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Allgemeine Zeitung. Nr. 8. Augsburg, 8. Januar 1840.

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bestellt waren. So ließen sich noch hundert und hundert Paragraphe über hundert und hundert andere Kostbarkeiten füllen, bis man zu den Bonbons käme, die Alles, das ganze Leben, seinen Geist und seine Albernheit, die Kunst wie die Politik zusammenfassen, und in zerbrechlichen, und doch furchtbar theuren Darstellungen wiedergeben. Rechnen Sie zu dieser Verschwendung von Glanz und Grazie noch die Lebendigkeit, die eben dadurch erzeugt wird, die beständige Walzenbewegung, die aus den Berührungen der hohen weiblichen Welt mit den Magazinen der Neujahrsgeschenke hervorgeht, die unübersetzliche Badauderie des Pariser Volks, das trotz seiner revolutionären Natur einen dichten Kranz um den Wagen der Herzogin von Orleans oder Mad. Adelaide bildet, wenn diese Damen gerade einen der berühmteren Kaufläden besuchen, das südliche Sommerwetter zwischen Weihnacht und Neujahr, das alle Fenster öffnet und alle Herzen erheitert, das Spiel des Gaslichtes mit den Tinten des sinkenden Abends - bedenken Sie noch ferner ein neues Melodrama bei den Italienern, das Furore macht, eine allerliebste Truppe an der Opera comique, endlich die elektrische Wirkung der Töne Beethovens über dem Allem schwebend, wie ein göttlicher Segen - und verzeihen Sie mir, wenn ich versucht bin, darauf zu schwören, daß trotz Doctrinäre und Tiers-Parti, trotz Thiers und Dufaure, trotz Courrier und Constitutionnel keine Stadt in der Welt über Paris und seine Boulevards geht.

Schweiz.

