selbst, hüllt Ihr Euch in Wolkenpalläste und klam¬ mert Euch an Systeme, die beim nächsten Sturm¬ wind zerrissen sind. Dies Scheinleben ist das Zehr¬ fieber, das Euren Staat vom Wirbel bis zur Zeh entnervt. Eine angezündete Fackel wollten sie neu¬ lich schleudern, ein Weltbrand sollte es werden, aber sie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da, in den Flammenzückungen dieses verunglückten Thea¬ terabends konnte man die ganze Misere erkennen. -- Auf dem Theater sollte die Welt zurecht gelegt wer¬ den, und mit Recht, denn diese Welt ist nur eine Theatervorstellung. Man spielt sich selbst und ist zufrieden, wenn man gut gespielt hat."
Fuchsius hatte mit verschränkten Armen und verbissenem Munde schweigend zugehört. Jetzt öff¬ nete er ihn, aber, was er sagen wollte, schien er rasch zu verschlucken. Tonlos sprach er:
"Sie aber sind noch nicht zu Ende, Major. Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlit¬ tenpartie der Gensdarmen der Nation auf ihr Schuld¬ conto schreiben würde."
"Ist denn seit vierzehn Tagen von Besserem die Rede? Ist Mark und Niere durchschüttert von der Satire des Weltgeschickes, daß man auf den Brettern den Krieg spielte, derweil er draußen im Blute von Austerlitz schon ersäuft war, daß man über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die Blätter Lorbeern den Russen zuschmeißen, derweil in den unterrichteten Kreisen Jeder vom Gegentheil
ſelbſt, hüllt Ihr Euch in Wolkenpalläſte und klam¬ mert Euch an Syſteme, die beim nächſten Sturm¬ wind zerriſſen ſind. Dies Scheinleben iſt das Zehr¬ fieber, das Euren Staat vom Wirbel bis zur Zeh entnervt. Eine angezündete Fackel wollten ſie neu¬ lich ſchleudern, ein Weltbrand ſollte es werden, aber ſie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da, in den Flammenzückungen dieſes verunglückten Thea¬ terabends konnte man die ganze Miſere erkennen. — Auf dem Theater ſollte die Welt zurecht gelegt wer¬ den, und mit Recht, denn dieſe Welt iſt nur eine Theatervorſtellung. Man ſpielt ſich ſelbſt und iſt zufrieden, wenn man gut geſpielt hat.“
Fuchſius hatte mit verſchränkten Armen und verbiſſenem Munde ſchweigend zugehört. Jetzt öff¬ nete er ihn, aber, was er ſagen wollte, ſchien er raſch zu verſchlucken. Tonlos ſprach er:
„Sie aber ſind noch nicht zu Ende, Major. Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlit¬ tenpartie der Gensdarmen der Nation auf ihr Schuld¬ conto ſchreiben würde.“
„Iſt denn ſeit vierzehn Tagen von Beſſerem die Rede? Iſt Mark und Niere durchſchüttert von der Satire des Weltgeſchickes, daß man auf den Brettern den Krieg ſpielte, derweil er draußen im Blute von Auſterlitz ſchon erſäuft war, daß man über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die Blätter Lorbeern den Ruſſen zuſchmeißen, derweil in den unterrichteten Kreiſen Jeder vom Gegentheil
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ſelbſt, hüllt Ihr Euch in Wolkenpalläſte und klam¬
mert Euch an Syſteme, die beim nächſten Sturm¬
wind zerriſſen ſind. Dies Scheinleben iſt das Zehr¬
fieber, das Euren Staat vom Wirbel bis zur Zeh
entnervt. Eine angezündete Fackel wollten ſie neu¬
lich ſchleudern, ein Weltbrand ſollte es werden, aber
ſie waren zufrieden mit Kolophoniumblitzen. Da,
in den Flammenzückungen dieſes verunglückten Thea¬
terabends konnte man die ganze Miſere erkennen. —
Auf dem Theater ſollte die Welt zurecht gelegt wer¬
den, und mit Recht, denn dieſe Welt iſt nur eine
Theatervorſtellung. Man ſpielt ſich ſelbſt und iſt
zufrieden, wenn man gut geſpielt hat.“
Fuchſius hatte mit verſchränkten Armen und
verbiſſenem Munde ſchweigend zugehört. Jetzt öff¬
nete er ihn, aber, was er ſagen wollte, ſchien er raſch
zu verſchlucken. Tonlos ſprach er:
„Sie aber ſind noch nicht zu Ende, Major.
Ich erwartete, daß Ihre Philippica auch die Schlit¬
tenpartie der Gensdarmen der Nation auf ihr Schuld¬
conto ſchreiben würde.“
„Iſt denn ſeit vierzehn Tagen von Beſſerem
die Rede? Iſt Mark und Niere durchſchüttert von
der Satire des Weltgeſchickes, daß man auf den
Brettern den Krieg ſpielte, derweil er draußen im
Blute von Auſterlitz ſchon erſäuft war, daß man
über einen Sieg jubeln konnte, tagelang noch die
Blätter Lorbeern den Ruſſen zuſchmeißen, derweil in
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Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 299. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/309>, abgerufen am 24.04.2024.
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