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Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Augsburg, 7. Januar 1840.

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einen einflußreichen Mann ihres Stammes, als Kaid an. Der damalige Interimsgouverneur, General Voirol, ein milder, besonnener Mann, gab hierauf den seit Jahren gefangen gehaltenen Marabut von Koleah, Sidi-Mohammed, frei. Dieser betagte Greis war im Lande sehr geliebt und geehrt; seine Wiedererscheinung erregte große Freude, und seit dieser Zeit herrschte bis zur Verwaltung des Generals Drouet d'Erlon tiefer Friede. Sidi-Mohammed war dem General Voirol persönlich sehr ergeben, und drohte, die Hadschuten zu verfluchen, wenn sie zuerst den Frieden brächen. Der Befehl eines so gefeierten Marabuts reichte hin, eine Zeit lang die Raublust jenes Stammes zu bezwingen. Als aber der von den Arabern sehr geliebte General Voirol nach Frankreich zurückreiste, erwachten bei den Hadschuten die alten Diebsgewohnheiten, und seitdem setzten sie ihre Plünderungen und Ueberfälle ungestraft fort.

(Beschluß folgt.)

Die Prophezeiungen für das Jahr 1840.

Sie wissen schon, welches Aufsehen in dem ungläubigen und abergläubigen Paris die in vielen tausend Exemplaren verbreiteten Weissagungen des Nostradamus machen, worin das Jahr 1840 als eine Epoche hochwichtiger Ereignisse für Frankreich und Europa bezeichnet seyn soll. (S. Nro. 2 der Allg. Zeitung.) Diesen Weissagungen ist unter dem Titel: "le Nostradamus venge" ein Commentar beigegeben, der, auf das in Revolution, Republik und Kaiserreich bereits Eingetroffene hindeutend, daraus eine Bürgschaft auch für die Wahrheit dessen folgert, was erst noch, und zwar in nächster Zukunft, in Erfüllung gehen soll. Dabei wird erzählt, Napoleon, der als des Glückes abenteuerlicher Sohn bekanntlich selbst nicht ohne den Glauben an seinen "Stern" war, habe noch als Consul seiner, dem dunkeln Gebiet der Ahnungen und Träume, der "Nachtseite der Natur" sich nach Frauenart gern zuwendenden Josephine einstmals in Malmaison eben diese Prophetenstimmen des alten Magus vorgelegt, und sie darin die nahe kaiserliche Größe, zugleich aber mit Schrecken ihre eigene Verstoßung und das spätere Unglück ihres Gemahls gelesen. Bei den auf das Jahr 1840 bezogenen Orakelversen - die Verse sind schlecht, wie es dergleichen von jeher waren, so daß schon Lucian behauptete, Homer mache bessere als Apoll - deuten unsere Legitimisten nichts Geringeres heraus oder hinein, als eine neue glorreiche Restauration und mit ihr den Beginn eines politischen Milenniums unter den Bourbonen älterer Linie; womit freilich eine andere "Voraussagung Nostradami auf das Jahr 2000", deren Beranger gedenkt, und die den Refrain hat: "Faites l'aumone au dernier de vos rois" schwer in Einklang zu bringen seyn möchte. Sey dem, wie ihm sey: neben dem "geheimnißvollen Buch von Nostradamus' eigner Hand" steht eine andere, weit grausigere Weissagung, daß am Tag Epiphanias 1840 der Weltuntergang erfolgen werde. Für furchtsame, aber mit der jetzigen Ordnung der Dinge wohlzufriedene Gemüther muß es ein wahrer Trost seyn, daß diese beiden Prophezeiungen sich gegenseitig ausschließen; denn geht am 6 Januar die Welt unter, so kann Nostradamus' Wort nicht wohl mehr erfüllt werden, erfüllt sich aber dieses, so geht fürs erste die Welt noch nicht unter, was auch nach allen Umständen das Wahrscheinlichere ist. Indeß das Charivari vom gestrigen enthält unter der Aufschrift: "Prochaine dislocation de l'univers. Cric, crac!" und mit dem Motto aus Beranger (nicht aus dem obenerwähnten Prophetenlied) "Finissons-en, le monde est assez vieux", einen Artikel, den ich Ihnen in Folgendem kurz ausziehen will.

