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Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

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Schon nach wenigen Tagen war sie in der Almwirthschaft so
zu Haus, als käme sie seit Jahren hinauf. Am Abend entläßt
sie, oder geleitet selbst die Heerde zum bestimmten Waideplatz,
wo diese während der ganzen Nacht bleibt. Den folgenden
Morgen um 6 Uhr kommen die Kühe allein zur Sennhütte,
um sich melken zu lassen, und bleiben dann den Tag über, ihre
nächtliche Speise wiederkäuend, ruhig im Stall. Die Resl muß
aber schon um 4 Uhr auf sein, um alles Nöthige vor der Heim-
kehr der Thiere zu thun. Bleibt dann der flinken Resl noch
einige freie Zeit, so schaut sie bald in's schöne Tyrolerland und
nach den fernen Gletschern, bald nach Bayern hinunter, und
ohne es zu wollen, läßt sie öfters den Blick über den blauen
Tegernsee schweifen.

Seit längerer Zeit schon sah sie Niemand als die andern
Sennerinnen und diejenigen, welche jede Woche einmal Brod,
Salz und das sogenannte Mied*) für die Kühe bringen müssen.
Unter den Ersteren war und blieb ihr aber die Nandl die Liebste,
obgleich sie ein strenges Regiment führte. Die Meisterin hielt
genau Wache, ob die jungen Sennerinnen auch nichts versäumen
in ihrer Pflicht, und unerbittlich hielt sie darauf, daß vor dem
Bildstöckel, an welchem ein Bild der Muttergottes mit dem
Jesuskind war, zu bestimmten Zeiten gemeinschaftlich gebetet
wurde. "Denn", meinte die Nandl, "wenn man in keine Kirch'
kommt, kann man sonst gar leicht auf den lieben Gott vergessen,
obgleich man ihm da oben viel näher ist als unten im Thal." --
Zuweilen war Abends bei der Meisterin ein kleiner Heimgarten,
und dann wußte sie immer etwas Schönes oder auch Geschichten
zum Fürchten zu erzählen. Dem letzteren gehört z. B. an, wie
einst ein böser Bua unter den Bettkreister**) der Sennerin
Feuer legte und diese in der Nacht verbrannte. -- Oder wie
ein anderer Bua, der einem Mädel in der Bergmatt das Hei-
rathen antrug, nachher sein Wort gebrochen hat, und wie an
derselben Stelle ein Kraut mit rothen Blümeln wachst, die Wurzel

*) Von Heublumen, Salz und Kleien.
**) Bezeichnung für das Bett der Sennerin.

Schon nach wenigen Tagen war ſie in der Almwirthſchaft ſo
zu Haus, als käme ſie ſeit Jahren hinauf. Am Abend entläßt
ſie, oder geleitet ſelbſt die Heerde zum beſtimmten Waideplatz,
wo dieſe während der ganzen Nacht bleibt. Den folgenden
Morgen um 6 Uhr kommen die Kühe allein zur Sennhütte,
um ſich melken zu laſſen, und bleiben dann den Tag über, ihre
nächtliche Speiſe wiederkäuend, ruhig im Stall. Die Resl muß
aber ſchon um 4 Uhr auf ſein, um alles Nöthige vor der Heim-
kehr der Thiere zu thun. Bleibt dann der flinken Resl noch
einige freie Zeit, ſo ſchaut ſie bald in’s ſchöne Tyrolerland und
nach den fernen Gletſchern, bald nach Bayern hinunter, und
ohne es zu wollen, läßt ſie öfters den Blick über den blauen
Tegernſee ſchweifen.

Seit längerer Zeit ſchon ſah ſie Niemand als die andern
Sennerinnen und diejenigen, welche jede Woche einmal Brod,
Salz und das ſogenannte Mied*) für die Kühe bringen müſſen.
Unter den Erſteren war und blieb ihr aber die Nandl die Liebſte,
obgleich ſie ein ſtrenges Regiment führte. Die Meiſterin hielt
genau Wache, ob die jungen Sennerinnen auch nichts verſäumen
in ihrer Pflicht, und unerbittlich hielt ſie darauf, daß vor dem
Bildſtöckel, an welchem ein Bild der Muttergottes mit dem
Jeſuskind war, zu beſtimmten Zeiten gemeinſchaftlich gebetet
wurde. „Denn“, meinte die Nandl, „wenn man in keine Kirch’
kommt, kann man ſonſt gar leicht auf den lieben Gott vergeſſen,
obgleich man ihm da oben viel näher iſt als unten im Thal.“ —
Zuweilen war Abends bei der Meiſterin ein kleiner Heimgarten,
und dann wußte ſie immer etwas Schönes oder auch Geſchichten
zum Fürchten zu erzählen. Dem letzteren gehört z. B. an, wie
einſt ein böſer Bua unter den Bettkreiſter**) der Sennerin
Feuer legte und dieſe in der Nacht verbrannte. — Oder wie
ein anderer Bua, der einem Mädel in der Bergmatt das Hei-
rathen antrug, nachher ſein Wort gebrochen hat, und wie an
derſelben Stelle ein Kraut mit rothen Blümeln wachſt, die Wurzel

*) Von Heublumen, Salz und Kleien.
**) Bezeichnung für das Bett der Sennerin.
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Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/46>, abgerufen am 29.03.2024.