Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

die mich tief betrübten, um dann mich wieder desto
höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wie¬
der zu mir selbst zu bringen, um mich von meiner
Leidenschaft zu heilen. So lebten wir eine lange
schmerzliche Weile uns zur gegenseitigen Qual, bis
-- wir uns verstanden haben. Nun aber haben wir
es, und ich bitte es ihm tausendmal im Herzen ab,
wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden,
und wie mußte er erst leiden, indem er mir und sich
zugleich so unaussprechlich wehe that."

Wandel, der etwas unaufmerksam gesessen, warf
hier einen forschenden Blick auf die Rednerin. Er
hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die
Geschichte interessirte auch ihn nicht mehr besonders,
oder er war im Nachsinnen, wie er ihr eine andre
Wendung beibringe, um ihr wieder ein Interesse abzu¬
gewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem
empfindsamen Roman plötzlich die Seiten umschlägt,
um die Motive eines den Leser überraschenden Sinnes¬
umschlags zu erfahren, mit der er sie rasch fragte:

"Und das hat er Ihnen alles gesagt?"

"Kein Wort."

"Ah, also die Sympathie der Seelen!"

"Warum senken Sie die Augen?"

Er mußte sich gestehen, daß diese Wendung dem,
was die Freunde wollten, am wenigsten entspreche:

"Oh, das ist ein Thema, rief er, bodenlos, un¬
ergründlich."

"Sie erschrecken ja beinah."

die mich tief betrübten, um dann mich wieder deſto
höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wie¬
der zu mir ſelbſt zu bringen, um mich von meiner
Leidenſchaft zu heilen. So lebten wir eine lange
ſchmerzliche Weile uns zur gegenſeitigen Qual, bis
— wir uns verſtanden haben. Nun aber haben wir
es, und ich bitte es ihm tauſendmal im Herzen ab,
wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden,
und wie mußte er erſt leiden, indem er mir und ſich
zugleich ſo unausſprechlich wehe that.“

Wandel, der etwas unaufmerkſam geſeſſen, warf
hier einen forſchenden Blick auf die Rednerin. Er
hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die
Geſchichte intereſſirte auch ihn nicht mehr beſonders,
oder er war im Nachſinnen, wie er ihr eine andre
Wendung beibringe, um ihr wieder ein Intereſſe abzu¬
gewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem
empfindſamen Roman plötzlich die Seiten umſchlägt,
um die Motive eines den Leſer überraſchenden Sinnes¬
umſchlags zu erfahren, mit der er ſie raſch fragte:

„Und das hat er Ihnen alles geſagt?“

„Kein Wort.“

„Ah, alſo die Sympathie der Seelen!“

„Warum ſenken Sie die Augen?“

Er mußte ſich geſtehen, daß dieſe Wendung dem,
was die Freunde wollten, am wenigſten entſpreche:

„Oh, das iſt ein Thema, rief er, bodenlos, un¬
ergründlich.“

„Sie erſchrecken ja beinah.“

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0046" n="36"/>
die mich tief betrübten, um dann mich wieder de&#x017F;to<lb/>
höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wie¬<lb/>
der zu mir &#x017F;elb&#x017F;t zu bringen, um mich von meiner<lb/>
Leiden&#x017F;chaft zu heilen. So lebten wir eine lange<lb/>
&#x017F;chmerzliche Weile uns zur gegen&#x017F;eitigen Qual, bis<lb/>
&#x2014; wir uns ver&#x017F;tanden haben. Nun aber haben wir<lb/>
es, und ich bitte es ihm tau&#x017F;endmal im Herzen ab,<lb/>
wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden,<lb/>
und wie mußte er er&#x017F;t leiden, indem er mir und &#x017F;ich<lb/>
zugleich &#x017F;o unaus&#x017F;prechlich wehe that.&#x201C;</p><lb/>
        <p>Wandel, der etwas unaufmerk&#x017F;am ge&#x017F;e&#x017F;&#x017F;en, warf<lb/>
hier einen for&#x017F;chenden Blick auf die Rednerin. Er<lb/>
hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die<lb/>
Ge&#x017F;chichte intere&#x017F;&#x017F;irte auch ihn nicht mehr be&#x017F;onders,<lb/>
oder er war im Nach&#x017F;innen, wie er ihr eine andre<lb/>
Wendung beibringe, um ihr wieder ein Intere&#x017F;&#x017F;e abzu¬<lb/>
gewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem<lb/>
empfind&#x017F;amen Roman plötzlich die Seiten um&#x017F;chlägt,<lb/>
um die Motive eines den Le&#x017F;er überra&#x017F;chenden Sinnes¬<lb/>
um&#x017F;chlags zu erfahren, mit der er &#x017F;ie ra&#x017F;ch fragte:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Und das hat er Ihnen alles ge&#x017F;agt?&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Kein Wort.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Ah, al&#x017F;o die Sympathie der Seelen!&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Warum &#x017F;enken Sie die Augen?&#x201C;</p><lb/>
        <p>Er mußte &#x017F;ich ge&#x017F;tehen, daß die&#x017F;e Wendung dem,<lb/>
was die Freunde wollten, am wenig&#x017F;ten ent&#x017F;preche:</p><lb/>
        <p>&#x201E;Oh, das i&#x017F;t ein Thema, rief er, bodenlos, un¬<lb/>
ergründlich.&#x201C;</p><lb/>
        <p>&#x201E;Sie er&#x017F;chrecken ja beinah.&#x201C;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[36/0046] die mich tief betrübten, um dann mich wieder deſto höher zu erheben. Er beleidigte mich, um mich wie¬ der zu mir ſelbſt zu bringen, um mich von meiner Leidenſchaft zu heilen. So lebten wir eine lange ſchmerzliche Weile uns zur gegenſeitigen Qual, bis — wir uns verſtanden haben. Nun aber haben wir es, und ich bitte es ihm tauſendmal im Herzen ab, wie ich ihm Unrecht gethan. Ich glaubte zu leiden, und wie mußte er erſt leiden, indem er mir und ſich zugleich ſo unausſprechlich wehe that.“ Wandel, der etwas unaufmerkſam geſeſſen, warf hier einen forſchenden Blick auf die Rednerin. Er hatte manches, aber dies grade nicht erwartet. Die Geſchichte intereſſirte auch ihn nicht mehr beſonders, oder er war im Nachſinnen, wie er ihr eine andre Wendung beibringe, um ihr wieder ein Intereſſe abzu¬ gewinnen. Es war die Neugier, wie man in einem empfindſamen Roman plötzlich die Seiten umſchlägt, um die Motive eines den Leſer überraſchenden Sinnes¬ umſchlags zu erfahren, mit der er ſie raſch fragte: „Und das hat er Ihnen alles geſagt?“ „Kein Wort.“ „Ah, alſo die Sympathie der Seelen!“ „Warum ſenken Sie die Augen?“ Er mußte ſich geſtehen, daß dieſe Wendung dem, was die Freunde wollten, am wenigſten entſpreche: „Oh, das iſt ein Thema, rief er, bodenlos, un¬ ergründlich.“ „Sie erſchrecken ja beinah.“

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/46
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 4. Berlin, 1852, S. 36. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe04_1852/46>, abgerufen am 24.04.2024.