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Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100.

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Freilich erreichten sie nie das Maaß der Vergeltung.
Es war mehr komisch als ernsthaft, als ich zwei kräf-
tige Schuhmacher mit Pommerschen Fäusten auf dem
Dache eines verlassenen Schlosses herumsteigen sah. Mit
ihren Hirschfängern hieben sie unter Lebensgefahr die
schweren bleiernen Dachrinnen ab, nicht wie Georg im
Götz, um Kugeln daraus zu gießen, sondern um sie zu
verkaufen. Der Krämer des Orts wurde herbeige-
schleppt und sollte bieten. Oben stand der Jäger be-
reit zum Zuschlage mit dem blanken Schwerte. Da
der Handelsmann aber die seltsame Jdee hatte, wenn
die Rinne oben hängen bliebe, behielte sie der alte
Eigenthümer, wenn sie aber herabfiele, bekäme er sie
ohne dies, indem der Verkäufer schwerlich mehrere
Centner auf seinen Schultern fortschleppen würde, so
bot er unbegreiflich wenig, was unserem guten Pommer-
schen Landsmann eine unverschämte Betrügerei dünkte.
Jn diesem Kloster, erinnere ich mich, daß Preußische
Landwehrmänner sechs Wochen lang unter Todesge-
fahr hinaufkletterten, um die eiserne Wetterfahne eines
Thurms abzubrechen. Sie war so fest im Mauerwerk
wie das eiserne Kreuz des heiligen Jwan auf dem
Kreml zu Moskau. Es wurde zur Ehrensache. End-
lich errang einer die Trophäe, und löste dafür --
zwei Sous! Jn einem vielfältig verwüsteten Zimmer

Freilich erreichten ſie nie das Maaß der Vergeltung.
Es war mehr komiſch als ernſthaft, als ich zwei kräf-
tige Schuhmacher mit Pommerſchen Fäuſten auf dem
Dache eines verlaſſenen Schloſſes herumſteigen ſah. Mit
ihren Hirſchfängern hieben ſie unter Lebensgefahr die
ſchweren bleiernen Dachrinnen ab, nicht wie Georg im
Götz, um Kugeln daraus zu gießen, ſondern um ſie zu
verkaufen. Der Krämer des Orts wurde herbeige-
ſchleppt und ſollte bieten. Oben ſtand der Jäger be-
reit zum Zuſchlage mit dem blanken Schwerte. Da
der Handelsmann aber die ſeltſame Jdee hatte, wenn
die Rinne oben hängen bliebe, behielte ſie der alte
Eigenthümer, wenn ſie aber herabfiele, bekäme er ſie
ohne dies, indem der Verkäufer ſchwerlich mehrere
Centner auf ſeinen Schultern fortſchleppen würde, ſo
bot er unbegreiflich wenig, was unſerem guten Pommer-
ſchen Landsmann eine unverſchämte Betrügerei dünkte.
Jn dieſem Kloſter, erinnere ich mich, daß Preußiſche
Landwehrmänner ſechs Wochen lang unter Todesge-
fahr hinaufkletterten, um die eiſerne Wetterfahne eines
Thurms abzubrechen. Sie war ſo feſt im Mauerwerk
wie das eiſerne Kreuz des heiligen Jwan auf dem
Kreml zu Moskau. Es wurde zur Ehrenſache. End-
lich errang einer die Trophäe, und löſte dafür —
zwei Sous! Jn einem vielfältig verwüſteten Zimmer

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[0013] Freilich erreichten ſie nie das Maaß der Vergeltung. Es war mehr komiſch als ernſthaft, als ich zwei kräf- tige Schuhmacher mit Pommerſchen Fäuſten auf dem Dache eines verlaſſenen Schloſſes herumſteigen ſah. Mit ihren Hirſchfängern hieben ſie unter Lebensgefahr die ſchweren bleiernen Dachrinnen ab, nicht wie Georg im Götz, um Kugeln daraus zu gießen, ſondern um ſie zu verkaufen. Der Krämer des Orts wurde herbeige- ſchleppt und ſollte bieten. Oben ſtand der Jäger be- reit zum Zuſchlage mit dem blanken Schwerte. Da der Handelsmann aber die ſeltſame Jdee hatte, wenn die Rinne oben hängen bliebe, behielte ſie der alte Eigenthümer, wenn ſie aber herabfiele, bekäme er ſie ohne dies, indem der Verkäufer ſchwerlich mehrere Centner auf ſeinen Schultern fortſchleppen würde, ſo bot er unbegreiflich wenig, was unſerem guten Pommer- ſchen Landsmann eine unverſchämte Betrügerei dünkte. Jn dieſem Kloſter, erinnere ich mich, daß Preußiſche Landwehrmänner ſechs Wochen lang unter Todesge- fahr hinaufkletterten, um die eiſerne Wetterfahne eines Thurms abzubrechen. Sie war ſo feſt im Mauerwerk wie das eiſerne Kreuz des heiligen Jwan auf dem Kreml zu Moskau. Es wurde zur Ehrenſache. End- lich errang einer die Trophäe, und löſte dafür — zwei Sous! Jn einem vielfältig verwüſteten Zimmer

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Zitationshilfe: Alexis, Willibald: Iblou. In: Ders.: Gesammelte Novellen. Erster Band. Berlin, 1830, S. 1–100, hier S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/alexis_iblou_1830/13>, abgerufen am 29.03.2024.