Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700.

Bild:
<< vorherige Seite
Th. III. C. XVII. Von denen Quietisten.
[Spaltenumbruch] Jahr
MDC.
biß
MDCC.

3. "Je weniger sie nun an creaturen hangen
"wird/ und auff GOtt allein und seine geheime
"unterrichtungen/ vermittelst eines reinen glau-
"bens/ sich steuren/ je beständiger und stärcker
"wird die liebeseyn. Nachdem nun die seele die
"erkäntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun-
"gen/ und leibliche von creaturen genommene
"bilder geben können/ und sie nunmehro der
"HErr aus diesem stande ausführet/ der ver-
"nunfft-schlüsse beraubet/ und gleichsam in
"Göttlicher finsterniß lässet/ damit sie auff den
"rechten weg und durch einen lautern glauben
"fortgehe: so soll sie sich seiner führung überlassen/
"und nicht mehr so sparsam und geringe lieben/
"als die leibliche bilder sie lehren/ sondern da-
"vor halten/ daß doch alles nichts sey/ was ihr
"die gantze welt und die allerzartesten begriffe/
"in dem allerweisesten verstand beybringen kön-
"nen; Jngleichem daß die schönheit ihres ge-
"liebten jenes an weißheit unendlich übertreffe/
"und daß alle creaturen viel zu grob seyn/ als daß
"sie von ihnen könne unterrichtet/ und zur wah-
"ren erkäntnisihres GOttes gebracht werden.

"4. Darum muß sie mit ihrer liebe allem ih-
"rem verstand zuvorkommen/ und ihn verlassen.
"Sie muß GOtt lieben/ wie er in sich selbst ist/
"nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet.
"Und wenn sie ihn nicht kan erkennen/ wie er in
"sich ist/ so soll sie ihn doch lieben/ ob sie ihn
"wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang
"des glaubens. Wie etwan ein sohn/ der sei-
"nen vater niemals gesehen/ doch denen andern
"völligen glauben giebt/ durch welche er zu sei-
"ner erkäntniß kömmt/ und ihn so liebet/ als
"hätte er ihn einmal gesehen.

5. "Die seele/ welcher der discurs oder die
"schlüsse des verstandes genommen worden/ soll
"nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge-
"walt eine klärere und sonderbarere erkäntniß
"suchen/ sondern wenn sie alles trostes berau-
"bet/ und der sinnlichen erkäntnisse in der ar-
"muth des geistes auch alles dessen entnommen
"ist/ was ihr natürlicher appetit verlanget:
"So soll sie ruhig/ fest und beständig seyn/ daß
"sie den HErrn würcken lasse/ ob sie sich gleich
"alleine dürre und verfinstert sicht. Denn ob
"ihr dieses gleich als ein still-stehen vorkommen
"möchte/ so ruhet doch nur die sinnliche und
"materialische activität/ nicht aber GOtt/ der
"in ihr erst die wahre erkäntniß würcket.

6. "Endlich je höher der geist auffsteiget/ je
"mehr wird er vom sinnlichen abgezogen. Es
"sind viel seelen/ die zu dieser pforte kommen
"sind/ und noch kommen/ aber wenig sind de-
"rer/ welche eingegangen sind und noch einge-
"hen/ weil sie keinen erfahrnen anführer haben/
"oder weil die so ihn gehabt oder noch haben/
"sich nicht in wahrhafftiger und gäntzlicher un-
"terwerffung überlassen.

7. "Man wird zwar sagen/ daß der wille
"nicht lieben/ sondern müßig seyn werde/ wenn
"der verstand nicht deutlich und klar etwas be-
"greiffe: Jndem es ein gewisser satz ist/ daß/
"was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet
"werden könne. Darauff wird geantwortet/
"daß ob wol der verstand die bilder und betrach-
"tungen nicht unterschiedlich durch einen dis-
"curs
oder innerlichen schluß erkennet/ er doch
"durch einen dunckeln allgemeinen und über
[Spaltenumbruch] haubt gefasten glauben es verstehe und erken-"Jahr
MDC.
biß
MDCC.

ne. Ob nun wol diese erkäntniß sehr tunckel/"
undeutlich und allgemein ist/ so ist sie doch klä-"
rer und vollkommener als alle sinnliche und"
sonderbare wissenschafft/ die man sich in die-"
sem leben machen kan/ weil alle leibliche und"
sinnliche bilder von GOtt unendlich unter-"
schieden sind."

8. Der H. Dionysius spricht (Theol."
Mystic. c. I.
§. 2.) Wir erkennen GOtt voll-"
kommener/ wenn wir wissen/ was er nicht ist/"
als was er ist. Wir erkennen ihn tieffer/ daß"
er unbegreifflich/ und über allen unsern ver-"
stand sey/ als wenn wir ihn unter einem bild/"
und einer erschaffenen schönheit begreiffen/"
nach unserm groben verstand. Darum wird"
aus jener duncklen und undeutlichen art eine"
grössere hochhaltung und liebe entstehen als"
aus andern sinnlichen und unterschiedenen:"
Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-"
turen entzogen ist/ diese aber desto weniger von"
GOtt hat/ jemehr sie von creaturen depen-"
di
rt."

Die andere erinnerung.

