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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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Organes, die in den Kinderfehlern wie in den Reflexanoma-
lien zutage treten, und sie gehorchen der kompensierenden
und überkompensierenden Kraft des nunmehr zur Über-
wertigkeit gelangenden Anteiles der psychomotorischen
Sphäre
. Ich will im folgenden an der Enuresis die Verwandtschaft
von Kinderfehlern und Reflexanomalie weiter verfolgen. Einen ernst-
haften Einwand kann ich kaum gewärtigen, wenn ich diese Affektion
unter die Zahl der funktionellen Minderwertigkeiten aufnehme. Die
Meinungen einzelner Autoren, welche organische Hypoplasien anschul-
digen, in der Blase oder im Zentralnervensystem zu vermuten, können
an dieser Auffassung nichts ändern, stehen vielmehr nach meiner Dar-
legung über äußere und innere Stigmen mit ihr in gutem Einklang.
Nun gibt es in der Symptomatologie der Enuresis ein charakterisierendes
Zeichen, nach welchem geradezu eine Einteilung in zwei Formen ver-
sucht wurde: das Verhalten des Sphinkters beim Katheterismus, das
sich einmal als Schlaffheit (Reflexlosigkeit), ein andermal als verstärkter
Tonus, als Krampf (Reflexsteigerung) darstellt. Es ist in diesem gegen-
teiligen Verhalten die uns schon geläufige Reflexanomalie des minder-
wertigen Organes zu erkennen und wir wären in der Lage, aus dieser
Reflexanomalie allein -- die Enuresis, der Kinderfehler braucht ja trotz
Minderwertigkeit des Harnapparates nicht regelmäßig in Erscheinung zu
treten -- den Sachverhalt zu erschließen, nämlich die Minderwertigkeit
des Harnapparates oder Geschlechtsapparates im Stammbaum zu vermuten.

Wenn wir es mit Reflexlähmungen infolge von organischen Ner-
venerkrankungen zu tun haben, so darf gleichfalls nicht vergessen
werden, daß sich nach den aufgestellten Grundsätzen die organische
Erkrankung in minderwertigen Bahnen lokalisiert. Besonders an die
Erscheinungen der segmentalen Minderwertigkeit muß gedacht werden,
die bei Tabes, bei Beschäftigungserkrankungen, Schreibkrampf etc., bei
Pseudohypertrophie und Erbscher Erkrankung sicherlich eine Rolle spielt.

Der Bruder eines Arztes erkrankte an Tabes dorsalis, die sich
längere Zeit als Sehnervenatrophie bekundete. Der Kollege selbst und
mehrere seiner Geschwister litten in ihrer Kindheit an Blepharospasmus.
Ähnlich dürften die Verhältnisse bei tabischen Blasen- und Mastdarm-
störungen, bei Ataxie, Gürtelgefühl, Larynx- und Magenkrisen liegen,
während bei progressiver Paralyse ein ursprünglich minderwertiges Ge-
hirn zu vermuten ist.

Für die Bedeutung der Gaumenreflexanomalie im Zusammenhang
mit Erkrankungen der Luft- und Nahrungswege möchte ich folgende
Fälle anführen:

Organes, die in den Kinderfehlern wie in den Reflexanoma-
lien zutage treten, und sie gehorchen der kompensierenden
und überkompensierenden Kraft des nunmehr zur Über-
wertigkeit gelangenden Anteiles der psychomotorischen
Sphäre
. Ich will im folgenden an der Enuresis die Verwandtschaft
von Kinderfehlern und Reflexanomalie weiter verfolgen. Einen ernst-
haften Einwand kann ich kaum gewärtigen, wenn ich diese Affektion
unter die Zahl der funktionellen Minderwertigkeiten aufnehme. Die
Meinungen einzelner Autoren, welche organische Hypoplasien anschul-
digen, in der Blase oder im Zentralnervensystem zu vermuten, können
an dieser Auffassung nichts ändern, stehen vielmehr nach meiner Dar-
legung über äußere und innere Stigmen mit ihr in gutem Einklang.
Nun gibt es in der Symptomatologie der Enuresis ein charakterisierendes
Zeichen, nach welchem geradezu eine Einteilung in zwei Formen ver-
sucht wurde: das Verhalten des Sphinkters beim Katheterismus, das
sich einmal als Schlaffheit (Reflexlosigkeit), ein andermal als verstärkter
Tonus, als Krampf (Reflexsteigerung) darstellt. Es ist in diesem gegen-
teiligen Verhalten die uns schon geläufige Reflexanomalie des minder-
wertigen Organes zu erkennen und wir wären in der Lage, aus dieser
Reflexanomalie allein — die Enuresis, der Kinderfehler braucht ja trotz
Minderwertigkeit des Harnapparates nicht regelmäßig in Erscheinung zu
treten — den Sachverhalt zu erschließen, nämlich die Minderwertigkeit
des Harnapparates oder Geschlechtsapparates im Stammbaum zu vermuten.

