Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Allgemeine Zeitung. Nr. 9. Augsburg, 9. Januar 1840.

Bild:
<< vorherige Seite

Dieser Verein hat sich seit kurzem besonders der an dem Bau der Eisenbahnen beschäftigten Arbeiter angenommen - im Allgemeinen die verworfensten Menschen im Lande, welche alle Laster der Civilisation an sich tragen, meist ohne eine einzige ihrer Tugenden zu besitzen, und deren Versunkenheit um so ruchtbarer ist, als die meisten ihre Weiber und Kinder nicht bei sich haben. Bei einer solchen Heerde nun hat der Verein, mit Zustimmung des Bischofs, in dessen Sprengel sie sich eben befindet, einen Geistlichen bestellt; und der stehende Ausschuß der zuerst genannten Gesellschaft hatte demselben Bücher zum Werth von 30 Pfd. St. zur Vertheilung unter jenes Volk bewilligt. Als aber die Sache vor die Generalversammlung zur Bestätigung kam, erhob sich Dodsworth dagegen, indem diese Bewilligung als eine Anerkennung des Vereins von Seite der Gesellschaft erscheinen würde, was aber kein gewissenhafter Prälatist dulden könne. Man kann sich denken, daß dieß zu einem bittern Streit führte. Aber da der Verein doch auch 12 Bischöfe unter seinen Beschützern rechnet, so kam es am Ende zu dem mäßigenden Beschluß, daß die Bücher an den Bischof des Sprengels zur Auswahl und Genehmigung geschickt werden sollten.

Der Record, das Hauptorgan der Evangelischen, hat nun zwar nichts gegen die Entscheidung im gegebenen Fall, da der Bischof zur Partei gehört; sieht aber als Vorgang für die Zukunft um so größere Gefahr darin, weil der künftige Bischof ein Socinianer oder sonst ein arger Sectirer seyn könnte, da es ja doch dem jedesmaligen Ministerium frei stehe, wen es nur immer wolle, zum Bischof erwählen zu lassen. Diese letztere Bemerkung führt mich denn auf die immer deutlicher werdenden Regungen in der Kirche selbst gegen die Verbindung dieses Instituts mit dem Staate. Die Leute, bei denen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Trennung sich am öftesten zu erkennen gibt, finden sich unter den beiden Extremen der Parteien, nämlich den Puseyisten auf einer und den Ultra-Evangelischen auf der anderen Seite; jene weil sie die Kirche gebietend über dem Staat erhöhet sehen möchten; diese, weil sie hoffen, daß ohne die Einmischung der Regierung ihre Ansichten bald die herrschenden werden müßten, besonders da sie erwarten, daß die meisten Nonconformisten, welche in der Lehre mit ihnen einig sind, zur Kirche zurückkehren und ihre Partei unwiderstehlich machen würden.

