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Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907.

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zu führen, bedarf es weiterer Determinationen. Verbrecher, Trinker,
Imbecille, geniale Menschen, scheinbar Gesunde, die aber recht häufig
die peripheren oder partiellen Formen der Minderwertigkeit aufweisen,
müssen in solchen Familien abwechseln, bis dieses Geschlecht an den
äußeren Widerständen zerschellt oder bis ein Ausgleich geschaffen wird,
der eine bessere Lebensfähigkeit garantiert.

Familie L.: Vater an Karzinom der Blase gestorben, Mutter gei-
stig minderwertig. Zwei Söhne, von denen einer geistig minderwertig
mit Schädelasymmetrien, der andere normal. Von fünf Töchtern ist die
älteste mit Nierensteinen behaftet, eines ihrer Kinder ist Bettnässer.
Die zweite litt in der Kindheit an Enuresis und Blasenkatarrhen, später
bei jedesmaliger Gravidität -- 3mal -- an Schwangerschaftspyelitis.
Die dritte ist Epileptikerin, die vierte imbecill, die fünfte normal. Von
den Kindern der zweiten Tochter zeigte das erste leichte Erscheinungen
von Enuresis, das zweite hat Schädeldeformitäten, das dritte litt an
Laryngospasmus. In dieser Familie spielt also eine Kombination von
Minderwertigkeit des Harnapparates und des Gehirnes ihr unheimliches
Spiel.

Die Analyse der Hereditätsverhältnisse bei der Tuberkulose
erweist sich in gleichem Maße als fruchtbringend. Die Berechtigung
des Hereditätsproblems in der Tuberkulosenfrage ist so ziemlich anerkannt.
Noch deutlicher wird sie aber bei Anerkennung unseres Standpunktes,
sofern man in der Aszendenz nicht bloß Lungentuberkulose sucht, son-
dern größeres Gewicht auf die Minderwertigkeit des gesamten Respi-
rationstraktes legt und andere Erkrankungen dieses Apparates in gleicher
Weise berücksichtigt. Dann fallen Bronchialasthma, Emphysem, Er-
krankungen des Larynx, des Pharynx, der Nase gleichfalls in den
Bereich der Anamnese. Denn wie bei der Epilepsie das minderwertige
Gehirn, so vererbt sich bei der Tuberkulose das minderwertige Respi-
rationsorgan, das seine Mängel an den verschiedensten Stellen, in den
verschiedensten Formen offenbaren kann. Auch die komplizierenden
Erkrankungen dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Der Zusammenhang
mit Magendarmaffektionen, Hysterie, Kropf, Alkoholismus und Albumin-
urie ist deutlich genug. Es würde zu weit führen, hier eine vollstän-
dige Erklärung dieses Zusammenhanges durchzuführen. Als Resultat
meiner Betrachtungen kann ich anführen, daß es sich in allen diesen
Fällen, zu denen noch Kleinheit des Herzens und der Arterien zu
rechnen sind, nicht etwa um reine Zusammenhangverhältnisse kausaler
Natur, sondern um gleichzeitig auftretende Minderwertigkeiten in einem
zweiten Organe handelt. Ein besonderes Interesse nimmt die Lokali-

zu führen, bedarf es weiterer Determinationen. Verbrecher, Trinker,
Imbecille, geniale Menschen, scheinbar Gesunde, die aber recht häufig
die peripheren oder partiellen Formen der Minderwertigkeit aufweisen,
müssen in solchen Familien abwechseln, bis dieses Geschlecht an den
äußeren Widerständen zerschellt oder bis ein Ausgleich geschaffen wird,
der eine bessere Lebensfähigkeit garantiert.

Familie L.: Vater an Karzinom der Blase gestorben, Mutter gei-
stig minderwertig. Zwei Söhne, von denen einer geistig minderwertig
mit Schädelasymmetrien, der andere normal. Von fünf Töchtern ist die
älteste mit Nierensteinen behaftet, eines ihrer Kinder ist Bettnässer.
Die zweite litt in der Kindheit an Enuresis und Blasenkatarrhen, später
bei jedesmaliger Gravidität — 3mal — an Schwangerschaftspyelitis.
Die dritte ist Epileptikerin, die vierte imbecill, die fünfte normal. Von
den Kindern der zweiten Tochter zeigte das erste leichte Erscheinungen
von Enuresis, das zweite hat Schädeldeformitäten, das dritte litt an
Laryngospasmus. In dieser Familie spielt also eine Kombination von
Minderwertigkeit des Harnapparates und des Gehirnes ihr unheimliches
Spiel.