Wenn wir es mit Reflexlähmungen infolge von organischen Ner-
venerkrankungen zu tun haben, so darf gleichfalls nicht vergessen
werden, daß sich nach den aufgestellten Grundsätzen die organische
Erkrankung in minderwertigen Bahnen lokalisiert. Besonders an die
Erscheinungen der segmentalen Minderwertigkeit muß gedacht werden,
die bei Tabes, bei Beschäftigungserkrankungen, Schreibkrampf etc., bei
Pseudohypertrophie und Erbscher Erkrankung sicherlich eine Rolle spielt.

Der Bruder eines Arztes erkrankte an Tabes dorsalis, die sich
längere Zeit als Sehnervenatrophie bekundete. Der Kollege selbst und
mehrere seiner Geschwister litten in ihrer Kindheit an Blepharospasmus.
Ähnlich dürften die Verhältnisse bei tabischen Blasen- und Mastdarm-
störungen, bei Ataxie, Gürtelgefühl, Larynx- und Magenkrisen liegen,
während bei progressiver Paralyse ein ursprünglich minderwertiges Ge-
hirn zu vermuten ist.

Für die Bedeutung der Gaumenreflexanomalie im Zusammenhang
mit Erkrankungen der Luft- und Nahrungswege möchte ich folgende
Fälle anführen:

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[49/0061] Organes, die in den Kinderfehlern wie in den Reflexanoma- lien zutage treten, und sie gehorchen der kompensierenden und überkompensierenden Kraft des nunmehr zur Über- wertigkeit gelangenden Anteiles der psychomotorischen Sphäre. Ich will im folgenden an der Enuresis die Verwandtschaft von Kinderfehlern und Reflexanomalie weiter verfolgen. Einen ernst- haften Einwand kann ich kaum gewärtigen, wenn ich diese Affektion unter die Zahl der funktionellen Minderwertigkeiten aufnehme. Die Meinungen einzelner Autoren, welche organische Hypoplasien anschul- digen, in der Blase oder im Zentralnervensystem zu vermuten, können an dieser Auffassung nichts ändern, stehen vielmehr nach meiner Dar- legung über äußere und innere Stigmen mit ihr in gutem Einklang. Nun gibt es in der Symptomatologie der Enuresis ein charakterisierendes Zeichen, nach welchem geradezu eine Einteilung in zwei Formen ver- sucht wurde: das Verhalten des Sphinkters beim Katheterismus, das sich einmal als Schlaffheit (Reflexlosigkeit), ein andermal als verstärkter Tonus, als Krampf (Reflexsteigerung) darstellt. Es ist in diesem gegen- teiligen Verhalten die uns schon geläufige Reflexanomalie des minder- wertigen Organes zu erkennen und wir wären in der Lage, aus dieser Reflexanomalie allein — die Enuresis, der Kinderfehler braucht ja trotz Minderwertigkeit des Harnapparates nicht regelmäßig in Erscheinung zu treten — den Sachverhalt zu erschließen, nämlich die Minderwertigkeit des Harnapparates oder Geschlechtsapparates im Stammbaum zu vermuten. Wenn wir es mit Reflexlähmungen infolge von organischen Ner- venerkrankungen zu tun haben, so darf gleichfalls nicht vergessen werden, daß sich nach den aufgestellten Grundsätzen die organische Erkrankung in minderwertigen Bahnen lokalisiert. Besonders an die Erscheinungen der segmentalen Minderwertigkeit muß gedacht werden, die bei Tabes, bei Beschäftigungserkrankungen, Schreibkrampf etc., bei Pseudohypertrophie und Erbscher Erkrankung sicherlich eine Rolle spielt. Der Bruder eines Arztes erkrankte an Tabes dorsalis, die sich längere Zeit als Sehnervenatrophie bekundete. Der Kollege selbst und mehrere seiner Geschwister litten in ihrer Kindheit an Blepharospasmus. Ähnlich dürften die Verhältnisse bei tabischen Blasen- und Mastdarm- störungen, bei Ataxie, Gürtelgefühl, Larynx- und Magenkrisen liegen, während bei progressiver Paralyse ein ursprünglich minderwertiges Ge- hirn zu vermuten ist. Für die Bedeutung der Gaumenreflexanomalie im Zusammenhang mit Erkrankungen der Luft- und Nahrungswege möchte ich folgende Fälle anführen:

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 49. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/61>, abgerufen am 20.04.2024.