Bei diesen beiden Extremen, besonders dem letzteren, findet auch die schottische Kirche in dem außerordentlichen Streite, worein sie sich mit der weltlichen Macht verwickelt hat, am meisten Anklang und vielleicht Unterstützung. Dieser Streit ist kurz folgender. Das Präsentationsrecht ist in den meisten schottischen Kirchspielen in den Händen von Laien, und wie jedes andere Besitzthum verkäuflich. So wie aber in England in solchen Fällen der Candidat immer dem Bischof angenehm seyn muß, so ist es auch dort immer Sitte gewesen, daß der Eigenthümer in seiner Wahl die Gemeinde und das Presbyterium berücksichtigt. Vor ein paar Jahren indessen ereignete es sich, daß der Graf Kinoul auf einem seiner Güter einen Mann als Pfarrer einführen wollte, welcher der Gemeinde mißfiel. Der Graf bestand auf seiner Wahl, die Gemeinde auf ihrem Widerstand. Das Oberlandesgericht entschied für den Eigenthümer; die geistliche Behörde für die Gemeinde; und das Oberhaus, als höchste Instanz, bestätigte die Entscheidung des Gerichtshofs. Da das Presbyterium inzwischen einen andern Prediger eingesetzt hat, so haben der Graf und der von ihm vorgeschlagene Geistliche so eben einen Proceß gegen die Mitglieder des Presbyteriums angefangen. Sie verlangen 16,000 Pf. St. als Entschädigung und Kosten. Inzwischen ist ein zweiter und noch bedenklicherer Fall eingetreten, wo das Presbyterium für gut gefunden dem weltlichen Gerichte gegen das Gebot der geistlichen Behörde zu gehorchen; und diese hat nun die Mitglieder desselben, sieben Geistliche, bis zur Entscheidung der Generalversammlung der Landeskirche, ihrer Pfarreien entsetzt, und am 22 d. sollte denselben ihre Suspendirung in ihren betreffenden Kirchen bekannt gemacht, und andere Geistliche zur Uebernahme ihrer Aemter eingeführt werden. Jene aber hatten unterdessen bei dem bürgerlichen Gerichtshof um Schutz angesucht, und dieser hat der geistlichen Behörde bei schweren Strafen die beabsichtigte Gewaltthat verboten. Das Resultat ist noch nicht bekannt; aber es ist bemerkenswerth, daß, obgleich die unbotmäßige geistliche Behörde, trotz ihrer so oft und so laut erklärten Anhänglichkeit an die Torypartei, bei allen diesen Schritten dem, den Schotten in Kirchensachen so eigenthümlichen demokratischen Sinn zu schmeicheln vermeinte, und in demselben den allgemeinen Beschluß gefaßt hatte, daß künftig kein Pfarrer einzusetzen sey, welchem die Mehrheit der verehelichten Familienhäupter der Gemeinde entgegen wäre, die Gemeinden jener sieben Geistlichen es mit ihren Seelsorgern halten, und deren Absetzung nicht zugeben wollen. Die Nonconformisten, welche in Schottland mehr in Folge der Verbindung der Kirche mit dem Staate, als wegen abweichender Lehre sich getrennt, freuen sich natürlich laut über alle diese Wirren, und weisen die Consistorien und Kirchenversammlungen spottend an O'Connell im Parlament, da derselbe doch bekanntlich Achtung vor Volksrechten hege, und sich vielleicht ihrer Noth unter der Tyrannei des bürgerlichen Gesetzes annehmen würde. Von den Tories aber sollten sie ja keine Hülfe erwarten; denn diese würden im Triumphe der schottischen Kirche nur eine Verletzung aller Eigenthumsrechte erblicken, und dabei für ihre Pfründen in der englischen Kirche zittern, wovon so viele jüngere Söhne und Neffen ihren Unterhalt ziehen! Die Klerisei hegt inzwischen günstigere Erwartungen von den letzteren, und hat dieselben, zugleich mit den englischen Prälaten (die schottische Kirche als bittende vor der anglikanischen Bischofsmütze!) durch den bekannten Dr. Chalmers in einem öffentlichen Brief um Beistand ersuchen lassen. Wahrscheinlich sind sie der Meinung, daß, da sie des Doctors beredsame Apologie für eine Staatskirche im Allgemeinen so dankbar aufgenommen, sie auch für ihre besondere Staatskirche was Uebriges thun würden. Gewiß irren sie sich. Findet ja doch der Bischof von Exeter in seinem protestantischen Hildebrandismus keinen Anklang bei den Bischöfen oder den Tories im Allgemeinen, welche bei all ihren Bewegungen für die Kirche doch keineswegs geneigt scheinen, dieselbe irgendwie über den Staat zu setzen.

Der Occident und der Orient.

(Beschluß.)

Es erhebt sich die schwierige Frage, was die erwähnte Wendung der russischen Politik, damit aber der Schicksale, von denen die orientalische Verwicklung voll war, herbeigeführt hat. Diese Frage ist nicht die einer müßigen Neugier, sondern eine im Interesse der nächsten Zukunft. Gelingt es, sie wenigstens bis auf einen gewissen Grad zu beantworten, so hat man in der Antwort zugleich den Halt, an dem man die andere, was nämlich sofort geschehen werde und was bei Entwicklung der neuen Allianzen zu fürchten oder zu hoffen sey, fassen kann, um ihre Beantwortung oder wenigstens ihre Beleuchtung zu versuchen.

