaupt für einen freien Bauernstand. Deutsch und Dänisch waren Familiensprache, für das Englische und Französische hatte er wieder den väterlichen Unterricht, dazu vom zehnten Jahr an das tägliche Lesen englischer Zeitungen <hi rendition="#sup">5)</hi><note place="foot" n="5)"> Briefe an den Grafen <hi rendition="#g">de Serre</hi> IV, Bd. 3, S. 379.</note>; Italienisch lernte er für sich und, da der Sturm einige spanische und portugiesische Werke an den Strand geworfen, Castilisch und Lusitanisch, so auch und mit Hülfe eines Privatlehrers die alten Sprachen. Die öffentliche Schule besuchte er nur vom dreizehnten bis zum vierzehnten Jahr, denn sie war in den untern Classen zu dürftig besetzt und er den Primanern selbst zu sehr voraus. Eine tägliche Privatstunde des Rectors Jäger genügte dann vollends zur Vorbereitung auf die Universität. <hi rendition="#g">Boje</hi>, der Herausgeber des deutschen Museums, war Hausfreund, dessen Schwager <hi rendition="#g">Voß</hi> in <hi rendition="#g">Eutin</hi> kam manchmal auf Besuch. Jener wirkte ermunternd auf schöne Litteratur, dieser auf classische Studien. <hi rendition="#g">Münter</hi> und <hi rendition="#g">Heyne</hi> versahen ihn mit Handschriften zur Vergleichung. Kleine Ausflüge zu den Verwandten in <hi rendition="#g">Hadeln</hi>, hin und wieder ein Fremder, den <hi rendition="#g">Carstens</hi> Ruf angezogen, unterbrachen allein die Einförmigkeit von <hi rendition="#g">Meldorf</hi>. Sie war ihm so lieb, daß, als man ihn nach <hi rendition="#g">Hamburg</hi> schickte zu Professor <hi rendition="#g">Büsch</hi>, der neben seinem Gymnasialamt einer Handlungsschule vorstand und ein großes Haus machte, wo es Gelegenheit gab sich in den neuern Sprachen zu üben und die Umgangssitten anzueignen, auch sonst allerhand positive Kenntnisse zu erwerben, er ein schmerzliches Heimweh bekam. Es fehlte hier nicht an einem geistreichen Kreis, aber ihm widerte das Geräuschvolle, das zu ausschließliche Dichten und Trachten nach materiellen Dingen; doch war die Bekanntschaft mit <hi rendition="#g">Klopstock</hi>, der ihn liebgewann und den er verehrte, eine schöne Erinnerung an den dreimonatlichen Aufenthalt in <hi rendition="#g">Hamburg</hi>.</p><lb/>
          <p>Noch nicht achtzehn Jahre alt bezog <hi rendition="#g">Niebuhr</hi> die Universität: er brachte dahin einen Schatz vielseitiger Bildung und den brennenden Eifer, sie zu vermehren, und in des Vaters makelloser Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit leuchtete ihm ein Tugendmuster. In der wissenschaftlichen Strebsamkeit zu Kiel fühlte er sich heimisch. Freundschaften, die er daselbst schloß, begleiteten ihn durchs Leben. Besonders war es die Familie des Arztes <hi rendition="#g">Hensler</hi>, in der er wie zu Haus war. Zwei treffliche Frauen, dithmarsische Landsmänninnen, übten auf ihn den ersten Zauber eines weiblichen Umgangs. Die eine, die junge Wittwe von Henslers Sohn, wurde seine beste Freundin, diejenige, mit der seine Correspondenz, die in Kiel beginnt, am häufigsten verkehrt. Die andere, <hi rendition="#g">Amalie Behrens</hi>, wurde später seine Gattin, und als der Tod die Unvergeßliche von seiner Seite riß, knüpfte er mit einer Nichte der Hensler ein zweites Band. Von den Lehrern sprachen ihn vorzüglich <hi rendition="#g">Hegewisch</hi> an und <hi rendition="#g">Reinhold</hi>. Zu Reinhold stand er am nächsten. Der hatte einen Club errichtet für Studirende und Professoren; es waren Sokratische Unterhaltungen<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0145/0009] Barthold