Was die meditation oder betrachtung
und
contemplation oder beschauligkeit/
und wie eine von der andern unterschie-
den sey.

9. Der H. Damascenus (L. III. de ortho-
dox. fid. cap.
24) und andere Heiligen sagen/
daß das gebet sey ein auffsteigen oder er-
heben des gemüths zu GOtt.
GOtt ist
höher als alle creaturen/ und die seele kan ihn
nicht sehen/ oder mit ihm handeln/ wenn sie
nicht über dieselben alle erhoben wird. Dieser
freundliche umgang der seelen mit GOtt/ das
ist/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung
und in die beschauligkeit.

10. Wenn der verstand die geheimnisse un-
seres heiligen glaubens genau betrachtet/ da-
mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von des-
sen sonderbaren hauptstücken in sich selbst dis-
curri
rt/ und die umstände betrachtet/ die affecten
in dem willen zu erwecken/ so wird eseigentlich
eine betrachtung oder meditation genennet.

11. Wenn die seele nun die wahrheiter-"
kennet (entweder durch eine in der überlegung"
erlangte fertigkeit/ oder weil ihr der Herrein"
sonderbares licht verliehen hat) und sie also"
die augen des gemüths auff diese wahrheit"
richtet/ dieselbe auch in der stille und ruhe an-"
schauet/ also daß ihr nicht mehr betrachtungen"
oder schlüsse oder andere beweißthümer nö-"
thig seyn/ da durch sie überzeuget würde/ son-"
dern der wille die wahrheit liebet/ sich darü-"
ber freuet und wundert: So heisset dieses ei-"
gentlich das gebet des glaubens/ das gebet"
der ruhe/ die innerliche sammlung (recolle-"
ctio
) oder die erlangte beschauligkeit."

12. Diese nennet der H. Thomas (2. 2."
Quaest. 180 Artic. 3. und 4.) mit allen an-"
dern mystischen Lehrern eine lautere/ süsse"
und ruhige anschauung der ewigen"
wahrheit ohne
discurs und reflexion."
Wenn man sich aber freuet oder die wirckun-"
gen GOttes in oder unter den creaturen auch"
in der menschheit CHristi anschauet/ als wel-"
che die allervollkommenste ist/ so ist diese be-"
schauligkeit nicht vollkommen/ wie Thomas-"
sagt/ weil jenes alles nur mittel sind GOtt"

zu er-
Th. III. C. XVII. Von denen Quietiſten.
[Spaltenumbruch] Jahr
MDC.
biß
MDCC.

3. „Je weniger ſie nun an creaturen hangen
„wird/ und auff GOtt allein und ſeine geheime
„unterrichtungen/ vermittelſt eines reinen glau-
„bens/ ſich ſteuren/ je beſtaͤndiger und ſtaͤrcker
„wird die liebeſeyn. Nachdem nun die ſeele die
„erkaͤntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun-
„gen/ und leibliche von creaturen genommene
„bilder geben koͤnnen/ und ſie nunmehro der
„HErꝛ aus dieſem ſtande ausfuͤhret/ der ver-
„nunfft-ſchluͤſſe beraubet/ und gleichſam in
„Goͤttlicher finſterniß laͤſſet/ damit ſie auff den
„rechten weg und durch einen lautern glauben
„fortgehe: ſo ſoll ſie ſich ſeiner fuͤhrung uͤbeꝛlaſſen/
„und nicht mehr ſo ſparſam und geringe lieben/
„als die leibliche bilder ſie lehren/ ſondern da-
„vor halten/ daß doch alles nichts ſey/ was ihr
„die gantze welt und die allerzarteſten begriffe/
„in dem allerweiſeſten verſtand beybringen koͤn-
„nen; Jngleichem daß die ſchoͤnheit ihres ge-
„liebten jenes an weißheit unendlich uͤbertreffe/
„und daß alle creaturen viel zu grob ſeyn/ als daß
„ſie von ihnen koͤnne unterrichtet/ und zur wah-
„ren erkaͤntnisihres GOttes gebracht werden.

„4. Darum muß ſie mit ihrer liebe allem ih-
„rem verſtand zuvorkommen/ und ihn verlaſſen.
„Sie muß GOtt lieben/ wie er in ſich ſelbſt iſt/
„nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet.
„Und wenn ſie ihn nicht kan erkennen/ wie er in
„ſich iſt/ ſo ſoll ſie ihn doch lieben/ ob ſie ihn
„wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang
„des glaubens. Wie etwan ein ſohn/ der ſei-
„nen vater niemals geſehen/ doch denen andern
„voͤlligen glauben giebt/ durch welche er zu ſei-
„ner erkaͤntniß koͤmmt/ und ihn ſo liebet/ als
„haͤtte er ihn einmal geſehen.

5. „Die ſeele/ welcher der diſcurs oder die
„ſchluͤſſe des verſtandes genommen worden/ ſoll
„nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge-
„walt eine klaͤrere und ſonderbarere erkaͤntniß
„ſuchen/ ſondern wenn ſie alles troſtes berau-
„bet/ und der ſinnlichen erkaͤntniſſe in der ar-
„muth des geiſtes auch alles deſſen entnommen
„iſt/ was ihr natuͤrlicher appetit verlanget:
„So ſoll ſie ruhig/ feſt und beſtaͤndig ſeyn/ daß
„ſie den HErꝛn wuͤrcken laſſe/ ob ſie ſich gleich
„alleine duͤrre und verfinſtert ſicht. Denn ob
„ihr dieſes gleich als ein ſtill-ſtehen vorkommen
„moͤchte/ ſo ruhet doch nur die ſinnliche und
materialiſche activitaͤt/ nicht aber GOtt/ der
„in ihr erſt die wahre erkaͤntniß wuͤrcket.

