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Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885].

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Einleitung.
Poesie, ohne welches die Cultur eines Volkes nichts als Narrethei und Lumpereii
ist. Der feine Dilettantismus besticht und betrügt, denn er ist eitel Prase
und Schein. Er gebraucht bunte und leuchtende Tünche, denn sein Matrial
ist wurmstichig, urväteralt und überall löcherig wie faules Holz. Er sinkt
auch nicht wie der gemeine Dilettantismus, sondern er hat Parfüm. Er ist
ein getreues Abbild der Toilette seiner Zeit. Ja, liebes Publikum, die an-
erkanntesten und berühmtesten Dichter unserer Zeit, die vortrefflichsten und
bedeutendsten Autoren, wie die kritischen Preßwürmer sie zu bespeicheln pflegen,
sind nichts weiter als lyrische Dilettanten!

Von einem Phrasendrescher und Reimpolterer, wie Albert Träger, ließest
du dich übertölpeln und machtest seinem Verleger -- Gott sei's geklagt! --
bald an die zwanzig Auflagen möglich, und dem gewandten Versifex Julius
Wolff, der sein glattes Persönchen malerisch in das bunte Costüm des fahren-
den Sängers gehüllt hat und seine Leier ohn' Erbarmen malträtirt wie ein
kleiner Bengel sein Glasklavier, küssest du achtungsvoll und entzückt die schreib-
seligen Fingerlein. Der liebenswürdige Mann amüsirt dich ja auch so gut
und schmeichelt deiner geistigen Faulheit, wie solltest du ihm nicht von Herzen
dankbar sein? Daß ein Dichter begeistern, hinreißen, mit ein paar herrlichen
aus den unergründlichen Tiefen einer geistes- und ideentrunkenen Seele her-
vorströmenden Worten dich machtvoll zu erhabener Andacht zwingen und
dir süßmahnend gebieten soll, dich zu beugen vor der Urkraft, die in ihm
wirkt und schafft, wer in aller Welt hat dich jemals darauf aufmerksam ge-
macht? Der Berliner Journalist Paul Lindau jedenfalls nicht, und auf diesen
Mann der Gegenwart schwörst du doch in Nord und Süd unseres theuren
deutschen Vaterlandes? Oder darf ich mich verbessern und sagen: hast du
geschworen? Ist es wahr, daß die Reue in dein allzu ausgetrocknetes Herz
eingekehrt ist und daß du endlich, endlich einsiehst, wie der Witz -- nach
Schillers Wort -- auf ewig mit dem Schönen Krieg führt, und wie ein
Mann, der fähig ist, die glühender Lava gleichenden, und ganz naturgemäß
auch Schlacke mit sich führenden Jugenderuptionen des erhabensten und heiligsten
Dichters seines Volkes behufs Verwerthung seines Witzes zu verhöhnen, wie
ein solcher Mann -- Schmach über ihn! -- nie und nimmer die Führer
auf den Pfaden der Dichtkunst und Litteratur sein und bleiben darf? Nun
so wollen wir denn darauf vertrauen, daß die Herrschaft der blasirten Schwätzer,
der Witzbolde, Macher und litterarischen Spekulanten, die der materialistische
Sudelkessel der siebziger Jahre als Schaumblasen in die Höhe getrieben hat,
ein für alle mal vernichtet und gebrochen sei, wir wollen vertrauen auf die

Einleitung.
Poeſie, ohne welches die Cultur eines Volkes nichts als Narrethei und Lumpereii
iſt. Der feine Dilettantismus beſticht und betrügt, denn er iſt eitel Praſe
und Schein. Er gebraucht bunte und leuchtende Tünche, denn ſein Matrial
iſt wurmſtichig, urväteralt und überall löcherig wie faules Holz. Er ſinkt
auch nicht wie der gemeine Dilettantismus, ſondern er hat Parfüm. Er iſt
ein getreues Abbild der Toilette ſeiner Zeit. Ja, liebes Publikum, die an-
erkannteſten und berühmteſten Dichter unſerer Zeit, die vortrefflichſten und
bedeutendſten Autoren, wie die kritiſchen Preßwürmer ſie zu beſpeicheln pflegen,
ſind nichts weiter als lyriſche Dilettanten!

