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Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875.

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wendung der fetten, köstlichen Gebirgsmilch; Feldbau ist hier
Nebensache. Die milchgebenden Heerden ziehen Ende Mai auf
die Niederalpe (Niederläger), wo sie wegen der oft noch rauhen
Tage bis Juli bleiben, dann werden sie die steilen, beschwer-
lichen Pfade aufwärts zu den Hochalpen (Hochläger) getrieben.
Vom September an bleiben sie noch einige Zeit auf den Nie-
deralpen und ziehen dann, war der Sommer für den Alpen-
besitzer ein glücklicher, mit Blumen- und Laubkränzen geschmückt,
nach Haus, und ihre Heimkehr ist alsdann für das ganze Dorf
ein Freudentag, der nicht selten mit Spiel und Tanz be-
schlossen wird.

2. Der Adlerbauer.

Jn diesem blinkenden und wohlhäbig aussehenden Dorf
fällt uns sogleich ein besonders stattlicher Bauernhof auf. Nicht
allein das Wohnhaus ist bei ihm größer als bei den andern
Höfen, auch der Heustadel ist höher und breiter, der Stall
scheint Raum für 14 Stück Rinder zu haben und der Garten
ist mit einem besonders schönen Zaun eingefaßt. Neben dem
Brunnen stehen zum Trocknen ein Paar frisch geputzte, mit
glänzenden Metallreifen beschlagene Milchkübel und mehrere
ebenso reinliche Holzschäffel, die zum Tränken der Thiere be-
stimmt sind. Ueberdies grasen auf einer Wiese hinter dem
Hause einige Pferde, bei welchen muntere Füllen scherzend sich
herumtummeln. Wir können also nicht zweifeln, daß der Be-
sitzer ein reicher Mann ist, wahrscheinlich ein Halbbauer. Ja,
so ist's, der Adler ist der reichste und vornehmste Bauer im
Ort. Nahrungssorgen sind seinem Hause fremd. Weil aber
der liebe Gott in eines jeden Menschen Leben Schatten und
Licht mit väterlicher Weisheit austheilt, so ging auch am reichen,
angesehenen Adlerbauer der Kelch der Schmerzen nicht vorüber.
Drei Kinder verlor er schon früh und beweinte sie mit seinem
Weibe, der schönen, kreuzbraven Annamarie, dann raffte diese
selbst ein hitziges Fieber im schönsten Frauenalter dahin, wo-
rüber er kaum zu trösten war. Aber fast noch schwerer ward
es ihm, als er gar noch den Verlust des einzigen Sohnes als

wendung der fetten, köſtlichen Gebirgsmilch; Feldbau iſt hier
Nebenſache. Die milchgebenden Heerden ziehen Ende Mai auf
die Niederalpe (Niederläger), wo ſie wegen der oft noch rauhen
Tage bis Juli bleiben, dann werden ſie die ſteilen, beſchwer-
lichen Pfade aufwärts zu den Hochalpen (Hochläger) getrieben.
Vom September an bleiben ſie noch einige Zeit auf den Nie-
deralpen und ziehen dann, war der Sommer für den Alpen-
beſitzer ein glücklicher, mit Blumen- und Laubkränzen geſchmückt,
nach Haus, und ihre Heimkehr iſt alsdann für das ganze Dorf
ein Freudentag, der nicht ſelten mit Spiel und Tanz be-
ſchloſſen wird.

2. Der Adlerbauer.

Jn dieſem blinkenden und wohlhäbig ausſehenden Dorf
fällt uns ſogleich ein beſonders ſtattlicher Bauernhof auf. Nicht
allein das Wohnhaus iſt bei ihm größer als bei den andern
Höfen, auch der Heuſtadel iſt höher und breiter, der Stall
ſcheint Raum für 14 Stück Rinder zu haben und der Garten
iſt mit einem beſonders ſchönen Zaun eingefaßt. Neben dem
Brunnen ſtehen zum Trocknen ein Paar friſch geputzte, mit
glänzenden Metallreifen beſchlagene Milchkübel und mehrere
ebenſo reinliche Holzſchäffel, die zum Tränken der Thiere be-
ſtimmt ſind. Ueberdies graſen auf einer Wieſe hinter dem
Hauſe einige Pferde, bei welchen muntere Füllen ſcherzend ſich
herumtummeln. Wir können alſo nicht zweifeln, daß der Be-
ſitzer ein reicher Mann iſt, wahrſcheinlich ein Halbbauer. Ja,
ſo iſt’s, der Adler iſt der reichſte und vornehmſte Bauer im
Ort. Nahrungsſorgen ſind ſeinem Hauſe fremd. Weil aber
der liebe Gott in eines jeden Menſchen Leben Schatten und
Licht mit väterlicher Weisheit austheilt, ſo ging auch am reichen,
angeſehenen Adlerbauer der Kelch der Schmerzen nicht vorüber.
Drei Kinder verlor er ſchon früh und beweinte ſie mit ſeinem
Weibe, der ſchönen, kreuzbraven Annamarie, dann raffte dieſe
ſelbſt ein hitziges Fieber im ſchönſten Frauenalter dahin, wo-
rüber er kaum zu tröſten war. Aber faſt noch ſchwerer ward
es ihm, als er gar noch den Verluſt des einzigen Sohnes als

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Zitationshilfe: Arndts, Maria: Der Juhschrei auf der Halseralm. Novelle aus dem bayerischen Gebirgslande. Dresden, 1875, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arndts_juhschrei_1875/10>, abgerufen am 18.04.2024.