Der St. Galler Erzähler beginnt das Jahr 1840 mit folgenden Worten: "Zehn Jahre eines ununterbrochenen Kampfes sind vorüber - und noch ist die Schweiz nicht an dessen Ziel! Es ist dieß entmuthigend wie tröstend zugleich; ersteres, in so fern die Meisten nun verzweifeln wollen ob des scheinbar fruchtlosen Bemühens - letzteres, in so fern die Fortdauer des Kampfes auf Lebenskräftigkeit der Nation und ihrer Glieder und daher auf den endlichen Sieg naturgemäßer Ausbildung und Vervollkommnung schließen läßt. Sollen wir indessen hoffen dürfen, daß die Schweizer über ihren Kantonalstreitigkeiten die Schweiz nicht vergessen haben, so wagen wir die Behauptung, daß sie jenem Kampfgetümmel nicht entgehen, daß die gesuchte und allseitig gewünschte Ruhe nicht errungen werden wird, bis die Nation und die Bundesinteressen, vornehmlich aber die zuverlässige Wahrung der Landesselbstständigkeit gegen außen ihre Garanten in mehr ausgebildeter und kräftigerer Bundesautorität werden gefunden haben. Der Anschein spricht zwar für das baldige Eintreten solcher Veränderungen nicht, aber die Thatsachen, und die neuesten vornehmlich, werden sie mit unwiderstehlicher Kraft herbeiführen. Gerade das Hinwegläugnen aller Bundesautorität in den Züricher Wirren, das beinahe kriegerische Trotzbieten gegen den leisesten Versuch, diese Autorität nicht ganz zu Schanden werden zu lassen, die momentane Auflösung aller innigeren Bande und das Aufgeben aller gemeinsamen Interessen und ihr Hinopfern an die rein- oder gemein-localen Bestrebungen hat Gesinnungen aus ihrem Schlummer aufgerüttelt, die gelegentlich sich Geltung verschaffen werden. Zwar glaubt nun eine ziemliche Zahl von Stimmführern die Partie gewonnen, Alles in den Schnürleib des 1815er Bundes für wenigstens hundert Jahre eingesteift zu haben; diese Alltagspolitik concludirt aus einzelnen persönlichen Siegen über verhaßte Gegner oder aus bloß localen Schwankungen, erwägt hingegen die gebieterische Lage des Ganzen nicht. Sie brüstet sich mit der Ueberwindung und Beseitigung des Radicalismus, während seine ächten und soliden Schöpfungen sich unversehrt erhalten haben und sich fortan noch mehr ausbilden. Freilich, wenn man unter diesem Radicalismus nur die Polen-Ein- und Ausfälle, die lächerliche Vorliebe für vorlaute Politikaster des Auslandes, kneiperisches Großhansenthum, schmutzige und lärmende Opposition in schlechten Zeitungen gegen alles Solide und Ueberlegte in der Staatsordnung, unfläthiges, mindestens bedenkliches Rütteln an kirchlichen Institutionen und Ansichten, gewaltthätigen Umsturz von Verfassungen, gewaltthätige Regierungswechsel wie in Zürich und Tessin, als die Kennzeichen und Früchte radicaler Gesinnung ansieht, so wollen wir nichts von solchem Radicalismus; wenn darunter aber nichts Anderes verstanden wird, als das treue Festhalten an Verfassung und Gesetzen, wie sie größtentheils aus den Veränderungen von 1830 und 1831 hervorgegangen, so wie fernere zeitgemäße Ausbildung derselben und eine Verbesserung der mangelhaften Bundesinstitutionen, so wird es zur Ehrensache, diesem politischen Systeme treu zu bleiben. Die von den Gegnern dieses Radicalismus so oft als Aushängeschild mißbrauchten Worte Ruhe, Mäßigung und Gerechtigkeit täuschen Niemanden mehr; ja wohl Ruhe will man, aber nicht Ruhe, damit die Feinde der Ruhe Unruhe pflanzen und alles Gute wieder ihrem Egoismus hinopfern können; - ja wohl Mäßigung, aber nicht jene, welche unter Glaubenslärm und Landsturm selbst alle Schranken des gesunden Verstandes durchbricht; - ja wohl Gerechtigkeit, aber nicht jene, welche den Bestand des Staates usurpatorischen kirchlichen oder politischen Uebergriffen und Privilegienhaschern überantwortet. - Die versöhnenden und ermuthigenden Worte Ruhe, Mäßigung und Gerechtigkeit, mit denen seit Jahren her nur alle gedenkbaren Wühlereien in der Schweiz beschönigt worden sind - wir schreiben sie mit großen goldenen Lettern auf das Panier der Liberalen, die sich die Ruhe und den Bestand der Schweiz zum Zwecke vorgesetzt, die Mäßigung als Gebot der Klugheit und alles politischen savoir faire angeeignet, die Gerechtigkeit als Leitstern ihrer Handlungen auserwählt haben. Unter diesem Panier mögen sie sich für das neue Jahr und die folgenden abermals schaaren und zusammenhalten - nicht um das Volk mit lästigen Projecten aller Art bis zur Ungeduld zu reizen, sondern um die Hoffnung und die Zuversicht des Bürgers für freien Fortbestand des Vaterlandes aufrecht zu erhalten. Wann und wie die Formen dieses Bestandes verändert werden sollen, das werden die Berathungen der Behörden und der aufgeklärten Bürger zu rechter Zeit wohl zu bestimmen wissen."

Widerlegung.

Meiner im Auftrage des hiesigen hochwürdigen Metropolitan-Capitels um die Mitte des vorigen Monats unternommenen Reise nach Colberg, behufs Darbringung der herkömmlichen Beglückwünschung dem hochwürdigsten Erzbischof v. Dunin, werden durch verschiedene Zeitungsartikel verschiedene, mir ganz fremde Zwecke unterlegt: bald macht man mich zum Regierungs-Bevollmächtigten, bald zum Deputirten beider Capitel zur Pflegung von Unterhandlungen; bald führt man ein Zweigespräch zwischen mir und dem hochwürdigsten Erzbischof Hrn. v. Dunin auf; endlich läßt die Allg. Zeitung Nr. 349 meinen Charakter im nachtheiligen Licht erscheinen durch die angeblich von mir intendirte Uebernahme der Administration der Erzdiöcese, während Gott der Allmächtige das theure Leben des wirklichen Erzbischofs bei erfreulicher Gesundheit erhält. - Ich bin es meinem Standpunkt und meiner Ehre schuldig, diese Angaben sammt und sonders für Erdichtungen zu erklären, wie hiermit geschieht.

Gnesen, den 24 December 1839.