Einige Stimmen haben bei dieser Gelegenheit das Lob der Großmuth, des Edelmuths, der Mäßigung, der Friedensliebe des russischen Monarchen intonirt. Niemand kann bereitwilliger


Dieser Verein hat sich seit kurzem besonders der an dem Bau der Eisenbahnen beschäftigten Arbeiter angenommen – im Allgemeinen die verworfensten Menschen im Lande, welche alle Laster der Civilisation an sich tragen, meist ohne eine einzige ihrer Tugenden zu besitzen, und deren Versunkenheit um so ruchtbarer ist, als die meisten ihre Weiber und Kinder nicht bei sich haben. Bei einer solchen Heerde nun hat der Verein, mit Zustimmung des Bischofs, in dessen Sprengel sie sich eben befindet, einen Geistlichen bestellt; und der stehende Ausschuß der zuerst genannten Gesellschaft hatte demselben Bücher zum Werth von 30 Pfd. St. zur Vertheilung unter jenes Volk bewilligt. Als aber die Sache vor die Generalversammlung zur Bestätigung kam, erhob sich Dodsworth dagegen, indem diese Bewilligung als eine Anerkennung des Vereins von Seite der Gesellschaft erscheinen würde, was aber kein gewissenhafter Prälatist dulden könne. Man kann sich denken, daß dieß zu einem bittern Streit führte. Aber da der Verein doch auch 12 Bischöfe unter seinen Beschützern rechnet, so kam es am Ende zu dem mäßigenden Beschluß, daß die Bücher an den Bischof des Sprengels zur Auswahl und Genehmigung geschickt werden sollten.

Der Record, das Hauptorgan der Evangelischen, hat nun zwar nichts gegen die Entscheidung im gegebenen Fall, da der Bischof zur Partei gehört; sieht aber als Vorgang für die Zukunft um so größere Gefahr darin, weil der künftige Bischof ein Socinianer oder sonst ein arger Sectirer seyn könnte, da es ja doch dem jedesmaligen Ministerium frei stehe, wen es nur immer wolle, zum Bischof erwählen zu lassen. Diese letztere Bemerkung führt mich denn auf die immer deutlicher werdenden Regungen in der Kirche selbst gegen die Verbindung dieses Instituts mit dem Staate. Die Leute, bei denen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Trennung sich am öftesten zu erkennen gibt, finden sich unter den beiden Extremen der Parteien, nämlich den Puseyisten auf einer und den Ultra-Evangelischen auf der anderen Seite; jene weil sie die Kirche gebietend über dem Staat erhöhet sehen möchten; diese, weil sie hoffen, daß ohne die Einmischung der Regierung ihre Ansichten bald die herrschenden werden müßten, besonders da sie erwarten, daß die meisten Nonconformisten, welche in der Lehre mit ihnen einig sind, zur Kirche zurückkehren und ihre Partei unwiderstehlich machen würden.