Georg Niebuhrs Denkwürdigkeiten. *) *) Savigny, einer der Freunde, aus deren Beiträgen das Denkmal der Schrift hervorgegangen ist, das uns das Bild eines der seltensten und edelsten Zeitgenossen zur Totalanschauung zurückruft, hat Recht 1) 1), wenn er für die Sammlung Niebuhr'scher Briefe vorzugsweise den Charakter von Memoiren in Anspruch nimmt, und zwar nicht jener Memoiren im französischen Geschmack, welche nur zu oft durch die Leichtfertigkeit der Gesinnung mehr abstoßen als durch die Anmuth der Darstellung erfreuen, sondern einer ernstern, den Confessionen verwandten Gattung. Das war das Eigenthümliche von Niebuhrs Natur, was ihn zu einer so großartigen und doch so liebenswürdigen Erscheinung macht, daß er der gelehrteste unter den Geschäftsmännern und der gemüthvollste unter den Gelehrten war, daß er, der Bewanderte auf allen Gebieten menschlichen Wissens, gegen die austrocknende Kraft der Bücher sich jene weiche Seele bewahrt hatte, die von Allem, was das Leben bewegte, besonders was die Ehre und das Schicksal des deutschen Vaterlandes betraf, ergriffen wurde in Lust und Leid, und darum ist auch sein Briefwechsel als treuer Ausdruck eines reichen mittheilungsbedürftigen Herzens ein so kostbares Vermächtniß. Die frühe Gediegenheit des Geistes, die ihm schon als Jüngling eine ausgezeichnete Stellung in der Gesellschaft gab, verbunden mit einer durchaus sittlichen Willensrichtung und einem scharfen Beobachtersblick, befähigte ihn zu einem Stimmführer der Wahrheit mit derselben Sicherheit des Urtheils über die Entwicklungen der Gegenwart, mit welcher seine historische Kunst Licht geschaffen hat in einigen der dunkelsten Räume der Vergangenheit. Allerdings hat die Herausgabe seiner Correspondenz außer der Beschränkung auf den mehr biographischen Zweck 2) 2) noch eine weitere Verkürzung erlitten in ihren Aufschlüssen durch die nothwendig gebotene Rücksicht auf hochstehende Personen und delicate Verhältnisse – und wir haben ja neulich wieder Arndts Klage gehört über diese vielfältigen Hindernisse deutscher Aufrichtigkeit – wenn aber auch Bunsens Wunsch 3) 3), daß die eben deßwegen in Niebuhrs Leben gelassenen Schattenpartien dereinst unter den Brennpunkt der Geschichte gebracht werden möchten, wohl nicht sobald in Erfüllung gehen wird, immerhin bleiben diese Reliquien auch so eine der erhebendsten Erscheinungen für die Mitwelt. Wie erweckend ist nicht die Geschichte seiner Jugend, von der ersten Erziehung im elterlichen Hause 4) 4) zu Meldorf in Süderdithmarschen bis zu seinen Universitätsjahren in Kiel! Die Abgeschiedenheit des Orts pflanzte und nährte in ihm den Hang zu diesem Insichgekehrtseyn, der ihn auch nachmals unter den Zerstreuungen der großen Welt stets mit einer wahren Sehnsucht zu den stillen Musen zurückführte, aber sein Vater, Carsten Niebuhr, der berühmte Reisende, anfangs Ingenieurofficier, damals Bezirksbeamter, war ein Mann von zu gesundem Verstand, als daß der Sohn hätte ein trüber Dämmerer, ein bloßer Bücherwurm werden dürfen. Der Vater erzählte ihm von seinen Wanderungen im Orient, von den Ländern und Völkern, die er gesehen, ihren Sitten, Gebräuchen und Staatsformen; er beschäftigte ihn mit geographischen, statistischen oder politischen Ausarbeitungen, ließ ihn Baurisse, Karten und Maschinen zeichnen, trieb mit ihm Heraldik und Münzkunde, nahm ihn zu Berufsgeschäften mit und erregte sein dauerndes Interesse für die Verfassung des Ländchens, das seine Heimath war, überhaupt für einen freien Bauernstand. Deutsch