Leo v. Przytuski, Propst der Metropolitankirche zu Gnesen.




bestellt waren. So ließen sich noch hundert und hundert Paragraphe über hundert und hundert andere Kostbarkeiten füllen, bis man zu den Bonbons käme, die Alles, das ganze Leben, seinen Geist und seine Albernheit, die Kunst wie die Politik zusammenfassen, und in zerbrechlichen, und doch furchtbar theuren Darstellungen wiedergeben. Rechnen Sie zu dieser Verschwendung von Glanz und Grazie noch die Lebendigkeit, die eben dadurch erzeugt wird, die beständige Walzenbewegung, die aus den Berührungen der hohen weiblichen Welt mit den Magazinen der Neujahrsgeschenke hervorgeht, die unübersetzliche Badauderie des Pariser Volks, das trotz seiner revolutionären Natur einen dichten Kranz um den Wagen der Herzogin von Orleans oder Mad. Adelaide bildet, wenn diese Damen gerade einen der berühmteren Kaufläden besuchen, das südliche Sommerwetter zwischen Weihnacht und Neujahr, das alle Fenster öffnet und alle Herzen erheitert, das Spiel des Gaslichtes mit den Tinten des sinkenden Abends – bedenken Sie noch ferner ein neues Melodrama bei den Italienern, das Furore macht, eine allerliebste Truppe an der Opéra comique, endlich die elektrische Wirkung der Töne Beethovens über dem Allem schwebend, wie ein göttlicher Segen – und verzeihen Sie mir, wenn ich versucht bin, darauf zu schwören, daß trotz Doctrinäre und Tiers-Parti, trotz Thiers und Dufaure, trotz Courrier und Constitutionnel keine Stadt in der Welt über Paris und seine Boulevards geht.

Schweiz.