Eingangs wird beschrieben, wie der blasse Schrecken sich der ganzen niedern Bourgeoisie von Paris bemächtigt habe, und man überall nichts sehe als "verstörte und trübe Gesichter wie ein weißes Hemd des Hrn. Sauzet", wie alte Junggesellen und alte Jungfern ihre Hunde und Katzen, ihre Amseln und Staarmatzen vernachlässigen, und mancher Gimpel oder Canarienvogel, der recht schöne lyrische Anlagen zeigte, jetzt kaum mehr die ersten Noten inne habe, weil ihm der Postillon von Lonjumeau nicht mehr auf der Drehorgel vorgespielt wird. "Man begrüßt sich in dieser bestürzten Welt nicht mehr anders als mit dem Grabesgruß der Trappisten: "Monsieur Greluchet, oder Madame Pitou, wir müssen sterben!" ... Ihr werdet mich ohne Zweifel fragen, was denn diese Angst und Unruhe veranlaßt. O mein Gott! eine Kleinigkeit: der Anfang vom Ende der Welt, nichts weiter. Schon lange vernimmt man traurige Vorzeichen für das neue Jahr 1840; aber nun haben die Matthieu Laensberg der Rue Charlot sogar den Tag festgesetzt, wo die Vorstellung dieser schrecklichen Katastrophe unwiderruflich statthaben soll: es ist ausgemacht, am Dreikönigstag geht die Welt unter, das Jahr 1840 hört sechs Tage nach seinem Anfang schon wieder auf. Da ist es, meiner Treue! kaum der Mühe werth anzufangen. ... Also am 6 Januar dürfen wir noch einmal Kuchen essen und Könige verehren; aber es wird unser letztes Mahl und unsere letzte - Huldigung seyn. Statt in den Carneval einzutreten, werden wir in die Ewigkeit eingehen. ... Noch einmal, dieser haarsträubende Glaube ist unter den Zinsleuten des Quartiers Marais und unter den Portiers der zwölf Arrondissements allgemein verbreitet. Wir möchten nicht darauf schwören, daß er nicht gleicherweise bis an den Hof, in die Ministerien und Schreiberbureaux eingedrungen sey, denn diese Regionen sind dann und wann auch nicht mit starken Geistern bevölkert. Was diese Hypothese zu bestätigen scheint, ist, daß man bei den politischen Besenführern, wie bei den Thürhütern, einen Trübsinn, ein Sichgehenlassen, eine Nachlässigkeit bemerkt, als sprächen die Einen wie die Andern zu sich selbst: "Liebe Seele! was willst du dir noch ferner Mühe geben, gut zu kehren und zu fegen und gut zu regieren, da ja doch in wenigen Tagen Alles in Scheiter geht? Und zudem ziemt es sich, zu enden, wie wir begonnen haben - peu proprement!" So in der nahen Aussicht auf das Weltende machen sich unsere Pariser Portiers von allen Erdensorgen frei. Der Klopfer reißt sie nicht mehr aus ihren melancholischen Träumereien, und sie ziehen die Hausthüre nicht mehr auf. Das einzige Band, das sie noch mit dieser vergänglichen Welt verknüpft, sind die Neujahrsgeschenke, die sie, selbst an diesem Vorabend des jüngsten Tags, noch mit einer mechanischen Handkrümmung in Empfang nehmen. Der Portier hat etwas von dem "gerechten Mann" des Horaz: sein Neujahr würde er noch verlangen selbst auf den Trümmern des Universums - "impavidum ferient ruinae." Und sieht man den Pfuhl und Wust, worin man, für die noch übrige Viertelstunde dieser Welt, unsere politischen Angelegenheiten läßt, hat man da nicht Grund zu glauben, daß unsere Machthaber selbst, von traurigen Vorgefühlen ganz eingenommen, denken, für die wenige Zeit, welche die ganze Misere noch dauere, sey es so gut genug? Zum Beispiel, die ... von der Kammer getroffene Wahl der HH. Martin und Sauzet, beweist sie nicht, daß, gleich den Portiers, unsere Deputirten alle Sorge für Propretät abgeschworen haben? - Doch sehet eine zweite Analogie zu den Portiers und Hauswirthen! Unsere ministeriellen Mischmanscher beharren Angesichts des Weltuntergangs

