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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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schließen, daß ihr die geistigem Egoismen des Menschen, oder sogar auch nur die Geistesverbrüderung aller mit allen, an sich schon überlegen sein müßten, und sie im Grunde nicht viel mehr als eine Vorstufe darstelle zu solchen klarern Entwicklungsstadien. Im Gegenteil durchmißt sie innerhalb ihres Bereichs alle Stadien von den primitivsten bis zu den kompliziertesten, von den leiblich begrenztesten bis zu den geistesbefreitesten, auf ihrem eignen Boden. Wo die Vorkommnisse des Lebens anderweitig erwachsene Beziehungen ihr aufpfropfen, seien sie freundschaftlich oder barmherzig gearteter Natur, da veredelt sie sich nicht weiter daran, sondern gefährdet ebenso oft dadurch die von viel tiefer ihr zuströmenden Triebkräfte ihres Wesens. In sich selber voll von schöpferischen Elementen egoistischer wie altruistischer Art, gibt sie sich auch selbständig aus nach beiden Richtungen. Und so wie sie sich, im vorhergehenden, in geflissentlicher Einseitigkeit, betrachten ließ nach Seite ihres eigenen Freudenrausches, ihrer Vermählung aller Kräfte, die zunächst nur für sie selber eine volle, illusionslose Wahrheit geworden war, ihres Egoismus also: so kann man sie auch altruistisch-produktiv ansehn; man kann den andern, den Partner, bisher nur Anlaß ihrer Überschwänglichkeiten, Erreger dankbarer Illusionen, zur Wahrheit und zum Lebensereignis für sie werden sehn. Allerdings erscheint auch der "Egoismus zu Zweien" stark des Egoismus verdächtig, und erst im Verhältnis zum Kinde überwunden, - also erst in dem Punkt, wo Geschlechterliebe und soziale versöhnt aufeinandertreffen, sich gegenseitig ergänzend. Aber für die Geschlechterliebe, die ihr "soziales" Werk im leiblichen Sinn vollbringt, ist es bezeichnend, daß diese physische Betätigung ihrer selbst schon alles mitenthält, was sie auch geistig weiterentwickelt. Zwar läßt sich mit

schließen, daß ihr die geistigem Egoismen des Menschen, oder sogar auch nur die Geistesverbrüderung aller mit allen, an sich schon überlegen sein müßten, und sie im Grunde nicht viel mehr als eine Vorstufe darstelle zu solchen klarern Entwicklungsstadien. Im Gegenteil durchmißt sie innerhalb ihres Bereichs alle Stadien von den primitivsten bis zu den kompliziertesten, von den leiblich begrenztesten bis zu den geistesbefreitesten, auf ihrem eignen Boden. Wo die Vorkommnisse des Lebens anderweitig erwachsene Beziehungen ihr aufpfropfen, seien sie freundschaftlich oder barmherzig gearteter Natur, da veredelt sie sich nicht weiter daran, sondern gefährdet ebenso oft dadurch die von viel tiefer ihr zuströmenden Triebkräfte ihres Wesens. In sich selber voll von schöpferischen Elementen egoistischer wie altruistischer Art, gibt sie sich auch selbständig aus nach beiden Richtungen. Und so wie sie sich, im vorhergehenden, in geflissentlicher Einseitigkeit, betrachten ließ nach Seite ihres eigenen Freudenrausches, ihrer Vermählung aller Kräfte, die zunächst nur für sie selber eine volle, illusionslose Wahrheit geworden war, ihres Egoismus also: so kann man sie auch altruistisch-produktiv ansehn; man kann den andern, den Partner, bisher nur Anlaß ihrer Überschwänglichkeiten, Erreger dankbarer Illusionen, zur Wahrheit und zum Lebensereignis für sie werden sehn. Allerdings erscheint auch der „Egoismus zu Zweien“ stark des Egoismus verdächtig, und erst im Verhältnis zum Kinde überwunden, – also erst in dem Punkt, wo Geschlechterliebe und soziale versöhnt aufeinandertreffen, sich gegenseitig ergänzend. Aber für die Geschlechterliebe, die ihr „soziales“ Werk im leiblichen Sinn vollbringt, ist es bezeichnend, daß diese physische Betätigung ihrer selbst schon alles mitenthält, was sie auch geistig weiterentwickelt. Zwar läßt sich mit

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[39/0039] schließen, daß ihr die geistigem Egoismen des Menschen, oder sogar auch nur die Geistesverbrüderung aller mit allen, an sich schon überlegen sein müßten, und sie im Grunde nicht viel mehr als eine Vorstufe darstelle zu solchen klarern Entwicklungsstadien. Im Gegenteil durchmißt sie innerhalb ihres Bereichs alle Stadien von den primitivsten bis zu den kompliziertesten, von den leiblich begrenztesten bis zu den geistesbefreitesten, auf ihrem eignen Boden. Wo die Vorkommnisse des Lebens anderweitig erwachsene Beziehungen ihr aufpfropfen, seien sie freundschaftlich oder barmherzig gearteter Natur, da veredelt sie sich nicht weiter daran, sondern gefährdet ebenso oft dadurch die von viel tiefer ihr zuströmenden Triebkräfte ihres Wesens. In sich selber voll von schöpferischen Elementen egoistischer wie altruistischer Art, gibt sie sich auch selbständig aus nach beiden Richtungen. Und so wie sie sich, im vorhergehenden, in geflissentlicher Einseitigkeit, betrachten ließ nach Seite ihres eigenen Freudenrausches, ihrer Vermählung aller Kräfte, die zunächst nur für sie selber eine volle, illusionslose Wahrheit geworden war, ihres Egoismus also: so kann man sie auch altruistisch-produktiv ansehn; man kann den andern, den Partner, bisher nur Anlaß ihrer Überschwänglichkeiten, Erreger dankbarer Illusionen, zur Wahrheit und zum Lebensereignis für sie werden sehn. Allerdings erscheint auch der „Egoismus zu Zweien“ stark des Egoismus verdächtig, und erst im Verhältnis zum Kinde überwunden, – also erst in dem Punkt, wo Geschlechterliebe und soziale versöhnt aufeinandertreffen, sich gegenseitig ergänzend. Aber für die Geschlechterliebe, die ihr „soziales“ Werk im leiblichen Sinn vollbringt, ist es bezeichnend, daß diese physische Betätigung ihrer selbst schon alles mitenthält, was sie auch geistig weiterentwickelt. Zwar läßt sich mit

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 39. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/39>, abgerufen am 29.03.2024.