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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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haft zu machen: Albuminurie bei Darmaffektionen, Nephritis bei Diabetes,
gleichzeitige Steinbildungen der Gallen- und Harnwege etc.

Auch bei den die Lungentuberkulose begleitenden Affektionen wird
es sich oft um Erscheinungen einer gleichzeitigen Minderwertigkeit
handeln. So bei Albuminurien, Glykosurien, Strumen, den früher er-
wähnten Magen-Darmerkrankungen, Herzaffektionen, Lymphadenitis und
bestimmten Hautaffektionen. Nehmen wir dabei primäre Minderwertig-
keiten des Harn-, des Darmapparates, der Haut usw. an, so wird leicht
verständlich, daß unter bestimmten Verhältnissen auch diese Organe an
Tuberkulose erkranken, sobald die Infektionsmöglichkeit gegeben ist.

Eine große Rolle spielt diese Koordination in bezug auf den
Sexualapparat und andere Organe, deren beider Minderwertigkeit oft
nur wenig ausgeprägt, aber so häufig vorzufinden ist, daß ich behaupten
möchte, es gibt keine Organminderwertigkeit ohne begleitende
Minderwertigkeit des Sexualapparates
. Diese Annahme wird von
vornherein durch die Erscheinung der Heredität in der Minderwertig-
keitslehre wahrscheinlich gemacht. Da nun die hereditäre Schwäche im
Spermatozoon und Ovulum präformiert sein muß, ist es zu verstehen,
daß die Bildungsstätten beider, im weiteren Ausmaße der ganze Sexual-
apparat an der Minderwertigkeit partizipiert. Dies scheint mir ein
Grundgesetz der Organminderwertigkeitslehre, daß jede Organminder-
wertigkeit ihre Heredität durchsetzt und geltend macht auf
Grundlage einer begleitenden Minderwertigkeit im Sexual-
apparat
. Dabei hat uns vorläufig der historische Beginn der Organminder-
wertigkeit nicht zu kümmern, deren hereditäre Bedeutung offenbar auch
erst mit dem Ergriffensein der Sexualsphäre in Erscheinung treten konnte.
Die Annahme einer inneren Sekretion der Geschlechtsdrüsen tangiert
unsere Beweisführung wenig. Bestehen auch Sekretionsmangel oder
Hyperfunktion zurecht, sie könnten wieder nur auf andere Organe je
nach deren Minderwertigkeitsgrad wirken, die sich selbst so als
minderwertig bekundeten. Das ungetrübte Bild solcher aufeinander
wirkender Organe erhält man erst durch die Postulierung einer gleich-
zeitigen Minderwertigkeit. Die Untersuchungen aus dieser Gruppe werden
ein riesiges Gebiet zu umfassen haben. Vorarbeiten, die übrigens wieder
nicht unserem Standpunkt der gleichzeitigen Minderwertigkeiten gerecht
werden, liegen in überwältigender Fülle vor und bedürfen meist nur
einer Weiterdeutung in unserem Sinne. So der Zusammenhang von
Lageanomalien, Flexionen, Infantilismus, Menstruation, Gravidität,
Klimakterium mit Affektionen des Verdauungsapparates, des Blutes, der
Niere, des Herzens und der Lungen. So auch die Hartnäckigkeit und

haft zu machen: Albuminurie bei Darmaffektionen, Nephritis bei Diabetes,
gleichzeitige Steinbildungen der Gallen- und Harnwege etc.

Auch bei den die Lungentuberkulose begleitenden Affektionen wird
es sich oft um Erscheinungen einer gleichzeitigen Minderwertigkeit
handeln. So bei Albuminurien, Glykosurien, Strumen, den früher er-
wähnten Magen-Darmerkrankungen, Herzaffektionen, Lymphadenitis und
bestimmten Hautaffektionen. Nehmen wir dabei primäre Minderwertig-
keiten des Harn-, des Darmapparates, der Haut usw. an, so wird leicht
verständlich, daß unter bestimmten Verhältnissen auch diese Organe an
Tuberkulose erkranken, sobald die Infektionsmöglichkeit gegeben ist.