einen einflußreichen Mann ihres Stammes, als Kaid an. Der damalige Interimsgouverneur, General Voirol, ein milder, besonnener Mann, gab hierauf den seit Jahren gefangen gehaltenen Marabut von Koleah, Sidi-Mohammed, frei. Dieser betagte Greis war im Lande sehr geliebt und geehrt; seine Wiedererscheinung erregte große Freude, und seit dieser Zeit herrschte bis zur Verwaltung des Generals Drouet d'Erlon tiefer Friede. Sidi-Mohammed war dem General Voirol persönlich sehr ergeben, und drohte, die Hadschuten zu verfluchen, wenn sie zuerst den Frieden brächen. Der Befehl eines so gefeierten Marabuts reichte hin, eine Zeit lang die Raublust jenes Stammes zu bezwingen. Als aber der von den Arabern sehr geliebte General Voirol nach Frankreich zurückreiste, erwachten bei den Hadschuten die alten Diebsgewohnheiten, und seitdem setzten sie ihre Plünderungen und Ueberfälle ungestraft fort.

(Beschluß folgt.)

Die Prophezeiungen für das Jahr 1840.

Sie wissen schon, welches Aufsehen in dem ungläubigen und abergläubigen Paris die in vielen tausend Exemplaren verbreiteten Weissagungen des Nostradamus machen, worin das Jahr 1840 als eine Epoche hochwichtiger Ereignisse für Frankreich und Europa bezeichnet seyn soll. (S. Nro. 2 der Allg. Zeitung.) Diesen Weissagungen ist unter dem Titel: „le Nostradamus vengé“ ein Commentar beigegeben, der, auf das in Revolution, Republik und Kaiserreich bereits Eingetroffene hindeutend, daraus eine Bürgschaft auch für die Wahrheit dessen folgert, was erst noch, und zwar in nächster Zukunft, in Erfüllung gehen soll. Dabei wird erzählt, Napoleon, der als des Glückes abenteuerlicher Sohn bekanntlich selbst nicht ohne den Glauben an seinen „Stern“ war, habe noch als Consul seiner, dem dunkeln Gebiet der Ahnungen und Träume, der „Nachtseite der Natur“ sich nach Frauenart gern zuwendenden Josephine einstmals in Malmaison eben diese Prophetenstimmen des alten Magus vorgelegt, und sie darin die nahe kaiserliche Größe, zugleich aber mit Schrecken ihre eigene Verstoßung und das spätere Unglück ihres Gemahls gelesen. Bei den auf das Jahr 1840 bezogenen Orakelversen – die Verse sind schlecht, wie es dergleichen von jeher waren, so daß schon Lucian behauptete, Homer mache bessere als Apoll – deuten unsere Legitimisten nichts Geringeres heraus oder hinein, als eine neue glorreiche Restauration und mit ihr den Beginn eines politischen Milenniums unter den Bourbonen älterer Linie; womit freilich eine andere „Voraussagung Nostradami auf das Jahr 2000“, deren Béranger gedenkt, und die den Refrain hat: „Faites l'aumône au dernier de vos rois“ schwer in Einklang zu bringen seyn möchte. Sey dem, wie ihm sey: neben dem „geheimnißvollen Buch von Nostradamus' eigner Hand“ steht eine andere, weit grausigere Weissagung, daß am Tag Epiphanias 1840 der Weltuntergang erfolgen werde. Für furchtsame, aber mit der jetzigen Ordnung der Dinge wohlzufriedene Gemüther muß es ein wahrer Trost seyn, daß diese beiden Prophezeiungen sich gegenseitig ausschließen; denn geht am 6 Januar die Welt unter, so kann Nostradamus' Wort nicht wohl mehr erfüllt werden, erfüllt sich aber dieses, so geht fürs erste die Welt noch nicht unter, was auch nach allen Umständen das Wahrscheinlichere ist. Indeß das Charivari vom gestrigen enthält unter der Aufschrift: „Prochaine dislocation de l'univers. Cric, crac!“ und mit dem Motto aus Béranger (nicht aus dem obenerwähnten Prophetenlied) „Finissons-en, le monde est assez vieux“, einen Artikel, den ich Ihnen in Folgendem kurz ausziehen will.