Der St. Galler Erzähler beginnt das Jahr 1840 mit folgenden Worten: „Zehn Jahre eines ununterbrochenen Kampfes sind vorüber – und noch ist die Schweiz nicht an dessen Ziel! Es ist dieß entmuthigend wie tröstend zugleich; ersteres, in so fern die Meisten nun verzweifeln wollen ob des scheinbar fruchtlosen Bemühens – letzteres, in so fern die Fortdauer des Kampfes auf Lebenskräftigkeit der Nation und ihrer Glieder und daher auf den endlichen Sieg naturgemäßer Ausbildung und Vervollkommnung schließen läßt. Sollen wir indessen hoffen dürfen, daß die Schweizer über ihren Kantonalstreitigkeiten die Schweiz nicht vergessen haben, so wagen wir die Behauptung, daß sie jenem Kampfgetümmel nicht entgehen, daß die gesuchte und allseitig gewünschte Ruhe nicht errungen werden wird, bis die Nation und die Bundesinteressen, vornehmlich aber die zuverlässige Wahrung der Landesselbstständigkeit gegen außen ihre Garanten in mehr ausgebildeter und kräftigerer Bundesautorität werden gefunden haben. Der Anschein spricht zwar für das baldige Eintreten solcher Veränderungen nicht, aber die Thatsachen, und die neuesten vornehmlich, werden sie mit unwiderstehlicher Kraft herbeiführen. Gerade das Hinwegläugnen aller Bundesautorität in den Züricher Wirren, das beinahe kriegerische Trotzbieten gegen den leisesten Versuch, diese Autorität nicht ganz zu Schanden werden zu lassen, die momentane Auflösung aller innigeren Bande und das Aufgeben aller gemeinsamen Interessen und ihr Hinopfern an die rein- oder gemein-localen Bestrebungen hat Gesinnungen aus ihrem Schlummer aufgerüttelt, die gelegentlich sich Geltung verschaffen werden. Zwar glaubt nun eine ziemliche Zahl von Stimmführern die Partie gewonnen, Alles in den Schnürleib des 1815er Bundes für wenigstens hundert Jahre eingesteift zu haben; diese Alltagspolitik concludirt aus einzelnen persönlichen Siegen über verhaßte Gegner oder aus bloß localen Schwankungen, erwägt hingegen die gebieterische Lage des Ganzen nicht. Sie brüstet sich mit der Ueberwindung und Beseitigung des Radicalismus, während seine ächten und soliden Schöpfungen sich unversehrt erhalten haben und sich fortan noch mehr ausbilden. Freilich, wenn man unter diesem Radicalismus nur die Polen-Ein- und Ausfälle, die lächerliche Vorliebe für vorlaute Politikaster des Auslandes, kneiperisches Großhansenthum, schmutzige und lärmende Opposition in schlechten Zeitungen gegen alles Solide und Ueberlegte in der Staatsordnung, unfläthiges, mindestens bedenkliches Rütteln an kirchlichen Institutionen und Ansichten, gewaltthätigen Umsturz von Verfassungen, gewaltthätige Regierungswechsel wie in Zürich und Tessin, als die Kennzeichen und Früchte radicaler Gesinnung ansieht, so wollen wir nichts von solchem Radicalismus; wenn darunter aber nichts Anderes verstanden wird, als das treue Festhalten an Verfassung und Gesetzen, wie sie größtentheils aus den Veränderungen von 1830 und 1831 hervorgegangen, so wie fernere zeitgemäße Ausbildung derselben und eine Verbesserung der mangelhaften Bundesinstitutionen, so wird es zur Ehrensache, diesem politischen Systeme treu zu bleiben. Die von den Gegnern dieses Radicalismus so oft als Aushängeschild mißbrauchten Worte Ruhe, Mäßigung und Gerechtigkeit täuschen Niemanden mehr; ja wohl Ruhe will man, aber nicht Ruhe, damit die Feinde der Ruhe Unruhe pflanzen und alles Gute wieder ihrem Egoismus hinopfern können; – ja wohl Mäßigung, aber nicht jene, welche unter Glaubenslärm und Landsturm selbst alle Schranken des gesunden Verstandes durchbricht; – ja wohl Gerechtigkeit, aber nicht jene, welche den Bestand des Staates usurpatorischen kirchlichen oder politischen Uebergriffen und Privilegienhaschern überantwortet. – Die versöhnenden und ermuthigenden Worte Ruhe, Mäßigung und Gerechtigkeit, mit denen seit Jahren her nur alle gedenkbaren Wühlereien in der Schweiz beschönigt worden sind – wir schreiben sie mit großen goldenen Lettern auf das Panier der Liberalen, die sich die Ruhe und den Bestand der Schweiz zum Zwecke vorgesetzt, die Mäßigung als Gebot der Klugheit und alles politischen savoir faire angeeignet, die Gerechtigkeit als Leitstern ihrer Handlungen auserwählt haben. Unter diesem Panier mögen sie sich für das neue Jahr und die folgenden abermals schaaren und zusammenhalten – nicht um das Volk mit lästigen Projecten aller Art bis zur Ungeduld zu reizen, sondern um die Hoffnung und die Zuversicht des Bürgers für freien Fortbestand des Vaterlandes aufrecht zu erhalten. Wann und wie die Formen dieses Bestandes verändert werden sollen, das werden die Berathungen der Behörden und der aufgeklärten Bürger zu rechter Zeit wohl zu bestimmen wissen.“

Widerlegung.

Meiner im Auftrage des hiesigen hochwürdigen Metropolitan-Capitels um die Mitte des vorigen Monats unternommenen Reise nach Colberg, behufs Darbringung der herkömmlichen Beglückwünschung dem hochwürdigsten Erzbischof v. Dunin, werden durch verschiedene Zeitungsartikel verschiedene, mir ganz fremde Zwecke unterlegt: bald macht man mich zum Regierungs-Bevollmächtigten, bald zum Deputirten beider Capitel zur Pflegung von Unterhandlungen; bald führt man ein Zweigespräch zwischen mir und dem hochwürdigsten Erzbischof Hrn. v. Dunin auf; endlich läßt die Allg. Zeitung Nr. 349 meinen Charakter im nachtheiligen Licht erscheinen durch die angeblich von mir intendirte Uebernahme der Administration der Erzdiöcese, während Gott der Allmächtige das theure Leben des wirklichen Erzbischofs bei erfreulicher Gesundheit erhält. – Ich bin es meinem Standpunkt und meiner Ehre schuldig, diese Angaben sammt und sonders für Erdichtungen zu erklären, wie hiermit geschieht.

Gnesen, den 24 December 1839.

Leo v. Przytuski, Propst der Metropolitankirche zu Gnesen.



