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Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898.

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Innern des Lokals, neben demselben Fenster, an dessen
Außenseite sie saßen, spielte sich eine erregte Scene ab,
die aller Aufmerksamkeit auf sich zog. Dort befanden
sich zwei Pärchen am Tisch, die ihre Unterhaltung mit
Scherzreden und Neckereien begannen, und damit endeten,
sich fürchterlich zu zanken.

Das eine der beiden Mädchen -- wenig schön und
am Verblühen, aber trotzdem ein unverwüstlich graziöses
Pariser Köpfchen -- wurde schließlich vom Gegenpaar
mit einer Flut häßlicher Schmähreden überschüttet, ohne
daß ihr eigner Begleiter ihr auch nur im mindesten bei¬
gestanden hätte. Vielmehr stimmte er bei jedem erneuten
Angriff johlend in das brutale Gelächter der beiden an¬
dern ein, das sich bald auch auf die benachbarten Tische
fortpflanzte, wo neben den erhitzten halbbezechten Män¬
nern die geputzten Genossinnen des mißhandelten Ge¬
schöpfs mit lärmender Schadenfreude ihre Konkurrentin
niederjubelten.

Durch die schwere, dumpfe, vom Tabaksrauch und
vom Dunst der Menschen, Gasflammen und Getränke
erfüllte Luft des Lokals schallten die rohen Stimmen
laut bis zu dem Tisch draußen hinüber, an dem es ganz
still geworden war. Auf den Gesichtern der Damen
prägten sich deutlich Mitleid, Ekel, Entrüstung und eine
gewisse Verlegenheit darüber aus, einer solchen Situation
beizuwohnen; eine von ihnen knüpfte furchtsam ihren
Schleier fester. Niemand aber war so benommen von
dem, was er sah, wie Fenia.

Sie hatte von allem Anfang an mit sachlichem
Interesse um sich geblickt, jede Einzelheit, die ihr auf¬

Innern des Lokals, neben demſelben Fenſter, an deſſen
Außenſeite ſie ſaßen, ſpielte ſich eine erregte Scene ab,
die aller Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Dort befanden
ſich zwei Pärchen am Tiſch, die ihre Unterhaltung mit
Scherzreden und Neckereien begannen, und damit endeten,
ſich fürchterlich zu zanken.

Das eine der beiden Mädchen — wenig ſchön und
am Verblühen, aber trotzdem ein unverwüſtlich graziöſes
Pariſer Köpfchen — wurde ſchließlich vom Gegenpaar
mit einer Flut häßlicher Schmähreden überſchüttet, ohne
daß ihr eigner Begleiter ihr auch nur im mindeſten bei¬
geſtanden hätte. Vielmehr ſtimmte er bei jedem erneuten
Angriff johlend in das brutale Gelächter der beiden an¬
dern ein, das ſich bald auch auf die benachbarten Tiſche
fortpflanzte, wo neben den erhitzten halbbezechten Män¬
nern die geputzten Genoſſinnen des mißhandelten Ge¬
ſchöpfs mit lärmender Schadenfreude ihre Konkurrentin
niederjubelten.

Durch die ſchwere, dumpfe, vom Tabaksrauch und
vom Dunſt der Menſchen, Gasflammen und Getränke
erfüllte Luft des Lokals ſchallten die rohen Stimmen
laut bis zu dem Tiſch draußen hinüber, an dem es ganz
ſtill geworden war. Auf den Geſichtern der Damen
prägten ſich deutlich Mitleid, Ekel, Entrüſtung und eine
gewiſſe Verlegenheit darüber aus, einer ſolchen Situation
beizuwohnen; eine von ihnen knüpfte furchtſam ihren
Schleier feſter. Niemand aber war ſo benommen von
dem, was er ſah, wie Fenia.

Sie hatte von allem Anfang an mit ſachlichem
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[9/0013] — 9 — Innern des Lokals, neben demſelben Fenſter, an deſſen Außenſeite ſie ſaßen, ſpielte ſich eine erregte Scene ab, die aller Aufmerkſamkeit auf ſich zog. Dort befanden ſich zwei Pärchen am Tiſch, die ihre Unterhaltung mit Scherzreden und Neckereien begannen, und damit endeten, ſich fürchterlich zu zanken. Das eine der beiden Mädchen — wenig ſchön und am Verblühen, aber trotzdem ein unverwüſtlich graziöſes Pariſer Köpfchen — wurde ſchließlich vom Gegenpaar mit einer Flut häßlicher Schmähreden überſchüttet, ohne daß ihr eigner Begleiter ihr auch nur im mindeſten bei¬ geſtanden hätte. Vielmehr ſtimmte er bei jedem erneuten Angriff johlend in das brutale Gelächter der beiden an¬ dern ein, das ſich bald auch auf die benachbarten Tiſche fortpflanzte, wo neben den erhitzten halbbezechten Män¬ nern die geputzten Genoſſinnen des mißhandelten Ge¬ ſchöpfs mit lärmender Schadenfreude ihre Konkurrentin niederjubelten. Durch die ſchwere, dumpfe, vom Tabaksrauch und vom Dunſt der Menſchen, Gasflammen und Getränke erfüllte Luft des Lokals ſchallten die rohen Stimmen laut bis zu dem Tiſch draußen hinüber, an dem es ganz ſtill geworden war. Auf den Geſichtern der Damen prägten ſich deutlich Mitleid, Ekel, Entrüſtung und eine gewiſſe Verlegenheit darüber aus, einer ſolchen Situation beizuwohnen; eine von ihnen knüpfte furchtſam ihren Schleier feſter. Niemand aber war ſo benommen von dem, was er ſah, wie Fenia. Sie hatte von allem Anfang an mit ſachlichem Intereſſe um ſich geblickt, jede Einzelheit, die ihr auf¬

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Zitationshilfe: Andreas-Salome, Lou: Fenitschka. Eine Ausschweifung. Stuttgart, 1898, S. 9. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_fenitschka_1898/13>, abgerufen am 29.03.2024.