Eingangs wird beschrieben, wie der blasse Schrecken sich der ganzen niedern Bourgeoisie von Paris bemächtigt habe, und man überall nichts sehe als „verstörte und trübe Gesichter wie ein weißes Hemd des Hrn. Sauzet“, wie alte Junggesellen und alte Jungfern ihre Hunde und Katzen, ihre Amseln und Staarmatzen vernachlässigen, und mancher Gimpel oder Canarienvogel, der recht schöne lyrische Anlagen zeigte, jetzt kaum mehr die ersten Noten inne habe, weil ihm der Postillon von Lonjumeau nicht mehr auf der Drehorgel vorgespielt wird. „Man begrüßt sich in dieser bestürzten Welt nicht mehr anders als mit dem Grabesgruß der Trappisten: „Monsieur Greluchet, oder Madame Pitou, wir müssen sterben!“ ... Ihr werdet mich ohne Zweifel fragen, was denn diese Angst und Unruhe veranlaßt. O mein Gott! eine Kleinigkeit: der Anfang vom Ende der Welt, nichts weiter. Schon lange vernimmt man traurige Vorzeichen für das neue Jahr 1840; aber nun haben die Matthieu Laensberg der Rue Charlot sogar den Tag festgesetzt, wo die Vorstellung dieser schrecklichen Katastrophe unwiderruflich statthaben soll: es ist ausgemacht, am Dreikönigstag geht die Welt unter, das Jahr 1840 hört sechs Tage nach seinem Anfang schon wieder auf. Da ist es, meiner Treue! kaum der Mühe werth anzufangen. ... Also am 6 Januar dürfen wir noch einmal Kuchen essen und Könige verehren; aber es wird unser letztes Mahl und unsere letzte – Huldigung seyn. Statt in den Carneval einzutreten, werden wir in die Ewigkeit eingehen. ... Noch einmal, dieser haarsträubende Glaube ist unter den Zinsleuten des Quartiers Marais und unter den Portiers der zwölf Arrondissements allgemein verbreitet. Wir möchten nicht darauf schwören, daß er nicht gleicherweise bis an den Hof, in die Ministerien und Schreiberbureaux eingedrungen sey, denn diese Regionen sind dann und wann auch nicht mit starken Geistern bevölkert. Was diese Hypothese zu bestätigen scheint, ist, daß man bei den politischen Besenführern, wie bei den Thürhütern, einen Trübsinn, ein Sichgehenlassen, eine Nachlässigkeit bemerkt, als sprächen die Einen wie die Andern zu sich selbst: „Liebe Seele! was willst du dir noch ferner Mühe geben, gut zu kehren und zu fegen und gut zu regieren, da ja doch in wenigen Tagen Alles in Scheiter geht? Und zudem ziemt es sich, zu enden, wie wir begonnen haben – peu proprement!“ So in der nahen Aussicht auf das Weltende machen sich unsere Pariser Portiers von allen Erdensorgen frei. Der Klopfer reißt sie nicht mehr aus ihren melancholischen Träumereien, und sie ziehen die Hausthüre nicht mehr auf. Das einzige Band, das sie noch mit dieser vergänglichen Welt verknüpft, sind die Neujahrsgeschenke, die sie, selbst an diesem Vorabend des jüngsten Tags, noch mit einer mechanischen Handkrümmung in Empfang nehmen. Der Portier hat etwas von dem „gerechten Mann“ des Horaz: sein Neujahr würde er noch verlangen selbst auf den Trümmern des Universums – „impavidum ferient ruinae.“ Und sieht man den Pfuhl und Wust, worin man, für die noch übrige Viertelstunde dieser Welt, unsere politischen Angelegenheiten läßt, hat man da nicht Grund zu glauben, daß unsere Machthaber selbst, von traurigen Vorgefühlen ganz eingenommen, denken, für die wenige Zeit, welche die ganze Misere noch dauere, sey es so gut genug? Zum Beispiel, die ... von der Kammer getroffene Wahl der HH. Martin und Sauzet, beweist sie nicht, daß, gleich den Portiers, unsere Deputirten alle Sorge für Propretät abgeschworen haben? – Doch sehet eine zweite Analogie zu den Portiers und Hauswirthen! Unsere ministeriellen Mischmanscher beharren Angesichts des Weltuntergangs