6. „Endlich je hoͤher der geiſt auffſteiget/ je
„mehr wird er vom ſinnlichen abgezogen. Es
„ſind viel ſeelen/ die zu dieſer pforte kommen
„ſind/ und noch kommen/ aber wenig ſind de-
„rer/ welche eingegangen ſind und noch einge-
„hen/ weil ſie keinen erfahrnen anfuͤhrer haben/
„oder weil die ſo ihn gehabt oder noch haben/
„ſich nicht in wahrhafftiger und gaͤntzlicher un-
„terwerffung uͤberlaſſen.

7. „Man wird zwar ſagen/ daß der wille
„nicht lieben/ ſondern muͤßig ſeyn werde/ wenn
„der verſtand nicht deutlich und klar etwas be-
„greiffe: Jndem es ein gewiſſer ſatz iſt/ daß/
„was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet
„werden koͤnne. Darauff wird geantwortet/
„daß ob wol der verſtand die bilder und betrach-
„tungen nicht unterſchiedlich durch einen diſ-
„curs
oder innerlichen ſchluß erkennet/ er doch
„durch einen dunckeln allgemeinen und uͤber
[Spaltenumbruch] haubt gefaſten glauben es verſtehe und erken-„Jahr
MDC.
biß
MDCC.

ne. Ob nun wol dieſe erkaͤntniß ſehr tunckel/“
undeutlich und allgemein iſt/ ſo iſt ſie doch klaͤ-“
rer und vollkommener als alle ſinnliche und“
ſonderbare wiſſenſchafft/ die man ſich in die-“
ſem leben machen kan/ weil alle leibliche und“
ſinnliche bilder von GOtt unendlich unter-“
ſchieden ſind.„

8. Der H. Dionyſius ſpricht (Theol.“
Myſtic. c. I.
§. 2.) Wir erkennen GOtt voll-“
kommener/ wenn wir wiſſen/ was er nicht iſt/“
als was er iſt. Wir erkennen ihn tieffer/ daß“
er unbegreifflich/ und uͤber allen unſern ver-“
ſtand ſey/ als wenn wir ihn unter einem bild/“
und einer erſchaffenen ſchoͤnheit begreiffen/“
nach unſerm groben verſtand. Darum wird“
aus jener duncklen und undeutlichen art eine“
groͤſſere hochhaltung und liebe entſtehen als“
aus andern ſinnlichen und unterſchiedenen:“
Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-“
turen entzogen iſt/ dieſe aber deſto weniger von“
GOtt hat/ jemehr ſie von creaturen depen-“
di
rt.„

Die andere erinnerung.

Was die meditation oder betrachtung
und
contemplation oder beſchauligkeit/
und wie eine von der andern unterſchie-
den ſey.

9. Der H. Damaſcenus (L. III. de ortho-
dox. fid. cap.
24) und andere Heiligen ſagen/
daß das gebet ſey ein auffſteigen oder er-
heben des gemuͤths zu GOtt.
GOtt iſt
hoͤher als alle creaturen/ und die ſeele kan ihn
nicht ſehen/ oder mit ihm handeln/ wenn ſie
nicht uͤber dieſelben alle erhoben wird. Dieſer
freundliche umgang der ſeelen mit GOtt/ das
iſt/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung
und in die beſchauligkeit.

10. Wenn der verſtand die geheimniſſe un-
ſeres heiligen glaubens genau betrachtet/ da-
mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von deſ-
ſen ſonderbaren hauptſtuͤcken in ſich ſelbſt diſ-
curri
rt/ uñ die umſtaͤnde betrachtet/ die affecten
in dem willen zu erwecken/ ſo wird eseigentlich
eine betrachtung oder meditation genennet.

11. Wenn die ſeele nun die wahrheiter-“
kennet (entweder durch eine in der uͤberlegung“
erlangte fertigkeit/ oder weil ihr der Herꝛein“
ſonderbares licht verliehen hat) und ſie alſo“
die augen des gemuͤths auff dieſe wahrheit“
richtet/ dieſelbe auch in der ſtille und ruhe an-“
ſchauet/ alſo daß ihr nicht mehr betrachtungen“
oder ſchluͤſſe oder andere beweißthuͤmer noͤ-“
thig ſeyn/ da durch ſie uͤberzeuget wuͤrde/ ſon-“
dern der wille die wahrheit liebet/ ſich daruͤ-“
ber freuet und wundert: So heiſſet dieſes ei-“
gentlich das gebet des glaubens/ das gebet“
der ruhe/ die innerliche ſammlung (recolle-“
ctio
) oder die erlangte beſchauligkeit.„