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[0060/0012] bestellt waren. So ließen sich noch hundert und hundert Paragraphe über hundert und hundert andere Kostbarkeiten füllen, bis man zu den Bonbons käme, die Alles, das ganze Leben, seinen Geist und seine Albernheit, die Kunst wie die Politik zusammenfassen, und in zerbrechlichen, und doch furchtbar theuren Darstellungen wiedergeben. Rechnen Sie zu dieser Verschwendung von Glanz und Grazie noch die Lebendigkeit, die eben dadurch erzeugt wird, die beständige Walzenbewegung, die aus den Berührungen der hohen weiblichen Welt mit den Magazinen der Neujahrsgeschenke hervorgeht, die unübersetzliche Badauderie des Pariser Volks, das trotz seiner revolutionären Natur einen dichten Kranz um den Wagen der Herzogin von Orleans oder Mad. Adelaide bildet, wenn diese Damen gerade einen der berühmteren Kaufläden besuchen, das südliche Sommerwetter zwischen Weihnacht und Neujahr, das alle Fenster öffnet und alle Herzen erheitert, das Spiel des Gaslichtes mit den Tinten des sinkenden Abends – bedenken Sie noch ferner ein neues Melodrama bei den Italienern, das Furore macht, eine allerliebste Truppe an der Opéra comique, endlich die elektrische Wirkung der Töne Beethovens über dem Allem schwebend, wie ein göttlicher Segen – und verzeihen Sie mir, wenn ich versucht bin, darauf zu schwören, daß trotz Doctrinäre und Tiers-Parti, trotz Thiers und Dufaure, trotz Courrier und Constitutionnel keine Stadt in der Welt über Paris und seine Boulevards geht. Schweiz. Der St. Galler Erzähler beginnt das Jahr 1840 mit folgenden Worten: „Zehn Jahre eines ununterbrochenen Kampfes sind vorüber – und noch ist die Schweiz nicht an dessen Ziel! Es ist dieß entmuthigend wie tröstend zugleich; ersteres, in so fern die Meisten nun verzweifeln wollen ob des scheinbar fruchtlosen Bemühens – letzteres, in so fern die Fortdauer des Kampfes auf Lebenskräftigkeit der Nation und ihrer Glieder und daher auf den endlichen Sieg naturgemäßer Ausbildung und Vervollkommnung schließen läßt. Sollen wir indessen hoffen dürfen, daß die Schweizer über ihren Kantonalstreitigkeiten die Schweiz nicht vergessen haben, so wagen wir die Behauptung, daß sie jenem Kampfgetümmel nicht entgehen, daß die gesuchte und allseitig gewünschte Ruhe nicht errungen werden wird, bis die Nation und die Bundesinteressen, vornehmlich aber die zuverlässige Wahrung der Landesselbstständigkeit gegen außen ihre Garanten in mehr ausgebildeter und kräftigerer Bundesautorität werden gefunden haben. Der Anschein spricht zwar für das baldige Eintreten solcher Veränderungen nicht, aber die Thatsachen, und die neuesten vornehmlich, werden sie mit unwiderstehlicher Kraft herbeiführen. Gerade das Hinwegläugnen aller Bundesautorität in den Züricher Wirren, das beinahe kriegerische Trotzbieten gegen den leisesten Versuch, diese Autorität nicht ganz zu Schanden werden zu lassen, die momentane Auflösung aller innigeren Bande und das Aufgeben aller gemeinsamen Interessen und ihr Hinopfern an die rein- oder gemein-localen Bestrebungen hat Gesinnungen aus ihrem Schlummer aufgerüttelt, die gelegentlich sich Geltung verschaffen werden. Zwar glaubt nun eine ziemliche Zahl von Stimmführern die Partie gewonnen, Alles in den Schnürleib des 1815er Bundes für wenigstens hundert Jahre eingesteift zu haben; diese Alltagspolitik concludirt aus einzelnen persönlichen Siegen über verhaßte Gegner oder aus bloß localen Schwankungen, erwägt hingegen die gebieterische Lage des Ganzen nicht. Sie brüstet sich mit der Ueberwindung und Beseitigung des Radicalismus, während seine ächten und soliden Schöpfungen sich unversehrt erhalten haben und sich fortan noch mehr ausbilden. Freilich, wenn man unter diesem Radicalismus nur die