Bei diesen beiden Extremen, besonders dem letzteren, findet auch die schottische Kirche in dem außerordentlichen Streite, worein sie sich mit der weltlichen Macht verwickelt hat, am meisten Anklang und vielleicht Unterstützung. Dieser Streit ist kurz folgender. Das Präsentationsrecht ist in den meisten schottischen Kirchspielen in den Händen von Laien, und wie jedes andere Besitzthum verkäuflich. So wie aber in England in solchen Fällen der Candidat immer dem Bischof angenehm seyn muß, so ist es auch dort immer Sitte gewesen, daß der Eigenthümer in seiner Wahl die Gemeinde und das Presbyterium berücksichtigt. Vor ein paar Jahren indessen ereignete es sich, daß der Graf Kinoul auf einem seiner Güter einen Mann als Pfarrer einführen wollte, welcher der Gemeinde mißfiel. Der Graf bestand auf seiner Wahl, die Gemeinde auf ihrem Widerstand. Das Oberlandesgericht entschied für den Eigenthümer; die geistliche Behörde für die Gemeinde; und das Oberhaus, als höchste Instanz, bestätigte die Entscheidung des Gerichtshofs. Da das Presbyterium inzwischen einen andern Prediger eingesetzt hat, so haben der Graf und der von ihm vorgeschlagene Geistliche so eben einen Proceß gegen die Mitglieder des Presbyteriums angefangen. Sie verlangen 16,000 Pf. St. als Entschädigung und Kosten. Inzwischen ist ein zweiter und noch bedenklicherer Fall eingetreten, wo das Presbyterium für gut gefunden dem weltlichen Gerichte gegen das Gebot der geistlichen Behörde zu gehorchen; und diese hat nun die Mitglieder desselben, sieben Geistliche, bis zur Entscheidung der Generalversammlung der Landeskirche, ihrer Pfarreien entsetzt, und am 22 d. sollte denselben ihre Suspendirung in ihren betreffenden Kirchen bekannt gemacht, und andere Geistliche zur Uebernahme ihrer Aemter eingeführt werden. Jene aber hatten unterdessen bei dem bürgerlichen Gerichtshof um Schutz angesucht, und dieser hat der geistlichen Behörde bei schweren Strafen die beabsichtigte Gewaltthat verboten. Das Resultat ist noch nicht bekannt; aber es ist bemerkenswerth, daß, obgleich die unbotmäßige geistliche Behörde, trotz ihrer so oft und so laut erklärten Anhänglichkeit an die Torypartei, bei allen diesen Schritten dem, den Schotten in Kirchensachen so eigenthümlichen demokratischen Sinn zu schmeicheln vermeinte, und in demselben den allgemeinen Beschluß gefaßt hatte, daß künftig kein Pfarrer einzusetzen sey, welchem die Mehrheit der verehelichten Familienhäupter der Gemeinde entgegen wäre, die Gemeinden jener sieben Geistlichen es mit ihren Seelsorgern halten, und deren Absetzung nicht zugeben wollen. Die Nonconformisten, welche in Schottland mehr in Folge der Verbindung der Kirche mit dem Staate, als wegen abweichender Lehre sich getrennt, freuen sich natürlich laut über alle diese Wirren, und weisen die Consistorien und Kirchenversammlungen spottend an O'Connell im Parlament, da derselbe doch bekanntlich Achtung vor Volksrechten hege, und sich vielleicht ihrer Noth unter der Tyrannei des bürgerlichen Gesetzes annehmen würde. Von den Tories aber sollten sie ja keine Hülfe erwarten; denn diese würden im Triumphe der schottischen Kirche nur eine Verletzung aller Eigenthumsrechte erblicken, und dabei für ihre Pfründen in der englischen Kirche zittern, wovon so viele jüngere Söhne und Neffen ihren Unterhalt ziehen! Die Klerisei hegt inzwischen günstigere Erwartungen von den letzteren, und hat dieselben, zugleich mit den englischen Prälaten (die schottische Kirche als bittende vor der anglikanischen Bischofsmütze!) durch den bekannten Dr. Chalmers in einem öffentlichen Brief um Beistand ersuchen lassen. Wahrscheinlich sind sie der Meinung, daß, da sie des Doctors beredsame Apologie für eine Staatskirche im Allgemeinen so dankbar aufgenommen, sie auch für ihre besondere Staatskirche was Uebriges thun würden. Gewiß irren sie sich. Findet ja doch der Bischof von Exeter in seinem protestantischen Hildebrandismus keinen Anklang bei den Bischöfen oder den Tories im Allgemeinen, welche bei all ihren Bewegungen für die Kirche doch keineswegs geneigt scheinen, dieselbe irgendwie über den Staat zu setzen.

Der Occident und der Orient.

(Beschluß.)

Es erhebt sich die schwierige Frage, was die erwähnte Wendung der russischen Politik, damit aber der Schicksale, von denen die orientalische Verwicklung voll war, herbeigeführt hat. Diese Frage ist nicht die einer müßigen Neugier, sondern eine im Interesse der nächsten Zukunft. Gelingt es, sie wenigstens bis auf einen gewissen Grad zu beantworten, so hat man in der Antwort zugleich den Halt, an dem man die andere, was nämlich sofort geschehen werde und was bei Entwicklung der neuen Allianzen zu fürchten oder zu hoffen sey, fassen kann, um ihre Beantwortung oder wenigstens ihre Beleuchtung zu versuchen.