12. Dieſe nennet der H. Thomas (2. 2.“
Quæſt. 180 Artic. 3. und 4.) mit allen an-“
dern myſtiſchen Lehrern eine lautere/ ſuͤſſe“
und ruhige anſchauung der ewigen“
wahrheit ohne
diſcurs und reflexion.
Wenn man ſich aber freuet oder die wirckun-“
gen GOttes in oder unter den creaturen auch“
in der menſchheit CHriſti anſchauet/ als wel-“
che die allervollkommenſte iſt/ ſo iſt dieſe be-“
ſchauligkeit nicht vollkommen/ wie Thomas-“
ſagt/ weil jenes alles nur mittel ſind GOtt“

zu er-
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <div n="3">
            <pb facs="#f0194" n="182"/>
            <fw place="top" type="header">Th. <hi rendition="#aq">III.</hi> C. <hi rendition="#aq">XVII.</hi> Von denen <hi rendition="#aq">Quieti&#x017F;t</hi>en.</fw><lb/>
            <cb/>
            <note place="left">Jahr<lb/><hi rendition="#aq">MDC.</hi><lb/>
biß<lb/><hi rendition="#aq">MDCC.</hi></note>
            <p>3. &#x201E;Je weniger &#x017F;ie nun an creaturen hangen<lb/>
&#x201E;wird/ und auff GOtt allein und &#x017F;eine geheime<lb/>
&#x201E;unterrichtungen/ vermittel&#x017F;t eines reinen glau-<lb/>
&#x201E;bens/ &#x017F;ich &#x017F;teuren/ je be&#x017F;ta&#x0364;ndiger und &#x017F;ta&#x0364;rcker<lb/>
&#x201E;wird die liebe&#x017F;eyn. Nachdem nun die &#x017F;eele die<lb/>
&#x201E;erka&#x0364;ntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun-<lb/>
&#x201E;gen/ und leibliche von creaturen genommene<lb/>
&#x201E;bilder geben ko&#x0364;nnen/ und &#x017F;ie nunmehro der<lb/>
&#x201E;HEr&#xA75B; aus die&#x017F;em &#x017F;tande ausfu&#x0364;hret/ der ver-<lb/>
&#x201E;nunfft-&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e beraubet/ und gleich&#x017F;am in<lb/>
&#x201E;Go&#x0364;ttlicher fin&#x017F;terniß la&#x0364;&#x017F;&#x017F;et/ damit &#x017F;ie auff den<lb/>
&#x201E;rechten weg und durch einen lautern glauben<lb/>
&#x201E;fortgehe: &#x017F;o &#x017F;oll &#x017F;ie &#x017F;ich &#x017F;einer fu&#x0364;hrung u&#x0364;be&#xA75B;la&#x017F;&#x017F;en/<lb/>
&#x201E;und nicht mehr &#x017F;o &#x017F;par&#x017F;am und geringe lieben/<lb/>
&#x201E;als die leibliche bilder &#x017F;ie lehren/ &#x017F;ondern da-<lb/>
&#x201E;vor halten/ daß doch alles nichts &#x017F;ey/ was ihr<lb/>
&#x201E;die gantze welt und die allerzarte&#x017F;ten begriffe/<lb/>
&#x201E;in dem allerwei&#x017F;e&#x017F;ten ver&#x017F;tand beybringen ko&#x0364;n-<lb/>
&#x201E;nen; Jngleichem daß die &#x017F;cho&#x0364;nheit ihres ge-<lb/>
&#x201E;liebten jenes an weißheit unendlich u&#x0364;bertreffe/<lb/>
&#x201E;und daß alle creaturen viel zu grob &#x017F;eyn/ als daß<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie von ihnen ko&#x0364;nne unterrichtet/ und zur wah-<lb/>
&#x201E;ren erka&#x0364;ntnisihres GOttes gebracht werden.</p><lb/>
            <p>&#x201E;4. Darum muß &#x017F;ie mit ihrer liebe allem ih-<lb/>
&#x201E;rem ver&#x017F;tand zuvorkommen/ und ihn verla&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
&#x201E;Sie muß GOtt lieben/ wie er in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t/<lb/>
&#x201E;nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet.<lb/>
&#x201E;Und wenn &#x017F;ie ihn nicht kan erkennen/ wie er in<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich i&#x017F;t/ &#x017F;o &#x017F;oll &#x017F;ie ihn doch lieben/ ob &#x017F;ie ihn<lb/>
&#x201E;wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang<lb/>
&#x201E;des glaubens. Wie etwan ein &#x017F;ohn/ der &#x017F;ei-<lb/>
&#x201E;nen vater niemals ge&#x017F;ehen/ doch denen andern<lb/>
&#x201E;vo&#x0364;lligen glauben giebt/ durch welche er zu &#x017F;ei-<lb/>
&#x201E;ner erka&#x0364;ntniß ko&#x0364;mmt/ und ihn &#x017F;o liebet/ als<lb/>
&#x201E;ha&#x0364;tte er ihn einmal ge&#x017F;ehen.</p><lb/>