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Sie wissen schon, welches Aufsehen in dem ungläubigen und abergläubigen Paris die in vielen tausend Exemplaren verbreiteten Weissagungen des Nostradamus machen, worin das Jahr 1840 als eine Epoche hochwichtiger Ereignisse für Frankreich und Europa bezeichnet seyn soll. (S. Nro. 2 der Allg. Zeitung.) Diesen Weissagungen ist unter dem Titel: „le Nostradamus vengé“ ein Commentar beigegeben, der, auf das in Revolution, Republik und Kaiserreich bereits Eingetroffene hindeutend, daraus eine Bürgschaft auch für die Wahrheit dessen folgert, was erst noch, und zwar in nächster Zukunft, in Erfüllung gehen soll. Dabei wird erzählt, Napoleon, der als des Glückes abenteuerlicher Sohn bekanntlich selbst nicht ohne den Glauben an seinen „Stern“ war, habe noch als Consul seiner, dem dunkeln Gebiet der Ahnungen und Träume, der „Nachtseite der Natur“ sich nach Frauenart gern zuwendenden Josephine einstmals in Malmaison eben diese Prophetenstimmen des alten Magus vorgelegt, und sie darin die nahe kaiserliche Größe, zugleich aber mit Schrecken ihre eigene Verstoßung und das spätere Unglück ihres Gemahls gelesen. Bei den auf das Jahr 1840 bezogenen Orakelversen – die Verse sind schlecht, wie es dergleichen von jeher waren, so daß schon Lucian behauptete, Homer mache bessere als Apoll – deuten unsere Legitimisten nichts Geringeres heraus oder hinein, als eine neue glorreiche Restauration und mit ihr den Beginn eines politischen Milenniums unter den Bourbonen älterer Linie; womit freilich eine andere „Voraussagung Nostradami auf das Jahr 2000“, deren Béranger gedenkt, und die den Refrain hat: „Faites l'aumône au dernier de vos rois“ schwer in Einklang zu bringen seyn möchte. Sey dem, wie ihm sey: neben dem „geheimnißvollen Buch von Nostradamus' eigner Hand“ steht eine andere, weit grausigere Weissagung, daß am Tag Epiphanias 1840 der Weltuntergang erfolgen werde. Für furchtsame, aber mit der jetzigen Ordnung der Dinge wohlzufriedene Gemüther muß es ein wahrer Trost seyn, daß diese beiden Prophezeiungen sich gegenseitig ausschließen; denn geht am 6 Januar die Welt unter, so kann Nostradamus' Wort nicht wohl mehr erfüllt werden, erfüllt sich aber dieses, so geht fürs erste die Welt noch nicht unter, was auch nach allen Umständen das Wahrscheinlichere ist. Indeß das Charivari vom gestrigen enthält unter der Aufschrift: „Prochaine dislocation de l'univers. Cric, crac!“ und mit dem Motto aus Béranger (nicht aus dem obenerwähnten Prophetenlied) „Finissons-en, le monde est assez vieux“, einen Artikel, den ich Ihnen in Folgendem kurz ausziehen will. Eingangs wird beschrieben, wie der blasse Schrecken sich der ganzen niedern Bourgeoisie von Paris bemächtigt habe, und man überall nichts sehe als „verstörte und trübe Gesichter wie ein weißes Hemd des Hrn. Sauzet“, wie alte Junggesellen und alte Jungfern ihre Hunde und Katzen, ihre Amseln und Staarmatzen vernachlässigen, und mancher Gimpel oder Canarienvogel, der recht schöne lyrische Anlagen zeigte, jetzt kaum mehr die ersten Noten inne habe, weil ihm der Postillon von Lonjumeau nicht mehr auf der Drehorgel vorgespielt wird. „Man begrüßt sich in dieser bestürzten Welt nicht mehr anders als mit dem Grabesgruß der Trappisten: „Monsieur Greluchet, oder Madame Pitou, wir müssen sterben!