Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852.

Bild:
<< vorherige Seite

Die Thurmuhr präludirte und die Glocken
huben ihr: Ueb immer Treu und Redlichkeit! an.

"O süßer Leierkasten, der durch die Welt geht,
und uns das Spiel mit den Narren und Phantasten
um so vieles erleichtert!" sprach er, sich langsam
fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die
Orgel mit leisen Schlägen einen alten Choral anhub.

Der Orgelspieler war nicht sichtbar, auch die
Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geschah,
brannten nicht officiell, man suchte sie hinter den
Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuschauer, in
Mänteln und unscheinbaren Pelzen verhüllt, ein dop¬
peltes Incognito zu bewahren suchten. Unter den Män¬
teln war mancher Stern verborgen, manches Herz
pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du sonst nur
Flattersinn und eitle Lust spielen sahst, durchzuckte
hier ein banger Ernst. Die Orgeltöne schienen in
der dunkeln Kirche mehr die Stille symbolisch an¬
zudeuten, als daß sie dieselbe unterbrachen. Es war
lautlos, ein verhaltener Athem.

So war es möglich, daß man jetzt ein Geräusch
zu hören glaubte, was man sonst nicht gehört hätte.
Es war nicht sein Geist, der durch die Räume
schritt, in denen er nie geweilt, sonst würden sie
nicht die Köpfe vorgesteckt, nicht sich gebückt und
die Hände ans Ohr gelegt haben, um besser zu horchen.
"Sie weint," flüstert eine Stimme dem Nachbarn zu;
"Sie umarmen sich," eine andere. Bald ward die feier¬
liche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen;

Die Thurmuhr präludirte und die Glocken
huben ihr: Ueb immer Treu und Redlichkeit! an.

„O ſüßer Leierkaſten, der durch die Welt geht,
und uns das Spiel mit den Narren und Phantaſten
um ſo vieles erleichtert!“ ſprach er, ſich langſam
fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die
Orgel mit leiſen Schlägen einen alten Choral anhub.

Der Orgelſpieler war nicht ſichtbar, auch die
Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geſchah,
brannten nicht officiell, man ſuchte ſie hinter den
Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuſchauer, in
Mänteln und unſcheinbaren Pelzen verhüllt, ein dop¬
peltes Incognito zu bewahren ſuchten. Unter den Män¬
teln war mancher Stern verborgen, manches Herz
pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du ſonſt nur
Flatterſinn und eitle Luſt ſpielen ſahſt, durchzuckte
hier ein banger Ernſt. Die Orgeltöne ſchienen in
der dunkeln Kirche mehr die Stille ſymboliſch an¬
zudeuten, als daß ſie dieſelbe unterbrachen. Es war
lautlos, ein verhaltener Athem.

So war es möglich, daß man jetzt ein Geräuſch
zu hören glaubte, was man ſonſt nicht gehört hätte.
Es war nicht ſein Geiſt, der durch die Räume
ſchritt, in denen er nie geweilt, ſonſt würden ſie
nicht die Köpfe vorgeſteckt, nicht ſich gebückt und
die Hände ans Ohr gelegt haben, um beſſer zu horchen.
„Sie weint,“ flüſtert eine Stimme dem Nachbarn zu;
„Sie umarmen ſich,“ eine andere. Bald ward die feier¬
liche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen;

