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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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daß der nüchternen Beobachtung der Wirklichkeit gegenüber, die Denkwelt im religiös Affizierten nach einer Richtung hin eine verhängnisvolle Ähnlichkeit aufweist mit den überschwänglichen Vorstellungen in der Phantasie des Liebenden: sowohl ihrer Schaffensmethode wie ihrem wunschhaften Inhalt nach. Mit dem, ihrem Gegenstand angemessenen, ungeheuren Unterschied allerdings in der Wertung davon: denn auch die feurigste Liebe verlangt und erwartet nicht vom unbeteiligten Blick aller, daß er nur mit ihren eigenen, den hellseherisch-blinden, Augen sehen soll, während der religiöse Glaube auf die überwältigende Wahrheit seines Gottesbildes für alle den vollen Nachdruck legt. Nicht etwa, wie man gern hört, aus purer engherziger Unduldsamkeit, sondern aus der innersten Nötigung und dem alleinigen Sinn seines Wesens selber. Und zwar ist es der Fall trotz des zweiten Unterschiedes: trotzdem er aus noch viel ungehemmterer Subjektivität die Umrisse seines Bildes entwirft. Wo der Liebestrieb doch immer noch mit seiner Illusionsbildung gefesselt bleibt an einen Gegenstand der Wirklichkeit, oder wo im Künstlerschaffen etwa, auch noch die freierfundensten Gebilde zugleich doch einen Maßstab abgeben müssen ihrer eigenen Verwirklichung, - da projiziert der Religiöse seine Vorstellungen, ohne sie weder im Ursprung noch im Ziel positiv "bewahrheiten" zu müssen, mit unbehinderter Seelengewalt aus sich heraus, und damit so überlebensgroß wirkend an alle Himmel.

Infolgedessen kehrt sich bei diesem Gefühlserfüllten, bei dem man es als am wenigsten angemessen empfindet, am allermeisten grade die theoretische Seite seiner Glaubensunterstellungen so stark in den Vordergrund, ganz besonders weithin sichtbar, ganz besonders anspruchsvoll. Seine ver

daß der nüchternen Beobachtung der Wirklichkeit gegenüber, die Denkwelt im religiös Affizierten nach einer Richtung hin eine verhängnisvolle Ähnlichkeit aufweist mit den überschwänglichen Vorstellungen in der Phantasie des Liebenden: sowohl ihrer Schaffensmethode wie ihrem wunschhaften Inhalt nach. Mit dem, ihrem Gegenstand angemessenen, ungeheuren Unterschied allerdings in der Wertung davon: denn auch die feurigste Liebe verlangt und erwartet nicht vom unbeteiligten Blick aller, daß er nur mit ihren eigenen, den hellseherisch-blinden, Augen sehen soll, während der religiöse Glaube auf die überwältigende Wahrheit seines Gottesbildes für alle den vollen Nachdruck legt. Nicht etwa, wie man gern hört, aus purer engherziger Unduldsamkeit, sondern aus der innersten Nötigung und dem alleinigen Sinn seines Wesens selber. Und zwar ist es der Fall trotz des zweiten Unterschiedes: trotzdem er aus noch viel ungehemmterer Subjektivität die Umrisse seines Bildes entwirft. Wo der Liebestrieb doch immer noch mit seiner Illusionsbildung gefesselt bleibt an einen Gegenstand der Wirklichkeit, oder wo im Künstlerschaffen etwa, auch noch die freierfundensten Gebilde zugleich doch einen Maßstab abgeben müssen ihrer eigenen Verwirklichung, – da projiziert der Religiöse seine Vorstellungen, ohne sie weder im Ursprung noch im Ziel positiv „bewahrheiten“ zu müssen, mit unbehinderter Seelengewalt aus sich heraus, und damit so überlebensgroß wirkend an alle Himmel.

Infolgedessen kehrt sich bei diesem Gefühlserfüllten, bei dem man es als am wenigsten angemessen empfindet, am allermeisten grade die theoretische Seite seiner Glaubensunterstellungen so stark in den Vordergrund, ganz besonders weithin sichtbar, ganz besonders anspruchsvoll. Seine ver

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[34/0034] daß der nüchternen Beobachtung der Wirklichkeit gegenüber, die Denkwelt im religiös Affizierten nach einer Richtung hin eine verhängnisvolle Ähnlichkeit aufweist mit den überschwänglichen Vorstellungen in der Phantasie des Liebenden: sowohl ihrer Schaffensmethode wie ihrem wunschhaften Inhalt nach. Mit dem, ihrem Gegenstand angemessenen, ungeheuren Unterschied allerdings in der Wertung davon: denn auch die feurigste Liebe verlangt und erwartet nicht vom unbeteiligten Blick aller, daß er nur mit ihren eigenen, den hellseherisch-blinden, Augen sehen soll, während der religiöse Glaube auf die überwältigende Wahrheit seines Gottesbildes für alle den vollen Nachdruck legt. Nicht etwa, wie man gern hört, aus purer engherziger Unduldsamkeit, sondern aus der innersten Nötigung und dem alleinigen Sinn seines Wesens selber. Und zwar ist es der Fall trotz des zweiten Unterschiedes: trotzdem er aus noch viel ungehemmterer Subjektivität die Umrisse seines Bildes entwirft. Wo der Liebestrieb doch immer noch mit seiner Illusionsbildung gefesselt bleibt an einen Gegenstand der Wirklichkeit, oder wo im Künstlerschaffen etwa, auch noch die freierfundensten Gebilde zugleich doch einen Maßstab abgeben müssen ihrer eigenen Verwirklichung, – da projiziert der Religiöse seine Vorstellungen, ohne sie weder im Ursprung noch im Ziel positiv „bewahrheiten“ zu müssen, mit unbehinderter Seelengewalt aus sich heraus, und damit so überlebensgroß wirkend an alle Himmel. Infolgedessen kehrt sich bei diesem Gefühlserfüllten, bei dem man es als am wenigsten angemessen empfindet, am allermeisten grade die theoretische Seite seiner Glaubensunterstellungen so stark in den Vordergrund, ganz besonders weithin sichtbar, ganz besonders anspruchsvoll. Seine ver

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 34. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/34>, abgerufen am 25.04.2024.