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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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keit zur Organminderwertigkeit und deren Konsequenzen auf sicherer
Basis stehen.

Der vertiefte autoerotische Zug, den der Enuretiker aufweist, das
gesteigerte Interesse an den eigenen Sexualphänomenen läßt es be-
greiflich erscheinen, daß ihn an anderen Personen, falls keine andere
Erledigung zustande kommt, vor allem das gleiche Sexualorgan an-
zieht. In einigen Fällen konnte ich diesen Zusammenhang feststellen,
so daß uns die Homosexualität und der Exhibitionismus als Erschei-
nungen an Personen mit minderwertigem Sexualorgan, oft im Vereine
mit enuretischer Konstitution begreiflich wird.

Zum Schlusse muß ich noch hervorheben, daß die große Häufig-
keit der Enuresis bei jugendlichen und Gewohnheitsverbrechern nicht
schwer zu verstehen ist. Beides, Blasenfunktion wie Impulse, stehen
bei ausgebreiteter Minderwertigkeit des Zentralnervensystems zu-
weilen ohne kompensatorische Begrenzung da und folgen ihrer Natur
ohne Rücksicht auf die kulturelle Mission.

Die Zeichen angestrengterer Bewußtseinsleistung, die zur Kom-
pensation des Zentralnervensystems führt, wird man höchstens bei
Idioten völlig, bei jugendlichen Verbrechern zum Teil vermissen. In
deutlicher, wenn auch abnormer Weise äußern sie sich bei Neurasthenie,
Hypochondrie, Hysterie, Epilepsie, Paranoia, Zwangs- und Angstneurose.
Unter günstigen Umständen können sie aber auch einer anderen Ka-
tegorie von Menschen anhaften, hervorragend leistungsfähigen Köpfen,
hochbegabten und genialen Naturen, bei deren Betrachtung wir erkennen
müssen, daß die psychische Arbeitsleistung zur Hintanhaltung der
Enurese im Einklang mit einem gewaltigen Training der psychomoto-
rischen Sphäre zu körperlicher und geistiger Überwertigkeit Veran-
lassung gegeben hat. Sehr oft ergeben sich dabei Grenz- und Misch-
fälle mit nicht völlig geglückter Überkompensation.

Ich lasse nunmehr in Kürze jenes Material folgen, dem ich meine
Befunde bei Minderwertigkeit der Harnorgane verdanke; die Auswahl
geschah entsprechend dem Vorkommen des Kinderfehlers, der Enuresis,
im Stammbaum.

1. Siegfried H.*), 34 Jahre alt, Kaufmann, klagt über zeitweilig
auftretende Aufregungszustände, Druck in der Herzgegend, Angstgefühle
und Impotenz. Leidet seit der Kindheit an Obstipation und hat mehr-
mals heftige Bauchkoliken durchgemacht. Im Verlaufe einer schweren

*) Die Namen sind vielfach verändert und die Träger derselben dürften wohl
ziemlich unkenntlich sein.

keit zur Organminderwertigkeit und deren Konsequenzen auf sicherer
Basis stehen.

Der vertiefte autoerotische Zug, den der Enuretiker aufweist, das
gesteigerte Interesse an den eigenen Sexualphänomenen läßt es be-
greiflich erscheinen, daß ihn an anderen Personen, falls keine andere
Erledigung zustande kommt, vor allem das gleiche Sexualorgan an-
zieht. In einigen Fällen konnte ich diesen Zusammenhang feststellen,
so daß uns die Homosexualität und der Exhibitionismus als Erschei-
nungen an Personen mit minderwertigem Sexualorgan, oft im Vereine
mit enuretischer Konstitution begreiflich wird.

Zum Schlusse muß ich noch hervorheben, daß die große Häufig-
keit der Enuresis bei jugendlichen und Gewohnheitsverbrechern nicht
schwer zu verstehen ist. Beides, Blasenfunktion wie Impulse, stehen
bei ausgebreiteter Minderwertigkeit des Zentralnervensystems zu-
weilen ohne kompensatorische Begrenzung da und folgen ihrer Natur
ohne Rücksicht auf die kulturelle Mission.