Eine große Rolle spielt diese Koordination in bezug auf den
Sexualapparat und andere Organe, deren beider Minderwertigkeit oft
nur wenig ausgeprägt, aber so häufig vorzufinden ist, daß ich behaupten
möchte, es gibt keine Organminderwertigkeit ohne begleitende
Minderwertigkeit des Sexualapparates
. Diese Annahme wird von
vornherein durch die Erscheinung der Heredität in der Minderwertig-
keitslehre wahrscheinlich gemacht. Da nun die hereditäre Schwäche im
Spermatozoon und Ovulum präformiert sein muß, ist es zu verstehen,
daß die Bildungsstätten beider, im weiteren Ausmaße der ganze Sexual-
apparat an der Minderwertigkeit partizipiert. Dies scheint mir ein
Grundgesetz der Organminderwertigkeitslehre, daß jede Organminder-
wertigkeit ihre Heredität durchsetzt und geltend macht auf
Grundlage einer begleitenden Minderwertigkeit im Sexual-
apparat
. Dabei hat uns vorläufig der historische Beginn der Organminder-
wertigkeit nicht zu kümmern, deren hereditäre Bedeutung offenbar auch
erst mit dem Ergriffensein der Sexualsphäre in Erscheinung treten konnte.
Die Annahme einer inneren Sekretion der Geschlechtsdrüsen tangiert
unsere Beweisführung wenig. Bestehen auch Sekretionsmangel oder
Hyperfunktion zurecht, sie könnten wieder nur auf andere Organe je
nach deren Minderwertigkeitsgrad wirken, die sich selbst so als
minderwertig bekundeten. Das ungetrübte Bild solcher aufeinander
wirkender Organe erhält man erst durch die Postulierung einer gleich-
zeitigen Minderwertigkeit. Die Untersuchungen aus dieser Gruppe werden
ein riesiges Gebiet zu umfassen haben. Vorarbeiten, die übrigens wieder
nicht unserem Standpunkt der gleichzeitigen Minderwertigkeiten gerecht
werden, liegen in überwältigender Fülle vor und bedürfen meist nur
einer Weiterdeutung in unserem Sinne. So der Zusammenhang von
Lageanomalien, Flexionen, Infantilismus, Menstruation, Gravidität,
Klimakterium mit Affektionen des Verdauungsapparates, des Blutes, der
Niere, des Herzens und der Lungen. So auch die Hartnäckigkeit und

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[59/0071] haft zu machen: Albuminurie bei Darmaffektionen, Nephritis bei Diabetes, gleichzeitige Steinbildungen der Gallen- und Harnwege etc. Auch bei den die Lungentuberkulose begleitenden Affektionen wird es sich oft um Erscheinungen einer gleichzeitigen Minderwertigkeit handeln. So bei Albuminurien, Glykosurien, Strumen, den früher er- wähnten Magen-Darmerkrankungen, Herzaffektionen, Lymphadenitis und bestimmten Hautaffektionen. Nehmen wir dabei primäre Minderwertig- keiten des Harn-, des Darmapparates, der Haut usw. an, so wird leicht verständlich, daß unter bestimmten Verhältnissen auch diese Organe an Tuberkulose erkranken, sobald die Infektionsmöglichkeit gegeben ist. Eine große Rolle spielt diese Koordination in bezug auf den Sexualapparat und andere Organe, deren beider Minderwertigkeit oft nur wenig ausgeprägt, aber so häufig vorzufinden ist, daß ich behaupten möchte, es gibt keine Organminderwertigkeit ohne begleitende Minderwertigkeit des Sexualapparates. Diese Annahme wird von vornherein durch die Erscheinung der Heredität in der Minderwertig- keitslehre wahrscheinlich gemacht. Da nun die hereditäre Schwäche im Spermatozoon und Ovulum präformiert sein muß, ist es zu verstehen, daß die Bildungsstätten beider, im weiteren Ausmaße der ganze Sexual- apparat an der Minderwertigkeit partizipiert. Dies scheint mir ein Grundgesetz der Organminderwertigkeitslehre, daß jede Organminder- wertigkeit ihre Heredität durchsetzt und geltend macht auf Grundlage einer begleitenden Minderwertigkeit im Sexual- apparat. Dabei hat uns vorläufig der historische Beginn der Organminder- wertigkeit nicht zu kümmern, deren hereditäre Bedeutung offenbar auch erst mit dem Ergriffensein der Sexualsphäre in Erscheinung treten konnte. Die Annahme einer inneren Sekretion der Geschlechtsdrüsen tangiert unsere Beweisführung wenig. Bestehen auch Sekretionsmangel oder Hyperfunktion zurecht, sie könnten wieder nur auf andere Organe je nach deren Minderwertigkeitsgrad wirken, die sich selbst so als minderwertig bekundeten. Das ungetrübte Bild solcher aufeinander wirkender Organe erhält man erst durch die Postulierung einer gleich- zeitigen Minderwertigkeit. Die Untersuchungen aus dieser Gruppe werden ein riesiges Gebiet zu umfassen haben. Vorarbeiten, die übrigens wieder nicht unserem Standpunkt der gleichzeitigen Minderwertigkeiten gerecht werden, liegen in überwältigender Fülle vor und bedürfen meist nur einer Weiterdeutung in unserem Sinne. So der Zusammenhang von Lageanomalien, Flexionen, Infantilismus, Menstruation, Gravidität, Klimakterium mit Affektionen des Verdauungsapparates, des Blutes, der Niere, des Herzens und der Lungen. So auch die Hartnäckigkeit und

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 59. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/71>, abgerufen am 29.03.2024.