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <pb facs="#f0165" n="155"/>
        <p>Die Thurmuhr präludirte und die Glocken<lb/>
huben ihr: Ueb immer Treu und Redlichkeit! an.</p><lb/>
        <p>&#x201E;O &#x017F;üßer Leierka&#x017F;ten, der durch die Welt geht,<lb/>
und uns das Spiel mit den Narren und Phanta&#x017F;ten<lb/>
um &#x017F;o vieles erleichtert!&#x201C; &#x017F;prach er, &#x017F;ich lang&#x017F;am<lb/>
fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die<lb/>
Orgel mit lei&#x017F;en Schlägen einen alten Choral anhub.</p><lb/>
        <p>Der Orgel&#x017F;pieler war nicht &#x017F;ichtbar, auch die<lb/>
Fackeln, von denen vorhin Erwähnung ge&#x017F;chah,<lb/>
brannten nicht officiell, man &#x017F;uchte &#x017F;ie hinter den<lb/>
Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zu&#x017F;chauer, in<lb/>
Mänteln und un&#x017F;cheinbaren Pelzen verhüllt, ein dop¬<lb/>
peltes Incognito zu bewahren &#x017F;uchten. Unter den Män¬<lb/>
teln war mancher Stern verborgen, manches Herz<lb/>
pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du &#x017F;on&#x017F;t nur<lb/>
Flatter&#x017F;inn und eitle Lu&#x017F;t &#x017F;pielen &#x017F;ah&#x017F;t, durchzuckte<lb/>
hier ein banger Ern&#x017F;t. Die Orgeltöne &#x017F;chienen in<lb/>
der dunkeln Kirche mehr die Stille &#x017F;ymboli&#x017F;ch an¬<lb/>
zudeuten, als daß &#x017F;ie die&#x017F;elbe unterbrachen. Es war<lb/>
lautlos, ein verhaltener Athem.</p><lb/>
        <p>So war es möglich, daß man jetzt ein Geräu&#x017F;ch<lb/>
zu hören glaubte, was man &#x017F;on&#x017F;t nicht gehört hätte.<lb/>
Es war nicht &#x017F;ein Gei&#x017F;t, der durch die Räume<lb/>
&#x017F;chritt, in denen er nie geweilt, &#x017F;on&#x017F;t würden &#x017F;ie<lb/>
nicht die Köpfe vorge&#x017F;teckt, nicht &#x017F;ich gebückt und<lb/>
die Hände ans Ohr gelegt haben, um be&#x017F;&#x017F;er zu horchen.<lb/>
&#x201E;Sie weint,&#x201C; flü&#x017F;tert eine Stimme dem Nachbarn zu;<lb/>
&#x201E;Sie umarmen &#x017F;ich,&#x201C; eine andere. Bald ward die feier¬<lb/>
liche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen;<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[155/0165] Die Thurmuhr präludirte und die Glocken huben ihr: Ueb immer Treu und Redlichkeit! an. „O ſüßer Leierkaſten, der durch die Welt geht, und uns das Spiel mit den Narren und Phantaſten um ſo vieles erleichtert!“ ſprach er, ſich langſam fortbewegend. Er lächelte, als aus der Kirche die Orgel mit leiſen Schlägen einen alten Choral anhub. Der Orgelſpieler war nicht ſichtbar, auch die Fackeln, von denen vorhin Erwähnung geſchah, brannten nicht officiell, man ſuchte ſie hinter den Pfeilern zu verbergen, gleich wie die Zuſchauer, in Mänteln und unſcheinbaren Pelzen verhüllt, ein dop¬ peltes Incognito zu bewahren ſuchten. Unter den Män¬ teln war mancher Stern verborgen, manches Herz pochte hörbar, und das Auge, auf dem Du ſonſt nur Flatterſinn und eitle Luſt ſpielen ſahſt, durchzuckte hier ein banger Ernſt. Die Orgeltöne ſchienen in der dunkeln Kirche mehr die Stille ſymboliſch an¬ zudeuten, als daß ſie dieſelbe unterbrachen. Es war lautlos, ein verhaltener Athem. So war es möglich, daß man jetzt ein Geräuſch zu hören glaubte, was man ſonſt nicht gehört hätte. Es war nicht ſein Geiſt, der durch die Räume ſchritt, in denen er nie geweilt, ſonſt würden ſie nicht die Köpfe vorgeſteckt, nicht ſich gebückt und die Hände ans Ohr gelegt haben, um beſſer zu horchen. „Sie weint,“ flüſtert eine Stimme dem Nachbarn zu; „Sie umarmen ſich,“ eine andere. Bald ward die feier¬ liche Stille durch das Knarren der Thür unterbrochen;

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/165
Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Ruhe ist die erste Bürgerpflicht oder Vor fünfzig Jahren. Bd. 3. Berlin, 1852, S. 155. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_ruhe03_1852/165>, abgerufen am 28.03.2024.