Die Analyse der Hereditätsverhältnisse bei der Tuberkulose
erweist sich in gleichem Maße als fruchtbringend. Die Berechtigung
des Hereditätsproblems in der Tuberkulosenfrage ist so ziemlich anerkannt.
Noch deutlicher wird sie aber bei Anerkennung unseres Standpunktes,
sofern man in der Aszendenz nicht bloß Lungentuberkulose sucht, son-
dern größeres Gewicht auf die Minderwertigkeit des gesamten Respi-
rationstraktes legt und andere Erkrankungen dieses Apparates in gleicher
Weise berücksichtigt. Dann fallen Bronchialasthma, Emphysem, Er-
krankungen des Larynx, des Pharynx, der Nase gleichfalls in den
Bereich der Anamnese. Denn wie bei der Epilepsie das minderwertige
Gehirn, so vererbt sich bei der Tuberkulose das minderwertige Respi-
rationsorgan, das seine Mängel an den verschiedensten Stellen, in den
verschiedensten Formen offenbaren kann. Auch die komplizierenden
Erkrankungen dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Der Zusammenhang
mit Magendarmaffektionen, Hysterie, Kropf, Alkoholismus und Albumin-
urie ist deutlich genug. Es würde zu weit führen, hier eine vollstän-
dige Erklärung dieses Zusammenhanges durchzuführen. Als Resultat
meiner Betrachtungen kann ich anführen, daß es sich in allen diesen
Fällen, zu denen noch Kleinheit des Herzens und der Arterien zu
rechnen sind, nicht etwa um reine Zusammenhangverhältnisse kausaler
Natur, sondern um gleichzeitig auftretende Minderwertigkeiten in einem
zweiten Organe handelt. Ein besonderes Interesse nimmt die Lokali-

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[19/0031] zu führen, bedarf es weiterer Determinationen. Verbrecher, Trinker, Imbecille, geniale Menschen, scheinbar Gesunde, die aber recht häufig die peripheren oder partiellen Formen der Minderwertigkeit aufweisen, müssen in solchen Familien abwechseln, bis dieses Geschlecht an den äußeren Widerständen zerschellt oder bis ein Ausgleich geschaffen wird, der eine bessere Lebensfähigkeit garantiert. Familie L.: Vater an Karzinom der Blase gestorben, Mutter gei- stig minderwertig. Zwei Söhne, von denen einer geistig minderwertig mit Schädelasymmetrien, der andere normal. Von fünf Töchtern ist die älteste mit Nierensteinen behaftet, eines ihrer Kinder ist Bettnässer. Die zweite litt in der Kindheit an Enuresis und Blasenkatarrhen, später bei jedesmaliger Gravidität — 3mal — an Schwangerschaftspyelitis. Die dritte ist Epileptikerin, die vierte imbecill, die fünfte normal. Von den Kindern der zweiten Tochter zeigte das erste leichte Erscheinungen von Enuresis, das zweite hat Schädeldeformitäten, das dritte litt an Laryngospasmus. In dieser Familie spielt also eine Kombination von Minderwertigkeit des Harnapparates und des Gehirnes ihr unheimliches Spiel. Die Analyse der Hereditätsverhältnisse bei der Tuberkulose erweist sich in gleichem Maße als fruchtbringend. Die Berechtigung des Hereditätsproblems in der Tuberkulosenfrage ist so ziemlich anerkannt. Noch deutlicher wird sie aber bei Anerkennung unseres Standpunktes, sofern man in der Aszendenz nicht bloß Lungentuberkulose sucht, son- dern größeres Gewicht auf die Minderwertigkeit des gesamten Respi- rationstraktes legt und andere Erkrankungen dieses Apparates in gleicher Weise berücksichtigt. Dann fallen Bronchialasthma, Emphysem, Er- krankungen des Larynx, des Pharynx, der Nase gleichfalls in den Bereich der Anamnese. Denn wie bei der Epilepsie das minderwertige Gehirn, so vererbt sich bei der Tuberkulose das minderwertige Respi- rationsorgan, das seine Mängel an den verschiedensten Stellen, in den verschiedensten Formen offenbaren kann. Auch die komplizierenden Erkrankungen dürfen wir nicht unerwähnt lassen. Der Zusammenhang mit Magendarmaffektionen, Hysterie, Kropf, Alkoholismus und Albumin- urie ist deutlich genug. Es würde zu weit führen, hier eine vollstän- dige Erklärung dieses Zusammenhanges durchzuführen. Als Resultat meiner Betrachtungen kann ich anführen, daß es sich in allen diesen Fällen, zu denen noch Kleinheit des Herzens und der Arterien zu rechnen sind, nicht etwa um reine Zusammenhangverhältnisse kausaler Natur, sondern um gleichzeitig auftretende Minderwertigkeiten in einem zweiten Organe handelt. Ein besonderes Interesse nimmt die Lokali-

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Zitationshilfe: Adler, Alfred: Studie über Minderwertigkeit von Organen. Berlin u. a., 1907, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/adler_studie_1907/31>, abgerufen am 28.03.2024.