Einige Stimmen haben bei dieser Gelegenheit das Lob der Großmuth, des Edelmuths, der Mäßigung, der Friedensliebe des russischen Monarchen intonirt. Niemand kann bereitwilliger

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="jSupplement" n="1">
        <floatingText>
          <body>
            <div n="2">
              <div type="jArticle" n="3">
                <pb facs="#f0008" n="0066"/><lb/>
                <p>Dieser Verein hat sich seit kurzem besonders der an dem Bau der Eisenbahnen beschäftigten Arbeiter angenommen &#x2013; im Allgemeinen die verworfensten Menschen im Lande, welche alle Laster der Civilisation an sich tragen, meist ohne eine einzige ihrer Tugenden zu besitzen, und deren Versunkenheit um so ruchtbarer ist, als die meisten ihre Weiber und Kinder nicht bei sich haben. Bei einer solchen Heerde nun hat der Verein, mit Zustimmung des Bischofs, in dessen Sprengel sie sich eben befindet, einen Geistlichen bestellt; und der stehende Ausschuß der zuerst genannten Gesellschaft hatte demselben Bücher zum Werth von 30 Pfd. St. zur Vertheilung unter jenes Volk bewilligt. Als aber die Sache vor die Generalversammlung zur Bestätigung kam, erhob sich Dodsworth dagegen, indem diese Bewilligung als eine Anerkennung des Vereins von Seite der Gesellschaft erscheinen würde, was aber kein gewissenhafter Prälatist dulden könne. Man kann sich denken, daß dieß zu einem bittern Streit führte. Aber da der Verein doch auch 12 Bischöfe unter seinen Beschützern rechnet, so kam es am Ende zu dem mäßigenden Beschluß, daß die Bücher an den Bischof des Sprengels zur Auswahl und Genehmigung geschickt werden sollten.</p><lb/>
                <p>Der Record, das Hauptorgan der Evangelischen, hat nun zwar nichts gegen die Entscheidung im gegebenen Fall, da der Bischof zur Partei gehört; sieht aber als Vorgang für die Zukunft um so größere Gefahr darin, weil der künftige Bischof ein Socinianer oder sonst ein arger Sectirer seyn könnte, da es ja doch dem jedesmaligen Ministerium frei stehe, wen es nur immer wolle, zum Bischof erwählen zu lassen. Diese letztere Bemerkung führt mich denn auf die immer deutlicher werdenden Regungen in der Kirche selbst gegen die Verbindung dieses Instituts mit dem Staate. Die Leute, bei denen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Trennung sich am öftesten zu erkennen gibt, finden sich unter den beiden Extremen der Parteien, nämlich den Puseyisten auf einer und den Ultra-Evangelischen auf der anderen Seite; jene weil sie die Kirche gebietend über dem Staat erhöhet sehen möchten; diese, weil sie hoffen, daß ohne die Einmischung der Regierung ihre Ansichten bald die herrschenden werden müßten, besonders da sie erwarten, daß die meisten Nonconformisten, welche in der Lehre mit ihnen einig sind, zur Kirche zurückkehren und ihre Partei unwiderstehlich machen würden.</p><lb/>
                <p>Bei diesen beiden Extremen, besonders dem letzteren, findet auch die schottische Kirche in dem außerordentlichen Streite, worein sie sich mit der weltlichen Macht verwickelt hat, am meisten Anklang und vielleicht Unterstützung. Dieser Streit ist kurz folgender. Das Präsentationsrecht ist in den meisten schottischen Kirchspielen in den Händen von Laien, und wie jedes andere Besitzthum verkäuflich. So wie aber in England in solchen Fällen der Candidat immer dem Bischof angenehm seyn muß, so ist es auch dort immer Sitte gewesen, daß der Eigenthümer in seiner Wahl die Gemeinde und das Presbyterium berücksichtigt. Vor ein paar Jahren indessen ereignete es sich, daß der Graf Kinoul auf einem seiner Güter einen Mann als Pfarrer einführen wollte, welcher der Gemeinde mißfiel. Der Graf bestand auf seiner Wahl, die Gemeinde auf ihrem Widerstand. Das Oberlandesgericht entschied für den Eigenthümer; die geistliche Behörde für die Gemeinde; und das Oberhaus, als höchste Instanz, bestätigte die Entscheidung des Gerichtshofs. Da das Presbyterium inzwischen einen andern