“ ... Ihr werdet mich ohne Zweifel fragen, was denn diese Angst und Unruhe veranlaßt. O mein Gott! eine Kleinigkeit: der Anfang vom Ende der Welt, nichts weiter. Schon lange vernimmt man traurige Vorzeichen für das neue Jahr 1840; aber nun haben die Matthieu Laensberg der Rue Charlot sogar den Tag festgesetzt, wo die Vorstellung dieser schrecklichen Katastrophe unwiderruflich statthaben soll: es ist ausgemacht, am Dreikönigstag geht die Welt unter, das Jahr 1840 hört sechs Tage nach seinem Anfang schon wieder auf. Da ist es, meiner Treue! kaum der Mühe werth anzufangen. ... Also am 6 Januar dürfen wir noch einmal Kuchen essen und Könige verehren; aber es wird unser letztes Mahl und unsere letzte – Huldigung seyn. Statt in den Carneval einzutreten, werden wir in die Ewigkeit eingehen. ... Noch einmal, dieser haarsträubende Glaube ist unter den Zinsleuten des Quartiers Marais und unter den Portiers der zwölf Arrondissements allgemein verbreitet. Wir möchten nicht darauf schwören, daß er nicht gleicherweise bis an den Hof, in die Ministerien und Schreiberbureaux eingedrungen sey, denn diese Regionen sind dann und wann auch nicht mit starken Geistern bevölkert. Was diese Hypothese zu bestätigen scheint, ist, daß man bei den politischen Besenführern, wie bei den Thürhütern, einen Trübsinn, ein Sichgehenlassen, eine Nachlässigkeit bemerkt, als sprächen die Einen wie die Andern zu sich selbst: „Liebe Seele! was willst du dir noch ferner Mühe geben, gut zu kehren und zu fegen und gut zu regieren, da ja doch in wenigen Tagen Alles in Scheiter geht? Und zudem ziemt es sich, zu enden, wie wir begonnen haben – peu proprement!“ So in der nahen Aussicht auf das Weltende machen sich unsere Pariser Portiers von allen Erdensorgen frei. Der Klopfer reißt sie nicht mehr aus ihren melancholischen Träumereien, und sie ziehen die Hausthüre nicht mehr auf. Das einzige Band, das sie noch mit dieser vergänglichen Welt verknüpft, sind die Neujahrsgeschenke, die sie, selbst an diesem Vorabend des jüngsten Tags, noch mit einer mechanischen Handkrümmung in Empfang nehmen. Der Portier hat etwas von dem „gerechten Mann“ des Horaz: sein Neujahr würde er noch verlangen selbst auf den Trümmern des Universums – „impavidum ferient ruinae.“ Und sieht man den Pfuhl und Wust, worin man, für die noch übrige Viertelstunde dieser Welt, unsere politischen Angelegenheiten läßt, hat man da nicht Grund zu glauben, daß unsere Machthaber selbst, von traurigen Vorgefühlen ganz eingenommen, denken, für die wenige Zeit, welche die ganze Misere noch dauere, sey es so gut genug? Zum Beispiel, die ... von der Kammer getroffene Wahl der HH. Martin und Sauzet, beweist sie nicht, daß, gleich den Portiers, unsere Deputirten alle Sorge für Propretät abgeschworen haben? – Doch sehet eine zweite Analogie zu den Portiers und Hauswirthen! Unsere ministeriellen Mischmanscher beharren Angesichts des Weltuntergangs

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Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Deutsches Textarchiv: Bereitstellung der Texttranskription. (2016-06-28T11:37:15Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Matthias Boenig: Bearbeitung der digitalen Edition. (2016-06-28T11:37:15Z)

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Bogensignaturen: gekennzeichnet; Druckfehler: keine Angabe; fremdsprachliches Material: gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): wie Vorlage; i/j in Fraktur: Lautwert transkribiert; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: gekennzeichnet; Kustoden: gekennzeichnet; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine Angabe; rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: Lautwert transkribiert; Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert; Vollständigkeit: teilweise erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




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Zitationshilfe: Allgemeine Zeitung. Nr. 7. Augsburg, 7. Januar 1840, S. 0050. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/augsburgerallgemeine_007_18400107/10>, abgerufen am 28.03.2024.