Von einem Phraſendreſcher und Reimpolterer, wie Albert Träger, ließeſt
du dich übertölpeln und machteſt ſeinem Verleger — Gott ſei’s geklagt! —
bald an die zwanzig Auflagen möglich, und dem gewandten Verſifex Julius
Wolff, der ſein glattes Perſönchen maleriſch in das bunte Coſtüm des fahren-
den Sängers gehüllt hat und ſeine Leier ohn’ Erbarmen malträtirt wie ein
kleiner Bengel ſein Glasklavier, küſſeſt du achtungsvoll und entzückt die ſchreib-
ſeligen Fingerlein. Der liebenswürdige Mann amüſirt dich ja auch ſo gut
und ſchmeichelt deiner geiſtigen Faulheit, wie ſollteſt du ihm nicht von Herzen
dankbar ſein? Daß ein Dichter begeiſtern, hinreißen, mit ein paar herrlichen
aus den unergründlichen Tiefen einer geiſtes- und ideentrunkenen Seele her-
vorſtrömenden Worten dich machtvoll zu erhabener Andacht zwingen und
dir ſüßmahnend gebieten ſoll, dich zu beugen vor der Urkraft, die in ihm
wirkt und ſchafft, wer in aller Welt hat dich jemals darauf aufmerkſam ge-
macht? Der Berliner Journaliſt Paul Lindau jedenfalls nicht, und auf dieſen
Mann der Gegenwart ſchwörſt du doch in Nord und Süd unſeres theuren
deutſchen Vaterlandes? Oder darf ich mich verbeſſern und ſagen: haſt du
geſchworen? Iſt es wahr, daß die Reue in dein allzu ausgetrocknetes Herz
eingekehrt iſt und daß du endlich, endlich einſiehſt, wie der Witz — nach
Schillers Wort — auf ewig mit dem Schönen Krieg führt, und wie ein
Mann, der fähig iſt, die glühender Lava gleichenden, und ganz naturgemäß
auch Schlacke mit ſich führenden Jugenderuptionen des erhabenſten und heiligſten
Dichters ſeines Volkes behufs Verwerthung ſeines Witzes zu verhöhnen, wie
ein ſolcher Mann — Schmach über ihn! — nie und nimmer die Führer
auf den Pfaden der Dichtkunſt und Litteratur ſein und bleiben darf? Nun
ſo wollen wir denn darauf vertrauen, daß die Herrſchaft der blaſirten Schwätzer,
der Witzbolde, Macher und litterariſchen Spekulanten, die der materialiſtiſche
Sudelkeſſel der ſiebziger Jahre als Schaumblaſen in die Höhe getrieben hat,
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[VI/0016] Einleitung. Poeſie, ohne welches die Cultur eines Volkes nichts als Narrethei und Lumpereii iſt. Der feine Dilettantismus beſticht und betrügt, denn er iſt eitel Praſe und Schein. Er gebraucht bunte und leuchtende Tünche, denn ſein Matrial iſt wurmſtichig, urväteralt und überall löcherig wie faules Holz. Er ſinkt auch nicht wie der gemeine Dilettantismus, ſondern er hat Parfüm. Er iſt ein getreues Abbild der Toilette ſeiner Zeit. Ja, liebes Publikum, die an- erkannteſten und berühmteſten Dichter unſerer Zeit, die vortrefflichſten und bedeutendſten Autoren, wie die kritiſchen Preßwürmer ſie zu beſpeicheln pflegen, ſind nichts weiter als lyriſche Dilettanten! Von einem Phraſendreſcher und Reimpolterer, wie Albert Träger, ließeſt du dich übertölpeln und machteſt ſeinem Verleger — Gott ſei’s geklagt! — bald an die zwanzig Auflagen möglich, und dem gewandten Verſifex Julius Wolff, der ſein glattes Perſönchen maleriſch in das bunte Coſtüm des fahren- den Sängers gehüllt hat und ſeine Leier ohn’ Erbarmen malträtirt wie ein kleiner Bengel ſein Glasklavier, küſſeſt du achtungsvoll und entzückt die ſchreib- ſeligen Fingerlein. Der liebenswürdige Mann amüſirt dich ja auch ſo gut und ſchmeichelt deiner geiſtigen Faulheit, wie ſollteſt du ihm nicht von Herzen dankbar ſein? Daß ein Dichter begeiſtern, hinreißen, mit ein paar herrlichen aus den unergründlichen Tiefen einer geiſtes- und ideentrunkenen Seele her- vorſtrömenden Worten dich machtvoll zu erhabener Andacht zwingen und dir ſüßmahnend gebieten ſoll, dich zu beugen vor der Urkraft, die in ihm wirkt und ſchafft, wer in aller Welt hat dich jemals darauf aufmerkſam ge- macht? Der Berliner Journaliſt Paul Lindau jedenfalls nicht, und auf dieſen Mann der Gegenwart ſchwörſt du doch in Nord und Süd unſeres theuren deutſchen Vaterlandes? Oder darf ich mich verbeſſern und ſagen: haſt du geſchworen? Iſt es wahr, daß die Reue in dein allzu ausgetrocknetes Herz eingekehrt iſt und daß du endlich, endlich einſiehſt, wie der Witz — nach Schillers Wort — auf ewig mit dem Schönen Krieg führt, und wie ein Mann, der fähig iſt, die glühender Lava gleichenden, und ganz naturgemäß auch Schlacke mit ſich führenden Jugenderuptionen des erhabenſten und heiligſten Dichters ſeines Volkes behufs Verwerthung ſeines Witzes zu verhöhnen, wie ein ſolcher Mann — Schmach über ihn! — nie und nimmer die Führer auf den Pfaden der Dichtkunſt und Litteratur ſein und bleiben darf? Nun ſo wollen wir denn darauf vertrauen, daß die Herrſchaft der blaſirten Schwätzer, der Witzbolde, Macher und litterariſchen Spekulanten, die der materialiſtiſche Sudelkeſſel der ſiebziger Jahre als Schaumblaſen in die Höhe getrieben hat, ein für alle mal vernichtet und gebrochen ſei, wir wollen vertrauen auf die

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Zitationshilfe: Arent, Wilhelm (Hrsg.): Moderne Dichter-Charaktere. Leipzig, [1885], S. VI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/arent_dichtercharaktere_1885/16>, abgerufen am 29.03.2024.