Prediger eingesetzt hat, so haben der Graf und der von ihm vorgeschlagene Geistliche so eben einen Proceß gegen die Mitglieder des Presbyteriums angefangen. Sie verlangen 16,000 Pf. St. als Entschädigung und Kosten. Inzwischen ist ein zweiter und noch bedenklicherer Fall eingetreten, wo das Presbyterium für gut gefunden dem weltlichen Gerichte gegen das Gebot der geistlichen Behörde zu gehorchen; und diese hat nun die Mitglieder desselben, sieben Geistliche, bis zur Entscheidung der Generalversammlung der Landeskirche, ihrer Pfarreien entsetzt, und am 22 d. sollte denselben ihre Suspendirung in ihren betreffenden Kirchen bekannt gemacht, und andere Geistliche zur Uebernahme ihrer Aemter eingeführt werden. Jene aber hatten unterdessen bei dem bürgerlichen Gerichtshof um Schutz angesucht, und dieser hat der geistlichen Behörde bei schweren Strafen die beabsichtigte Gewaltthat verboten. Das Resultat ist noch nicht bekannt; aber es ist bemerkenswerth, daß, obgleich die unbotmäßige geistliche Behörde, trotz ihrer so oft und so laut erklärten Anhänglichkeit an die Torypartei, bei allen diesen Schritten dem, den Schotten in Kirchensachen so eigenthümlichen demokratischen Sinn zu schmeicheln vermeinte, und in demselben den allgemeinen Beschluß gefaßt hatte, daß künftig kein Pfarrer einzusetzen sey, welchem die Mehrheit der verehelichten Familienhäupter der Gemeinde entgegen wäre, die Gemeinden jener sieben Geistlichen es mit ihren Seelsorgern halten, und deren Absetzung nicht zugeben wollen. Die Nonconformisten, welche in Schottland mehr in Folge der Verbindung der Kirche mit dem Staate, als wegen abweichender Lehre sich getrennt, freuen sich natürlich laut über alle diese Wirren, und weisen die Consistorien und Kirchenversammlungen spottend an O'Connell im Parlament, da derselbe doch bekanntlich Achtung vor Volksrechten hege, und sich vielleicht ihrer Noth unter der Tyrannei des bürgerlichen Gesetzes annehmen würde. Von den Tories aber sollten sie ja keine Hülfe erwarten; denn diese würden im Triumphe der schottischen Kirche nur eine Verletzung aller Eigenthumsrechte erblicken, und dabei für ihre Pfründen in der englischen Kirche zittern, wovon so viele jüngere Söhne und Neffen ihren Unterhalt ziehen! Die Klerisei hegt inzwischen günstigere Erwartungen von den letzteren, und hat dieselben, zugleich mit den englischen Prälaten (die schottische Kirche als bittende vor der anglikanischen Bischofsmütze!) durch den bekannten Dr. Chalmers in einem öffentlichen Brief um Beistand ersuchen lassen. Wahrscheinlich sind sie der Meinung, daß, da sie des Doctors beredsame Apologie für eine Staatskirche im Allgemeinen so dankbar aufgenommen, sie auch für ihre besondere Staatskirche was Uebriges thun würden. Gewiß irren sie sich. Findet ja doch der Bischof von Exeter in seinem protestantischen Hildebrandismus keinen Anklang bei den Bischöfen oder den Tories im Allgemeinen, welche bei all ihren Bewegungen für die Kirche doch keineswegs geneigt scheinen, dieselbe irgendwie über den Staat zu setzen.</p>
              </div>
            </div><lb/>
            <div n="2">
              <head> <hi rendition="#b"><hi rendition="#g">Der Occident und der Orient</hi>.</hi> </head><lb/>
              <p>(Beschluß.)</p><lb/>
              <p>Es erhebt sich die schwierige Frage, was die erwähnte Wendung der russischen Politik, damit aber der Schicksale, von denen die orientalische Verwicklung voll war, herbeigeführt hat. Diese Frage ist nicht die einer müßigen Neugier, sondern eine im Interesse der nächsten Zukunft. Gelingt es, sie wenigstens bis auf einen gewissen Grad zu beantworten, so hat man in der Antwort zugleich den Halt, an dem man die andere, was nämlich sofort geschehen werde und was bei Entwicklung der neuen Allianzen zu fürchten oder zu hoffen sey, fassen kann, um ihre Beantwortung oder wenigstens ihre Beleuchtung zu versuchen.</p><lb/>
