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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Migräne bekam. -- -- Bei dir wird es auch noch mor¬
gen nachkommen."

"Ich zerbreche mir den Kopf nicht. Bis morgen
werf ich es weit -- weit hinter mich!" sagte Fenia,
und ihr Gesicht leuchtete auf.

Max Werner blickte auf sie.

Ihr Kopf lag an die Stuhllehne zurückgelehnt, die
Augenlider waren so tief gesenkt, daß sie den Blick ganz
verdeckten. Aber ihre Lippen wölbten sich ein wenig, --
ein wenig nur, doch so überzeugend beredt im Ausdruck,
als sei ihnen ein Trank zu nah gekommen, vor dem es
sie ekelte.

Urplötzlich erinnerte dieser Ausdruck der vollen
roten Lippen Max Werner an etwas, -- an das Er¬
lebnis im Hotelzimmer in Paris, -- und durch diesen
Umstand umstrahlte in diesem Augenblick in seinen Augen
Fenia eine eisige, unanzweifelbare Reinheit.

Wie oft mochte sie in ihrem freien Studienleben im
Auslande Verachtung empfunden haben für die Menschen,
deren billige Klugheit ihre Freiheit mißverstand, und deren
weises Urteil auf den ersten besten Schein hereinfiel!

"Vielleicht löst sich die Sache als ein unglückliches
Mißverständnis auf," meinte Max Werner. "Ließe es sich
nicht feststellen, wie die Dame gekleidet gewesen sein soll?"

Der alte Ravenius blickte rasch auf.

"Jawohl! die Kleidung stimmt genau. Langer
Mantel, Fuchspelz, -- Mütze, Muff und Kragen von
Biberfell."

"Jawohl, es ist recht schlimm!" bemerkte Max Werner,
"in Paris oder Berlin oder Wien könnte der Anzug einer

Migräne bekam. — — Bei dir wird es auch noch mor¬
gen nachkommen.“

„Ich zerbreche mir den Kopf nicht. Bis morgen
werf ich es weit — weit hinter mich!“ ſagte Fenia,
und ihr Geſicht leuchtete auf.

Max Werner blickte auf ſie.

Ihr Kopf lag an die Stuhllehne zurückgelehnt, die
Augenlider waren ſo tief geſenkt, daß ſie den Blick ganz
verdeckten. Aber ihre Lippen wölbten ſich ein wenig, —
ein wenig nur, doch ſo überzeugend beredt im Ausdruck,
als ſei ihnen ein Trank zu nah gekommen, vor dem es
ſie ekelte.

Urplötzlich erinnerte dieſer Ausdruck der vollen
roten Lippen Max Werner an etwas, — an das Er¬
lebnis im Hotelzimmer in Paris, — und durch dieſen
Umſtand umſtrahlte in dieſem Augenblick in ſeinen Augen
Fenia eine eiſige, unanzweifelbare Reinheit.

Wie oft mochte ſie in ihrem freien Studienleben im
Auslande Verachtung empfunden haben für die Menſchen,
deren billige Klugheit ihre Freiheit mißverſtand, und deren
weiſes Urteil auf den erſten beſten Schein hereinfiel!

„Vielleicht löſt ſich die Sache als ein unglückliches
Mißverſtändnis auf,“ meinte Max Werner. „Ließe es ſich
nicht feſtſtellen, wie die Dame gekleidet geweſen ſein ſoll?“

Der alte Ravenius blickte raſch auf.

„Jawohl! die Kleidung ſtimmt genau. Langer
Mantel, Fuchspelz, — Mütze, Muff und Kragen von
Biberfell.“

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[45/0049] — 45 — Migräne bekam. — — Bei dir wird es auch noch mor¬ gen nachkommen.“ „Ich zerbreche mir den Kopf nicht. Bis morgen werf ich es weit — weit hinter mich!“ ſagte Fenia, und ihr Geſicht leuchtete auf. Max Werner blickte auf ſie. Ihr Kopf lag an die Stuhllehne zurückgelehnt, die Augenlider waren ſo tief geſenkt, daß ſie den Blick ganz verdeckten. Aber ihre Lippen wölbten ſich ein wenig, — ein wenig nur, doch ſo überzeugend beredt im Ausdruck, als ſei ihnen ein Trank zu nah gekommen, vor dem es ſie ekelte. Urplötzlich erinnerte dieſer Ausdruck der vollen roten Lippen Max Werner an etwas, — an das Er¬ lebnis im Hotelzimmer in Paris, — und durch dieſen Umſtand umſtrahlte in dieſem Augenblick in ſeinen Augen Fenia eine eiſige, unanzweifelbare Reinheit. Wie oft mochte ſie in ihrem freien Studienleben im Auslande Verachtung empfunden haben für die Menſchen, deren billige Klugheit ihre Freiheit mißverſtand, und deren weiſes Urteil auf den erſten beſten Schein hereinfiel! „Vielleicht löſt ſich die Sache als ein unglückliches Mißverſtändnis auf,“ meinte Max Werner. „Ließe es ſich nicht feſtſtellen, wie die Dame gekleidet geweſen ſein ſoll?“ Der alte Ravenius blickte raſch auf. „Jawohl! die Kleidung ſtimmt genau. Langer Mantel, Fuchspelz, — Mütze, Muff und Kragen von Biberfell.“ „Jawohl, es iſt recht ſchlimm!“ bemerkte Max Werner, „in Paris oder Berlin oder Wien könnte der Anzug einer

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 45. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/49>, abgerufen am 29.03.2024.