            <p>5. &#x201E;Die &#x017F;eele/ welcher der <hi rendition="#aq">di&#x017F;curs</hi> oder die<lb/>
&#x201E;&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e des ver&#x017F;tandes genommen worden/ &#x017F;oll<lb/>
&#x201E;nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge-<lb/>
&#x201E;walt eine kla&#x0364;rere und &#x017F;onderbarere erka&#x0364;ntniß<lb/>
&#x201E;&#x017F;uchen/ &#x017F;ondern wenn &#x017F;ie alles tro&#x017F;tes berau-<lb/>
&#x201E;bet/ und der &#x017F;innlichen erka&#x0364;ntni&#x017F;&#x017F;e in der ar-<lb/>
&#x201E;muth des gei&#x017F;tes auch alles de&#x017F;&#x017F;en entnommen<lb/>
&#x201E;i&#x017F;t/ was ihr natu&#x0364;rlicher <hi rendition="#aq">appetit</hi> verlanget:<lb/>
&#x201E;So &#x017F;oll &#x017F;ie ruhig/ fe&#x017F;t und be&#x017F;ta&#x0364;ndig &#x017F;eyn/ daß<lb/>
&#x201E;&#x017F;ie den HEr&#xA75B;n wu&#x0364;rcken la&#x017F;&#x017F;e/ ob &#x017F;ie &#x017F;ich gleich<lb/>
&#x201E;alleine du&#x0364;rre und verfin&#x017F;tert &#x017F;icht. Denn ob<lb/>
&#x201E;ihr die&#x017F;es gleich als ein &#x017F;till-&#x017F;tehen vorkommen<lb/>
&#x201E;mo&#x0364;chte/ &#x017F;o ruhet doch nur die &#x017F;innliche und<lb/>
&#x201E;<hi rendition="#aq">materiali</hi>&#x017F;che <hi rendition="#aq">activit</hi>a&#x0364;t/ nicht aber GOtt/ der<lb/>
&#x201E;in ihr er&#x017F;t die wahre erka&#x0364;ntniß wu&#x0364;rcket.</p><lb/>
            <p>6. &#x201E;Endlich je ho&#x0364;her der gei&#x017F;t auff&#x017F;teiget/ je<lb/>
&#x201E;mehr wird er vom &#x017F;innlichen abgezogen. Es<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind viel &#x017F;eelen/ die zu die&#x017F;er pforte kommen<lb/>
&#x201E;&#x017F;ind/ und noch kommen/ aber wenig &#x017F;ind de-<lb/>
&#x201E;rer/ welche eingegangen &#x017F;ind und noch einge-<lb/>
&#x201E;hen/ weil &#x017F;ie keinen erfahrnen anfu&#x0364;hrer haben/<lb/>
&#x201E;oder weil die &#x017F;o ihn gehabt oder noch haben/<lb/>
&#x201E;&#x017F;ich nicht in wahrhafftiger und ga&#x0364;ntzlicher un-<lb/>
&#x201E;terwerffung u&#x0364;berla&#x017F;&#x017F;en.</p><lb/>
            <p>7. &#x201E;Man wird zwar &#x017F;agen/ daß der wille<lb/>
&#x201E;nicht lieben/ &#x017F;ondern mu&#x0364;ßig &#x017F;eyn werde/ wenn<lb/>
&#x201E;der ver&#x017F;tand nicht deutlich und klar etwas be-<lb/>
&#x201E;greiffe: Jndem es ein gewi&#x017F;&#x017F;er &#x017F;atz i&#x017F;t/ daß/<lb/>
&#x201E;was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet<lb/>
&#x201E;werden ko&#x0364;nne. Darauff wird geantwortet/<lb/>
&#x201E;daß ob wol der ver&#x017F;tand die bilder und betrach-<lb/>
&#x201E;tungen nicht unter&#x017F;chiedlich durch einen <hi rendition="#aq">di&#x017F;-<lb/>
&#x201E;curs</hi> oder innerlichen &#x017F;chluß erkennet/ er doch<lb/>
&#x201E;durch einen dunckeln allgemeinen und u&#x0364;ber<lb/><cb/>
haubt gefa&#x017F;ten glauben es ver&#x017F;tehe und erken-&#x201E;<note place="right">Jahr<lb/><hi rendition="#aq">MDC.</hi><lb/>
biß<lb/><hi rendition="#aq">MDCC.</hi></note><lb/>
ne. Ob nun wol die&#x017F;e erka&#x0364;ntniß &#x017F;ehr tunckel/&#x201C;<lb/>
undeutlich und allgemein i&#x017F;t/ &#x017F;o i&#x017F;t &#x017F;ie doch kla&#x0364;-&#x201C;<lb/>
rer und vollkommener als alle &#x017F;innliche und&#x201C;<lb/>
&#x017F;onderbare wi&#x017F;&#x017F;en&#x017F;chafft/ die man &#x017F;ich in die-&#x201C;<lb/>
&#x017F;em leben machen kan/ weil alle leibliche und&#x201C;<lb/>
&#x017F;innliche bilder von GOtt unendlich unter-&#x201C;<lb/>
&#x017F;chieden &#x017F;ind.&#x201E;</p><lb/>
            <p>8. Der H. <hi rendition="#aq">Diony&#x017F;ius</hi> &#x017F;pricht (<hi rendition="#aq">Theol.&#x201C;<lb/>
My&#x017F;tic. c. I.</hi> §. 2.) Wir erkennen GOtt voll-&#x201C;<lb/>
kommener/ wenn wir wi&#x017F;&#x017F;en/ was er nicht i&#x017F;t/&#x201C;<lb/>