              <p>Einige Stimmen haben bei dieser Gelegenheit das Lob der Großmuth, des Edelmuths, der Mäßigung, der Friedensliebe des russischen Monarchen intonirt. Niemand kann bereitwilliger<lb/></p>
            </div>
          </body>
        </floatingText>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0066/0008] Dieser Verein hat sich seit kurzem besonders der an dem Bau der Eisenbahnen beschäftigten Arbeiter angenommen – im Allgemeinen die verworfensten Menschen im Lande, welche alle Laster der Civilisation an sich tragen, meist ohne eine einzige ihrer Tugenden zu besitzen, und deren Versunkenheit um so ruchtbarer ist, als die meisten ihre Weiber und Kinder nicht bei sich haben. Bei einer solchen Heerde nun hat der Verein, mit Zustimmung des Bischofs, in dessen Sprengel sie sich eben befindet, einen Geistlichen bestellt; und der stehende Ausschuß der zuerst genannten Gesellschaft hatte demselben Bücher zum Werth von 30 Pfd. St. zur Vertheilung unter jenes Volk bewilligt. Als aber die Sache vor die Generalversammlung zur Bestätigung kam, erhob sich Dodsworth dagegen, indem diese Bewilligung als eine Anerkennung des Vereins von Seite der Gesellschaft erscheinen würde, was aber kein gewissenhafter Prälatist dulden könne. Man kann sich denken, daß dieß zu einem bittern Streit führte. Aber da der Verein doch auch 12 Bischöfe unter seinen Beschützern rechnet, so kam es am Ende zu dem mäßigenden Beschluß, daß die Bücher an den Bischof des Sprengels zur Auswahl und Genehmigung geschickt werden sollten. Der Record, das Hauptorgan der Evangelischen, hat nun zwar nichts gegen die Entscheidung im gegebenen Fall, da der Bischof zur Partei gehört; sieht aber als Vorgang für die Zukunft um so größere Gefahr darin, weil der künftige Bischof ein Socinianer oder sonst ein arger Sectirer seyn könnte, da es ja doch dem jedesmaligen Ministerium frei stehe, wen es nur immer wolle, zum Bischof erwählen zu lassen. Diese letztere Bemerkung führt mich denn auf die immer deutlicher werdenden Regungen in der Kirche selbst gegen die Verbindung dieses Instituts mit dem Staate. Die Leute, bei denen die Ueberzeugung von der Nothwendigkeit der Trennung sich am öftesten zu erkennen gibt, finden sich unter den beiden Extremen der Parteien, nämlich den Puseyisten auf einer und den Ultra-Evangelischen auf der anderen Seite; jene weil sie die Kirche gebietend über dem Staat erhöhet sehen möchten; diese, weil sie hoffen, daß ohne die Einmischung der Regierung ihre Ansichten bald die herrschenden werden müßten, besonders da sie erwarten, daß die meisten Nonconformisten, welche in der Lehre mit ihnen einig sind, zur Kirche zurückkehren und ihre Partei unwiderstehlich machen würden. Bei diesen beiden Extremen, besonders dem letzteren, findet auch die schottische Kirche in dem außerordentlichen Streite, worein sie sich mit der weltlichen Macht verwickelt hat, am meisten Anklang und vielleicht Unterstützung. Dieser Streit ist kurz folgender. Das Präsentationsrecht ist in den meisten schottischen Kirchspielen in den Händen von Laien, und wie jedes andere Besitzthum verkäuflich. So wie aber in England in solchen Fällen der Candidat immer dem Bischof angenehm seyn muß, so ist es auch dort immer Sitte gewesen, daß der Eigenthümer in seiner Wahl die Gemeinde und das Presbyterium berücksichtigt. Vor ein paar Jahren indessen ereignete es sich, daß der Graf Kinoul auf einem seiner Güter einen Mann als Pfarrer einführen wollte, welcher der Gemeinde mißfiel. Der Graf bestand auf seiner Wahl, die Gemeinde auf ihrem Widerstand. Das Oberlandesgericht entschied für den Eigenthümer; die geistliche Behörde für die Gemeinde; und das Oberhaus, als höchste Instanz, bestätigte die Entscheidung des Gerichtshofs. Da das Presbyterium inzwischen einen andern Prediger eingesetzt hat, so haben der Graf und der von ihm vorgeschlagene Geistliche so eben einen Proceß gegen die Mitglieder des Presbyteriums angefangen. Sie verlangen 16,000 Pf. St. als Entschädigung und Kosten. Inzwischen ist