Polen-Ein- und Ausfälle, die lächerliche Vorliebe für vorlaute Politikaster des Auslandes, kneiperisches Großhansenthum, schmutzige und lärmende Opposition in schlechten Zeitungen gegen alles Solide und Ueberlegte in der Staatsordnung, unfläthiges, mindestens bedenkliches Rütteln an kirchlichen Institutionen und Ansichten, gewaltthätigen Umsturz von Verfassungen, gewaltthätige Regierungswechsel wie in Zürich und Tessin, als die Kennzeichen und Früchte radicaler Gesinnung ansieht, so wollen wir nichts von solchem Radicalismus; wenn darunter aber nichts Anderes verstanden wird, als das treue Festhalten an Verfassung und Gesetzen, wie sie größtentheils aus den Veränderungen von 1830 und 1831 hervorgegangen, so wie fernere zeitgemäße Ausbildung derselben und eine Verbesserung der mangelhaften Bundesinstitutionen, so wird es zur Ehrensache, diesem politischen Systeme treu zu bleiben. Die von den Gegnern dieses Radicalismus so oft als Aushängeschild mißbrauchten Worte Ruhe, Mäßigung und Gerechtigkeit täuschen Niemanden mehr; ja wohl Ruhe will man, aber nicht Ruhe, damit die Feinde der Ruhe Unruhe pflanzen und alles Gute wieder ihrem Egoismus hinopfern können; – ja wohl Mäßigung, aber nicht jene, welche unter Glaubenslärm und Landsturm selbst alle Schranken des gesunden Verstandes durchbricht; – ja wohl Gerechtigkeit, aber nicht jene, welche den Bestand des Staates usurpatorischen kirchlichen oder politischen Uebergriffen und Privilegienhaschern überantwortet. – Die versöhnenden und ermuthigenden Worte Ruhe, Mäßigung und Gerechtigkeit, mit denen seit Jahren her nur alle gedenkbaren Wühlereien in der Schweiz beschönigt worden sind – wir schreiben sie mit großen goldenen Lettern auf das Panier der Liberalen, die sich die Ruhe und den Bestand der Schweiz zum Zwecke vorgesetzt, die Mäßigung als Gebot der Klugheit und alles politischen savoir faire angeeignet, die Gerechtigkeit als Leitstern ihrer Handlungen auserwählt haben. Unter diesem Panier mögen sie sich für das neue Jahr und die folgenden abermals schaaren und zusammenhalten – nicht um das Volk mit lästigen Projecten aller Art bis zur Ungeduld zu reizen, sondern um die Hoffnung und die Zuversicht des Bürgers für freien Fortbestand des Vaterlandes aufrecht zu erhalten. Wann und wie die Formen dieses Bestandes verändert werden sollen, das werden die Berathungen der Behörden und der aufgeklärten Bürger zu rechter Zeit wohl zu bestimmen wissen.“ Widerlegung. Meiner im Auftrage des hiesigen hochwürdigen Metropolitan-Capitels um die Mitte des vorigen Monats unternommenen Reise nach Colberg, behufs Darbringung der herkömmlichen Beglückwünschung dem hochwürdigsten Erzbischof v. Dunin, werden durch verschiedene Zeitungsartikel verschiedene, mir ganz fremde Zwecke unterlegt: bald macht man mich zum Regierungs-Bevollmächtigten, bald zum Deputirten beider Capitel zur Pflegung von Unterhandlungen; bald führt man ein Zweigespräch zwischen mir und dem hochwürdigsten Erzbischof Hrn. v. Dunin auf; endlich läßt die Allg. Zeitung Nr. 349 meinen Charakter im nachtheiligen Licht erscheinen durch die angeblich von mir intendirte Uebernahme der Administration der Erzdiöcese, während Gott der Allmächtige das theure Leben des wirklichen Erzbischofs bei erfreulicher Gesundheit erhält. – Ich bin es meinem Standpunkt und meiner Ehre schuldig, diese Angaben sammt und sonders für Erdichtungen zu erklären, wie hiermit geschieht. Gnesen, den 24 December 1839. Leo v. Przytuski, Propst der Metropolitankirche zu Gnesen.

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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 8. Augsburg, 8. Januar 1840, S. 0060. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_008_18400108/12>, abgerufen am 20.04.2024.