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Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910.

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des faktisch gegebenen Fremdfeindlichen, eher als seine Überschätzung ins Ungreifbare zauberstarker Wirkungen, - aber doch nur, insofern gleichzeitig auch die menschliche Kraft vertiefter sich bewußt werden fühlt: sich fühlt, als nicht gleichdeutig mit der bloßen Stofflichkeit des Sichtbaren. Und deshalb, in allem Drang der Gegnerschaft, ist der Kampf nicht mehr nur das momentane Beutesuchen, sondern, damit zugleich, auch ein Erfassen der Einheit mit dem Umlebenden, darin das Tier noch ohne weiteres wurzelt; - ein Versuch, diese Einheit im Gotthaften, Zaubererhöhten zu erfahren. Ja, noch im Blut, das vergossen, im Fleisch, das verschlungen wird, schließt der Mensch, Kräfte tauschend mit dem Feinde, etwas von einem solchen Bund, von einer religiösen Vermählung; indem er Tatsachen als vorhanden voraussetzt, doch eben damit sie als seine Zukunft setzt, feiert er, zum erstenmal hungernd und dürstend auf eine neue Weise, das Abendmahl seiner geistigen Erlösung vorweg.

Nur weil dieser innere Zwang die Dinge zu steigern, zu idealisieren, schon im primitivsten Sinn: "schöpferisch sich verhalten" bedeutet, nur deshalb finden wir ihn auf den Gipfelpunkten menschlicher Betätigungen überall wieder zurück, auslaufend schließlich in die feinsten Spitzen menschlichen Erlebens. Aus diesem Grunde trägt unsre höchste Produktivität den eigentümlichen Charakter, daß sie sich fast mehr wie Empfängnis anfühlt, als wie die letzte Zuspitzung unserer Selbsttätigkeit, und daß unsern äußersten Leistungen ein Hingegebensein innewohnt an Werte über uns hinaus. Wo wir ganz Herrscher über das Leben sind wie niemals sonst, sind wir am allernächsten einer Weihestimmung und Andacht: denn dies sind nicht so sehr Arten eines besondern

des faktisch gegebenen Fremdfeindlichen, eher als seine Überschätzung ins Ungreifbare zauberstarker Wirkungen, – aber doch nur, insofern gleichzeitig auch die menschliche Kraft vertiefter sich bewußt werden fühlt: sich fühlt, als nicht gleichdeutig mit der bloßen Stofflichkeit des Sichtbaren. Und deshalb, in allem Drang der Gegnerschaft, ist der Kampf nicht mehr nur das momentane Beutesuchen, sondern, damit zugleich, auch ein Erfassen der Einheit mit dem Umlebenden, darin das Tier noch ohne weiteres wurzelt; – ein Versuch, diese Einheit im Gotthaften, Zaubererhöhten zu erfahren. Ja, noch im Blut, das vergossen, im Fleisch, das verschlungen wird, schließt der Mensch, Kräfte tauschend mit dem Feinde, etwas von einem solchen Bund, von einer religiösen Vermählung; indem er Tatsachen als vorhanden voraussetzt, doch eben damit sie als seine Zukunft setzt, feiert er, zum erstenmal hungernd und dürstend auf eine neue Weise, das Abendmahl seiner geistigen Erlösung vorweg.

Nur weil dieser innere Zwang die Dinge zu steigern, zu idealisieren, schon im primitivsten Sinn: „schöpferisch sich verhalten“ bedeutet, nur deshalb finden wir ihn auf den Gipfelpunkten menschlicher Betätigungen überall wieder zurück, auslaufend schließlich in die feinsten Spitzen menschlichen Erlebens. Aus diesem Grunde trägt unsre höchste Produktivität den eigentümlichen Charakter, daß sie sich fast mehr wie Empfängnis anfühlt, als wie die letzte Zuspitzung unserer Selbsttätigkeit, und daß unsern äußersten Leistungen ein Hingegebensein innewohnt an Werte über uns hinaus. Wo wir ganz Herrscher über das Leben sind wie niemals sonst, sind wir am allernächsten einer Weihestimmung und Andacht: denn dies sind nicht so sehr Arten eines besondern

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        <p>Nur weil dieser innere Zwang die Dinge zu steigern, zu idealisieren, schon im primitivsten Sinn: &#x201E;schöpferisch sich verhalten&#x201C; bedeutet, nur deshalb finden wir ihn auf den Gipfelpunkten menschlicher Betätigungen überall wieder zurück, auslaufend schließlich in die feinsten Spitzen menschlichen Erlebens. Aus diesem Grunde trägt unsre höchste Produktivität den eigentümlichen Charakter, daß sie sich fast mehr wie Empfängnis anfühlt, als wie die letzte Zuspitzung unserer Selbsttätigkeit, und daß unsern äußersten Leistungen ein Hingegebensein innewohnt an Werte über uns hinaus. Wo wir ganz Herrscher über das Leben sind wie niemals sonst, sind wir am allernächsten einer Weihestimmung und Andacht: denn dies sind nicht so sehr Arten eines besondern
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[31/0031] des faktisch gegebenen Fremdfeindlichen, eher als seine Überschätzung ins Ungreifbare zauberstarker Wirkungen, – aber doch nur, insofern gleichzeitig auch die menschliche Kraft vertiefter sich bewußt werden fühlt: sich fühlt, als nicht gleichdeutig mit der bloßen Stofflichkeit des Sichtbaren. Und deshalb, in allem Drang der Gegnerschaft, ist der Kampf nicht mehr nur das momentane Beutesuchen, sondern, damit zugleich, auch ein Erfassen der Einheit mit dem Umlebenden, darin das Tier noch ohne weiteres wurzelt; – ein Versuch, diese Einheit im Gotthaften, Zaubererhöhten zu erfahren. Ja, noch im Blut, das vergossen, im Fleisch, das verschlungen wird, schließt der Mensch, Kräfte tauschend mit dem Feinde, etwas von einem solchen Bund, von einer religiösen Vermählung; indem er Tatsachen als vorhanden voraussetzt, doch eben damit sie als seine Zukunft setzt, feiert er, zum erstenmal hungernd und dürstend auf eine neue Weise, das Abendmahl seiner geistigen Erlösung vorweg. Nur weil dieser innere Zwang die Dinge zu steigern, zu idealisieren, schon im primitivsten Sinn: „schöpferisch sich verhalten“ bedeutet, nur deshalb finden wir ihn auf den Gipfelpunkten menschlicher Betätigungen überall wieder zurück, auslaufend schließlich in die feinsten Spitzen menschlichen Erlebens. Aus diesem Grunde trägt unsre höchste Produktivität den eigentümlichen Charakter, daß sie sich fast mehr wie Empfängnis anfühlt, als wie die letzte Zuspitzung unserer Selbsttätigkeit, und daß unsern äußersten Leistungen ein Hingegebensein innewohnt an Werte über uns hinaus. Wo wir ganz Herrscher über das Leben sind wie niemals sonst, sind wir am allernächsten einer Weihestimmung und Andacht: denn dies sind nicht so sehr Arten eines besondern

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Zitationshilfe: Andreas-Salomé, Lou: Die Erotik. In: Die Gesellschaft. Sammlung sozialpsychologischer Monographien (Hg. Martin Buber), 33. Band. Frankfurt (Main), 1910, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/andreas_erotik_1910/31>, abgerufen am 20.04.2024.