ein zweiter und noch bedenklicherer Fall eingetreten, wo das Presbyterium für gut gefunden dem weltlichen Gerichte gegen das Gebot der geistlichen Behörde zu gehorchen; und diese hat nun die Mitglieder desselben, sieben Geistliche, bis zur Entscheidung der Generalversammlung der Landeskirche, ihrer Pfarreien entsetzt, und am 22 d. sollte denselben ihre Suspendirung in ihren betreffenden Kirchen bekannt gemacht, und andere Geistliche zur Uebernahme ihrer Aemter eingeführt werden. Jene aber hatten unterdessen bei dem bürgerlichen Gerichtshof um Schutz angesucht, und dieser hat der geistlichen Behörde bei schweren Strafen die beabsichtigte Gewaltthat verboten. Das Resultat ist noch nicht bekannt; aber es ist bemerkenswerth, daß, obgleich die unbotmäßige geistliche Behörde, trotz ihrer so oft und so laut erklärten Anhänglichkeit an die Torypartei, bei allen diesen Schritten dem, den Schotten in Kirchensachen so eigenthümlichen demokratischen Sinn zu schmeicheln vermeinte, und in demselben den allgemeinen Beschluß gefaßt hatte, daß künftig kein Pfarrer einzusetzen sey, welchem die Mehrheit der verehelichten Familienhäupter der Gemeinde entgegen wäre, die Gemeinden jener sieben Geistlichen es mit ihren Seelsorgern halten, und deren Absetzung nicht zugeben wollen. Die Nonconformisten, welche in Schottland mehr in Folge der Verbindung der Kirche mit dem Staate, als wegen abweichender Lehre sich getrennt, freuen sich natürlich laut über alle diese Wirren, und weisen die Consistorien und Kirchenversammlungen spottend an O'Connell im Parlament, da derselbe doch bekanntlich Achtung vor Volksrechten hege, und sich vielleicht ihrer Noth unter der Tyrannei des bürgerlichen Gesetzes annehmen würde. Von den Tories aber sollten sie ja keine Hülfe erwarten; denn diese würden im Triumphe der schottischen Kirche nur eine Verletzung aller Eigenthumsrechte erblicken, und dabei für ihre Pfründen in der englischen Kirche zittern, wovon so viele jüngere Söhne und Neffen ihren Unterhalt ziehen! Die Klerisei hegt inzwischen günstigere Erwartungen von den letzteren, und hat dieselben, zugleich mit den englischen Prälaten (die schottische Kirche als bittende vor der anglikanischen Bischofsmütze!) durch den bekannten Dr. Chalmers in einem öffentlichen Brief um Beistand ersuchen lassen. Wahrscheinlich sind sie der Meinung, daß, da sie des Doctors beredsame Apologie für eine Staatskirche im Allgemeinen so dankbar aufgenommen, sie auch für ihre besondere Staatskirche was Uebriges thun würden. Gewiß irren sie sich. Findet ja doch der Bischof von Exeter in seinem protestantischen Hildebrandismus keinen Anklang bei den Bischöfen oder den Tories im Allgemeinen, welche bei all ihren Bewegungen für die Kirche doch keineswegs geneigt scheinen, dieselbe irgendwie über den Staat zu setzen. Der Occident und der Orient. (Beschluß.) Es erhebt sich die schwierige Frage, was die erwähnte Wendung der russischen Politik, damit aber der Schicksale, von denen die orientalische Verwicklung voll war, herbeigeführt hat. Diese Frage ist nicht die einer müßigen Neugier, sondern eine im Interesse der nächsten Zukunft. Gelingt es, sie wenigstens bis auf einen gewissen Grad zu beantworten, so hat man in der Antwort zugleich den Halt, an dem man die andere, was nämlich sofort geschehen werde und was bei Entwicklung der neuen Allianzen zu fürchten oder zu hoffen sey, fassen kann, um ihre Beantwortung oder wenigstens ihre Beleuchtung zu versuchen. Einige Stimmen haben bei dieser Gelegenheit das Lob der Großmuth, des Edelmuths, der Mäßigung, der Friedensliebe des russischen Monarchen intonirt. Niemand kann bereitwilliger

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_009_18400109
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_009_18400109/8
Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 9. Augsburg, 9. Januar 1840, S. 0066. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_009_18400109/8>, abgerufen am 24.04.2024.