als was er i&#x017F;t. Wir erkennen ihn tieffer/ daß&#x201C;<lb/>
er unbegreifflich/ und u&#x0364;ber allen un&#x017F;ern ver-&#x201C;<lb/>
&#x017F;tand &#x017F;ey/ als wenn wir ihn unter einem bild/&#x201C;<lb/>
und einer er&#x017F;chaffenen &#x017F;cho&#x0364;nheit begreiffen/&#x201C;<lb/>
nach un&#x017F;erm groben ver&#x017F;tand. Darum wird&#x201C;<lb/>
aus jener duncklen und undeutlichen art eine&#x201C;<lb/>
gro&#x0364;&#x017F;&#x017F;ere hochhaltung und liebe ent&#x017F;tehen als&#x201C;<lb/>
aus andern &#x017F;innlichen und unter&#x017F;chiedenen:&#x201C;<lb/>
Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-&#x201C;<lb/>
turen entzogen i&#x017F;t/ die&#x017F;e aber de&#x017F;to weniger von&#x201C;<lb/>
GOtt hat/ jemehr &#x017F;ie von creaturen <hi rendition="#aq">depen-&#x201C;<lb/>
di</hi>rt.&#x201E;</p>
          </div><lb/>
          <div n="3">
            <head> <hi rendition="#b">Die andere erinnerung.</hi> </head><lb/>
            <p> <hi rendition="#fr">Was die</hi> <hi rendition="#aq">meditation</hi> <hi rendition="#fr">oder betrachtung<lb/>
und</hi> <hi rendition="#aq">contemplation</hi> <hi rendition="#fr">oder be&#x017F;chauligkeit/<lb/>
und wie eine von der andern unter&#x017F;chie-<lb/>
den &#x017F;ey.</hi> </p><lb/>
            <p>9. Der H. <hi rendition="#aq">Dama&#x017F;cenus (L. III. de ortho-<lb/>
dox. fid. cap.</hi> 24) und andere Heiligen &#x017F;agen/<lb/><hi rendition="#fr">daß das gebet &#x017F;ey ein auff&#x017F;teigen oder er-<lb/>
heben des gemu&#x0364;ths zu GOtt.</hi> GOtt i&#x017F;t<lb/>
ho&#x0364;her als alle creaturen/ und die &#x017F;eele kan ihn<lb/>
nicht &#x017F;ehen/ oder mit ihm handeln/ wenn &#x017F;ie<lb/>
nicht u&#x0364;ber die&#x017F;elben alle erhoben wird. Die&#x017F;er<lb/>
freundliche umgang der &#x017F;eelen mit GOtt/ das<lb/>
i&#x017F;t/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung<lb/>
und in die be&#x017F;chauligkeit.</p><lb/>
            <p>10. Wenn der ver&#x017F;tand die geheimni&#x017F;&#x017F;e un-<lb/>
&#x017F;eres heiligen glaubens genau betrachtet/ da-<lb/>
mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von de&#x017F;-<lb/>
&#x017F;en &#x017F;onderbaren haupt&#x017F;tu&#x0364;cken in &#x017F;ich &#x017F;elb&#x017F;t <hi rendition="#aq">di&#x017F;-<lb/>
curri</hi>rt/ un&#x0303; die um&#x017F;ta&#x0364;nde betrachtet/ die <hi rendition="#aq">affect</hi>en<lb/>
in dem willen zu erwecken/ &#x017F;o wird eseigentlich<lb/>
eine betrachtung oder <hi rendition="#aq">meditation</hi> genennet.</p><lb/>
            <p>11. Wenn die &#x017F;eele nun die wahrheiter-&#x201C;<lb/>
kennet (entweder durch eine in der u&#x0364;berlegung&#x201C;<lb/>
erlangte fertigkeit/ oder weil ihr der Her&#xA75B;ein&#x201C;<lb/>
&#x017F;onderbares licht verliehen hat) und &#x017F;ie al&#x017F;o&#x201C;<lb/>
die augen des gemu&#x0364;ths auff die&#x017F;e wahrheit&#x201C;<lb/>
richtet/ die&#x017F;elbe auch in der &#x017F;tille und ruhe an-&#x201C;<lb/>
&#x017F;chauet/ al&#x017F;o daß ihr nicht mehr betrachtungen&#x201C;<lb/>
oder &#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e oder andere beweißthu&#x0364;mer no&#x0364;-&#x201C;<lb/>
thig &#x017F;eyn/ da durch &#x017F;ie u&#x0364;berzeuget wu&#x0364;rde/ &#x017F;on-&#x201C;<lb/>
dern der wille die wahrheit liebet/ &#x017F;ich daru&#x0364;-&#x201C;<lb/>
ber freuet und wundert: So hei&#x017F;&#x017F;et die&#x017F;es ei-&#x201C;<lb/>
gentlich das gebet des glaubens/ das gebet&#x201C;<lb/>
der ruhe/ die innerliche &#x017F;ammlung (<hi rendition="#aq">recolle-&#x201C;<lb/>
ctio</hi>) oder die erlangte be&#x017F;chauligkeit.&#x201E;</p><lb/>
            <p>12. Die&#x017F;e nennet der H. Thomas (2. 2.&#x201C;<lb/><hi rendition="#aq">Quæ&#x017F;t. 180 Artic.</hi> 3. und 4.) mit allen an-&#x201C;<lb/>