und Dänisch waren Familiensprache, für das Englische und Französische hatte er wieder den väterlichen Unterricht, dazu vom zehnten Jahr an das tägliche Lesen englischer Zeitungen 5) 5); Italienisch lernte er für sich und, da der Sturm einige spanische und portugiesische Werke an den Strand geworfen, Castilisch und Lusitanisch, so auch und mit Hülfe eines Privatlehrers die alten Sprachen. Die öffentliche Schule besuchte er nur vom dreizehnten bis zum vierzehnten Jahr, denn sie war in den untern Classen zu dürftig besetzt und er den Primanern selbst zu sehr voraus. Eine tägliche Privatstunde des Rectors Jäger genügte dann vollends zur Vorbereitung auf die Universität. Boje, der Herausgeber des deutschen Museums, war Hausfreund, dessen Schwager Voß in Eutin kam manchmal auf Besuch. Jener wirkte ermunternd auf schöne Litteratur, dieser auf classische Studien. Münter und Heyne versahen ihn mit Handschriften zur Vergleichung. Kleine Ausflüge zu den Verwandten in Hadeln, hin und wieder ein Fremder, den Carstens Ruf angezogen, unterbrachen allein die Einförmigkeit von Meldorf. Sie war ihm so lieb, daß, als man ihn nach Hamburg schickte zu Professor Büsch, der neben seinem Gymnasialamt einer Handlungsschule vorstand und ein großes Haus machte, wo es Gelegenheit gab sich in den neuern Sprachen zu üben und die Umgangssitten anzueignen, auch sonst allerhand positive Kenntnisse zu erwerben, er ein schmerzliches Heimweh bekam. Es fehlte hier nicht an einem geistreichen Kreis, aber ihm widerte das Geräuschvolle, das zu ausschließliche Dichten und Trachten nach materiellen Dingen; doch war die Bekanntschaft mit Klopstock, der ihn liebgewann und den er verehrte, eine schöne Erinnerung an den dreimonatlichen Aufenthalt in Hamburg. Noch nicht achtzehn Jahre alt bezog Niebuhr die Universität: er brachte dahin einen Schatz vielseitiger Bildung und den brennenden Eifer, sie zu vermehren, und in des Vaters makelloser Rechtschaffenheit und Wahrhaftigkeit leuchtete ihm ein Tugendmuster. In der wissenschaftlichen Strebsamkeit zu Kiel fühlte er sich heimisch. Freundschaften, die er daselbst schloß, begleiteten ihn durchs Leben. Besonders war es die Familie des Arztes Hensler, in der er wie zu Haus war. Zwei treffliche Frauen, dithmarsische Landsmänninnen, übten auf ihn den ersten Zauber eines weiblichen Umgangs. Die eine, die junge Wittwe von Henslers Sohn, wurde seine beste Freundin, diejenige, mit der seine Correspondenz, die in Kiel beginnt, am häufigsten verkehrt. Die andere, Amalie Behrens, wurde später seine Gattin, und als der Tod die Unvergeßliche von seiner Seite riß, knüpfte er mit einer Nichte der Hensler ein zweites Band. Von den Lehrern sprachen ihn vorzüglich Hegewisch an und Reinhold. Zu Reinhold stand er am nächsten. Der hatte einen Club errichtet für Studirende und Professoren; es waren Sokratische Unterhaltungen *) Lebensnachrichten über Barthold Georg Niebuhr aus Briefen desselben und aus Erinnerungen einiger seiner nächsten Freunde. 5 Bände. Hamburg bei Fr. Perthes. 1838-39. Niebuhr ist geboren zu Kopenhagen am 27 Aug. 1776, gestorben zu Bonn am 1 Jan. 1851. 1) Bd. 3, S. 543. 2) Vorwort zu Band 1. 3) Niebuhr als Diplomat in Rom, Bd. 3, S. 307. 4) Bd. 1, S. 3-31. 5) Briefe an den Grafen de Serre IV, Bd. 3, S. 379.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119/9
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 19. Augsburg, 19. Januar 1840, S. 0145. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_019_18400119/9>, abgerufen am 20.04.2024.