Die Zeichen angestrengterer Bewußtseinsleistung, die zur Kom-
pensation des Zentralnervensystems führt, wird man höchstens bei
Idioten völlig, bei jugendlichen Verbrechern zum Teil vermissen. In
deutlicher, wenn auch abnormer Weise äußern sie sich bei Neurasthenie,
Hypochondrie, Hysterie, Epilepsie, Paranoia, Zwangs- und Angstneurose.
Unter günstigen Umständen können sie aber auch einer anderen Ka-
tegorie von Menschen anhaften, hervorragend leistungsfähigen Köpfen,
hochbegabten und genialen Naturen, bei deren Betrachtung wir erkennen
müssen, daß die psychische Arbeitsleistung zur Hintanhaltung der
Enurese im Einklang mit einem gewaltigen Training der psychomoto-
rischen Sphäre zu körperlicher und geistiger Überwertigkeit Veran-
lassung gegeben hat. Sehr oft ergeben sich dabei Grenz- und Misch-
fälle mit nicht völlig geglückter Überkompensation.

Ich lasse nunmehr in Kürze jenes Material folgen, dem ich meine
Befunde bei Minderwertigkeit der Harnorgane verdanke; die Auswahl
geschah entsprechend dem Vorkommen des Kinderfehlers, der Enuresis,
im Stammbaum.

1. Siegfried H.*), 34 Jahre alt, Kaufmann, klagt über zeitweilig
auftretende Aufregungszustände, Druck in der Herzgegend, Angstgefühle
und Impotenz. Leidet seit der Kindheit an Obstipation und hat mehr-
mals heftige Bauchkoliken durchgemacht. Im Verlaufe einer schweren

*) Die Namen sind vielfach verändert und die Träger derselben dürften wohl
ziemlich unkenntlich sein.
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[80/0092] keit zur Organminderwertigkeit und deren Konsequenzen auf sicherer Basis stehen. Der vertiefte autoerotische Zug, den der Enuretiker aufweist, das gesteigerte Interesse an den eigenen Sexualphänomenen läßt es be- greiflich erscheinen, daß ihn an anderen Personen, falls keine andere Erledigung zustande kommt, vor allem das gleiche Sexualorgan an- zieht. In einigen Fällen konnte ich diesen Zusammenhang feststellen, so daß uns die Homosexualität und der Exhibitionismus als Erschei- nungen an Personen mit minderwertigem Sexualorgan, oft im Vereine mit enuretischer Konstitution begreiflich wird. Zum Schlusse muß ich noch hervorheben, daß die große Häufig- keit der Enuresis bei jugendlichen und Gewohnheitsverbrechern nicht schwer zu verstehen ist. Beides, Blasenfunktion wie Impulse, stehen bei ausgebreiteter Minderwertigkeit des Zentralnervensystems zu- weilen ohne kompensatorische Begrenzung da und folgen ihrer Natur ohne Rücksicht auf die kulturelle Mission. Die Zeichen angestrengterer Bewußtseinsleistung, die zur Kom- pensation des Zentralnervensystems führt, wird man höchstens bei Idioten völlig, bei jugendlichen Verbrechern zum Teil vermissen. In deutlicher, wenn auch abnormer Weise äußern sie sich bei Neurasthenie, Hypochondrie, Hysterie, Epilepsie, Paranoia, Zwangs- und Angstneurose. Unter günstigen Umständen können sie aber auch einer anderen Ka- tegorie von Menschen anhaften, hervorragend leistungsfähigen Köpfen, hochbegabten und genialen Naturen, bei deren Betrachtung wir erkennen müssen, daß die psychische Arbeitsleistung zur Hintanhaltung der Enurese im Einklang mit einem gewaltigen Training der psychomoto- rischen Sphäre zu körperlicher und geistiger Überwertigkeit Veran- lassung gegeben hat. Sehr oft ergeben sich dabei Grenz- und Misch- fälle mit nicht völlig geglückter Überkompensation. Ich lasse nunmehr in Kürze jenes Material folgen, dem ich meine Befunde bei Minderwertigkeit der Harnorgane verdanke; die Auswahl geschah entsprechend dem Vorkommen des Kinderfehlers, der Enuresis, im Stammbaum. 1. Siegfried H. *), 34 Jahre alt, Kaufmann, klagt über zeitweilig auftretende Aufregungszustände, Druck in der Herzgegend, Angstgefühle und Impotenz. Leidet seit der Kindheit an Obstipation und hat mehr- mals heftige Bauchkoliken durchgemacht. Im Verlaufe einer schweren *) Die Namen sind vielfach verändert und die Träger derselben dürften wohl ziemlich unkenntlich sein.

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 80. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/92>, abgerufen am 29.03.2024.