dern <hi rendition="#aq">my&#x017F;ti</hi>&#x017F;chen Lehrern eine <hi rendition="#fr">lautere/ &#x017F;u&#x0364;&#x017F;&#x017F;e&#x201C;<lb/>
und ruhige an&#x017F;chauung der ewigen&#x201C;<lb/>
wahrheit ohne</hi> <hi rendition="#aq">di&#x017F;curs</hi> <hi rendition="#fr">und</hi> <hi rendition="#aq">reflexion.</hi>&#x201C;<lb/>
Wenn man &#x017F;ich aber freuet oder die wirckun-&#x201C;<lb/>
gen GOttes in oder unter den creaturen auch&#x201C;<lb/>
in der men&#x017F;chheit CHri&#x017F;ti an&#x017F;chauet/ als wel-&#x201C;<lb/>
che die allervollkommen&#x017F;te i&#x017F;t/ &#x017F;o i&#x017F;t die&#x017F;e be-&#x201C;<lb/>
&#x017F;chauligkeit nicht vollkommen/ wie Thomas-&#x201C;<lb/>
&#x017F;agt/ weil jenes alles nur mittel &#x017F;ind GOtt&#x201C;<lb/>
<fw place="bottom" type="catch">zu er-</fw><lb/></p>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[182/0194] Th. III. C. XVII. Von denen Quietiſten. 3. „Je weniger ſie nun an creaturen hangen „wird/ und auff GOtt allein und ſeine geheime „unterrichtungen/ vermittelſt eines reinen glau- „bens/ ſich ſteuren/ je beſtaͤndiger und ſtaͤrcker „wird die liebeſeyn. Nachdem nun die ſeele die „erkaͤntnis erlanget/ welche ihr alle betrachtun- „gen/ und leibliche von creaturen genommene „bilder geben koͤnnen/ und ſie nunmehro der „HErꝛ aus dieſem ſtande ausfuͤhret/ der ver- „nunfft-ſchluͤſſe beraubet/ und gleichſam in „Goͤttlicher finſterniß laͤſſet/ damit ſie auff den „rechten weg und durch einen lautern glauben „fortgehe: ſo ſoll ſie ſich ſeiner fuͤhrung uͤbeꝛlaſſen/ „und nicht mehr ſo ſparſam und geringe lieben/ „als die leibliche bilder ſie lehren/ ſondern da- „vor halten/ daß doch alles nichts ſey/ was ihr „die gantze welt und die allerzarteſten begriffe/ „in dem allerweiſeſten verſtand beybringen koͤn- „nen; Jngleichem daß die ſchoͤnheit ihres ge- „liebten jenes an weißheit unendlich uͤbertreffe/ „und daß alle creaturen viel zu grob ſeyn/ als daß „ſie von ihnen koͤnne unterrichtet/ und zur wah- „ren erkaͤntnisihres GOttes gebracht werden. „4. Darum muß ſie mit ihrer liebe allem ih- „rem verſtand zuvorkommen/ und ihn verlaſſen. „Sie muß GOtt lieben/ wie er in ſich ſelbſt iſt/ „nicht wie ihn die einbildung lehret und bildet. „Und wenn ſie ihn nicht kan erkennen/ wie er in „ſich iſt/ ſo ſoll ſie ihn doch lieben/ ob ſie ihn „wol nicht erkennet unter demtunckeln vorhang „des glaubens. Wie etwan ein ſohn/ der ſei- „nen vater niemals geſehen/ doch denen andern „voͤlligen glauben giebt/ durch welche er zu ſei- „ner erkaͤntniß koͤmmt/ und ihn ſo liebet/ als „haͤtte er ihn einmal geſehen. 5. „Die ſeele/ welcher der diſcurs oder die „ſchluͤſſe des verſtandes genommen worden/ ſoll „nicht weiter darnach verlangen/ oder mit ge- „walt eine klaͤrere und ſonderbarere erkaͤntniß „ſuchen/ ſondern wenn ſie alles troſtes berau- „bet/ und der ſinnlichen erkaͤntniſſe in der ar- „muth des geiſtes auch alles deſſen entnommen „iſt/ was ihr natuͤrlicher appetit verlanget: „So ſoll ſie ruhig/ feſt und beſtaͤndig ſeyn/ daß „ſie den HErꝛn wuͤrcken laſſe/ ob ſie ſich gleich „alleine duͤrre und verfinſtert ſicht. Denn ob „ihr dieſes gleich als ein ſtill-ſtehen vorkommen „moͤchte/ ſo ruhet doch nur die ſinnliche und „materialiſche activitaͤt/ nicht aber GOtt/ der „in ihr erſt die wahre erkaͤntniß wuͤrcket. 6. „Endlich je hoͤher der geiſt auffſteiget/ je „mehr wird er vom ſinnlichen abgezogen. Es „ſind viel ſeelen/ die zu dieſer pforte kommen „ſind/ und noch kommen/ aber wenig ſind de- „rer/ welche eingegangen ſind und noch einge- „hen/ weil ſie keinen erfahrnen anfuͤhrer haben/ „oder weil die ſo ihn gehabt oder noch haben/ „ſich nicht in wahrhafftiger und gaͤntzlicher un- „terwerffung uͤberlaſſen. 7. „Man wird zwar ſagen/ daß der wille „nicht lieben/ ſondern muͤßig ſeyn werde/ wenn „der verſtand nicht deutlich und klar etwas be- „greiffe: Jndem es ein gewiſſer ſatz iſt/ daß/ „was man nicht erkennet/ auch nicht geliebet „werden koͤnne. Darauff wird geantwortet/ „daß ob wol der verſtand die bilder und betrach- „tungen nicht unterſchiedlich durch einen diſ- „curs oder innerlichen ſchluß erkennet/ er doch „durch einen dunckeln allgemeinen und uͤber haubt gefaſten glauben es verſtehe und erken-„ ne. Ob nun wol dieſe erkaͤntniß ſehr tunckel/“ undeutlich und allgemein iſt/ ſo iſt ſie doch klaͤ-“ rer und vollkommener als alle ſinnliche und“ ſonderbare wiſſenſchafft/ die man ſich in die-“ ſem leben machen kan/ weil alle leibliche und“ ſinnliche bilder von GOtt unendlich unter-“ ſchieden ſind.„ Jahr MDC. biß MDCC. 8. Der H. Dionyſius ſpricht (Theol.“ Myſtic. c. I. §. 2.) Wir erkennen GOtt voll-“ kommener/ wenn wir wiſſen/ was er nicht iſt/“ als was er iſt. Wir erkennen ihn tieffer/ daß“ er unbegreifflich/ und uͤber allen unſern ver-“ ſtand ſey/ als wenn wir ihn unter einem bild/“ und einer erſchaffenen ſchoͤnheit begreiffen/“ nach unſerm groben verſtand. Darum wird“ aus jener duncklen und undeutlichen art eine“ groͤſſere hochhaltung und liebe entſtehen als“ aus andern ſinnlichen und unterſchiedenen:“ Weil jene art GOtt mehr eigen und von crea-“ turen entzogen iſt/ dieſe aber deſto weniger von“ GOtt hat/ jemehr ſie von creaturen depen-“ dirt.„ Die andere erinnerung. Was die meditation oder betrachtung und contemplation oder beſchauligkeit/ und wie eine von der andern unterſchie- den ſey. 9. Der H. Damaſcenus (L. III. de ortho- dox. fid. cap. 24) und andere Heiligen ſagen/ daß das gebet ſey ein auffſteigen oder er- heben des gemuͤths zu GOtt. GOtt iſt hoͤher als alle creaturen/ und die ſeele kan ihn nicht ſehen/ oder mit ihm handeln/ wenn ſie nicht uͤber dieſelben alle erhoben wird. Dieſer freundliche umgang der ſeelen mit GOtt/ das iſt/ das gebet/ wird eingetheilt in die betrachtung und in die beſchauligkeit. 10. Wenn der verſtand die geheimniſſe un- ſeres heiligen glaubens genau betrachtet/ da- mit er ihre wahrheit erkenne/ indem er von deſ- ſen ſonderbaren hauptſtuͤcken in ſich ſelbſt diſ- currirt/ uñ die umſtaͤnde betrachtet/ die affecten in dem willen zu erwecken/ ſo wird eseigentlich eine betrachtung oder meditation genennet. 11. Wenn die ſeele nun die wahrheiter-“ kennet (entweder durch eine in der uͤberlegung“ erlangte fertigkeit/ oder weil ihr der Herꝛein“ ſonderbares licht verliehen hat) und ſie alſo“ die augen des gemuͤths auff dieſe wahrheit“ richtet/ dieſelbe auch in der ſtille und ruhe an-“ ſchauet/ alſo daß ihr nicht mehr betrachtungen“ oder ſchluͤſſe oder andere beweißthuͤmer noͤ-“ thig ſeyn/ da durch ſie uͤberzeuget wuͤrde/ ſon-“ dern der wille die wahrheit liebet/ ſich daruͤ-“ ber freuet und wundert: So heiſſet dieſes ei-“ gentlich das gebet des glaubens/ das gebet“ der ruhe/ die innerliche ſammlung (recolle-“ ctio) oder die erlangte beſchauligkeit.„ 12. Dieſe nennet der H. Thomas (2. 2.“ Quæſt. 180 Artic. 3. und 4.) mit allen an-“ dern myſtiſchen Lehrern eine lautere/ ſuͤſſe“ und ruhige anſchauung der ewigen“ wahrheit ohne diſcurs und reflexion.“ Wenn man ſich aber freuet oder die wirckun-“ gen GOttes in oder unter den creaturen auch“ in der menſchheit CHriſti anſchauet/ als wel-“ che die allervollkommenſte iſt/ ſo iſt dieſe be-“ ſchauligkeit nicht vollkommen/ wie Thomas-“ ſagt/ weil jenes alles nur mittel ſind GOtt“ zu er-

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/194
Zitationshilfe: Arnold, Gottfried: Unpartheyische Kirchen- und Ketzer-Historie. Bd. 2 (T. 3/4). Frankfurt (Main), 1700, S. 182. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arnold_ketzerhistorie02_1700/194>, abgerufen am 25.04.2024.